European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00062.24A.1119.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Der 1969 geborene Kläger genießt Berufsschutz als Universalschweißer. In der Zeit von 1. August 2006 bis 31. Jänner 2014 bezog er eine befristete Invaliditätspension, daran anschließend bis 30. Juni 2016 Rehabilitationsgeld und ab 1. Juli 2016 eine unbefristete Invaliditätspension.
[2] Mit Bescheid vom 25. Jänner 2019 entzog die beklagte Pensionsversicherungsanstalt dem Kläger mit Ablauf des Monats Februar 2019 die Invaliditätspension (erkennbar nach § 99 Abs 1 ASVG), weil ihm die Ausübung einer berufsschutzerhaltenden Tätigkeit wieder möglich sei.
[3] Mit seiner dagegen erhobenen Klage begehrt der Kläger die Weitergewährung der Invaliditätspension.
[4] Das darüber geführte Verfahren befindet sich bereits im dritten Rechtsgang. Im zweiten Rechtsgang sprach das Berufungsgericht mit rechtskräftigem Teilurteil vom 5. Juli 2022 aus, dass das Klagebegehren über den 28. Februar 2019 hinaus bis 31. Juli 2020 dem Grunde nach zu Recht besteht, legte der Beklagten für diese Zeit eine vorläufige Zahlung auf und stellte fest, dass auch ab 1. August 2020 Invalidität voraussichtlich dauerhaft vorliegt.
[5] Gegenstand des dritten Rechtsgangs sowie des Revisionsverfahrens ist nur noch, ob der Weitergewährung der Invaliditätspension über den 31. Juli 2020 hinaus entgegensteht, dass der Kläger im Juli 2020 ein Berufsfindungsverfahren abgebrochen hat.
[6] Der Kläger vertritt dazu den Standpunkt, das Berufsfindungsverfahren aus rein medizinischen Gründen und daher berechtigt abgebrochen zu haben. Abgesehen davon seien ihm angesichts seines schlechten Gesundheitszustands weitere Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation auch gar nicht zumutbar. Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht liege daher nicht vor.
[7] Die Beklagte hält dem entgegen, der Kläger sei mittlerweile umschulbar und nach § 305 iVm § 366 ASVG auch verpflichtet, an Berufsfindungsmaßnahmen mitzuwirken. Obwohl sie ihn schriftlich sowie im Zuge eines persönlichen Beratungsgesprächs darüber aufgeklärt habe, dass aufgrund der wesentlichen Verbesserung seines Gesundheitszustands nunmehr berufliche Rehabilitationsmaßnahmen durchzuführen seien und ansonsten keine Leistung aus der Pensionsversicherung gebührten, sei der Kläger seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Ein Anspruch auf Invaliditätspension bestehe daher (ab 1. August 2020) nicht mehr.
[8] Die Vorinstanzen wiesen das verbliebene Klagebegehren ab. Da die Frage der beruflichen Rehabilitierbarkeit ohne persönliche Mitwirkung der antragstellenden Person nicht geklärt werden könne, ordne § 366 Abs 4 ASVG an, dass der Antrag auf Invaliditätspension im Fall der mangelnden Mitwirkung in einen Antrag auf Feststellung der Invalidität umgewandelt werde. In einem Entziehungsverfahren folge aus § 366 Abs 4 ASVG, dass im Fall der Verletzung der Mitwirkungspflicht die auf Weitergewährung der Invaliditätspension gerichtete Klage zwar abzuweisen, aber dennoch – wie bereits im Teilurteil vom 5. Juli 2022 erfolgt – gemäß § 255a ASVG festzustellen sei, dass Invalidität iSd § 255 Abs 1 ASVG voraussichtlich dauerhaft vorliege. Im Anlassfall stehe fest, dass dem Kläger trotz gesundheitlicher Einschränkungen die Teilnahme am Berufsfindungsverfahren zumutbar gewesen wäre, er dieses aber trotzdem (am 28. Juli 2020) abgebrochen habe. Das stelle eine Verletzung der Mitwirkungspflicht dar, weshalb er ab August 2020 keinen Anspruch (mehr) auf Weitergewährung der Invaliditätspension habe.
[9] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Frage, ob eine Verletzung der Mitwirkungspflicht iSd § 366 Abs 4 ASVG im Zusammenhang mit der beruflichen Rehabilitation auch in einem Verfahren über die Entziehung einer unbefristeten Invaliditätspension wahrzunehmen sei, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
[10] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, dem (verbliebenen) Klagebegehren stattzugeben. Hilfsweise stellt er auch einen Aufhebungsantrag.
[11] Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
[13] 1. Der Kläger stellt nicht in Abrede, dass die Entziehung einer laufenden Leistung nach § 99 Abs 1 ASVG zulässig ist, wenn sich die Verhältnisse wesentlich geändert haben bzw die Leistungsvoraussetzungen weggefallen sind (RS0083884 [insb T1]; 10 ObS 85/22f ErwGr 2. ua). Er bezweifelt auch nicht, dass die Beklagte berechtigt war, im gerichtlichen Verfahren die Verletzung der Mitwirkungspflicht als zusätzlichen Entziehungsgrund geltend zu machen, obwohl sie diesen für die Begründung des angefochtenen Bescheids nicht herangezogen hatte (10 ObS 35/21a Rz 15 mwN).
[14] 2. In der Revision bekämpft er vielmehr nur die Anwendung des § 366 Abs 4 ASVG durch die Vorinstanzen und meint, dieser stelle explizit nur auf die „antragstellende Person“ ab und sei daher im Fall der Entziehung nicht anwendbar. Die Frage der beruflichen Rehabilitierbarkeit knüpfe zudem offenkundig an den Zeitpunkt der Gewährung der Pension an und dürfe daher im Entziehungsverfahren nicht mehr geprüft werden.
[15] 3. Mit diesem Vorbringen vermag der Kläger die Zulässigkeit der Revision nicht aufzuzeigen.
[16] 3.1. Er übergeht, dass die zu rehabilitierende Person nach der völlig eindeutigen Anordnung des § 305 Satz 2 ASVG die Pflicht trifft, an Rehabilitationsmaßnahmen mitzuwirken (vgl auch § 4 Abs 1 Bundesbehindertengesetz). Diese Pflicht steht (schon nach ihrer ursprünglichen Konzeption) im Zusammenhang mit § 99 ASVG und bezieht sich unter anderem auf Bezieher einer unbefristeten Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (vgl Bericht des Ausschusses für Soziales zur 32. ASVG‑Novelle, 388 BlgNR 14. GP , 13; so auch Ziegelbauer in Sonntag, ASVG15 § 307 Rz 4). Mit seinen Ausführungen nur zu § 366 Abs 4 ASVG spricht der Kläger daher keine entscheidende Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO an (vgl RS0088931 [T2, T4, T7]).
[17] 3.2. Darauf aufbauend kann die Leistung nach § 99 Abs 2 ASVG auf Zeit ganz oder teilweise entzogen werden, wenn sich der Anspruchsberechtigte nach Hinweis auf diese Folge unter anderem einer Beobachtung entzieht. Es handelt sich dabei um ein Beugemittel, das den Versicherten dazu bringen soll, seiner Obliegenheit nachzukommen, und das vor allem darauf abzielt, bis dahin, also solange er in seinem Fehlverhalten verharrt (RS0083960), den weiteren Bezug von nicht oder nicht mehr in der gewährten Höhe gebührenden und daher unter Umständen nach § 99 Abs 1 ASVG endgültig zu entziehenden Leistungen zu vermeiden (10 ObS 25/23h Rz 47; Auer-Mayer, Mitverantwortung 401). Eine darauf gestützte Entziehung setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass der Leistungsberechtigte nachweislich zur Untersuchung oder Beobachtung geladen wurde und er die Ladung trotz ausdrücklichen Hinweises auf den sonstigen Leistungsentzug schuldhaft nicht befolgt (RS0083949; 10 ObS 21/21t Rz 17 ua).
[18] 3.2.1. Dass diese Voraussetzungen hiererfüllt sind, bestreitet der Kläger in der Revision nicht. Er meint nur, die berufliche Rehabilitierbarkeit sei eine negative Anspruchsvoraussetzung (§ 254 Abs 1 Z 2 ASVG) und daher im Entziehungsverfahren (nach § 99 Abs 1 ASVG) gar nicht mehr zu prüfen, womit er erkennbar zum Ausdruck bringt, die angeordnete Beobachtung betreffe keinen für den Weiterbezug der Invaliditätspension relevanten Umstand. Das ist nicht nachvollziehbar.
[19] 3.2.2. Dem Kläger ist zwar beizupflichten, dass seine Weigerung, am Berufsfindungsverfahren teilzunehmen, nur dann als Grundlage einer Entziehung nach § 99 Abs 2 ASVG in Betracht kommen kann, wenn die dadurch zu gewinnenden Informationen für die (Nicht‑)Berechtigung der entzogenen Leistung relevant sind (10 ObS 25/23h Rz 48; Auer-Mayer aaO 402). Entgegen seiner Auffassung ist das hier aber sehr wohl der Fall.
[20] 3.2.3. Denn für den nach § 99 Abs 1 ASVG anzustellenden Vergleich sind stets die Verhältnisse im Zeitpunkt der Zuerkennung der Leistung jenen im Zeitpunkt des Leistungsentzugs gegenüberzustellen (RS0083884 [T2]; RS0083876). Warum diese Prüfung bei einer negativen Anspruchsvoraussetzung anders ausfallen sollte als bei einer positiven bzw sogar ganz entfallen sollte, ist nicht ersichtlich. Tatsächlich wirkt sich diese Frage bloß auf den Umfang der Behauptungslast des Versicherungsträgers im gerichtlichen Verfahren aus (10 ObS 107/12a ErwGr 5.). Ist der Betroffene nicht rehabilitierbar, gebührt ihm zwar eine Pensionsleistung (vgl § 254 Abs 1 Z 2 ASVG), dies aber nur solange, bis aufgrund einer Verbesserung des Zustands berufliche Rehabilitationsmaßnahmen zumutbar und zweckmäßig sind.
[21] 4. Zusammenfassend betrifft die Frage der beruflichen Rehabilitierbarkeit einen für die Entziehung der Invaliditätspension nach § 99 Abs 1 ASVG relevanten Umstand, der aufgrund der unberechtigten Weigerung des Klägers, sich am Berufsfindungsverfahren zu beteiligen, nicht beurteilt werden kann. Die Weigerung, sich der für das Verfahren nach § 99 Abs 1 ASVG notwendigen Beobachtung zu unterziehen, stellt demgemäß einen Grund für die Entziehung nach § 99 Abs 2 ASVG dar.
[22] Darauf aufbauend entspricht die vom Berufungsgericht – bereits im zweiten Rechtsgang ausführlich – dargelegte Ansicht, die Entziehung der Invaliditätspension sei solange gerechtfertigt, solange sich der Kläger trotz objektiver Fähigkeit weigere, an Rehabilitationsmaßnahmen mitzuwirken, der Rechtslage. Klarzustellen ist nur, dass sich dies nicht aus § 366 Abs 4 Satz 1 ASVG, der sich insofern an den Versicherungsträger richtet (vgl Sonntag in Sonntag aaO § 254 Rz 3), sondern aus § 99 Abs 2 iVm § 305 ASVG ergibt.
[23] 5. Zwar kann ein Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG auch dann erfolgen, wenn das Berufungsgericht die ordentliche Revision zugelassen hat, der Oberste Gerichtshof diese jedoch mangels einer Rechtsfrage iSd § 502 ZPO zurückweist (RS0085898 [T2]). Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden jedoch nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
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