OGH 5Ob124/24g

OGH5Ob124/24g14.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr, den Hofrat Dr. Steger und die Hofrätin Dr. Pfurtscheller in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Ernst Brunner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W*, vertreten durch Mag. Nicole Neugebauer‑Herl, Rechtsanwältin in Wien, wegen 35.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 16.064,15 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 24. April 2024, GZ 39 R 241/23i‑24, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 24. Juli 2023, GZ 89 C 68/22s‑16, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00124.24G.1114.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen deren mit 1.410,90 EUR (darin 235,15 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist seit 22. 12. 2003 Hauptmieterin eines Geschäftslokals, in dem sie ein Gastronomieunternehmen betreibt. Die Beklagte ist Eigentümerin und Vermieterin des Objekts. Als Geschäftszweckwar der Betrieb eines Gast‑ und Schankgewerbes und eines Weinhandels vereinbart. Das Restaurant der Klägerin war bis zum Beginn der COVID‑19‑Pandemie im März 2020 darauf ausgelegt, Gäste direkt im Lokal zu empfangen und zu bewirten. 70 bis 90 % der Gäste waren Touristen. Ein Abhol‑ oder Lieferservice wurde von der Klägerin vor März 2020 nicht angeboten.

[2] Wegen der aufgrund der COVID‑19‑Pandemie verordneten behördlichen Zutrittsverbote zu Gastronomielokalen musste die Klägerin ihr Restaurant vom 16. 3. 2020 bis 14. 5. 2020 („erster Lockdown“), vom 3. 11. 2020 bis 18. 5. 2021 („zweiter Lockdown“) und vom 22. 11. 2021 bis 29. 12. 2021 („dritter Lockdown“) schließen. Wegen der monatlichen Nettofixkosten war ihr die Einrichtung eines Abhol‑ und Lieferservices wirtschaftlich auch nicht zumutbar.

[3] Bereits per E‑Mail an die Hausverwaltung vom 25. 3. 2020 ersuchte die Klägerin „wegen Corona‑Virus und gezwungener Sperre des Betriebs“ um Herabsetzung der Miete für die Dauer der Sperre. Da sie die Hausverwaltung am 16. 4. 2020 aufforderte, den Fixkostenzuschuss in Anspruch zu nehmen, um damit die nicht bezahlten und teils gestundeten Mietvorschreibungen zu bezahlen, und die Klägerin große Angst vor einer Räumungsklage hatte, bezahlte sie letztlich den ihr vorgeschriebenen Mietzins samt Betriebskosten trotz ihres Ersuchens per Mail auch für die Zeiträume, in denen sie ihren Betrieb geschlossen halten musste. Tatsächlich erhielt die Klägerin für den Zeitraum des ersten Lockdowns Fixkostenzuschuss von 14.973,41 EUR. Für November 2020 und Dezember 2020 erhielt sie Umsatzersatz von 95.848,02 EUR und für Jänner bis Mai 2021 Ausfallsbonus in Höhe von 94.260,38 EUR, für den Zeitraum des zweiten Lockdowns daher insgesamt 190.108,40 EUR. Für den Zeitraum des dritten Lockdowns erhielt sie Ausfallsbonus von 40.072,56 EUR.

[4] Die Klägerin begehrt die – näher aufgeschlüsselt – von ihr bezahlten Mietzinse (monatlich 3.747,36 EUR) für die behördlich verordneten Schließtage ihres Gastronomiebetriebs von der Beklagten mit der Begründung zurück, sie habe insoweit irrtümlich eine Nichtschuld bezahlt. Das Mietobjekt sei während der behördlich verordneten Sperre zur Gänze unbrauchbar gewesen.

[5] Die Beklagte wendete – soweit im Revisionsverfahren noch wesentlich – ein, die Klägerin habe Unterstützungsleistungen in Form von Fixkostenzuschuss, Umsatzersatz und Ausfallsbonus bezogen, was bei der Ermittlung der Zinsminderung zu berücksichtigen sei.

[6] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 18.935,85 EUR sA und wies das Mehrbegehren von 16.064,15 EUR sA ab. Es stellte die Mietzinsvorschreibungen für die Zeiträume der Lockdowns und die darauf erfolgten Zahlungen der Klägerin ebenso im Detail fest wie die der Klägerin gewährten staatlichen Unterstützungsleistungen in Form von Fixkostenzuschuss, Umsatzersatz und Ausfallsbonus. Ausgehend vom Jahresumsatz des Restaurants für das Jahr 2019 und dem daraus ermittelten durchschnittlichen Umsatz pro Tag ging das Erstgericht davon aus, dass die Klägerin im zweiten Lockdown für die Tage, an denen das Restaurant geschlossen bleiben musste, ca 55 % ihres durchschnittlichen Umsatzes des Jahres 2019 ersetzt erhalten habe, für den dritten Lockdown hingegen 82 %.

[7] Rechtlich vertrat es die Auffassung, die COVID‑19‑Pandemie sei als Seuche iSd § 1104 ABGB zu werten. Ob sie zu einer vollständigen oder teilweisen Unbrauchbarkeit des Bestandgegenstands geführt habe, sei nach dem Vertragszweck zu beurteilen. Sei das Objekt durch Kundenverkehr gekennzeichnet, könne ein Betretungsverbot aus Anlass der Pandemie zur gänzlichen Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts führen. Die im zweiten und dritten Lockdown bestehende Erlaubnis des Anbietens eines Abhol‑ und Lieferservices führe an sich nicht zur vollkommenen Unbrauchbarkeit, die Klägerinhabe aber nachgewiesen, dass ihr die Etablierung eines bislang nicht betriebenen Abhol- oder Lieferservices nicht zumutbar gewesen sei. Zu den staatlichen Unterstützungsleistungen habe die höchstgerichtliche Rechtsprechung bereits geklärt, dass der der Klägerin gewährte Fixkostenzuschuss ihr Recht auf Mietzinsminderung nicht schmälere, weil es sich dabei nicht um eine Zuwendung handle, die dazu gedacht war, den gesetzlichen Mietzinsentfall der Geschäftsraumvermieter wettzumachen. Durch die Entscheidung zu 1 Ob 181/22g sei aber klargestellt worden, dass diese Rechtsprechungsgrundsätze nicht auf den Lockdown‑Umsatzersatz zu übertragen seien, weil diese Beihilfe an den Umsatz des Unternehmens im Vergleichsmonat des Vorjahres anknüpfe und damit der Höhe nach das mit einem Prozentsatz begrenzte Surrogat für den Gesamtwert der von einem Unternehmen abgesetzten Waren und erbrachten Leistungen eines bestimmten Zeitraums sei, das an die Stelle des mit den vorhandenen Betriebsmitteln erzielbaren, aber wegen des zweiten und dritten Lockdowns tatsächlich nicht erzielten Umsatzes getreten sei. Der Verordnungsgeber sei daher von einer grundsätzlichen Eignung des Bestandgegenstands zur Ausübung des gewerblichen Zwecks ausgegangen und habe die (teilweise) Brauchbarkeit des Bestandgegenstands zum bedungenen Zweck auch für die Zeit des Betretungsverbots fingiert. Der Bestandnehmer habe für diese Zeit Einnahmen aus dem Bestandgegenstand lukrieren können und damit einen wirtschaftlichen Nutzen aus dem Bestandvertrag gezogen.

[8] Demgemäß sprach das Erstgericht der Klägerin für den Zeitraum des ersten Lockdowns die Rückzahlung der von ihr bezahlten Mietzinse ohne Kürzung zu, für den zweiten Lockdown ging es unter Berücksichtigung des Umsatzersatzes von 55% von einem Mietzinsminderungsanspruch in der Höhe von 45 % und für den dritten Lockdown von 18 % aus, weil ihr für diesen Zeitraum 82 % des Umsatzentgangs ersetzt worden seien.

[9] Das Berufungsgericht gab den von beiden Parteien erhobenen Berufungen nicht Folge. Es teilte die Auffassung des Erstgerichts. Der Entscheidung zu 1 Ob 181/22g folgend vertrat es ebenfalls die Auffassung, mit dem Erhalt von staatlichen Umsatzersatzleistungen habe die Klägerin aus dem Bestandverhältnis wirtschaftlichen Nutzen gezogen, der der Annahme einer völligen Unbrauchbarkeit entgegenstehe. Da die Entscheidung 3 Ob 36/22y allerdings die Auffassung vertreten habe, dass der Umsatzersatz gleich dem Fixkostenzuschuss sei, liege keine einheitliche höchstgerichtliche Rechtsprechung vor. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht daher zur Frage zu, ob für die Zeiten eines die faktische Nutzung ausschließenden pandemiebedingten Betretungsverbots im Fall des Bezugs von Umsatzersatz von keiner vollständigen Unbrauchbarkeit iSd § 1104 ABGB auszugehen sei.

[10] Den klageabweisenden Teil dieses Urteils bekämpft die Klägerin in ihrer Revision mit dem Antrag auf Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen dahin, dass ihrem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben werde. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[11] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage eines „Lockdown-Umsatzersatzes“ im Fall eines Mietverhältnisses noch nicht (ausdrücklich) Stellung genommen hat; sie ist aber nicht berechtigt.

[13] 1. Im Revisionsverfahren ist zu Recht nicht strittig, dass ein Betretungsverbot aus Anlass der COVID‑19‑Pandemie dann, wenn der bedungene Gebrauch des Bestandobjekts durch Kundenverkehr gekennzeichnet ist, zur gänzlichen Unbenutzbarkeit des Objekts iSd § 1104 ABGB führen kann; ist die vertragsmäßige charakteristische Nutzung hingegen nur eingeschränkt, kommt es gemäß § 1105 Satz 1 ABGB zu einer Zinsminderung im Umfang der Gebrauchsbeeinträchtigung nach der relativen Berechnungsmethode (siehe nur 3 Ob 36/22y mwN). Grundsätzlich ist es für die Frage der Gebrauchsbeeinträchtigung irrelevant, ob man das konkrete Bestandverhältnis als Geschäftsraummiete oder ‑pacht qualifiziert (6 Ob 72/23s mwN). Allerdings wird nach § 1105 Satz 1 ABGB dem Mieter, der trotz eines solchen Zufalls einen beschränkten Gebrauch des Mietstücks behält, ein verhältnismäßiger Teil des Mietzinses erlassen, während nach § 1105 Satz 2 ABGB dem Pächter ein Erlass des Pachtzinses dann gebührt, wenn durch außerordentliche Zufälle die Nutzungen des nur auf ein Jahr gepachteten Guts um mehr als die Hälfte des gewöhnlichen Ertrags gefallen sind. Ist das Bestandverhältnis daher als Pacht zu qualifizieren, setzt eine Zinsminderung bei teilweiser Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts voraus, dass das Pachtverhältnis nicht länger als ein Jahr besteht. Dies gilt auch für die Unternehmenspacht (RS0024906; 1 Ob 181/22g).

[14] Unstrittig liegt hier eine Geschäftsraummiete vor. Den von der Klägerin für den Zeitraum des ersten Lockdowns bezogenen Fixkostenzuschuss berücksichtigte das Erstgericht bei der Ermittlung des Zinsminderungsanspruchs nicht. Diese auf bereits vorliegende höchstgerichtliche Rechtsprechung (3 Ob 184/21m; 5 Ob 192/21b; 3 Ob 36/22y; 9 Ob 31/22g) gestützte Beurteilung ist auch nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens. Zu klären ist nur die Frage, ob aufgrund der verordneten Betretungsverbote („zweiter“ und „dritter Lockdown“) von einer gänzlichen Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts auszugehen ist oder aber das Objekt im Hinblick auf die von der Klägerin bezogenen Unterstützungsleistungen zumindest teilweise brauchbar war.

2. Hiezu wurde erwogen:

[15] 2.1. Die Klägerin erhielt für November und Dezember 2020 einen Umsatzersatz und für die Zeit danach (von Jänner bis Mai 2021 und für die Zeit des „dritten Lockdowns“) einen Ausfallbonus. Der Umsatzersatz beruhte auf den vom Bundesminister für Finanzen aufgrund der ihm in § 3b Abs 3 ABBAG‑Gesetz eingeräumten Ermächtigung erlassenen Verordnungen betreffend Richtlinien über die Gewährung eines Lockdown‑Umsatzersatzes durch die COVID‑19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH BGBl II 2020/467 und BGBl II 2020/503. Danach durfte ein Lockdown‑Umsatzersatz nur Unternehmen gewährt werden, bei denen im relevanten Zeitraum und zum Zeitpunkt der Antragstellung die in Punkt 3.1 der Richtlinie angeführten Voraussetzungen erfüllt waren. Begünstigte Unternehmen waren danach jedenfalls nur solche, die einen Sitz oder eine Betriebsstätte in Österreich hatten und im Inland eine operative Tätigkeit ausübten, die zu einer Besteuerung der Einkünfte führte (Punkt 3.1.1 und 3.1.2). Die Höhe des Umsatzersatzes knüpfte nach Punkt 4.4 (grundsätzlich) am Umsatz der Vergleichsmonate des Vorjahres an.

[16] 2.2. Nach Punkt 7.4 wurde der Lockdown‑Umsatzersatz auf Grundlage einer privatrechtlichen Vereinbarung (Fördervertrag zwischen der COFAG und dem Antragsteller) gewährt. Punkt 8.4 sah eine Rückforderung von ausbezahlten Beträgen unter anderem dann vor, wenn die Förderung auf falschen Angaben beruht hatte, die Förderungsmittel „widmungswidrig“ verwendet worden waren oder sonstige Förderungsvoraussetzungen, Bedingungen oder Auflagen nicht eingehalten worden waren. Zum Verwendungszweck der Förderungen, der für die Beurteilung der „Widmungswidrigkeit“ erforderlich wäre, enthielten die Richtlinien aber keine Aussagen.

[17] 2.3. Förderungssubjekt war der begünstigte Unternehmer. Eine Bestimmung, wonach dieser zumutbare Maßnahmen hätte setzen müssen, um die durch den Zuschuss zu deckenden Fixkosten zu reduzieren, enthalten die Richtlinien nicht. Dies folgt zwanglos auch aus der Konstruktion der Förderung, die am (entgangenen) Umsatz und nicht an (weiter anfallenden) Fixkosten anknüpfte. Eine Rückzahlungspflicht des Unternehmers, wenn dieser als Bestandnehmer eine Mietzinsminderung geltend macht, sah Punkt 8.4 der RL‑Umsatzersatz nicht vor. Auch die Rückforderungsregeln des § 3b ABBAG‑Gesetz idF BGBl I 2021/228 sind auf Umsatzersatz nicht anwendbar (1 Ob 181/22g).

[18] 2.4. In der höchstgerichtlichen Rechtsprechung befasste sich erstmals 3 Ob 36/22y (Rz 28) mit der Relevanz der Gewährung von Umsatzersatz für die Anwendung der §§ 1104 ff ABGB. Der 3. Senat sprach unter Verweis auf Nemetschke/Koloseus (Umsatzersatz und stellvertretendes Commodum, immolex 2021/95, 202 [204]) aus, dass die Erwägungen zum Fixkostenzuschuss auch für den Anspruch von Umsatzersatz gelten müssten, ohne dies näher zu begründen. Die Entscheidung wurde von Kathrein (Zwischenbilanz über die Judikatur des OGH zur Bestandzinsminderung aufgrund der COVID‑19‑Pandemie, ImmoZak 2022, 64 [65]) insofern zustimmend glossiert, dass der Umsatzersatz nicht an die Stelle des geschuldeten Mietzinses trete und daher nicht an den Vermieter herauszugeben sei.

[19] 2.5. Der 1. Senat ging in der Entscheidung 1 Ob 181/22g mit ausführlicher Begründung von der Rechtsmeinung des 3. Senats ab. Da die Rechtsprechung zum Fixkostenersatz auf der möglichen Rückzahlungsverpflichtung von Förderbeträgen in Zusammenhang mit der Obliegenheit des Bestandnehmers zur Geltendmachung einer Mietzinsminderung aufbaue, könnten die darin entwickelten Grundsätze nicht auf den Umsatzersatz erstreckt werden, der an den Umsatz des Unternehmens im Vergleichsmonat des Vorjahres anknüpfe. Er kam zu folgendem abschließendem Ergebnis:

Wurde ein Bestandgegenstand während eines pandemiebedingten Betretungsverbots für andere vom Bestandvertrag gedeckte Zwecke genutzt, so kann unabhängig von der Wirtschaftlichkeit dieser Nutzung nicht vollständige Unbrauchbarkeit iSv § 1104 ABGB angenommen werden.

Wurde ein Unternehmen in einem Bestandobjekt betrieben und für die Zeit eines die faktische Nutzung ausschließenden pandemiebedingten Betretungsverbots ein Umsatzersatz bezogen, so ist der Bestandgegenstand für diese Zeit nicht als vollständig unbrauchbar iSv § 1104 ABGB anzusehen.

 

[20] 3. Den Erwägungen des 1. Senats lag zugrunde, dass der Umsatzersatz das (der Höhe nach mit einem Prozentsatz begrenzte) Surrogat für den Gesamtwert der von einem Unternehmen abgesetzten Waren und erbrachten Leistungen eines bestimmten Zeitraums ist, das an die Stelle des mit den vorhandenen Betriebsmitteln erzielbaren, aber wegen des Lockdowns tatsächlich nicht erzielten Umsatzes trat. Er führte aus: „Wenn der Unternehmensträger Bestandnehmer und der Bestandgegenstand die Betriebsstätte war, mit der er den vergleichbaren Vorjahresumsatz lukriert hat, hängt die Förderung damit von einem aufrechten Bestandverhältnis ab. Insoweit ist daher der Verordnungsgeber von der grundsätzlichen Eignung des Bestandgegenstands zur Ausübung des gewerblichen Zwecks ausgegangen. Nur so konnte er nämlich unterstellen, dass der geförderte Unternehmer auch in den fraglichen Zeiträumen einen entsprechenden Umsatz erwirtschaftet hätte, der ihm nun (teilweise) ersetzt wurde. Damit stellte der Verordnungsgeber den Unternehmer für die Zeiten des Lockdowns so, als hätte er dort ebenfalls entsprechende Einnahmen erzielen können, und fingierte damit die (teilweise) Brauchbarkeit des Bestandgegenstands zum bedungenen Zweck auch für die Zeit des Betretungsverbots. Diese Wertung des Verordnungsgebers kann bei der Beurteilung der Frage, ob das Bestandobjekt während des Lockdowns grundsätzlich brauchbar iSd § 1096 ABGB (und damit gemäß § 1104 ABGB) war, nicht unberücksichtigt bleiben.“

[21] 3.1. Die Entscheidung 1 Ob 181/22g ist in der Literatur teils zustimmend (Jenewein inimmolex 2023, 251 [255], Glosse zu 1 Ob 118/22g) und teils ablehnend besprochen worden (Nemetschke/Koloseus in immolex 2023/116 [Glosse zu 1 Ob 181/22g]). Die Kritik letztgenannter knüpft an ihre bereits zeitlich vor der genannten Entscheidung vertretene Meinung an (Umsatzersatz und stellvertretendes Commodum, immolex 2021, 202), der sich der 1. Senat in seiner Entscheidung nicht anzuschließen vermochte. Damit und mit den vom 1. Senat in seiner Entscheidung zu 1 Ob 181/22g vorgetragenen Argumenten setzt sich die Klägerin jedoch nicht auseinander.

[22] 3.2. Auch Kothbauer (Mietrecht Österreich Praxishandbuch1.01 Rz 1224) vertritt zum Umsatzersatz die Auffassung, dass der Bestandgegenstand für die Zeit, in der Umsatzersatz bezogen wird, nicht als vollständig unbrauchbar iSd § 1104 ABGB anzusehen sei. Ohne Bestand seines Unternehmens im Bestandobjekt hätte der Bestandnehmer über keine Betriebsstätte verfügt und damit diese Förderungsmaßnahme gar nicht beanspruchen können. Im Ergebnis könne er daher Einnahmen aus dem Bestandgegenstand lukrieren, sodass tatsächlich von einem (wirtschaftlichen) „Nutzen“ aus dem Bestandvertrag auszugehen sei.

[23] 4. Der erkennende Senat schließt entgegen der ablehnenden Stellungnahme von Nemetschke/Koloseus aaOzur Frage der Relevanz des Umsatzersatzes der überzeugend begründeten Entscheidung 1 Ob 181/22g (die ebenfalls einen – allerdings verpachteten – Gastronomiebetrieb betraf) an. Die dieser Entscheidung zugrunde gelegte Wertung des Verordnungsgebers kommt auch bei Geschäftsraummiete zum Tragen, sodass eine teilweise Brauchbarkeit des gemieteten Geschäftslokals mit Kundenverkehr selbst für Zeiten eines behördlichen Betretungsverbots dann vorlag, wenn dem Geschäftsraummieter für diesen Zeitraum ein am Umsatz des Vergleichsmonats des Vorjahres orientierter Umsatzersatz zuerkannt wurde. Dem Geschäftsraummieter kam in einem solchen Fall ein wirtschaftlicher Nutzen aus dem gemieteten Geschäftslokal zu, weil der (aufrechte) Mietvertrag zwingende Voraussetzung dafür war, dass Umsatzersatz überhaupt zuerkannt werden kann. Dieser Nutzen ist für die Frage der (teilweisen) Brauchbarkeit des Bestandobjekts in Anschlag zu bringen.

[24] Für den Ausfallsbonus, den die Klägerin für die Zeiträume des „zweiten“ und „dritten Lockdowns“ erhalten hat, gilt nichts Anderes. Eine solche Beihilfe nach den BGBl II Nr 74/2021, BGBl II Nr 342/2021 und BGBl II Nr 518/2021 (VO Ausfallsbonus, VO Ausfallsbonus II und VO Ausfallsbonus III) wurde ebenfalls als Ausgleich für den den Unternehmen aufgrund behördlicher Betretungsverbote erlittenen Umsatzausfall gewährt und richtete sich der Höhe nach nach den Umsätzen der entsprechenden Vergleichsmonate des Vergleichsjahrs 2019 (bzw [hier nicht relevant] bis Februar 2020), sodass die Erwägungen zum Umsatzersatz auch insoweit gelten. Zutreffend haben die Vorinstanzen den Ausfallsbonus für die Zeiträume des zweiten und dritten Lockdowns daher nach denselben Grundsätzen wie beim Umsatzersatz für die Beurteilung der (teilweisen) Brauchbarkeit betrachtet. Dagegen wendet sich die Klägerin – wie bereits in ihrer Berufung – zu Recht nicht. Was der Umstand, dass es sich in beiden Fällen um staatliche Beihilfen gemäß Art 107 AEUV handelt, am Ergebnis ändern soll, ist nicht zu erkennen. Ihr Argument, durch die Entscheidungen der Vorinstanzen würde die Vermieterin als von den Verordnungen zum Umsatzersatz und zum Ausfallbonus nicht begünstigte Unternehmerin profitieren, ignoriert die Begründung der Vorinstanzen, die sich auf die Entscheidung zu 1 Ob 181/22g berufen haben, der sie inhaltlich auch nichts entgegensetzt.

[25] 5. Zur Berechnung ihres Minderungsanspruchs nimmt die Klägerin nicht Stellung, sodass darauf nicht einzugehen ist.

6. Das Ergebnis ist wie folgt zusammenzufassen:

[26] Erhält die Geschäftsraummieterin für die Zeit eines Lockdowns Umsatzersatz oder einen Ausfallsbonus zuerkannt, kann bei wertender Betrachtung nicht mehr von einer völligen Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts ausgegangen werden. Bei einem Mietverhältnis hat dies zur Folge, dass die Geschäftsraummieterin für diese Monate den Zins gemäß § 1105 Satz 1 ABGB nur in einem nach dem Umfang der Gebrauchsbeeinträchtigung nach der relativen Berechnungsmethode ermittelten geminderten Ausmaß schuldet.

[27] 7. Gemäß §§ 41, 50 ZPO hat die Klägerin der im Revisionsverfahren obsiegenden Beklagten die tarifgemäß verzeichneten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte