OGH 9Ob82/24k

OGH9Ob82/24k23.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Dr. Wallner‑Friedl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. A*, geboren * 2009, und 2. C*, geboren * 2012, beide *, vertreten durch das Land Oberösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Linz, Soziales, Jugend und Familie, Hauptstraße 1–5, 4041 Linz), wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters und Unterhaltsschuldners W*, vertreten durch Dr. Günther Klepp und andere, Rechtsanwälte in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 9. April 2024, GZ 15 R 449/23i‑53, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 8. November 2023, GZ 7 Pu 58/23a‑44, (mit einer Maßgabe) bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00082.24K.1023.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zur neuerlichen Entscheidung über den Rekurs des Vaters nach Verfahrensergänzung an das Rekursgericht zurückverwiesen.

 

Begründung:

[1] Die Minderjährigen beantragten eine Erhöhung des monatlichen Unterhaltsbetrags. Sie brachten vor, dass der geldunterhaltspflichtige Vater aus einer bestimmten Beschäftigung ein bestimmtes Einkommen erziele und keine weiteren Sorgepflichten habe.

[2] Das Erstgericht trug dem Vater auf, sich binnen 14 Tagen zum Antrag zu äußern. Es wies ihn auch darauf hin, dass angenommen werde, dass er den Angaben im Antrag keine Einwendungen entgegensetze, sollte er sich nicht innerhalb der Frist äußern.

[3] Der Vater erstattete keine Äußerung. Der postalische Zustellschein dokumentiert, dass ihm die Aufforderung zur Äußerung mehr als 14 Tage vor dem Beschluss des Erstgerichts über den Unterhaltserhöhungsantrag durch Hinterlegung zugestellt wurde. Der Postzusteller hat den Zustellschein nicht unterschrieben.

[4] Das Erstgericht legte seiner Entscheidung die von den Minderjährigen vorgebrachten Tatsachen zugrunde und gab dem Antrag statt.

[5] Im Rekurs brachte der Vater vor, dass ihm die Aufforderung zur Äußerung nicht zugestellt worden sei. Er habe eine weitere Unterhaltspflicht und Leistungen an die Minderjährigen erbracht, die der Unterhaltserhöhung entgegenstünden.

[6] Das Rekursgericht trug dem Erstgericht Erhebungen über den Zustellvorgang auf. Das Erstgericht holte eine Stellungnahme der Österreichischen Post AG ein. Nach dieser habe das Zustellorgan die Aufforderung zur Äußerung beim zuständigen Postamt hinterlegt und die Verständigung von der Hinterlegung ordnungsgemäß in die Abgabeeinrichtung des Vaters eingelegt. Die Beurkundung durch das Zustellorgan sei elektronisch erfolgt (§ 22 Abs 4 ZustG).

[7] Das Rekursgericht gab den Parteien keine Gelegenheit, sich zum Ergebnis der Erhebungen über den Zustellvorgang zu äußern.

[8] Mit dem angefochtenen Beschluss bestätigte das Rekursgericht die Entscheidung des Erstgerichts (mit einer Maßgabe). Das Ergebnis der Erhebungen über den Zustellvorgang belege die wirksame Zustellung der Aufforderung zur Äußerung. Der Vater könne das in erster Instanz versäumte Tatsachenvorbringen im Rekurs nicht nachholen. Aktenkundige Hinweise auf Tatsachen, die der Unterhaltserhöhung entgegenstünden, habe es in erster Instanz nicht gegeben.

[9] Aufgrund einer Zulassungsvorstellung des Vaters ließ das Rekursgericht den gleichzeitig eingebrachten Revisionsrekurs nachträglich mit der Begründung zu, es sei nicht ausgeschlossen, dass das Rekursverfahren mangelhaft geblieben sei, weil sich der Vater zum Ergebnis der Erhebungen über den Zustellvorgang nicht äußern konnte.

[10] Die Minderjährigen erstatteten keine Revisionsrekursbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt:

[12] 1. Gemäß § 66 Abs 1 Z 1 iVm § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG bildet es einen Revisionsrekursgrund, wenn einer Partei – in erster und/oder zweiter Instanz (Schramm in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 66 Rz 5) – das rechtliche Gehör nicht gewährt worden ist. Das rechtliche Gehör einer Partei wird bereits dann verletzt, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Verfahrensergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen sie sich nicht äußern konnte (RS0005915), etwa Ergebnisse von Erhebungen über behauptete Verfahrens- oder Zustellungsmängel (RS0005915 [T14, T21]). Der Oberste Gerichtshof hat die Gehörverletzung wahrzunehmen, wenn der Revisionsrekurs darlegt, dass sie Einfluss auf die Richtigkeit der Entscheidung haben konnte (RS0120213 [T13, T16, T17, T20]; RS0119971 [T6]).

[13] 2. Das Rekursgericht hat dem angefochtenen Beschluss das Ergebnis von Erhebungen über die Zustellung der Aufforderung zur Äußerung zum Unterhaltserhöhungsantrag zugrunde gelegt, zu dem sich der Vater nicht äußern konnte. Dadurch wurde nach den eingangs dargelegten Grundsätzen das rechtliche Gehör des Vaters verletzt. Mit dem Vorbringen, um die Gelegenheit gebracht worden zu sein, die Vernehmung ua des Zustellorgans zu beantragen und damit die Unwirksamkeit der Zustellung zu bescheinigen, legt der Vater ausreichend dar, dass der Verfahrensfehler abstrakt geeignet war, Einfluss auf die Richtigkeit der Entscheidung des Rekursgerichts zu nehmen. Die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ist daher nicht zu vermeiden.

[14] 3. Im fortgesetzten Verfahren ist dem Vater das erforderliche rechtliche Gehör zu gewähren und – allenfalls nach ergänzenden Erhebungen zum fraglichen Zustellvorgang (§ 51 Abs 2 AußStrG) – neuerlich über den Rekurs zu entscheiden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte