OGH 11Os96/24p

OGH11Os96/24p22.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Oktober 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und die Hofrätinnen und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wachter als Schriftführerin in der Strafsache gegen * H* wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3, Abs 3a Z 3, Abs 4 zweiter Fall StGBüber die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 23. Mai 2024, GZ 9 Hv 8/24v‑23, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00096.24P.1022.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Berufung des Angeklagten kommt dem Oberlandesgericht Wien zu.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last, die nicht durch die ganz erfolglos gebliebene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verursacht wurden.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * H* (abweichend von der wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3, Abs 3a Z 3, Abs 4 zweiter Fall StGB erhobenen Anklageschrift [ON 10 S 2]) jeweils mehrerer Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (I/), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (II/) und der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (III/), des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (IV/) und der Vergehen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 StGB (V/) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er * F* von Frühjahr 2022 bis 10. Juli 2023 in W*

I/ am Körper verletzt, indem er

1/ sie im November 2022 mit beiden Händen so fest am Hals würgte, dass sie keine Luft bekam, einige Stunden unter Schluckproblemen litt und Würgemale an der linken und rechten Halsseite davontrug;

2/ ihr im Sommer 2022 eine Ohrfeige versetzte, sodass sie Fingerabdruckmale an ihrer rechten Wange davontrug;

II/ wiederholt mit zumindest einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er sie am Hals packte und ihr gegenüber unter gleichzeitiger Durchführung von Drohgebärden äußerte: „Are you a good girl?“ oder „I‘ll watch you - always!“;

III/ wiederholt mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einer Unterlassung bzw Handlung genötigt, indem er sie

1/ mit dem Umbringen, sohin mit zumindest einer Verletzung am Körper [US 18] bedrohte, wobei er sie zur Untermauerung der Ernsthaftigkeit seiner Äußerung am Hals würgte, damit sie ihn nicht verlässt;

2/ an der Kleidung oder am Arm packte, schüttelte und an ihr zerrte, um sie zum Zurückkehren in das gemeinsame Schlafzimmer zu bringen;

IV/ im Sommer 2022 mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung genötigt, indem er die Genannte kniend auf den Boden drückte, sie an Schulter und Nacken festhielt und sie zumindest fünfzehn Minuten lang mit dem Penis anal penetrierte, was Einrisse der Analschleimhaut verbunden mit mehrtägigen Blutungen zur Folge hatte;

V/ mit der Genannten mehrfach gegen ihren Willen und nach vorangegangener Einschüchterung, nämlich durch wiederholte Klarstellung, er sei ihr Ehemann, sodass sie zu geschlechtlichen Handlungen als seine Ehefrau verpflichtet wäre, sowie aufgrund der vielen zu I/ bis IV/ beschriebenen Übergriffe und des dadurch erzeugten psychischen Zustands, in welchem sich die Genannte aus Angst nicht mehr traute, sich ernsthaft zu wehren, den Beischlaf bzw dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen, nämlich Oralverkehr, unternommen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich, vom Angeklagten auf Z 3, 4, 9 lit a und Z 10, von der Staatsanwaltschaft auf Z 5 und 10 je des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerden.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

[4] Die Verfahrensrüge (Z 3 iVm § 252 Abs 1 Z 2a und Abs 4 StPO) kritisiert das Vorkommen der von der Zeugin F* vor der Kriminalpolizei (ON 2.7) und in ihrer kontradiktorischen Vernehmung (ON 7.2) getätigten Angaben in der Hauptverhandlung am 23. Mai 2024 (ON 22.2 S 32 f), lässt jedoch außer Acht, dass die dort erfolgte Verlesung (des „gesamte[n] Akteninhalt[s], insbesondere“) dieser Aussagen – nach dem insoweit unbeanstandet gebliebenen Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls – (letztlich [vgl zuvor hingegen ON 17.2 S 25 f] auch) mit dem Einverständnis des Beschwerdeführers (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO) erfolgte (ON 22.2 S 33; RIS‑Justiz RS0121050; vgl auch RS0116040).

[5] Vor diesem Hintergrund macht das weitere (auch auf Z 4 gestützte) Vorbringen aber nicht deutlich, weshalb die gegen den Antrag des Angeklagten (ON 17.2 S 25) erfolgte Vorführung der technischen Aufnahme der kontradiktorischen Vernehmung der genannten Zeugin (ON 22.2 S 32) noch von einem für ihn nachteiligen Einfluss (§ 281 Abs 3 StPO) sein sollte (RIS‑Justiz RS0111314; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 743).

[6] Bleibt daher lediglich der Vollständigkeit halber anzumerken, dass die Erklärung der Zeugin, wonach sie, „für den Fall, dass es zu einer Hauptverhandlung kommt, möchte […], dass das Video vorgespielt wird“ (ON 7.2 S 33) – insbesondere mit Blick auf den Inhalt der ihr erteilten Belehrung (ON 7.2 S 2) – jedenfalls die vom Erstgericht vorgenommene Deutung zulässt, sich im weiteren Verfahren der Aussage entschlagen zu wollen (vgl 13 Os 39/03; siehe auch RIS‑Justiz RS0111315; Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 74).

[7] Der in der Hauptverhandlung am 16. April 2024 gestellte Antrag (Z 4) des Angeklagten auf ergänzende Vernehmung der Zeugin F* „zum Beweis dafür, dass sich die Schwiegermutter … permanent in die Beziehung einmischte, ihr gegenüber äußerte, der Angeklagte sei nicht gut für sie, sie solle sich von ihm trennen, [sowie] dafür dass sie sich über den Angeklagten direkt oder indirekt rassistisch geäußert hat und es sich dabei um den wahren Grund für die Trennung gehandelt hat, und nicht die vermeintliche Gewalt seitens des Angeklagten“, konnte ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen werden (ON 17.2 S 26 und 46), weil er nicht darlegte, weshalb die begehrte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erbringen werde und solcherart auf im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet war (RIS‑Justiz http://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0118444&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 330 f).

[8] Im Übrigen ist ausnahmsweise die ergänzende Vernehmung einer gemäß § 156 Abs 1 Z 2 StPO von der Aussage befreiten Belastungszeugin zwar bei Vorliegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände, die das im Schutz der Zeugin gelegene Beweismittelverbot (vgl Art 8 MRK) gegen das Verteidigungsinteresse an ergänzender Befragung (Art 6 Abs 3 lit d MRK) zurücktreten lassen, nicht ausgeschlossen (RIS‑Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0128501&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False [T2]). Derartige Umstände wurden jedoch mit der oben wiedergegebenen Behauptung der „Einmischung“ der Mutter der Zeugin in deren Beziehung zum Angeklagten nicht einmal ansatzweise vorgebracht (vgl im Übrigen auch ON 7.2 S 3 f, 22 und 29).

[9] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) orientiert sich zu IV/ nicht an der Gesamtheit der zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen (vgl jedoch RIS‑Justiz RS0099810) der Tatrichter (US 6 iVm US 14 f), welchen – hinreichend deutlich (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19) – zu entnehmen ist, dass der Angeklagte ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, alle gegen seine Ehefrau gerichteten „sexuellen Übergriffe“ gegen ihren Willen – und sohin ohne ihr Einverständnis (RIS‑Justiz RS0130997) – vorzunehmen (US 15 iVm US 14). Zu V/ legt das Vorbringen nicht begründet dar, weshalb die anhand der verba legalia getroffenen Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 7) keinen hinreichenden Sachverhaltsbezug aufweisen sollten (vgl abermals US 14 f).

[10] Die Subsumtionsrüge (Z 10) reklamiert die rechtliche Unterstellung der dem Angeklagten zur Last liegenden Taten unter „§ 107b Abs 3a Z 3 StGB“, übersieht dabei jedoch, dass der Entscheidung (ungeachtet der mit Blick auf die Anklage auch darauf Bezug nehmenden Rechtsausführungen [US 15 f]) bereits die für die Verwirklichung des Grundtatbestands (§ 107b Abs 1 StGB) erforderlichen Feststellungen zur objektiven (vgl RIS‑Justiz RS0127377; RS0129716 [T4]) wie auch zur subjektiven Tatseite (vgl Schwaighofer in WK2 StGB § 107b Rz 27) gerade nicht zu entnehmen sind, und verfehlt damit den Bezugspunkt materiell‑rechtlicher Nichtigkeit (erneut RIS‑Justiz RS0099810).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

[11] Indem die Mängelrüge (nominell Z 5 dritter Fall) einen Widerspruch zwischen einer Passage der rechtlichen Beurteilung (US 16) und dem „Urteilstenor“ behauptet, verfehlt sie eine am Gesetz ausgerichtete Darstellung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (vgl dazu Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 436 f). Soweit sich das weitere auf Z 5 (nominell erster und zweiter Fall) gestützte Vorbringen gegen gar nicht getroffene Feststellungen richtet, lässt es den Bezugspunkt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (zu diesem Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 393 [und Rz 600 sowie RIS‑Justiz RS0118580 zur gesetzmäßigen Geltendmachung von Feststellungsmängeln]) außer Acht.

[12] Die auf eine anklagekonforme Verurteilung abzielende Subsumtionsrüge (Z 10) übersieht, dass der Entscheidung (ungeachtet der darauf Bezug nehmenden Rechtsausführungen [US 15 f]) – wie bereits ausgeführt – bereits die für die Verwirklichung des Grundtatbestands des § 107b Abs 1 StGB erforderlichen Feststellungen zur objektiven (vgl RIS‑Justiz RS0127377; RS0129716 [T4]) wie auch zur subjektiven Tatseite (vgl Schwaighofer in WK2 StGB § 107b Rz 27) nicht zu entnehmen sind, und verfehlt damit ebenfalls den Bezugspunkt materiell‑rechtlicher Nichtigkeit.

 

[13] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur waren die Nichtigkeitsbeschwerden daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten folgt (§ 285i StPO).

 

[14] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO (vgl Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 8; RIS‑Justiz RS0108345 [T2]).

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