OGH 15Os51/24z

OGH15Os51/24z13.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. November 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Sadoghi sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel und Dr. Farkas in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Wachter in der Medienrechtssache der Antragstellerin * O* gegen die Antragsgegnerin K* GmbH und Co KG wegen § 7 Abs 1 MedienG, AZ 5 Hv 69/22x des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über den Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur und der Antragstellerin in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00051.24Z.1113.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Medienrecht

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] In der Medienrechtssache der Antragstellerin * O* gegen die Antragsgegnerin K* GmbH und Co KG wegen § 7 Abs 1 MedienG erkannte das Landesgericht für Strafsachen Graz die Antragsgegnerin mit Urteil vom 11. April 2023, GZ 5 Hv 69/22x‑10, nach § 7 Abs 1 MedienG schuldig, der Antragstellerin für mehrere veröffentlichte Artikel Entschädigungsbeträge zu zahlen (B/).

[2] Danach erörterte die Antragsgegnerin in folgenden veröffentlichten Artikeln den höchstpersönlichen Lebensbereich der Antragstellerin jeweils in einer Weise, die geeignet war, diese in der Öffentlichkeit bloßzustellen (A/), und zwar

I/ vom 28. April 2022 mit dem Titel „K* stirbt in Flitterwochen: Schwangere Ehefrau überlebt“, abrufbar auf der Website www.k* (a/) und in den entsprechenden Apps für iOS und Android (b/),

II/ vom 29. April 2022 mit dem Titel „Tragödie auf den Philippinen: Was passiert ist, ist unfassbar“, abrufbar auf der Website www.k* (a/) und in den entsprechenden Apps für iOS und Android (b/),

III/ vom 29. April 2022 mit dem Titel „K* stirbt in Flitterwochen – Auf Philippinen stürzte Brücke ein, Frau verlor dabei Ehemann“, im periodischen Druckwerk „K*“ abrufbar sowie auf der Website m* und in den entsprechenden Apps für iOS und Android,

IV/ vom 30. April 2022 mit dem Titel „Schock und Trauer nach Tragödie – Gebürtiger K* * starb bei Brückenunglück auf Philippinen, seine schwangere Frau überlebte. Sportkollegen trauern um einen 'tollen Menschen'“, veröffentlicht im periodischen Druckwerk „K*“ K*,

V/ vom 30. April 2022, mit dem Titel „Schock und Trauer nach Tragödie – Tiefe Betroffenheit nach Unglück auf Philippinen.“, veröffentlicht im periodischen Druckwerk „K*“ S* (a/) und abrufbar auf der Website m* sowie in den entsprechenden Apps für iOS und Android (b/).

[3] Nach den Feststellungen des Erstgerichts (ON 10 S 10 ff) berichteten alle Artikel über den Einsturz einer Brücke auf den Philippinen, den die schwangere Antragstellerin überlebte, während ihr (mit ihr auf Hochzeitsreise befindlicher) Ehegatte dabei getötet wurde. Ferner wurde festgestellt, dass die Antragstellerin aufgrund zahlreicher berichteter Details für rund 90 Hochzeitsgäste, ihren rund 80 bis 90 Personen umfassenden Patientenstock sowie das berufliche und sportliche Umfeld ihres verstorbenen Ehegatten identifizierbar war. Auf dieser Basis bejahte das Erstgericht jeweils eine Erörterung oder Darstellung ihres höchstpersönlichen Lebensbereichs, die geeignet war, sie – in Form unerwünschter Anteilnahme und ungebetenen Mitleids (ON 10 S 14) – in der Öffentlichkeit bloßzustellen.

[4] Mit Urteil vom 21. November 2023, AZ 8 Bs 189/23i, gab das Oberlandesgericht Graz der Berufung der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit und Schuld nicht Folge. Es teilte die Ansicht, dass der höchstpersönliche Lebensbereich der Antragstellerin durch ungebetenes Mitleid erregende Berichterstattung – insbesondere durch Preisgabe ihrer Schwangerschaft, die bis dahin nur der aus der Familie und engen Freunden bestehenden Hochzeitsgesellschaft bekannt war – in bloßstellender Weise öffentlich erörtert wurde (ON 16 S 4 f).

Rechtliche Beurteilung

[5] Gegen das Berufungsurteil richtet sich der (nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [EGMR] gestützte) eine Verletzung des Grundrechts auf Meinungsäußerungsfreiheit nach Art 10 Abs 1 MRK reklamierende Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Verfahrens, der – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – nicht berechtigt ist.

[6] Soweit der Erneuerungsantrag die vom Erstgericht getroffene (ON 10 S 10 ff) und vom Berufungsgericht (im Rahmen der Erledigung der Schuldberufung; ON 16 S 3 f) bestätigte Feststellung der Identifizierbarkeit der Antragstellerin in Zweifel zu ziehen versucht, zeigt er weder Begründungsmängel noch erhebliche Bedenken weckende Umstände auf (§ 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO; vgl RIS‑Justiz RS0125393 [T1]). Welche „höchstgerichtliche Klarstellung“ in Bezug auf diese – stets einzelfallbezogen zu lösende – Tatfrage (vgl 15 Os 98/10s; Rami in WK² MedienG Vor §§ 6–7c Rz 3/2) erforderlich sein sollte, wird nicht deutlich gemacht.

[7] Ferner wird argumentiert, die Schwangerschaft zähle nicht mehr zum höchstpersönlichen Lebensbereich der Antragstellerin und falle deshalb nicht unter den Schutz des § 7 Abs 1 MedienG, weil sie der aus etwa 90 Personen bestehenden Hochzeitsgesellschaft bekannt gewesen sei. Solcherart habe die Antragstellerin „nach allgemeiner Lebenserfahrung“ eine faktisch unbegrenzte Verbreitung dieser Information in Kauf genommen.

[8] Der höchstpersönliche Lebensbereich im Sinn des § 7 Abs 1 MedienG umfasst Angelegenheiten der engsten Intimsphäre, aber auch Gegebenheiten der „Privatöffentlichkeit“ (vgl RIS‑Justiz RS0124514 [T3, T4]). Zu Letzterer gehört privates Handeln in öffentlichen Räumen, jedoch in abgegrenzten Bereichen, das bei objektiver Betrachtung nicht für die Anteilnahme einer unbegrenzten Öffentlichkeit bestimmt ist (RIS‑Justiz RS0125179; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Koukal MedienG4 § 7 Rz 10).

[9] Nach den unbeanstandet gebliebenen Feststellungen im Ersturteil (ON 10 S 3) fand die Hochzeit innerhalb eines begrenzten Personenkreises, nämlich der aus rund 90 Personen (engeren Freunden und Familienmitgliedern) bestehenden Hochzeitsgesellschaft– daher nicht in einer medialen oder sonst vergleichbar großen Öffentlichkeit – statt. Solcherart gehörte die Schwangerschaft, die einen die Gesundheitssphäre betreffenden Umstand darstellt (zur datenschutzrechtlichen Einordnung als Gesundheitsdatum iSd Art 4 Z 15 DSGVO vgl Gosch, Schwangerschaft und Gesundheitsdaten im Sinne der DS‑GVO, jusIT 2019, 154 [156 f]; Jahnel, DSGVO Art 4 Z 15 Rz 10), zum höchstpersönlichen Lebensbereich der Antragstellerin (zur Gesundheitssphäre vgl RIS‑Justiz RS0122148 [insb T2, T16]).

[10] Bleibt anzumerken, dass – im Unterschied zu den Sachverhalten, die in den im Antrag ins Treffen geführten Entscheidungen beurteilt wurden (15 Os 109/21z [Rz 8 f]; 15 Os 18/23w [Rz 19 f]), – die Antragstellerin ihre Schwangerschaft sowie die weiteren Umstände des Unfalls und ihres Privat- und Familienlebens auch nicht auf andere Weise selbst in die mediale oder sonst große Öffentlichkeit trug (zur „Selbstveröffentlichung“ vgl Rami in WK² MedienG § 7 Rz 5). Deshalb begab sie sich auch nicht ihres Schutzes nach § 7 Abs 1 MedienG (vgl RIS‑Justiz RS0125179 [T2, T3], RS0124096).

[11] Weiters bestreitet die Erneuerungswerberin die Eignung zur öffentlichen Bloßstellung des höchstpersönlichen Lebensbereichs der Antragstellerin. Sie bringt zusammengefasst vor, die Berichterstattung sei weder reißerisch noch herabwürdigend oder beleidigend gewesen. Die sprachliche Gestaltung bleibe ihr überlassen, eine rein sachliche Berichterstattung könne nicht verlangt werden.

[12] Bei Umständen der intimsten Privatsphäre wirkt in der Regel jede mediale Indiskretion bloßstellend (vgl RIS‑Justiz RS0122148). Bei der Prüfung der Bloßstellungseignung einer Berichterstattung über Angelegenheiten der Privatöffentlichkeit ist dagegen – mit Blick auf die konfligierenden Grundrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 Abs 1 MRK einerseits und auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 Abs 1 MRK andererseits – eine Interessenabwägung nach Art eines beweglichen Systems (vgl RIS‑Justiz RS0124514 [T2]; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Koukal MedienG4 § 7 Rz 8) anhand vom EGMR entwickelter Kriterien vorzunehmen. Maßgeblich sind danach der Beitrag der Veröffentlichung zu einer Debatte von allgemeinem Interesse, die Rolle oder Funktion der betroffenen Person, der Gegenstand der Berichterstattung, das frühere Verhalten der Person, Inhalt und Form der Veröffentlichung, die Art und Weise, wie die Information erlangt wurde, und deren Wahrheitsgehalt (RIS‑Justiz RS0129575; Daiber in Meyer‑Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK5 Art 10 Rz 40 ff).

[13] Zur Bloßstellung können unter anderem Berichterstattungen über – auch für eine begrenzte Öffentlichkeit sichtbare oder einer solchen bekannte – Umstände geeignet sein, wenn sie den Betroffenen gegenüber einer grenzenlosen Öffentlichkeit als außergewöhnlich bedauernswert hinstellen, emotionsgeladen und unerwünschtes Mitleid heischend gestaltet sind (zum Ganzen instruktiv 11 Os 144/07x; vgl weiters Berka in Berka/Heindl/Höhne/Koukal MedienG4 § 7 Rz 19 f).

[14] Insofern zeigt die Erneuerungswerberin mit ihrer einzelne (für sich nicht maßgebliche) Aspekte des Berufungsurteils (vgl ON 16 S 4) betonenden (vgl aber RIS‑Justiz RS0124359) Bewertung der Berichterstattung und mit dem zu zivilrechtlichen Unterlassungsansprüchen gezogenen Vergleich nicht auf, inwiefern – orientiert an der Gesamtheit der (nicht nach Maßgabe der § 281 Abs 1 Z 5 oder 5a StPO bekämpften) Feststellungen – die Beurteilung des Berufungsgerichts unrichtig sein sollte, dass die Artikel nach ihrer Gestaltung jeweils geeignet waren, in einer großen Öffentlichkeit unerwünschtes und störendes Mitleid zu provozieren (ON 16 S 4 ff), und dadurch – auch ohne höhnisch oder herabwürdigend zu sein – bloßstellend wirkten.

[15] Ebenso wenig macht sie klar, warum die – weder in der Öffentlichkeit stehende noch selbst in diese getretene – Antragstellerin nach Maßgabe der bezeichneten Abwägungskriterien dennoch gehalten gewesen wäre, diese in ihren höchstpersönlichen Lebensbereich eingreifende Berichterstattung hinzunehmen (vgl Daiber in Meyer‑Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK5 Art 10 Rz 58 f).

[16] Solcherart wird ein Grundrechte verletzender Rechtsfehler des Berufungsgerichts als Grund für Erneuerung nicht prozessförmig dargetan (vgl aber RIS‑Justiz RS0128393).

[17] Der Erneuerungsantrag war daher bei der nichtöffentlichen Beratung als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO iVm § 14 Abs 3 MedienG).

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