OGH 1Ob81/24d

OGH1Ob81/24d25.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Z*, vertreten durch Mag. Johannes Kerschbaumer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt *, und die erste Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei W* GmbH, *, beide vertreten durch die RUDECK - SCHLAGER RECHTSANWALTS KG in Wien, sowie die zweite Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei P* GmbH, *, vertreten durch Dr. Andreas Huber, Rechtsanwalt in Wien, wegen 50.366,47 EUR und Feststellung, über die außerordentlichen Revisionen der beklagten Partei und der ersten Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei einerseits sowie der zweiten Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei andererseits gegen das Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. März 2024, GZ 5 R 9/24s-73, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 31. Oktober 2023, GZ 69 Cg 14/23w‑63, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00081.24D.0925.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird Folge gegeben.

Das zum Zahlungsbegehren gefasste Teilzwischenurteil wird aufgehoben.

Dem Berufungsgericht wird insoweit die neuerliche Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Ehemann der Klägerin ist Mieter einer von der Beklagten vermieteten Wohnung. Die Klägerin stürzte auf einem vereisten Weg innerhalb der Wohnhausanlage und verletzte sich dabei. Die erste Nebenintervenientin auf Seite der Beklagten war von dieser mit dem Winterdienst für die Liegenschaft beauftragt worden. Sie gab den Auftrag an die zweite Nebenintervenientin weiter.

[2] Die Klägerin begehrt Schadenersatz, weil die Beklagte bzw die ihr zuzurechnenden Nebenintervenientinnen den Weg nicht geräumt oder gestreut hätten, weshalb sie auf diesem gestürzt sei. Die Klägerin erhob neben ihrem auf Schmerzengeld, Ersatz des Pflegeaufwands und entgangenen Verdienstes sowie weiterer unfallkausaler Aufwendungen gerichteten Zahlungsbegehren auch ein Feststellungsbegehren.

[3] Die Beklagte und beide Nebenintervenientinnen wandten im Wesentlichen ein, dass sie kein Verschulden am Sturz der Klägerin treffe. Der Weg, auf dem sich der Unfall ereignet habe, sei ordnungsgemäß geräumt und bestreut worden. Dass sich auf diesem dennoch Glatteis gebildet habe, sei aufgrund der besonderen Witterungsbedingungen zum Unfallszeitpunkt nicht zu verhindern gewesen.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[5] Es ging davon aus, dass sich die Klägerin als Mitbewohnerin des Mieters (nur) auf eine vertragliche Haftung der Beklagten stützen könne. Der von der Klägerin benutzte Weg, auf dem sich der Unfall ereignete, sei (kurz) vor dem Unfall nicht bestreut worden. Allerdings habe – aufgrund der besonderen Witterungsbedingungen („Blitzeis“) – nicht festgestellt werden können, dass ihr Sturz bei erfolgter Bestreuung des Wegesunterblieben wäre. Der Klägerin sei daher der Nachweis der Kausalität der unterbliebenen Streuung für ihren Sturz nicht gelungen.

[6] Das Berufungsgericht änderte die erstinstanzliche Entscheidung überdas Zahlungsbegehren mit Teilzwischenurteil dahin ab, dass dieses dem Grunde nach zu Recht bestehe. Die ordentliche Revision sei mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig. Im Übrigen – also hinsichtlich des Feststellungsbegehrens – hob es die Entscheidung des Erstgerichts auf, ohne auszusprechen, dass insoweit der Rekurs zulässig sei.

[7] Die Negativfeststellung zur Kausalität der unterbliebenen Streuung des Weges für den Sturz der Klägerin sei „überschießend“, weil die Beklagte dazu kein Vorbringen erstattet habe. Von den Parteibehauptungen nicht gedeckte Feststellungen hätten unberücksichtigt zu bleiben. Da ein Kausalzusammenhang zwischen den von der Beklagten pflichtwidrig unterlassenen Streumaßnahmen und dem Sturz der Klägerin nach der Lebenserfahrung überwiegend wahrscheinlich sei, bestehe das Zahlungsbegehren, dessen Höhe noch nicht beurteilt werden könne, dem Grunde nach zu Recht. Da auch zum Feststellungsbegehren maßgebliche Feststellungen fehlten, sei die erstinstanzliche Entscheidung insoweit aufzuheben.

[8] Mit der – jeweils auf die Negativfeststellung zur Kausalität der unterbliebenen Bestreuung der Unfallörtlichkeit für den Sturz bezogenen – Verfahrens- und Beweisrüge der Klägerin setzte sich das Berufungsgericht aufgrund der von ihm vertretenen Rechtsansicht nicht auseinander.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionen der Beklagten sowie der Erstnebenintervenientin einerseits und der Zweitnebenintervenientin andererseits sind jeweils zulässig und mit ihrem hilfsweisen Aufhebungsantrag auch jeweils berechtigt:

[10] 1. Beide Rechtsmittel wenden sich zu Recht – weil das Berufungsgericht den Rekurs gegen den aufhebenden Teil seiner Entscheidung (zum Feststellungsbegehren) nicht zuließ – nur gegen die Abänderung der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung über das Zahlungsbegehren in ein die Haftung dem Grunde nach bejahendes Zwischenurteil.

[11] 2. Überschießende und daher unbeachtliche Feststellungen liegen nicht schon vor, wenn sich diese nicht wörtlich mit den Parteibehauptungen decken, sondern nur, wenn sie sich nicht im Rahmen des Klagegrundes oder der Einwendungen halten (RS0040318 [T1, T6, T16]). Wird eine vom Vorbringen gedeckte Feststellung unzutreffend als überschießend qualifiziert und nicht berücksichtigt, begründet dies eine unrichtige rechtliche Beurteilung der Rechtssache (6 Ob 64/22p mwN). Da die Klägerin behauptete, deshalb gestürzt zu sein, weil es die Beklagte unterlassen habe, den Weg von Eis zu befreien oder zu bestreuen, betrifft die dazu getroffene Negativfeststellung den Klagegrund. Sie bringt nichts anderes zum Ausdruck, als dass der Klägerin der (ihr obliegende; siehe unten) Beweis ihrer Behauptung nicht gelungen sei. Die Negativfeststellung ist daher nicht überschießend (vgl etwa 6 Ob 64/22p).

[12] 3. Auf Grundlage der vom Berufungsgericht zu Unrecht unberücksichtigt gelassenen – von der Klägerin allerdings in der Berufung bekämpften – Negativfeststellung zur Kausalität käme dem Klagebegehren aber kein Erfolg zu:

[13] Auch bei einer Schädigung durch Unterlassung trifft den klagenden Geschädigten – auch bei Verletzung (neben-)vertraglicher Pflichten – die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass der Schaden bei gebotenem Verhalten nicht eingetreten wäre (RS0022900 [insb T5, T11]). Allerdings sind die Anforderungen an den Beweis des bloß hypothetischen Kausalverlaufs bei einer Unterlassung geringer als an den Nachweis der Verursachung bei einer Schadenszufügung durch positives Tun. Für die Kausalität einer Unterlassung gilt demnach das Beweismaß überwiegender Wahrscheinlichkeit (RS0022900). Das Erstgericht ging zutreffend von diesem Beweismaß aus. Dass es auf dieser Grundlage dennoch eine Negativfeststellung traf, fiele der Klägerin zur Last, der damit der Nachweis ihres Anspruchs nicht gelungen wäre.

[14] 4. Das Berufungsgericht ließ die Verfahrens- und Beweisrüge der Klägerin zur genannten Negativfeststellung unerledigt. Es kann daher derzeit noch nicht beurteilt werden, ob das Ersatzbegehren an der fehlenden Kausalität der unterbliebenen Streuung für den Sturz der Klägerin scheitert. Die angefochtene Entscheidung ist daher im angefochtenen Umfang (also hinsichtlich des Zwischenurteils) aufzuheben und die Rechtssache zur Entscheidung über die Verfahrens- und Beweisrüge der Klägerin an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (RS0043371 [T11]). Wenn das Berufungsgericht der Auffassung ist, dass im konkreten Fall ein typischer Geschehensablauf vorliegt (Anscheinsbeweis), wird es das – weil der Tatfrage zuzuordnen (RS0022624 [T1]; RS0040196 [T18]) – bei der Erledigung der Beweisrüge zu berücksichtigen haben.

[15] 5. Für eine Prüfung des zur Entscheidung über das Feststellungsbegehren ergangenen Aufhebungsbeschlusses besteht mangels Ausspruchs nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO keine Grundlage (RS0043854 [T1]). Dies ändert aber nichts daran, dass das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren über das Feststellungsbegehren an die rechtliche Beurteilung des Obersten Gerichtshofs gebunden ist (RS0042279 [T3]).

[16] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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