OGH 1Ob148/24g

OGH1Ob148/24g19.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Pfurtscheller als weitere Richterinnen und Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch die Liebenwein Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Land *, vertreten durch die Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 103.295,20 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 15.590 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. April 2024, GZ 14 R 170/23g‑86.1, mit dem das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 29. September 2023, GZ 3 Cg 10/20t‑78, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00148.24G.1119.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Amtshaftung inkl. StEG

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.316,40 EUR (darin 219,40 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte brachte gegen den Kläger (und andere Personen) am 15. 1. 2019 eine Sachverhaltsdarstellung bei der WKStA ein. Diese leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des schweren Betrugs und anderer strafbarer Handlungen ein, insbesondere wegen des Vorwurfs, der Kläger habe als „Mastermind“ die Beklagte durch Täuschung über Tatsachen zur Festsetzung einer zu geringen Geldleistung nach § 36 WGG verleitet, nachdem die Landesregierung drei gemeinnützigen Bauvereinigungen gemäß § 35 WGG die Gemeinnützigkeit entzogen hatte, wodurch der Beklagten ein Schaden von zumindest 40 Mio EUR entstanden sei. Vor oder zeitgleich mit der Einbringung der Sachverhaltsdarstellung wurde eine nicht unterfertigte Version und ein vorangegangener Entwurf derselben mit Wissen und Willen der Beklagten Medienvertretern zugespielt.

[2] Der Kläger begehrte von der Beklagten im Wege der Amtshaftung Schadenersatz von 103.295,20 EUR sA, weil Organe der Beklagten schuldhaft und rechtswidrig der Amtsverschwiegenheit unterliegende Tatsachen aus den Verwaltungsverfahren nach § 35 WGG in der Öffentlichkeit verbreitet hätten.

[3] Das Erstgericht sprach dem Kläger einen Teilbetrag von 15.590 EUR sA zu und wies das darüber hinausgehende Klagebegehren rechtskräftig zurück bzw ab.

[4] Das Berufungsgericht änderte die Teilstattgebung in eine Abweisung ab. Die durch die Weitergabe der Sachverhaltsdarstellung an die Medien ausgelöste mediale Berichterstattung habe zwar in die Persönlichkeitsrechte des Klägers eingriffen und seien dadurch Tatsachen aus den Verwaltungsverfahren an die Öffentlichkeit getragen worden. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts ergebe die umfassende Abwägung der beiderseitigen Interessen allerdings, dass das öffentliche Interesse an der von der Beklagten geäußerten Verdachtslage das Interesse des Klägers an einer Geheimhaltung der amtlichen Tatsachen überwogen habe. Daher sei die Weitergabe der gesamten Sachverhaltsdarstellung an die Medien und die damit verbundenen Beeinträchtigungen des Klägers gerechtfertigt gewesen und liege keine Verletzung des Amtsgeheimnisses durch die Beklagte vor. Selbst wenn man aber – wie das Erstgericht – die Veröffentlichung der detaillierten Informationen aus den Verwaltungsakten als „überschießend“ qualifizieren und daher ein rechtswidriges Organhandeln bejahen würde, müsste der Ersatzanspruch jedenfalls an der Vertretbarkeit scheitern.

[5] Die Revision ließ das Berufungsgericht nachträglich mit der Begründung zu, es sei nicht auszuschließen, dass bei der Interessenabwägung dem Umstand, dass das Ermittlungsverfahren bei der Veröffentlichung noch gar nicht eingeleitet gewesen sei, mehr Bedeutung beizumessen sei.

Rechtliche Beurteilung

[6] Entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch ist die (von der Beklagten beantwortete) Revision des Klägers mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[7] 1. Im Amtshaftungsprozess ist nicht zu prüfen, ob ein bestimmtes behördliches Verhalten richtig war, sondern nur, ob es auf einer vertretbaren Gesetzesauslegung bzw Rechtsanwendung beruhte (RS0049955 [T2]). Eine unrichtige, jedoch vertretbare Rechtsauffassung vermag keinen Amtshaftungsanspruch zu begründen (RS0049955). Ob eine behördliche Maßnahme rechtlich vertretbar war, ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen und begründet daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage. Eine solche könnte sich nur bei einer – hier nicht anzunehmenden – klaren Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht ergeben (RS0110837).

[8] 2. Der Revisionswerber meint, das Berufungsgericht habe bei der Abwägung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse des Klägers den Zeitpunkt der Veröffentlichung noch vor Einleitung des Ermittlungsverfahrens außer Acht gelassen. Auch wenn die Weitergabe der Sachverhaltsdarstellung grundsätzlich gerechtfertigt gewesen sein möge, hätte diese erst nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens und Information des Beschuldigten erfolgen dürfen.

[9] Aus dem Hinweis auf die Bestimmungen über die Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens nach § 12 Abs 1 Satz 2 StPO und über die Information der Medien nach § 35b StAG ist für den Kläger diesbezüglich allerdings nichts zu gewinnen:

[10] § 35b StAG – der Vorgaben für die Staatsanwaltschaft betreffend die Informationsweitergabe an die Medien enthält – bezieht sich nur auf die Information der Medien durch die Staatsanwaltschaft (11 Os 109/21w). Für Opfer, Privatbeteiligte und Privatankläger statuiert § 68 Abs 3 StPO iVm § 54 StPO ein von einer Interessenabwägung abhängiges – eingeschränktes – Veröffentlichungsverbot. Einem generellen Veröffentlichungsverbot unterliegen die zur Akteneinsicht berechtigten Personen (auch im nicht-öffentlichen Ermittlungsverfahren) nicht (RS0129845). Aus diesen Vorschriften lässt sich jedenfalls nicht ableiten, dass eine Veröffentlichung der Sachverhaltsdarstellung (hier) durch das Opfer vor Einleitung des Ermittlungsverfahrens schlechthin unzulässig wäre.

[11] Stichhaltige Argumente dafür, dass die Interessenabwägung im konkreten Fall zu seinen Gunsten hätte ausgehen müssen, trägt der Kläger in der Revision nicht vor: Das Berufungsgericht hat bei seiner Entscheidung sehr wohl berücksichtigt, dass – wie der Kläger meint – die Beklagte als Gebietskörperschaft einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab im Umgang mit öffentlichen Verdachtsäußerungen unterliegt. Es hat außerdem darauf Bedacht genommen, dass bereits vor der Weitergabe der Sachverhaltsdarstellung an die Medien ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Person des Klägers bestand, weil dieser in der medialen Berichterstattung schon als „Profiteur“ der Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit den Verfahren nach § 35 WGG genannt worden war. Vor diesem Hintergrund laufen die Ausführungen des Klägers, gerade der Zeitpunkt der Veröffentlichung habe seine Interessen massiv beeinträchtigt, ins Leere.

[12] Da das Berufungsgericht die Vertretbarkeit des in Frage stehenden Organverhaltens vertretbar bejaht hat, kommt es auf dessen Richtigkeit nicht mehr an.

[13] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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