OGH 6Ob72/23s

OGH6Ob72/23s20.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* Privatstiftung, *, vertreten durch Dr. Gertraud Irlinger, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei L* GmbH, *, vertreten durch Mag. Jürgen Payer & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 71.862,55 EUR sA und Räumung, über die außerordentlicheRevision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 14. Februar 2023, GZ 40 R 168/22k‑21, mit dem das Teilurteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 27. Mai 2022, GZ 5 C 232/21v, 5 C 425/21a‑16, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00072.23S.0320.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden, soweit sie nicht in Rechtskraft erwachsen sind, aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft, auf der ein Gebäude mit 13 Wohnungen errichtet ist. Die Beklagte betreibt ein Unternehmen mit dem Geschäftszweck der Vermietung von Ferienwohnungen und Apartments. Ein Dritter stellte den Kontakt zwischen der Beklagten, die ihren Betrieb ausbauen wollte, und dem Stifter der Klägerin her, der daran interessiert war, durch die Vermietung des ganzen Hauses an die Beklagte mit wenig Aufwand eine Vermietung zu einem guten Preis zu erreichen. Der Geschäftsführer der Beklagten legte dem für die Klägerin auftretenden Stifter den Geschäftszweck der Beklagten offen. Dem Stifter war die Nutzung der Wohnungen bis auf eine von ihm nicht gewollte Nutzung für einen Gastronomiebetrieb gleichgültig.

[2] Die Beklagte mietete in der Folge ab 1. 2. 2018 auf unbestimmte Zeit die 13 Wohnungen samt Loggia, Balkonen und einer Terrasse. Punkt 5.1. des schriftlichen Mietvertrags lautet:

„Die Vermietung erfolgt ausschließlich zu Wohnzwecken. Jedwede Änderung der Benützungsart ist verboten bzw nur nach ausdrücklicher schriftlicher Zustimmung der Vermieterin zulässig. Ausdrücklich festgehalten wird, dass die Mieterin sämtliche behördlichen Bewilligungen für den vereinbarten Zweck selbst einholen muss. Die Vermieterin ist für etwaige behördliche Auflagen nicht haftbar.“

[3] Nach Punkt 9.1. des Mietvertrags halten die Vertragsparteien ausdrücklich fest, dass eine tages-, wochen- oder monatsweise Untervermietung der Wohnungen, auch gewerblich, gestattet ist.

[4] Der Mietzins setzt sich aus dem vereinbarten monatlichen Hauptmietzins zuzüglich Umsatzsteuer und Betriebskosten zusammen. Diese wurden im Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung mit 1.260 EUR festgelegt. Insgesamt betrug der Mietzins 9.180 EUR wertgesichert und war zwischen dem ersten und fünften jedes Monats im Vorhinein zu bezahlen. Vorgesehen waren ein Prozent Verzugszinsen pro Monat ab Fälligkeitstag sowie die Vergütung von Mahnspesen jeglicher Art, insbesondere Rechtsanwaltskosten und Kosten eines Inkassobüros.

[5] Die Beklagte vermietete die Wohnungen kurzfristig an Touristen, was bis zum Beginn der Corona‑Pandemie gut funktionierte. Ab Beginn des ersten Lockdown versuchte die Beklagte immer wieder, monatsweise zu vermieten; festgestellt wurde, dass „dies zum Teil aber keine seriösen Mieter“ waren.

[6] Die Klägerin begehrte im führenden Verfahren (5 C 232/21v des Erstgerichts) mit Klage vom 11. 5. 2021 eine Betriebskosten‑Nachverrechnng für das Jahr 2019 mit Fälligkeit am 5. 8. 2020 von 5.792,56 EUR, restliche aushaftende Miete für Februar 2021 von 8.216 EUR sowie offene Mietzinse von je 10.619,24 EUR für die Monate März, April und Mai 2021, insgesamt 45.866,28 EUR samt gestaffelter Zinsen.

[7] In der Folge schränkte sie das Klagebegehren hinsichtlich der Betriebskostenforderung für das Jahr 2019 aufgrund von Zahlungen vom 12. 5. und vom 1. 6. 2021 von je 2.000 EUR auf 1.792,56 EUR ein. Weiters schränkte sie die Mietzinsforderungen für die Monate Februar bis Mai 2021 aufgrund zweier ungewidmeter Zahlungen vom 1. 6. und vom 13. 7. 2021 von je 10.200 EUR auf 19.673,72 EUR (samt gestaffelter Verzugszinsen) ein. Gleichzeitig dehnte sie das Klagebegehren um die Mietzinse für Juni und Juli 2021 von je 10.619,24 EUR (samt Zinsen) aus.

[8] Aufgrund einer ungewidmeten Zahlung der Beklagten von 10.200 EUR mit Valuta 20. 8. 2021 schränkte sie das Klagebegehren um diesen Betrag ein. Sie rechne die Zahlung auf die aushaftenden Betriebskosten von 1.792,56 EUR sowie im Umfang von 8.407,44 EUR auf die ausständigen Mieten an.

[9] Die Klägerin brachte vor, der Vertragszweck der Bekagten bestehe in der (Unter‑)Vermietung der angemieteten Wohnungen zu Wohnzwecken. Es treffe nicht zu, dass die Beklagte durch COVID‑19‑Maßnahmen ihren Vertragszweck nicht oder nur eingeschränkt habe verwirklichen können. Darüber hinaus seien sämtliche Wohnungen ungeachtet allfälliger pandemiebedingter Einschränkungen durchgehend (unter-)vermietet gewesen.

[10] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren.

[11] Am 20. 9. 2021 erhob die Klägerin im verbundenen Verfahren (5 C 425/21a des Erstgerichts) Mietzins- und Räumungsklage. Sie machte eine am 5. 8. 2021 fällige Betriebskostennachforderung für das Jahr 2020 von 16.901,59 EUR sowie rückständige Mietzinse von je 10.619,24 EUR für die Monate August und September 2021, mit Schriftsatz vom 11. 10. 2021 auch für den Monat Oktober 2021, geltend.

[12] Die Beklagte brachte vor, die Mietzinse für August bis einschließlich Oktober 2021 geleistet zu haben; weiters bestritt sie die Fälligkeit der Betriebskosten-nachforderung für das Jahr 2020.

[13] Das Erstgericht verband die Verfahren mit Beschluss vom 4. 11. 2021 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung.

[14] In der Folge wurde das Zahlungsbegehren mehrfach eingeschränkt und ausgedehnt:

[15] In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 4. 11. 2021 schränkte die Klägerin das Klagebegehren um 20.400 EUR ein, weil die Beklagte ungewidmete Zahlungen von je 10.200 EUR mit Valuta 17. 9. und 27. 10. 2021 geleistet habe. Sie rechne die Zahlungen auf die jeweils älteste Schuld an.

[16] Mit Schriftsatz vom 4. 1. 2022 schränkte sie die Klageforderung aufgrund einer mit Valuta 23. 11. 2021 geleisteten ungewidmeten Zahlung der Beklagten von 10.619,24 EUR ein. Gleichzeitig dehnte sie das Klagebegehren um die Mietzinse für November und Dezember 2021 von je 10.619,24 EUR aus.

[17] In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 17. 2. 2022 schränkte die Klägerin das Klagebegehren um 14.619,24 EUR ein und brachte vor, die Beklagte habe mit Valuta 11. 1. 2022 eine als Teilzahlung für die Betriebskostennachzahlung 2020 gewidmete Zahlung von 2.000 EUR und mit Valuta 18. 1. 2022 eine weitere als Teilzahlung für die Betriebskostennachzahlung 2020 gewidmete Zahlung von 2.000 EUR sowie eine ungewidmete Zahlung von 10.619,24 EUR geleistet. Diese Zahlung werde auf die älteste Schuld angerechnet. Gleichzeitig dehnte sie das Klagebegehren um die Mietzinse für Jänner und Februar 2022 von je 10.499,24 EUR – auf diesen Betrag sei der Mietzins seit 1. 1. 2022 reduziert – aus.

[18] In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 24. 3. 2022 schränkte die Klägerin das Zahlungsbegehren um zwei mit Valuta 16. 2. und 1. 3. 2022 als Teilzahlung für Betriebskostennachzahlung 2020 gewidmete Zahlungen von je 2.000 EUR sowie um eine mit Valuta 15. 3. 2022 weitere als Teilzahlung für die Betriebskostennachzahlung 2020 gewidmete Zahlung von 2.000 EUR sowie eine ungewidmete Zahlung von 10.499,24 EUR ein. Gleichzeitig dehnte sie das Klagebegehren um den Mietzins für März 2022 von 10.499,24 EUR aus.

[19] Sie begehrte zuletzt insgesamt 71.862,55 EUR samt gestaffelter Zinsen und Räumung.

[20] Die Beklagte brachte vor, der Geschäftszweck des mit der Klägerin geschlossenen Mietvertrags habe darin bestanden, dass sie einen „Apartmentbetrieb“ betreibe, mit dem sie durch kurzfristige touristische Vermietungen einen Überschuss erwirtschafte. Sie könne seit 3. 11. 2020 aufgrund von § 1 des COVID‑19‑MaßnahmenG und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen den Vertragszweck nicht mehr verwirklichen, wofür die Klägerin die Preisgefahr trage. Sie habe alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um den durch die COVID‑19‑Pandemie verursachten Mietausfall zu minimieren. Aufgrund des behördlichen Betretungsverbots für Beherbergungsbetriebe habe sie versucht, die Apartments längerfristig zu vermieten, um wenigstens kostendeckende Einnahmen zu erzielen. Sie habe aber nur rund 10 % des ohne die Betretungsverbote gewöhnlich erzielten Umsatzes erwirtschaften können. Im Hinblick auf diese Umsatzeinbußen stehe ihr eine Mietzinsminderung von zumindest 90 % zu, aufgrund des gänzlich vereitelten vereinbarten Vertragszwecks sei allerdings eine Mietzinsminderung von 100 % gerechtfertigt.

[21] Zur Anrechnung ihrer ungewidmeten Zahlungen brachte sie vor, dass diese für die Mietzinse des jeweiligen Zahlungsmonats geleistet worden seien.

[22] Das Erstgericht gab der Klage mit über das Zahlungsbegehren gefasstem Teilurteil teilweise statt und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 11.786,65 EUR samt gestaffelter Verzugszinsen. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 60.075,90 EUR wies es implizit ab. Der Zuspruch erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

[23] Die kurzfristige Untervermietung für touristische Zwecke sei Vertragszweck des zwischen den Parteien geschlossenen Mietvertrags geworden. Ausgehend davon seien die Bestandobjekte während der pandemiebedingten Betretungsverbote von Jänner bis Mitte Mai 2021, also viereinhalb Monate, und von 22. 11. bis 19. 12. 2021, also einen Monat lang, gänzlich unbrauchbar gewesen, sodass die Mietzinszahlungspflicht entfallen sei. Für die übrige Zeit unterlägen die Umsatzeinbußen dem von der Beklagten zu tragenden Unternehmerrisiko.

[24] Ausgehend davon ermittelte es aus der Gegenüberstellung der von der Klägerin geschuldeten Beträge und der geleisteten Zahlungen eine offene Forderung der Beklagten von 11.786,65 EUR, über die nach § 33 Abs 2 MRG mit Teilurteil abzusprechen sei.

[25] Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten erhobenen Berufung teilweise Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, dass es die Beklagte – einschließlich des bereits rechtskräftigen Zuspruchs – zur Zahlung von insgesamt 67.346,55 EUR samt gestaffelter Zinsen verpflichtete und das Mehrbegehren von 4.516 EUR (unbekämpft) abwies. Die Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.

[26] Abweichend vom Erstgericht legte es den zwischen den Parteien geschlossenen Mietvertrag dahin aus, dass er keine Zweckbeschränkung auf kurzfristige touristische Untervermietungen enthalte, weshalb es keine Unbrauchbarkeit des Bestandgegenstands aufgrund hoheitlicher Betretungsverbote annahm. Selbst wenn man von einem derartigen Vertragszweck ausginge, seien die Bestandobjekte nicht als Beherbergungsbetriebe im Sinne der COVID‑19‑Schutzmaßnahmenverordnungen zu qualifizieren und seien daher keinem Betretungsverbot unterlegen. Das Mietzinszahlungsbegehren der Klägerin sei daher grundsätzlich berechtigt. Die Höhe der Vorschreibungen und Zahlungen lasse sich den vorgelegten Kontoaufstellungen – wie es im Einzelnen erläutert – einwandfrei entnehmen.

[27] Die Abweisung des Mehrbegehrens von 4.516 EUR ergebe sich daraus, dass die von der Beklagten am 23. 3. 2022 mit Wertstellung am 24. 3. 2022 geleistete Zahlung bereits vom Erstgericht zu Recht berücksichtigt worden sei, weil sie am Tag des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung – das war der 24. 3. 2022 – bereits im Verfügungsbereich der Hausverwaltung eingelangt gewesen sei. Darüber hinaus seien im eingeklagten Betrag enthaltene Mahnspesen von 16 EUR von der Klageforderung abzuziehen, weil Mahnspesen nicht begehrt worden seien.

[28] Die berechtigte Mietzinsforderung errechne sich daher mit 71.862,55 EUR abzüglich 4.500 EUR und 16 EUR mit 67.346,55 EUR und der näher angeführten Zinsstaffel.

Rechtliche Beurteilung

[29] Die von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

[30] Die Beklagte wendet sich gegen den vom Berufungsgericht angenommenen Vertragszweck und gegen die Ablehnung der Qualifikation ihrer Untervermietungen als Beherbergungsbetrieb.

[31] 1.1. Nach gefestigter Rechtsprechung ist die COVID‑19‑Pandemie als „Seuche“ im Sinn des § 1104 ABGB zu werten (RS0133812). Führen aufgrund dieser Pandemie durch Gesetz oder Verordnung angeordnete Betretungsverbote für Geschäftsräume in Bestandobjekten zu deren gänzlicher Unbenützbarkeit für den vereinbarten Geschäftszweck, so ist sowohl auf Miet- als auch auf Pachtverträge § 1104 ABGB anzuwenden (3 Ob 73/23s [Rz 17]; 1 Ob 178/22s [Rz 3]). Bloß teilweise Unbenutzbarkeit führt hingegen zur Anwendung des zwischen Mietverträgen (wie im vorliegenden Fall) und Pachtverträgen differenzierenden § 1105 ABGB (1 Ob 178/22s [Rz 3]). Ob gänzliche oder nur teilweise Unbrauchbarkeit vorliegt, ist – ausgehend vom vereinbarten Geschäftszweck – anhand eines objektiven Maßstabs zu beurteilen (1 Ob 178/22s [Rz 3]; 8 Ob 131/21d [Rz 35]).

[32] 1.2. Nur solche Umsatzeinbußen, die sich auf behördliche Maßnahmen anlässlich der COVID‑19‑Pandemie zurückführen lassen, sind als konkrete Folgen einer objektiven Einschränkung des vertraglich bedungenen Gebrauchs zu berücksichtigen. Umsatzeinbußen, die sämtliche Unternehmer wie (auch) den Mieter eines Geschäftslokals, insbesondere dessen gesamte Branche, allgemein und insgesamt treffen, sind hingegen dem Unternehmerrisiko zuzuordnen und keine Grundlage für eine allein darauf aufbauende Mietzinsminderung (RS0020926 [T11, T12] = RS0021054 [T14, T15]; 5 Ob 88/23m [Rz 4]).

[33] 1.3. Nach ständiger Rechtsprechung muss die Bestandsache eine Verwendung zulassen, wie sie gewöhnlich nach dem Vertragszweck erforderlich ist und nach der Verkehrssitte erfolgt. Mangels anderer Vereinbarungen ist eine mittlere (durchschnittliche) Brauchbarkeit geschuldet (RS0021054; RS0020926). Die in §§ 1104, 1105 und 1107 ABGB angesprochene Unbrauchbarkeit entspricht der (teilweisen) Unbrauchbarkeit im Sinn des § 1096 ABGB (8 Ob 131/21d [Rz 14]). Maßgeblich für die Frage, ob (teilweise) Unbenützbarkeit des Bestandgegenstands vorliegt, ist daher stets der Vertragszweck (8 Ob 131/21d [Rz 14]; 9 Ob 98/22k [Rz 17]; RS0021044).

[34] 1.4. Bei der Beurteilung, ob eine teilweise Brauchbarkeit vorliegt, kann die objektiv bestehende Möglichkeit und Zumutbarkeit einer vom Mieter bisher nicht umgesetzten Nutzung – etwa die Möglichkeit des Betreibers eines Gasthauses, einen Liefer- und Abholservice einzurichten – eine zumindest teilweise Brauchbarkeit eines Mietgegenstands begründen (8 Ob 131/21d [insb Rz 35]; 9 Ob 98/22k [Rz 15]). Sofern die abstrakt mögliche, bisher nicht umgesetzte Nutzung allerdings – etwa aufgrund eines fehlenden Kundenkreises – ein nachhaltiges Verlustgeschäft erwarten ließe, liegt keine teilweise Brauchbarkeit vor (8 Ob 131/21d [Rz 37]; 1 Ob 178/22s [Rz 5]; 9 Ob 31/22g [Rz 14]; 3 Ob 36/22y [Rz 23]; RS0021044 [T4]).

[35] 1.5. Soweit der Mieter – etwa durch Einrichten eines zuvor nicht angebotenen Lieferservice – nicht nur abstrakt, sondern tatsächlich einen beschränkten Nutzen aus dem Bestandgegenstand gezogen hat, liegt eine teilweise Brauchbarkeit vor (1 Ob 181/22g [Rz 30 ff]; P. Bydlinski, Der Einfluss der COVID‑19‑Pandemie auf die Geschäftsraummiete, ÖJZ 2021, 1065 [1074]; Hochleitner, Die Auswirkungen von COVID‑19 auf Geschäftsraummieter und Pächter, ÖJZ 2020, 533 [539]; Singer/Kessler, Erstes Urteil zu § 1104 ABGB, aber noch viele Fragen, immolex 2020, 386 [389]; Lovrek, COVID-19: Auswirkungen auf Bestandverträge, ZIK 2020/60 [Punkt 3.2.]; Tschütscher, Auswirkungen der COVID-19-Beschränkungen auf Bestandrechte, Zak 2020, 184 [185]; vgl 8 Ob 131/21d [Rz 21]).

[36] 1.6. Die Beweispflicht für die mangelnde Brauchbarkeit des Bestandobjekts trifft den Bestandnehmer (RS0021416 [T2]). Daher muss auch der Bestandnehmer behaupten und beweisen, dass eine bislang nicht umgesetzte Nutzung – etwa das Anbieten eines Liefer- und Abholservice – im konkreten Fall keinen Gebrauchsnutzen gebracht hätte (8 Ob 131/21d [Rz 36]).

[37] 1.7. Bei der Beurteilung der Brauchbarkeit der Bestandsache im Hinblick auf den Vertragszweck kommt es, wie grundsätzlich bei der Auslegung von Verträgen (RS0042936; RS0042776), stets auf die Umstände des Einzelfalls an (RS0020926 [T3]; RS0021054 [T5]).

[38] 2.1. Die Beklagte rügt in ihrer Revision zutreffend, dass das Berufungsgericht die uneingeschränkte Brauchbarkeit der Bestandsache aufgrund einer korrekturbedürftigen Auslegung des vereinbarten Geschäftszwecks bejahte.

[39] 2.2. Bei Auslegung einer Willenserklärung nach §§ 914 ff ABGB ist zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, dabei aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien, das ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden zu erforschen. Letztlich ist die Willenserklärung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (RS0017915 [T1]).

[40] 2.3. Im vorliegenden Fall handelt es sich bei der Mieterin um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, sodass – worauf bereits das Erstgericht hingewiesen hat – eine Nutzung „zu Wohnzwecken“, wie sie der schriftliche Mietvertrag vorsieht, offenkundig nicht durch die Mieterin selbst, sondern nur durch Weitergabe der im Bestandobjekt gelegenen Wohnungen an Dritte, konkret an natürliche Personen, erfolgen konnte. Der Geschäftsführer der Beklagten legte in den Vertragsverhandlungen den von ihrer Seite mit dem Mietvertrag angestrebten Geschäftszweck – die Vermietung von Ferienwohnungen und Apartments – offen. Dem als Vertreter der Klägerin auftretenden Stifter war daher bei Vertragsabschluss bekannt, dass die Beklagte keine Untervermietung zu längerfristigen Wohnzwecken Dritter anstrebte. Dass er mit der von der Beklagten geplanten kurzfristigen Untervermietung „als Ferienwohnungen und Apartments“ einverstanden war, steht fest; nach den Feststellungen wollte er lediglich, dass kein Gastronomiebetrieb eingerichtet werde. Die Zulässigkeit der kurzfristigen gewerblichen Untervermietung wurde auch in der Mietvertragsurkunde verankert. Ein redlicher Erklärungsempfänger in der Lage des Geschäftsführers der Beklagten konnte dies nur dahin verstehen, dass der Vertragspartner (die Klägerin) den von der Beklagten offengelegten und im Mietvertrag ausdrücklich als zulässig bezeichneten Zweck des Mietvertragsabschlusses akzeptierte und ihm zustimmte. Auch wenn es der Beklagten nach dem mit der Klägerin geschlossenen Mietvertrag gestattet ist, die Wohnungen auch zu längerfristigen Wohnzwecken an Dritte unterzuvermieten, kann daraus nicht geschlossen werden, dass die Klägerin dem von der Beklagten an sie herangetragenen Zweck des Mietvertragsabschlusses nicht ihre Zustimmung erteilte.

[41] 2.4. Die Frage, ob aufgrund der COVID‑19‑Pandemie durch Gesetz oder Verordnung angeordnete Betretungsverbote im vorliegenden Fall zu einer objektiven Unbenützbarkeit der Bestandobjekte führte, ist daher am Vertragszweck der Anmietung sämtlicher Wohnungen auf der gegenständlichen Liegenschaft zum Zweck der kurzfristigen gewerblichen Untervermietung von Ferienwohnungen und Apartments zu messen.

[42] 3.1. § 8 der am 3. 11. 2020 in Kraft getretenen COVID‑19‑Schutzmaßnahmenverordnung (COVID‑19‑SchuMaV, BGBl II 2020/463) und die gleichlautenden Folgeregelungen des am 3. 11. 2020 begonnenen „zweiten Lockdown“, zuletzt § 8 der 4. COVID-19-SchuMaV BGBl II 2021/58, der mit Ablauf des 18. 5. 2021 außer Kraft trat, lauteten in ihrem jeweiligen § 8:

§ 8 Abs 1: Das Betreten von Beherbergungsbetrieben zum Zweck der Inanspruchnahme von Dienstleistungen von Beherbergungsbetrieben ist untersagt.

Abs 2: Beherbergungsbetriebe sind Unterkunftsstätten, die unter der Leitung oder Aufsicht des Unterkunftgebers oder eines von diesem Beauftragten stehen und zur entgeltlichen oder unentgeltlichen Unterbringung von Gästen zum vorübergehenden Aufenthalt bestimmt sind. Beaufsichtigte Camping- oder Wohnwagenplätze, sofern es sich dabei nicht um Dauerstellplätze handelt, sowie Schutzhütten gelten als Beherbergungsbetriebe.

[43] Absatz 3 der genannten Regelungen normierte (in sämtlichen den „zweiten Lockdown“ regelnden Verordnungen) Ausnahmen vom Verbot des § 8 Abs 1.

[44] Eine idente Regelung des Betretungsverbots samt Definition von Beherbergungsbetrieben sowie ein Ausnahmekatalog galt darüber hinaus gemäß § 10 Abs 1 und 2 der 5. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung (5. COVID-19-NotMV, BGBl II 2021/475) von 22. 11. bis 11. 12. 2021. Von 12. 12. bis 19. 12. 2021 war das Betreten von Beherbergungsbetrieben zum Zweck der Inanspruchnahme von Dienstleistungen von Beherbergungsbetrieben gemäß § 2 Abs 1 Wiener COVID-19-Schutzmaßnahmenbegleitverordnung 2022 (LGBl 2021/66) untersagt.

[45] 3.2. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) leitete aus dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung und der Rechtssprache ab, dass zur Auslegung des § 8 Abs 2 4. COVID-19-SchuMaV die Rechtsprechung zu § 1 Abs 3 MeldeG herangezogen werden kann (Ra 2022/03/0272 [Rz 18 ff]). § 1 Abs 3 MeldeG enthält eine gleichlautende Definition von Beherbergungsbetrieben als „Unterkunftstätten, die unter der Leitung oder Aufsicht des Unterkunftgebers oder eines von diesem Beauftragten stehen und zur entgeltlichen oder unentgeltlichen Unterbringung von Gästen zu vorübergehendem Aufenthalt bestimmt sind. Beaufsichtigte Camping- oder Wohnwagenplätze sowie Schutzhütten gelten als Beherbergungsbetriebe.“ Die Legaldefinition des Begriffs des Beherbergungsbetriebs nach § 8 Abs 2 der den „zweiten Lockdown“ regelnden COVID‑19‑Schutzmaßnahmenverordnungen und COVID‑19‑Notmaßnahmenverordnungen entspricht also – abgesehen von der im vorliegenden Verfahren nicht relevanten Regelung von „Dauerabstellplätzen“ auf Camping- oder Wohnwagenplätzen – der Legaldefinition nach § 1 Abs 3 MeldeG.

[46] 3.3. Nach der Rechtsprechung des VwGH müssen drei Kriterien für den Begriff des Beherbergungsbetriebs nach § 1 Abs 3 MeldeG erfüllt sein, nämlich Leitung oder Aufsicht des Unterkunftgebers oder eines von diesem Beauftragten, Unterbringung von „Gästen“ (Urlaubern, Geschäftsreisenden, Kurgästen und dergleichen) und Bestimmung zum vorübergehenden Aufenthalt (Ra 2022/03/0272 [Rz 16]; Ro 2014/01/0012 [Rz 10]). Dieser Begriff ist weiter als der Begriff der gastgewerblichen Beherbergung in § 111 Abs 1 Z 1 GewO (VwGH Ro 2014/01/0012 [Rz 11]). Nach den vom VwGH zitierten Materialien zum Meldegesetz kommen nicht nur gewerbliche Beherbergungsbetriebe wie Hotels, Pensionen oder Gasthöfe in Betracht, sondern auch der Privatzimmervermietung dienende Unterkunftsstätten und „Appartments“ (vgl Ro 2014/01/0012 [Rz 10]). Dabei verlangt das Meldegesetz keine besondere Intensität der Leitung, es bedarf auch keiner Aufsicht „rund um die Uhr“, um das Kriterium der Leitung oder Aufsicht iSd § 1 Abs 3 MeldeG zu erfüllen (Ra 2022/03/0272 [Rz 16]; Ra 2019/01/0312 [Rz 28, 45]; Ro 2014/01/0012 [Rz 13]).

[47] Es kommt also darauf an, welcher melderechtlichen Kategorie (Wohnung oder Beherbergungsbetrieb) eine bestimmte Unterkunftsstätte zugehört (vgl Ra 2019/01/0312 [Rz 26]; vgl § 1 Abs 4 MeldeG, wonach Wohnungen nur dann Unterkünfte im Sinn des Meldegesetzes sind, wenn es sich nicht um Beherbergungsbetriebe handelt).

[48] 3.4. Nach den Feststellungen vermietete die Beklagte die verfahrensgegenständlichen Wohnungen kurzfristig an Touristen. Unter Anlegung der vom VwGH definierten Kriterien zeigt sich, dass die Unterbringung von Gästen und die Bestimmung der Wohnungen zum kurzfristigen Gebrauch durch die Beklagte zweifellos vorliegen. Eine besondere Intensität der Leitung oder Aufsicht ist nicht erforderlich und ergibt sich bereits aus der von der Beklagten vorgenommenen kurzfristigen touristischen Vermietung. In der von der Beklagten betriebenen kurzfristigen Untervermietung der Wohnungen an Touristen ist daher eine Beherbergung im Sinn der genannten Normen zu sehen.

[49] Diese unterlag daher in den von den Parteien nicht in Zweifel gezogenen Zeiträumen von 3. 11. 2020 bis 18. 5. 2021 und von 22. 11. bis 19. 12. 2021 den dargestellten Betretungsverboten für Beherbergungsbetriebe.

[50] Während dieser Zeiträume lag daher gemessen am Vertragszweck eine objektive Einschränkung des Gebrauchs der Bestandsache vor.

[51] 3.5. Die Klägerin hat allerdings vorgebracht, dass die Beklagte ungeachtet dieser Einschränkungen tatsächlich einen Gebrauchsnutzen aus dem Mietobjekt gezogen habe, weil sämtliche Wohnungen durchgehend (unter-)vermietet gewesen seien. Sollte dies zutreffen, läge eine Einschränkung des Gebrauchsnutzens nicht vor.

[52] Darüber hinaus hat die Klägerin vorgebracht, der Beklagten wäre ein Gebrauch der gemieteten Wohnungen zumindest abstrakt möglich gewesen, wenn sie diese anders als zu touristischen Zwecken untervermietet hätte. Die Beklagte hielt dem entgegen, eine längerfristige Vermietung wäre nicht wirtschaftlich gewesen. Damit ist die Frage der Ziehung eines abstrakt möglichen Gebrauchsnutzens durch die Mieterin angesprochen, woraus sich ebenfalls eine (teilweise) Gebrauchsmöglichkeit ergeben kann.

[53] 3.6. Die getroffenen Feststellungen reichen im Hinblick auf dieses Parteienvorbringen nicht zur Beurteilung des geltend gemachten Mietzinsanspruchs aus. Festgestellt ist lediglich, dass die Beklagte versuchte, „immer wieder“ monatsweise zu vermieten, dabei teilweise mit unseriösen Mietern konfrontiert war, und dass sie „insgesamt“ Umsatzeinbußen von 90 % erlitt.

[54] Daraus geht nicht hervor, ob und in welchem Umfang die Beklagte während der Dauer der Betretungsverbote tatsächlich Untervermietungen vornahm und ob und inwieweit darüber hinaus in diesen Zeiträumen eine abstrakte Möglichkeit von wirtschaftlich tragbaren Untervermietungen im Rahmen des Zulässigen gegeben war.

[55] 3.7. Soweit Mietzinsansprüche Zeitperioden betreffen, für die keine behördlichen Einschränkungen betreffend Beherbergungsbetriebe bestanden, sind durch die COVID-19-Pandemie verursachte Umsatzeinbußen der Beklagten ihrem Unternehmerrisiko zuzuordnen (vgl RS0020926 [T11, T12] = RS0021054 [T14, T15]).

[56] 4.1. Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass die Beklagte der Betriebskostennachforderung für das Jahr 2019 und den Mietzinsen für die Monate Juni bis Oktober 2021 sowie für Jänner bis März 2022 nicht die gänzliche oder teilweise Unbrauchbarkeit des Mietobjekts aufgrund COVID‑bedingter Gebrauchseinschränkungen entgegen halten kann.

[57] Hinsichtlich der auf die übrigen Zeitperioden entfallenden Mietzinse – also des restlichen Mietzinses für Februar 2021 sowie der Mieten für März bis Mai 2021 und für November und Dezember 2021 – bedarf es der dargestellten Verfahrensergänzung zur Ermittlung der durch die Betretungsverbote für Beherbergungsbetriebe von 3. 11. 2020 bis 18. 5. 2021 und von 22. 11. bis 19. 12. 2021 entstandenen Einschränkungen der Brauchbarkeit des Bestandgegenstands.

[58] 4.2. Zur Betriebskosten-Nachforderung für das Jahr 2020 – in das Zeiten von Betretungsverboten fielen – ist zu beachten, dass die Mietzinsminderung gemäß § 1096 ABGB alle Mietzinsbestandteile, daher auch die Betriebskosten, umfasst (RS0021462 [T1]). Diese Rechtsprechung ist auch im Anwendungsbereich der §§ 1104 f ABGB zu beachten, weil die in §§ 1104, 1105 und 1107 ABGB angesprochene Unbrauchbarkeit der (teilweisen) Unbrauchbarkeit iSd § 1096 ABGB entspricht (8 Ob 131/21d [Rz 14]; Lovrek in Rummel/Lukas 4 §§ 1104–1108 ABGB Rz 2; Höllwerth in GeKo Wohnrecht § 1104 ABGB Rz 2; Pesek in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar5 § 1104 ABGB Rz 3).

[59] Soweit der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 4 Ob 191/10g die daran geübte Kritik der Lehre (Würth, Gedanken zur Gewährleistung im Wohnrecht, in FS Welser [2004] 1217; Riss, Die Erhaltungspflicht des Vermieters [2005] 218 ff; ders, Glosse zu 9 Ob 57/08k, wobl 2010/136) als beachtlich bezeichnete, ist im vorliegenden Fall eine Auseinandersetzung damit nicht geboten, weil die Parteien kein Vorbringen im Hinblick auf die in der Lehre diskutierte mögliche Differenzierung zwischen verschiedenen Anteilen der Betriebskosten erstatteten.

[60] 4.3. Da die Parteien über die Anrechnung der ohne Widmung geleisteten Zahlungen uneins sind und darüber hinaus die Berechtigung der für das Jahr 2020 begehrten Betriebskostennachforderung noch nicht beurteilt werden kann, sodass auch ein Erörterungsbedarf zur Anrechnung der als Betriebskosten-Teilzahlungen gewidmeten Zahlungen der Beklagten nicht absehbar ist, ist die Erlassung eines Teilurteils insgesamt nicht zweckmäßig.

[61] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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