OGH 10ObS90/24v

OGH10ObS90/24v8.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Manfred Joachimsthaler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Anton Starecek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Kammer der Arbeiter und Angestellten der Land‑ und Forstwirtschaft für Oberösterreich, 4020 Linz, Scharitzerstraße 9, vertreten durch Dr. Thomas Schweiger, LL.M., Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1100 Wien, Wienerbergstraße 11, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Dr. Simone Metz, LL.M., Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Zuschusses nach Entgeltfortzahlung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 3. Juli 2024, GZ 12 Rs 66/24 y‑19, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00090.24V.1008.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist (nur) die Frage, ob die Klägerin, die im Jahr 2022 durchschnittlich 14 Mitarbeiter beschäftigte, ein „Unternehmen“ iSd § 53b Abs 2 Z 1 ASVG betreibt.

[2] Die Klägerin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs 2 Oö Landarbeiterkammergesetz 1996 [LAKG]), deren Aufgabe es ist, die Kammermitglieder in beruflichen, wirtschaftlichen, rechtlichen, sozialen und kulturellen Fragen zu informieren, zu beraten und ihre Interessen vor Behörden, Gerichten und Dienststellen wahrzunehmen (§ 1 Abs 1, § 6 Oö LAKG). Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Rechtsberatung, der Abhaltung von Aus‑ und Weiterbildungsveranstaltungen sowie der Förderung ihrer Mitglieder (zB durch Beihilfen). Nach § 49 Z 2 Oö LAKG werden die finanziellen Erfordernisse der Klägerin (ua) durch Einnahmen der eigenen Einrichtungen und Veranstaltungen gedeckt. Die Mitglieder erbringen als Gegenleistung eine vom berufenen Sozialversicherungsträger einbehaltene und direkt an die Klägerin abgeführte Kammerumlage, deren Höhe an geänderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen angepasst werden kann (§ 50 Oö LAKG). Die Klägerin erbringt zudem Leistungen, die auch von nicht kammerzugehörigen Personen in Anspruch genommen werden können, wie insbesondere Aus‑ und Weiterbildungen gegen Entgelt (zB Staplerfahrer, Lehrlingsausbildner, Gefahrgutlenker, Erste Hilfe etc).

[3] Mit Bescheid vom 20. Oktober 2023 lehnte die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin, ihr einen Zuschuss nach Entgeltfortzahlung für die Arbeitsverhinderung eines Dienstnehmers in der Zeit von 19. Juli 2023 bis 9. August 2023 zu gewähren, ab.

[4] Die Vorinstanzen sprachen der Klägerin mit Grundurteil gemäß § 89 Abs 2 ASGG den begehrten Zuschuss nach Entgeltfortzahlung zu und trugen der Beklagten eine vorläufige Zahlung von 500 EUR auf.

Rechtliche Beurteilung

[5] In ihrer außerordentlichen Revision spricht die Beklagte keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO an.

[6] 1. Hat das Berufungsgericht – wie hier – den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung als nicht gesetzmäßig ausgeführt erachtet und deshalb die sachliche Behandlung der Rechtsrüge in der Berufung verweigert, muss dies in der Revision als Mangelhaftigkeit bekämpft werden; ansonsten ist dem Obersten Gerichtshof die sachrechtliche Überprüfung verwehrt (RS0043231). Daran ändert es nichts, wenn – wie hier – das Berufungsgericht trotz seiner Auffassung, es liege keine (gesetzmäßig ausgeführte) Rechtsrüge vor, „der Vollständigkeit halber“ Rechtsausführungen machte (RS0043231 [T2, vgl auch T5, T8]).

[7] Die Revisionswerberin hat dem Berufungsgericht seine Beurteilung nicht als Mangel vorgeworfen, sodass nach der zitierten Rechtsprechung der Oberste Gerichtshof die Rechtsrüge der Revision nicht überprüfen darf.

2. Aus folgenden Gründen bestünden aber gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts keine Bedenken:

[8] 2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung zielt § 53b Abs 2 Z 1 ASVG auf Klein‑ und Mittelunternehmen ab, indem nur jene Dienstgeber Anspruch auf einen Zuschuss iSd Abs 1 leg cit haben, die nicht mehr als die vorgesehene Anzahl von 50 Dienstnehmern „in ihrem Unternehmen“ beschäftigen (RS0120891; RS0121346). Den Ausgangspunkt bildet dabei der allgemeine Unternehmensbegriff des § 1 Abs 2 UGB, wonach „jede auf Dauer angelegte Organisation selbständiger wirtschaftlicher Tätigkeit, mag sie auch nicht auf Gewinn ausgerichtet sein“, ein Unternehmen ist (10 ObS 73/24v Rz 15; 10 ObS 55/18p ErwGr 4.2 ua). Für eine Einschränkung der Anspruchsberechtigung dahin, dass Gebietskörperschaften oder sonstige Körperschaften öffentlichen Rechts von Zuschüssen ausgeschlossen sind, weil die Verfolgung gewerblicher oder wirtschaftlicher Belange nicht den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit darstelle, bietet weder der Gesetzeswortlaut Anhaltspunkte, noch stünde das im Einklang mit dem weiten Verständnis des Begriffs „Unternehmen“ (RS0120891 [T2]; 10 ObS 158/06t ua).

[9] 2.2. Grundlage des Unternehmens ist das zentrale Tatbestandselement der wirtschaftlichen Tätigkeit, die dann vorliegt, wenn wirtschaftlich werthafte Leistungen erbracht werden, die insofern eine Wirkung nach außen haben, als sie einem „Publikum“ respektive einem Markt gegen (zumindest kostendeckendes) Entgelt angeboten werden (6 Ob 32/20d ErwGr 2.3.; 10 ObS 55/18p ErwGr 4.2; 10 ObS 170/06g ua). Ob das der Fall ist, ist anhand der Umstände des jeweiligen Falls im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu beurteilen (10 ObS 73/24v Rz 16; RS0065317 [T3]).

[10] 2.3. Mit ihrer Ansicht, dass die Klägerin jedenfalls insoweit unternehmerisch tätig sei, als sie (auch) Außenstehenden Aus‑ und Weiterbildungsveranstaltungen gegen Entgelt anbietet, haben die Vorinstanzen den ihnen zukommenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten.

[11] 2.3.1. Wenn die Beklagte behauptet, die Klägerin trete bloß als Vermittler von Aus‑ und Weiterbildungskursen anderer Anbieter auf, wobei sie ihren Mitgliedern Zuschüsse zu den Kurskosten gewähre, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Nach diesem „erbringt“ die Klägerin die in Rede stehenden Leistungen und stellt sie auch Nichtmitgliedern gegen Entgelt zur Verfügung.

[12] 2.3.2. Bei ihrem Hinweis auf den ihrer Ansicht nach eng umschriebenen Aufgabenbereich des § 6 Oö LAKG übersieht die Beklagte, dass dieser nur eine demonstrative Aufzählung enthält (arg „insbesondere“). Selbst wenn man ihrer Ansicht folgen und in § 49 Z 2 Oö LAKG keine ausreichende Grundlage für das Anbieten von Leistungen an Dritte erkennen würde, legt die Beklagte nicht dar, warum das behauptetermaßen bloße Überschreiten der Aufgaben der Klägerin (durch Ausweiten des Angebots auf Externe) die Annahme einer unternehmerischen Tätigkeit in jedem Fall ausschließen soll (vgl § 6 UGB; zum Meinungsstand: Krejci/Haberer in Zib/Dellinger, UGB § 1 Rz 45; Straube/Ratka/Jost in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4 § 1 Rz 81; Artmann/Herda in Artmann 3 § 1 UGB Rz 43 ua).

[13] 2.3.3. Die Behauptung, die angebotenen Aus‑ und Weiterbildungskurse seien tatsächlich keine wirtschaftlich werthaften Leistungen (vgl dagegen Straube/Ratka/Jost, aaO, § 1 Rz 59; Krejci in Rummel ABGB3 § 1 KSchG Rz 16), bleibt gänzlich unbegründet, sodass darauf schon deshalb nicht weiter einzugehen ist. Nicht nachvollziehbar ist auch, warum etwa ein Erste Hilfe‑Kurs oder eine Aus‑ bzw Weiterbildung zum Stapler‑ oder Gefahrgutfahrer, Lehrlingsausbildner etc dem „sozialpolitischen Bereich“ angehören und die Klägerin damit keine Unternehmensinteressen verfolgen soll.

[14] 2.3.4. Aus welchen Gründen der in der Revision thematisierten Frage, ob zu anderen Wettbewerbern ein Wettbewerbsverhältnis vorliegt und Wettbewerbsabsicht iSd § 1 UWG besteht, Bedeutung zukommen könnte, legt die Beklagte nicht offen. Sie klärt auch nicht auf, worauf sich ihre Ausgangsprämisse, für die festgestellten Kurse gäbe es keine anderen Anbieter, stützt. Die Größe des Marktes ist jedenfalls nicht von Bedeutung (3 Ob 34/12i ErwGr 3.); dass es sich beim Anbieten der Aus‑ und Weiterbildungen nur um Gelegenheitsgeschäfte handelt, behauptet die Beklagte (mit Blick auf die Feststellungen zum Schwerpunkt der Tätigkeit der Klägerin zu Recht) nicht.

[15] 2.3.5. Schließlich ist auch der Rechtsrüge der Revision zu attestieren, dass sie auf weite Strecken nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht und daher nicht gesetzmäßig ausgeführt ist.

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