OGH 8Ob95/24i

OGH8Ob95/24i24.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann-Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei A* AG, *, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen (eingeschränkt) 8.070 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 5.380 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts Wels vom 15. Mai 2024, GZ 22 R 119/24t‑38, mit welchem das Urteil des Bezirksgerichts Gmunden vom 29. Februar 2024, GZ 2 C 639/21f‑34, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00095.24I.1024.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 597,52 EUR (darin 95,40 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin des von ihm bei einem Autohändler gekauften Fahrzeugs mit dem Vorbringen, in diesem seien unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne der Verordnung VO (EG) Nr 715/2007 verbaut, aus dem Titel des Schadenersatzes zum einen wegen Schutzgesetzverletzung, zum anderen wegen arglistiger Täuschung nach § 874 ABGB und vorsätzlicher Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB, auf Zahlung von 8.070 EUR (= 30 % des Kaufpreises von 26.900 EUR) in Anspruch.

[2] Das Berufungsgericht gab der Klage mit einem Betrag von 2.690 EUR sA statt (= 10 % des Kaufpreises), im Übrigen wies es sie ab. Es bejahte das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Bei der Bestimmung der Höhe des wegen der damit vorliegenden Schutzgesetzverletzung zustehenden Schadenersatzes orientierte es sich an der aus RS0134498 ersichtlichen Schadenersatzklagen wegen Schutzgesetzverletzungen gegen Fahrzeughersteller aufgrund unzulässiger Abschalteinrichtungen im Sinne der VO (EG) Nr 715/2007 betreffenden Rechtsprechung, nach der der zu bestimmende Ersatz des Minderwerts iSd § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des vom Kläger gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festzusetzen ist.

[3] Das Berufungsgericht erklärte die Revision für zulässig, „weil zur Berechnung der Schadenshöhe noch keine gesicherte höchstgerichtliche Rechtsprechung besteht und im Sinne der Rechtssicherheit und Rechtseinheit eine Klarstellung durch das Höchstgericht angezeigt ist“.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die vom Kläger erhobene Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 und § 526 Abs 2 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, zumal auch der Kläger keine erheblichen Rechtsfragen aufzeigt. Die Zurückweisung der – von der Beklagten beantworteten – Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[5] 1. Das Berufungsgericht hat sich an der ständigen, oben bereits erwähnten Rechtsprechung orientiert. Soweit sich der Kläger in seiner Rechtsrüge gegen das Ergebnis der Schadensschätzung durch das Berufungsgericht wendet, ist darauf Bedacht zu nehmen, dass dem Gericht bei Anwendung des § 273 ZPO die Befugnis zukommt, die Höhe des Anspruchs nach freier Überzeugung festzusetzen (RS0040459 [T1]). Für die Ausübung des richterlichen Ermessens sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich (vgl RS0121220 [T1]; RS0111576 [T2]). Es können daher nur gravierende, an die Grenzen des Missbrauchs gehende Fehler der Ermessensentscheidung auch noch in dritter Instanz an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (9 ObA 31/23h [Rz 16]; RS0007104 [insb T1, T5]). Dass das Berufungsgericht bei seiner Ausmittlung der zu ersetzenden Wertminderung die Grenzen des gebundenen Ermessens überschritten hätte, zeigt die Revision nicht auf. Der Zuspruch eines Betrags von 10 % des Kaufpreises hält sich im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen.

[6] 2. Richtig ist, wie vom Kläger vorgetragen, dass es bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB dem von einem Dritten getäuschten Käufer freisteht, am Vertrag festzuhalten und vom Dritten nicht schadenersatzrechtliche Rückabwicklung zu verlangen (und somit selbst das Fahrzeug herausgeben zu müssen), sondern den nach der relativen Berechnungsmethode zu ermittelnden Betrag als Ausgleich für den Minderwert der ihm verkauften Sache zu fordern und somit ein Ergebnis zu erzielen, das dem einer Vertragsanpassung gleichkommt (10 Ob 31/23s [Rz 51 mwN]; 2 Ob 139/23i [Rz 24]; 4 Ob 204/23p [Rz 50]; 10 Ob 13/24w [Rz 44] ua).

[7] Im vorliegenden Fall vermochte der Kläger aber kein qualifiziertes Verschulden iSd §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB unter Beweis zu stellen. Damit stellt sich die vom Kläger als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO angesehene Frage, ob hier das Berufungsgericht zu Unrecht von § 273 ZPO, konkret von RS0134498 ausging statt eine relative Schadensberechnung vorzunehmen, nicht.

[8] 3. Richtig ist zwar letztlich auch, dass die Möglichkeit, bei Inanspruchnahme des Fahrzeugherstellers wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung den zu bestimmenden Ersatz des Minderwerts iSd § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des vom Kläger gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festzusetzen (RS0134498), es nicht ausschließt, dass die Wertminderung exakt festgestellt wird (RS0134498 [T6]). Für eine solche exakte Feststellung bedarf es aber der Kenntnis der Marktwerte des konkreten Fahrzeugs im mangelhaften und im mangelfreien Zustand (10 Ob 46/23x [Rz 19]; 5 Ob 33/24z [Rz 25]). Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die erstgerichtlichen Feststellungen seien in diesem Sinne zu unpräzise, weshalb es bei der Schadensermittlung nach § 273 ZPO zu bleiben habe, bedarf keiner höchstgerichtlichen Korrektur. Die Auslegung der Urteilsfeststellungen im Einzelfall wirft – abseits des nicht vorliegenden Sonderfalls einer Unvertretbarkeit – regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0118891 [samt T5]). Bei der Ermittlung des exakten Minderwerts handelt es sich nur um eine Möglichkeit des Gerichts; diesem steht es frei, von ihr keinen Gebrauch zum machen und – auch unter Übergehen eines von der Partei angebotenen Sachverständigengutachtens – nach § 273 ZPO vorzugehen (RS0134498).

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