OGH 7Ob148/24a

OGH7Ob148/24a23.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E* GmbH, *, vertreten durch Steßl und Kasper Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei A* S.A. Direktion für Österreich, *, vertreten durch Dorda Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Mai 2024, GZ 1 R 94/23k‑45, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 20. April 2023, GZ 31 Cg 59/21t‑40, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00148.24A.1023.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Zwischen den Streitteilen bestand ein Produktschutz-Versicherungsvertrag mit einer Höchstgrenze der Versicherungsleistung von 500.000 EUR für Produktmangel. Die diesem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen (AIB Produktschutz-Bedingungen A‑PSB 02/2014 [in Hinkunft: A‑PSB]) lauten auszugsweise:

1 Gegenstand der Versicherung

1.1 Versicherungsschutz

Der Versicherungsschutz umfasst nach Maßgabe der folgenden Bedingungen die Erstattung von Vermögensschäden nach Z iffer 3, die dem Versicherungsnehmer oder einem mitversicherten Unternehmen aus einem während der Laufzeit der Versicherung eingetretenen Versicherungsfall durch

‑ Produktmangel i.S.v. Ziffer 1.4 und/oder

‑ Ungeeignetheit zum Verzehr i.S.v. Ziffer 1.5 und/oder

‑ Produktmanipulation i.S.v. Ziffer 1.6 und/oder

‑ negativer Medienberichterstattung i.S.v Ziffer 1.7

entstehen.

1.2 Versicherte Produkte

Der Versicherungsschutz bezieht sich auf alle Produkte – einschließlich ihrer Zutaten und Bestandteile – die der Versicherungsnehmer und/oder ein mitversichertes Unternehmen (i.S.v. Ziffer 1.7) herstellt, be- oder verarbeitet, vertreibt, verteilt oder die von anderen Zulieferern unmittelbar oder mittelbar für den Versicherungsnehmer hergestellt werden, soweit sie zu den in der Polizzenübersicht genannten Produkten bzw Produktgattungen gehören. Versicherungsschutz besteht auch dann, wenn die Produkte sich als Teil- oder Zwischenprodukt noch im Produktionsprozess befinden.

1.3 Personenschaden

Ein Personenschaden im Rahmen dieser Bedingungen liegt vor, wenn die Verwendung des versicherten Produkts als kausale Folge unmittelbar zu einer Verletzung der körperlichen Integrität, der Gesundheit oder zum Tod führt oder führen könnte.

Ein solcher kausaler Zusammenhang liegt nicht vor, wenn die Verwendung der versicherten Produkte nur abstrakt und/oder erst über Generationen hinweg zu einem Personenschaden in vorbeschriebener Weise führt oder führen könnte.

1.4 Produktmangel

Ein Produktmangel im Sinn dieses Vertrages liegt vor, wenn ein versichertes Produkt aufgrund seiner Beschaffenheit geeignet ist, einen Personenschaden herbeizuführen und deswegen eine gesetzliche Verpflichtung besteht, das Produkt zurückzurufen, um einen Personenschaden zu vermeiden.

Das Vorliegen eines Produktmangels gemäß vorgenannter Definition muss mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch einen ausreichenden Stichprobenbefund oder aufgrund sonstiger objektiver Tatsachen festgestellt werden.

Als objektive Tatsache im Sinn dieses Vertrages gilt auch die behördliche Anordnung eines Rückrufs zur Vermeidung von Personenschäden.

[...]

1.8 Rückruf

Ein Rückruf liegt nach Maßgabe der folgenden Bedingungen vor, wenn

‑ der Versicherungsnehmer,

‑ eine zuständige Behörde oder

‑ ein sonstiger Dritter,

aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung, Endverbraucher, Endverbraucher beliefernde Händler, sonstige Produktbesitzer, Vertrags- oder sonstige Werkstätten zur Vermeidung von Personenschäden auffordert,

‑ die Produkte oder ein bestimmtes Produkt eines Dritten, das mindestens ein versichertes Produkt enthält, von autorisierter Stelle auf die angegebenen Mängel prüfen und die gegebenenfalls festgestellten Mängel beheben zu lassen,

‑ das Produkt zurückzugeben,

‑ oder andere namentlich benannte Maßnahmen durchführen zu lassen.

Ein von einem Dritten eingeleiteter Rückruf gilt nur dann als Rückruf im Sinn dieser Polizze, wenn der Versicherungsnehmer aus gesetzlichen Bestimmungen privatrechtlichen Inhalts zum Ersatz der dem Dritten durch den Rückruf entstandenen Kosten verpflichtet ist.

Als Rückruf gilt auch die Warnung vor nicht sicheren Produkten, soweit aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen zur Vermeidung von Personenschäden eine Warnung ausreichend ist.

[...]

2 Versicherungsfall

2.1 Bei Produktmangel im Sinn e von Ziffer 1.4

2.1.1 Versicherungsfall ist der erfolgte Rückruf im Sinn e von Ziffer 1.7, wenn die Produkte an Endverbraucher ausgeliefert wurden.

2.1.2 Versicherungsfall ist die innerbetriebliche Weisung im Sinn e von Ziffer 1.9, wenn die Produkte noch nicht an Endverbraucher ausgeliefert sind.

[...]

 

6 Ausschlüsse

Soweit in der Polizzenübersicht nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist, sind Ansprüche auf Ersatz von Vermögensschäden vom Versicherungsschutz ausgeschlossen

6.1 die auf

a) gentechnisch veränderte Organismen (GVO),

b) transmissible spongiforme Enzephalopathie (TSE) oder

c) krebserregende Substanzen

d) im Zusammenhang mit Zerfall, Zersetzung oder Transformation der chemischen, physikalischen oder sonstigen Struktur als Folge der natürlichen Eigenschaften oder inhärenter Fehler bzw Nachteile eines versicherten Produktes

zurückzuführen sind. Vorgenannte Ausschlüsse finden für Z iffer 2.3 (Produktmanipulation) keine Anwendung.“

[2] Im September 2020 machte ein Kunde des Mutterunternehmens der Klägerin darauf aufmerksam, dass es bei einem indischen Lieferanten von Bio‑Sesam Probleme mit Ethylenoxid gebe.

[3] Ethylenoxid ist ein Gas, das zur Entkeimung eingesetzt wird und als Rückstand in Lebensmittel auftreten kann. In der EU besteht ein vollständiges Anwendungsverbot von Ethylenoxid im Pflanzenschutz im Bereich von Lebensmittelkontakten. Ethylenoxid ist laut dem „Committee for Risk Assessment“ (RAC) der Europäischen Chemikalienagentur (EChA), einer Behörde der Europäischen Union gemäß REACH VO (EG) Nr 1907/2006, eine erbgutverändernde (genotoxische) krebserregende Substanz (kanzerogen) ohne Schwellenwert. Bei 2‑Chlorethanol handelt es sich um ein Abbauprodukt von Ethylenoxid, für das es aus Tierstudien auch Hinweise auf eine erbgutverändernde Wirkung gibt, jedoch noch keine gesicherten Erkenntnisse, dass dieses Abbauprodukt krebserregend ist.

[4] In der Verordnung (EU) 396/2005 sind Rückstandshöchstgehalte für Sesam und viele weitere Rohprodukte festgelegt. Diese Rückstandshöchstgehalte gelten für die Summe von Ethylenoxid und 2‑Chlorethanol. Laut Verordnung werden die Rückstandshöchstgehalte bei der Beprobung für die Summe der Einzelsubstanzen Ethylenoxid und 2‑Chlorethanol immer als Verunreinigung mit Ethylenoxid ausgedrückt.

[5] Eine in Folge der Information durch den Kunden am 14. 10. 2020 veranlasste Beprobung der Bio-Sesam-Lieferungen (Chargennummern 199383 und 209028) ergab Verunreinigungen mit Ethylenoxid (und 2‑Chlorethanol) von 4,2 mg/kg bzw 1,8 mg/kg. Bei einem zulässigen Rückstandshöchstgehalt von 0,05 mg/kg ergaben die Prüfergebnisse somit eine 36- bis 98‑fache Überschreitung dieser Grenzwerte. Zum Zeitpunkt der Analyse war eine getrennte Feststellung von Ethylenoxid und 2‑Chlorethanol mit den durchgeführten Überprüfungsmethoden nicht möglich. Bei dieser Überprüfung wurde daher nicht unterschieden, ob die Verunreinigung sich auf Ethylenoxid als Einzelsubstanz oder auf 2‑Chlorethanol bezieht.

[6] Am 16. 10. 2020 meldete die Klägerin der Lebensmittelbehörde die Grenzwertüberschreitung und den Rückruf der Produkte.

[7] Nach Ablehnung der Deckung durch die Beklagte beauftragte die Klägerin am 16. 12. 2020 ein Prüfinstitut mit einer neuerlichen Überprüfung zweier Rückstellproben der Chargennummer 209028 und 199383. Diese Untersuchungen, die mit einer anderen Methode durchgeführt wurden (getrennte Feststellung von Ethylenoxid und 2‑Chlorethanol), ergaben zur Chargennummer 199383 eine Verunreinigung von 17,03 mg/kg mit 2‑Chlorethanol und eine Nichtnachweisbarkeit von Ethylenoxid und zur Chargennummer 209028 eine Verunreinigung von 3,9 mg/kg mit 2‑Chlorethanol und eine Nichtnachweisbarkeit von Ethylenoxid.

[8] Es kann nicht festgestellt werden, dass zum Zeitpunkt der ersten Überprüfung der Proben am 14. 10. 2020 kein krebserregendes Ethylenoxid in den Proben vorhanden war und nur mehr das Abbauprodukt 2‑Chlorethanol.

[9] Weiters ließ die Klägerin am 10. 12. 2020 eine toxikologische Bewertung von 2‑Chlorethanol vornehmen (anhand einer Bio‑Sesam-Probe einer anderen Charge, die nicht mit der klagsgegenständlichen übereinstimmt). Darin wurde die Annahme bestätigt, „dass in den betroffenen Produkten kein Ethylenoxid selbst mehr vorhanden (nachweisbar) ist, sondern der gemessene Gehalt gemäß Rückstandsdefinition ausschließlich durch das Umwandlungsprodukt 2‑Chlorethanol hervorgerufen wird. Vor dem Hintergrund der systemischen Toxizität von 2‑Chlorethanol ist ein gesundheitliches Risiko durch den Verzehr von Ware gleicher Qualität grundsätzlich nicht auszuschließen“.

[10] Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Beklagte für sämtliche Kosten im Zusammenhang mit dem Produktrückruf von gesundheitsgefährdendem toxisch‑kontaminiertem Sesam gemäß bestehender Produktschutz-Versicherung Versicherungsschutz zu gewähren habe. Im September/Oktober 2020 sei es aufgrund einer Verunreinigung von indischem Sesam zu einem Produktrückruf im Sinn der Versicherungsbedingungen gekommen. Die Produkte hätten gemäß EU‑Basisverordnung 178/2022 als nicht sicher gegolten. Dies habe dazu geführt, dass sie nicht für den Verzehr geeignet seien, nicht in den Verkehr gebracht werden durften und zurückgerufen werden mussten, weil ein gesundheitliches Risiko durch den Verzehr dieser Produkte nicht ausgeschlossen werden könnte. Die Ausschlussklausel Z 6 sei unklar und gehe zu Lasten der Beklagten.

[11] Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Produktschutz-Versicherung decke Vermögensschäden, die durch einen Produktmangel im Sinn von Z 1.4 A‑PSB entstanden seien. Die Klägerin habe nicht dargelegt, warum der Produktrückruf laut Versicherungsbedingungen gedeckt sei. Gemäß Z 1.6 A‑PSB seien Ansprüche auf Ersatz von Vermögensschäden, die auf krebserregende Substanzen zurückzuführen seien, vom Versicherungsschutz ausdrücklich ausgeschlossen.

[12] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es liege ein Produktmangel im Sinn der Z 1.4 A‑PSB vor, weil das Vorliegen der Behandlung des Sesams mit einer verbotenen und krebsauslösenden Substanz geeignet sei, einen Personenschaden herbeizuführen. Es habe auch eine gesetzliche Verpflichtung zum Rückruf bestanden. Allerdings sei nach Z 6.1c A‑PSB der Versicherungsschutz von Vermögensschäden ausgeschlossen, die auf krebserregende Substanzen zurückzuführen seien.

[13] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Urteil im klagsstattgebenden Sinn ab. Der Versicherungsfall sei durch den erfolgten Rückruf wegen eines Produktmangels gemäß Z 2.1 A‑PSB eingetreten. Z 6.1 A‑PSB lasse zwei verschiedene Auslegungsvarianten zu. Zum einen jene, dass die lit a bis c Alternativen beinhalten und aufgrund der Streichung des deplatzierten Wortes „oder“ nach der lit b, der auf lit c folgende Satzteil keine weitere Alternative darstelle sondern zu den Punkten lit a bis c eine weitere (kumulative) Voraussetzung zu jeder der drei Alternativen festschreibe. Zum anderen jene, dass es sich um vier voneinander zu unterscheidende Ausschlusstatbestände handle. Hier weise die Syntax der Bestimmung aber Fehler auf. Daher sei die Ausschlussklausel unklar und gehe diese Undeutlichkeit gemäß § 915 ABGB zu Lasten der Beklagten. Sie könne sich daher nicht auf den Deckungsausschluss berufen.

[14] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur entscheidungswesentlichen Frage der Interpretation der Ausschlussklausel Z 6.1 A‑PSB fehle und diese Rechtsfrage über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalls hinaus Bedeutung haben könne.

[15] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im klagsabweisenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[16] Die Klägerin begehrt die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[17] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[18] 1.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Berücksichtigung auf den Wortlaut auszulegen, dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).

[19] 1.2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10]; RS0080063).

[20] 1.3. Für das Vorliegen des Versicherungsfalls trifft nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer die Beweislast (RS0043438; RS0043563). Den Beweis für das Vorliegen eines Risikoausschlusses als Ausnahmetatbestand hat hingegen der Versicherer zu führen (RS0107031).

[21] 2.1. Die Klägerin ließ im erstgerichtlichen Verfahren offen, aufgrund welchen der in den Versicherungsbedingungen angeführten Versicherungsfälle sie Versicherungsschutz begehrt. Die Vorinstanzen beurteilten den Eintritt des Versicherungsfalls – unbeanstandet von beiden Parteien – nach Z 2.1 A‑PSB. Lediglich dieser ist Gegenstand des Revisionsverfahrens.

[22] 2.2. Beim Produktmangel im Sinn der Z 1.4 A‑PSB ist nach Z 2.1 A‑PSB der Versicherungsfall unter den Voraussetzungen der Z 2.1.1 A‑PSB der Rückruf im Sinn von Z 1.7 [richtig: 1.8] oder unter jenen der Z 2.1.2 A‑PSB die innerbetriebliche Weisung. Ein Produktmangel nach Z 1.4 A‑PSB liegt vor, wenn ein versichertes Produkt aufgrund seiner Beschaffenheit geeignet ist, einen Personenschaden herbeizuführen und deswegen eine gesetzliche Verpflichtung besteht, das Produkt zurückzurufen, um einen Personenschaden zu verhindern. Den Personenschaden definiert Z 1.3 A‑PSB dahin, dass die Verwendung des versicherten Produkts als kausale Folge unmittelbar zu einer Verletzung der körperlichen Integrität, der Gesundheit oder zum Tod führt oder führen könnte. Ein solcher kausaler Zusammenhang liegt nicht vor, wenn die Verwendung des versicherten Produkts nur abstrakt und/oder erst über Generationen hinweg zu einem Personenschaden in vorbeschriebener Weise führt oder führen könnte.

[23] 2.3. Die Vorinstanzen bejahten den Eintritt dieses Versicherungsfalls. Die Beklagte hält dieser Beurteilung entgegen, dass die Klägerin den Eintritt des Versicherungsfalls nach Z 2.1 A‑PSB nicht bewiesen habe, weil nicht feststehe, dass das Produkt geeignet gewesen wäre, einen Personenschaden im Sinn der Z 1.3 A‑PSB herbeizuführen.

[24] 2.4. Der Beklagten ist zuzustimmen, dass nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden kann, ob der Versicherungsfall im Sinn der Z 2.1 A‑PSB eingetreten ist.

[25] 2.4.1. In diesem Zusammenhang sind nachstehende Feststellungen hervorzuheben. Ethylenoxid ist eine das Erbgut verändernde (genotoxische) krebserregende Substanz. Bei 2‑Chlorethanol handelt es sich um ein Abbauprodukt von Ethylenoxid, wobei es hier auch Hinweise aus Tierstudien gibt, dass eine erbgutverändernde Wirkung dieses Abbauprodukts vorliege, jedoch noch keine gesicherten Erkenntnisse, dass dieses Abbauprodukt krebserregend sei. Eine getrennte Feststellung von Ethylenoxid und 2‑Chlorethanol war bei den Beprobungen nicht möglich. Es wurde daher nicht unterschieden, ob die Verunreinigung sich auf Ethylenoxid oder 2‑Chlorethanol bezieht. Nicht festgestellt werden konnte, „dass zum Zeitpunkt dieser Überprüfungen kein krebserregendes Ethylenoxid in den Proben vorhanden war und nur mehr das Abbauprodukt 2‑Chlorethanol“.

[26] 2.4.2. Entsprechend dem jeweiligen Prozessstandpunkt behauptet die Klägerin die Verunreinigung mit dem nicht krebserregenden Abbauprodukt 2‑Chlorethanol und die Beklagte zur Darlegung des geltend gemachten Risikoausschlusses nach Z 6.1 A‑PSB eine solche mit krebserregendem Ethylenoxid.

[27] 2.4.3. Die vom Erstgericht in diesem Zusammenhang getroffene Feststellung, dass nicht festgestellt werden kann, dass kein krebserregendes Ethylenoxid und nur mehr das Abbauprodukt 2‑Chlorethanol vorhanden war, ist nicht ausreichend klar und missverständlich.

[28] 2.4.3.1. Sollte das Erstgericht damit positiv festgestellt wissen wollen, dass zum Zeitpunkt der Beprobung das Produkt mit krebserregendem Ethylenoxid verunreinigt war, läge – selbst von der Beklagten nicht bestritten – ein Personenschaden im Sinn der Z 1.3 A‑PSB und somit der Versicherungsfall der Z 2.1 A‑PSB vor.

[29] 2.4.3.2. Sollte die Feststellung als Negativfeststellung gemeint gewesen sein; das heißt, dass das Erstgericht nicht feststellen konnte, ob zum Zeitpunkt der Beprobung krebserregendes Ethylenoxid vorhanden war oder (nur) 2‑Chlorethanol, dann ist der Beklagten zuzustimmen, dass in diesem Zusammenhang die Feststellungen nicht ausreichen, um zu beurteilen, ob durch eine Verunreinigung mit 2‑Chlorethanol ein Personenschaden im Sinn der Z 1.3 A‑PSB vorliegt. Die Voraussetzung, dass die Verwendung des versicherten Produkts als kausale Folge unmittelbar zu einer Verletzung der körperlichen Integrität, der Gesundheit oder zum Tod führt oder führen könnte, lässt sich weder aus der Feststellung ableiten, dass es hier Hinweise aus Tierstudien gäbe, dass eine erbgutverändernde Wirkung vorliege, noch aus der bloßen Wiedergabedes Bewertungsberichts vom 10. 12. 2020, wonach im Zusammenhang mit der Überprüfung einer nicht gegenständlichen Charge festgehalten wurde, dass ein „gesundheitliches Risiko grundsätzlich nicht auszuschließen ist“.

[30] 2.5. Das Erstgericht wird daher vorerst eine Klarstellung der getroffenen (Negativ‑)Feststellung vorzunehmen und allenfalls den Sachverhalt zu ergänzen haben, sodass eine Beurteilung des Vorliegens eines Personenschadens im Sinn der Z 1.3 A‑PSB möglich ist. Erst dann kann der von der Klägerin zu beweisende Eintritt des hier gegenständlichen Versicherungsfalls nach Z 2.1 A‑PSB beurteilt werden.

[31] 3. Danach stellt sich die Frage nach dem Vorliegen des von der Beklagten eingewandten Risikoausschlusses nach Z 6.1c A‑PSB.

[32] 3.1. Der Oberste Gerichtshof teilt hier das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts nicht. Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer wird bereits aufgrund des Aufbaus der Bestimmung (gemeinsamer Einleitungssatz; Aufzählung der einzelnen, jeweils mit einer gesonderten litera versehenen, eine auch eigenständige Bedeutung aufweisende Tatbestände; wiederum gemeinsamer Abschlusssatz) davon ausgehen, dass hier vier selbständige, einander gleichberechtigt und alternativ gegenüberstehende Risikoausschlusstatbestände geregelt werden. Dies selbst vor dem Hintergrund, dass sich das Wort „oder“ fälschlicherweise nach der lit b und nicht nach der lit c findet. Dieser Umstand hindert nämlich die eben angeführte Lesart in keiner Weise.

[33] Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ändert selbst die sprachlich unschöne Formulierung des unter der lit d angeführten Tatbestands nichts an diesem Auslegungsergebnis.Auch für den durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer wird hier klar und eigenständig der Ersatz von Vermögensschäden ausgeschlossen, die auf Zerfall, Zersetzung oder Transformation der chemischen, physikalischen oder sonstigen Struktur als Folge der natürlichen Eigenschaften oder inhärenten Fehler bzw Nachteile eines versicherten Produkts zurückzuführen sind. Die Auslegung der Bestimmung dahin, dass es sich um vier eigenständige Alternativen handelt, erhellt sich auch aus ihrem Zweck. Eindeutig soll der Ersatz von Vermögensschäden aufgrund der dort konkret genannten Tatbestände vom Versicherungsschutz ausgenommen werden – soweit hier interessierend aufgrund von krebserregenden Substanzen. Eine Auslegung dahin, dass der Ausschluss auf krebserregende Substanzen aufgrund von Zerfall, Zersetzung und Transformation der chemischen, physikalischen und sonstigen Struktur [...] beschränkt werden, nicht aber für den Fall, dass derartige krebserregende Substanzen dem Produkt beigemengt werden, gelten soll, ergibt keinen Sinn.

[34] 3.2. Daraus folgt, dass die Bestimmung Z 6.1 A‑PSB dahin auszulegen ist, dass vom Versicherungsschutz Ansprüche auf Ersatz von Vermögensschäden ausgeschlossen werden, die auf krebserregende Substanzen zurückzuführen sind.

[35] 3.3. Auch im Zusammenhang mit dem eingewandten Risikoausschluss ist die vom Erstgericht getroffene missverständliche Feststellung von Bedeutung.

[36] 3.3.1. Wurde damit positiv eine Verunreinigung mit krebserregendem Ethylenoxid festgestellt, käme der eingewandte Risikoausschluss zur Anwendung.

[37] 3.3.2. Sollte es sich aber um eine tatsächliche Negativfeststellung zu Ethylenoxid handeln, und nach dem zu Pkt 2.4.3.2. Gesagten bezüglich 2‑Chlorethanol ein Versicherungsfall vorliegen, hätte die dafür beweispflichtige Beklagte die Voraussetzungen des Risikoausschlusses nicht unter Beweis gestellt.

[38] 4. Der Revision war daher Folge zu geben, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

[39] 5. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.

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