European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00056.24W.1113.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Sexualdelikte
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* jeweils mehrerer Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (I A 1 und I C 1), der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (I A 2, I B, I C 2, I D bis I J) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 2 StGB (II) sowie Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB idF vor BGBl I 2023/135 (III) und nach § 207a Abs 3 (gemeint) zweiter Satz StGB idF vor BGBl I 2023/135 (IV) schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Unter einem wurde seine strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch‑therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB angeordnet.
Rechtliche Beurteilung
[2] Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 11 (iVm Z 5) StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[3] Sie bekämpft (deutlich und bestimmt nur) die vom Schöffengericht angestellte Gefährlichkeitsprognose.
[4] Allfällige Fehler der Prognoseentscheidung ressortieren im System der Nichtigkeitsgründe in den Regelungsbereich des zweiten Falls des § 281 Abs 1 Z 11 StPO. Konkret liegt Nichtigkeit aus Z 11 zweiter Fall dann vor, wenn diese Entscheidung zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person und Zustand des Rechtsbrechers sowie Art der Tat) vernachlässigt oder die aus diesen Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Prognoseentscheidung als willkürlich erscheinen lässt (RIS-Justiz RS0113980, RS0118581; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 715 ff), was hier nicht behauptet wird.
[5] Eine Bekämpfung aus Z 5 des § 281 Abs 1 StPO steht in Verbindung mit dem ersten, nicht jedoch mit dem zweiten Fall des § 281 Abs 1 Z 11 StPO offen (RIS-Justiz RS0118581; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 669). Die aus dem Blickwinkel der Mängelrüge erhobene Kritik an der Prognoseentscheidung geht somit schon im Ansatz fehl.
[6] Indem sie lediglich die Sachverhaltsklärung zu den Prognosekriterien (vgl US 13, 15 f und 19) bemängelt, erstattet sie vielmehr ein Berufungsvorbringen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 716).
[7] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[8] Über die Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).
[9] Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO sei hinzugefügt, dass das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht mit – nicht geltend gemachter – materieller Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 10 StPO behaftet ist:
[10] 1. Nach den Urteilsfeststellungen erfüllen die beiden vom Schuldspruch II umfassten Taten – neben den (insofern jeweils idealkonkurrierenden) Strafsätzen des § 202 Abs 1 StGB (Schuldspruch I A 1 und I C 1), des § 207a Abs 1 Z 1 StGB (Schuldspruch III B 1 und 2) und des § 207a Abs 3 zweiter Satz StGB (Teil des Schuldspruchs IV) – jeweils auch das Tatbild des § 207 Abs 2 letzter Fall StGB. In dieser Begehungsform verlangt § 207 Abs 2 StGB die Absicht (§ 5 Abs 2 StGB), „sich oder einen Dritten geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen“. Zu einem solchen (erweiterten) Vorsatz des Angeklagten hat das Schöffengericht aber keine Feststellungen getroffen. Die Subsumtion dieser Taten (auch) unter § 207 Abs 2 StGB ist demnach verfehlt.
[11] 2. Den Urteilsfeststellungen zufolge wurden alle vom Schuldspruch umfassten Taten im Jahr 2022 begangen. Zwischen dem Zeitpunkt der jeweiligen Tatbegehung und jenem der Urteilsfällung in erster Instanz wurden – mit BGBl I 2023/135 (Inkrafttreten am 1. Dezember 2023) – die Strafsätze des Abs 1 (auf sechs Monate bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe) und des Abs 3 zweiter Satz (auf bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe) des § 207a StGB jeweils verschärft.
[12] Der in § 61 Abs 1 zweiter Satz StGB angeordnete Günstigkeitsvergleich ist für jede Tat (im materiellen Sinn) gesondert vorzunehmen (RIS-Justiz RS0089011 und RS0112939).
[13] Jene Taten, die nach den Urteilsfeststellungen ausschließlich die Tatbestandselemente des § 207a Abs 1 Z 1 StGB (Schuldspruch III A) und des § 207a Abs 3 zweiter Satz StGB (Teil des Schuldspruchs IV) erfüllen, hat das Erstgericht – weil sich die Tatzeitgesetze nach dem zuvor Gesagten fallkonkret günstiger auswirken als die zum Urteilszeitpunkt geltenden – zutreffend diesen strafbaren Handlungen in der jeweils zur Tatzeit geltenden Fassung unterstellt.
[14] Anderes gilt für jene Taten, die – neben § 207a Abs 1 Z 1 StGB und § 207a Abs 3 zweiter Satz StGB – idealkonkurrierend zusätzlich § 202 Abs 1 StGB (I A 1 und I C 1) oder §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (I G und H) erfüllen. Denn sowohl § 202 Abs 1 StGB als auch § 106 Abs 1 StGB drohen eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren an. Hinsichtlich dieser Taten geben daher gemäß § 28 Abs 1 StGB – gegenüber § 207a Abs 1 und Abs 3 zweiter Satz StGB (in beiden Fassungen) jedenfalls strengere – Strafsätze den Ausschlag, die zwischen Tat- und Urteilszeitpunkt unverändert geblieben sind. Diese Taten waren somit zur Zeit ihrer Begehung mit gleich strenger Strafe bedroht wie zum Urteilszeitpunkt. Demzufolge sind die Tatzeitgesetze – in ihrer fallkonkreten Gesamtauswirkung – insoweit nicht günstiger als die Urteilszeitgesetze, sodass gemäß § 61 zweiter Satz StGB eben Letztere anzuwenden gewesen wären (zu vergleichbaren Konstellationen siehe 11 Os 81/21b, 13 Os 9/22f und 11 Os 24/22x, je mwN). Diese Taten wären demnach – neben § 202 Abs 1 StGB oder §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB – § 207a Abs 1 Z 1 StGB und § 207 Abs 3 zweiter Satz StGB (nicht idF vor BGBl I 2023/135, sondern) idgF zu unterstellen gewesen.
[15] Die (zu 1 und zu 2) aufgezeigten Subsumtionsfehler sind auf die – zutreffend unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 202 Abs 1 StGB vorgenommene (US 5) – Strafrahmenbildung ebenso wenig von Einfluss wie auf die Beurteilung der Tauglichkeit der (Anlass-)Taten unter dem Aspekt des § 21 Abs 3 StGB oder die Gefährlichkeitsprognose (vgl US 19). Solcherart haben sie sich in concreto nicht zum Nachteil (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) des Angeklagten ausgewirkt und waren daher von Amts wegen nicht aufzugreifen (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff). Aufgrund der hier getroffenen Klarstellung ist das Oberlandesgericht bei seiner Berufungsentscheidung nicht an die jeweilige Fehlsubsumtion gebunden (RIS-Justiz RS0118870).
[16] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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