OGH 13Os56/24w

OGH13Os56/24w13.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. November 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin FI Trsek in der Strafsache gegen * S* wegen Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen sowie im Verfahren zur strafrechtlichen Unterbringung des Genannten in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18. April 2024, GZ 86 Hv 8/24m‑128.2, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00056.24W.1113.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* jeweils mehrerer Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (I A 1 und I C 1), der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (I A 2, I B, I C 2, I D bis I J) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 2 StGB (II) sowie Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB idF vor BGBl I 2023/135 (III) und nach § 207a Abs 3 (gemeint) zweiter Satz StGB idF vor BGBl I 2023/135 (IV) schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Unter einem wurde seine strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch‑therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB angeordnet.

Rechtliche Beurteilung

[2] Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 11 (iVm Z 5) StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[3] Sie bekämpft (deutlich und bestimmt nur) die vom Schöffengericht angestellte Gefährlichkeitsprognose.

[4] Allfällige Fehler der Prognoseentscheidung ressortieren im System der Nichtigkeitsgründe in den Regelungsbereich des zweiten Falls des § 281 Abs 1 Z 11 StPO. Konkret liegt Nichtigkeit aus Z 11 zweiter Fall dann vor, wenn diese Entscheidung zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person und Zustand des Rechtsbrechers sowie Art der Tat) vernachlässigt oder die aus diesen Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Prognoseentscheidung als willkürlich erscheinen lässt (RIS-Justiz RS0113980, RS0118581; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 715 ff), was hier nicht behauptet wird.

[5] Eine Bekämpfung aus Z 5 des § 281 Abs 1 StPO steht in Verbindung mit dem ersten, nicht jedoch mit dem zweiten Fall des § 281 Abs 1 Z 11 StPO offen (RIS-Justiz RS0118581; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 669). Die aus dem Blickwinkel der Mängelrüge erhobene Kritik an der Prognoseentscheidung geht somit schon im Ansatz fehl.

[6] Indem sie lediglich die Sachverhaltsklärung zu den Prognosekriterien (vgl US 13, 15 f und 19) bemängelt, erstattet sie vielmehr ein Berufungsvorbringen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 716).

[7] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[8] Über die Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

[9] Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO sei hinzugefügt, dass das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht mit – nicht geltend gemachter – materieller Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 10 StPO behaftet ist:

[10] 1. Nach den Urteilsfeststellungen erfüllen die beiden vom Schuldspruch II umfassten Taten – neben den (insofern jeweils idealkonkurrierenden) Strafsätzen des § 202 Abs 1 StGB (Schuldspruch I A 1 und I C 1), des § 207a Abs 1 Z 1 StGB (Schuldspruch III B 1 und 2) und des § 207a Abs 3 zweiter Satz StGB (Teil des Schuldspruchs IV) – jeweils auch das Tatbild des § 207 Abs 2 letzter Fall StGB. In dieser Begehungsform verlangt § 207 Abs 2 StGB die Absicht (§ 5 Abs 2 StGB), „sich oder einen Dritten geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen“. Zu einem solchen (erweiterten) Vorsatz des Angeklagten hat das Schöffengericht aber keine Feststellungen getroffen. Die Subsumtion dieser Taten (auch) unter § 207 Abs 2 StGB ist demnach verfehlt.

[11] 2. Den Urteilsfeststellungen zufolge wurden alle vom Schuldspruch umfassten Taten im Jahr 2022 begangen. Zwischen dem Zeitpunkt der jeweiligen Tatbegehung und jenem der Urteilsfällung in erster Instanz wurden – mit BGBl I 2023/135 (Inkrafttreten am 1. Dezember 2023) – die Strafsätze des Abs 1 (auf sechs Monate bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe) und des Abs 3 zweiter Satz (auf bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe) des § 207a StGB jeweils verschärft.

[12] Der in § 61 Abs 1 zweiter Satz StGB angeordnete Günstigkeitsvergleich ist für jede Tat (im materiellen Sinn) gesondert vorzunehmen (RIS-Justiz RS0089011 und RS0112939).

[13] Jene Taten, die nach den Urteilsfeststellungen ausschließlich die Tatbestandselemente des § 207a Abs 1 Z 1 StGB (Schuldspruch III A) und des § 207a Abs 3 zweiter Satz StGB (Teil des Schuldspruchs IV) erfüllen, hat das Erstgericht – weil sich die Tatzeitgesetze nach dem zuvor Gesagten fallkonkret günstiger auswirken als die zum Urteilszeitpunkt geltenden – zutreffend diesen strafbaren Handlungen in der jeweils zur Tatzeit geltenden Fassung unterstellt.

[14] Anderes gilt für jene Taten, die – neben § 207a Abs 1 Z 1 StGB und § 207a Abs 3 zweiter Satz StGB – idealkonkurrierend zusätzlich § 202 Abs 1 StGB (I A 1 und I C 1) oder §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (I G und H) erfüllen. Denn sowohl § 202 Abs 1 StGB als auch § 106 Abs 1 StGB drohen eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren an. Hinsichtlich dieser Taten geben daher gemäß § 28 Abs 1 StGB – gegenüber § 207a Abs 1 und Abs 3 zweiter Satz StGB (in beiden Fassungen) jedenfalls strengere – Strafsätze den Ausschlag, die zwischen Tat- und Urteilszeitpunkt unverändert geblieben sind. Diese Taten waren somit zur Zeit ihrer Begehung mit gleich strenger Strafe bedroht wie zum Urteilszeitpunkt. Demzufolge sind die Tatzeitgesetze – in ihrer fallkonkreten Gesamtauswirkung – insoweit nicht günstiger als die Urteilszeitgesetze, sodass gemäß § 61 zweiter Satz StGB eben Letztere anzuwenden gewesen wären (zu vergleichbaren Konstellationen siehe 11 Os 81/21b, 13 Os 9/22f und 11 Os 24/22x, je mwN). Diese Taten wären demnach – neben § 202 Abs 1 StGB oder §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB§ 207a Abs 1 Z 1 StGB und § 207 Abs 3 zweiter Satz StGB (nicht idF vor BGBl I 2023/135, sondern) idgF zu unterstellen gewesen.

[15] Die (zu 1 und zu 2) aufgezeigten Subsumtionsfehler sind auf die – zutreffend unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 202 Abs 1 StGB vorgenommene (US 5) – Strafrahmenbildung ebenso wenig von Einfluss wie auf die Beurteilung der Tauglichkeit der (Anlass-)Taten unter dem Aspekt des § 21 Abs 3 StGB oder die Gefährlichkeitsprognose (vgl US 19). Solcherart haben sie sich in concreto nicht zum Nachteil (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) des Angeklagten ausgewirkt und waren daher von Amts wegen nicht aufzugreifen (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff). Aufgrund der hier getroffenen Klarstellung ist das Oberlandesgericht bei seiner Berufungsentscheidung nicht an die jeweilige Fehlsubsumtion gebunden (RIS-Justiz RS0118870).

[16] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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