European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00113.24D.0923.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wirdFolge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts – einschließlich der Kostenentscheidung – wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 12.923,36 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten 6.104 EUR Barauslagen und 1.136,56 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin betreibt einen Getreidemühlen-Betrieb. Sie hat bei der Beklagten einen aufrechten Feuerversicherungsvertrag. Die maßgeblichen Bestimmungen der darauf anwendbaren Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Feuerversicherung (AFB 2002/Stufe 2) lauten auszugsweise:
„ Artikel 1
Versicherte Gefahren und Schäden
1. Versicherte Gefahren
1.1. Brand: Brand ist ein Feuer, das sich mit schädigender Wirkung und aus Kraft ausbreitet (Schadenfeuer). [...]“
[2] Im Zeitraum vom 24. 12. 2021 bis 9. 1. 2022 wurde im Unternehmen der Klägerin aufgrund eines Betriebsurlaubs ein Ölradiator aufgestellt, um Frostschäden während dieser Zeit zu verhindern. Dieser Ölradiator wurde zu diesem Zweck bereits mehr als zehn Jahre lang verwendet, ohne dass es einmal Probleme gegeben hätte. Während dieses Zeitraums befand sich der Ölradiator nicht im Dauerbetrieb, sondern wurde ausschließlich – wie auch am Nachmittag vor dem Schadenereignis – in Betrieb genommen, wenn die Gefahr von Frostschäden bestand. Am 3. 1. 2022 kam es im Unternehmen der Klägerin zu einem nicht bestimmungsgemäßen unkontrollierten Brennen der Bestandteile (brennbare Kunststoffteile und Kunststoffe der elektrischen Bauteile) des Ölradiators. Die Bestandteile des Ölradiators wurden zu einem Großteil thermisch umgesetzt. Die Brandausbruchsstelle befand sich im Ölradiator, wobei der Brand auf einen elektrischen Kurzschluss an den Bauteilen des Ölradiators, konkret im Bereich des Schnellheizers, zurückzuführen ist. Aufgrund der Platzierung des Ölradiators in ausreichender Entfernung von brennbaren Stoffen und auf nicht brennbarem Untergrund blieb der Brand auf den Ölradiator begrenzt. Die abtropfenden Kunststoffteile wären jedoch in der Lage gewesen, in der Nähe gelagerte brennbare Stoffe in Brand zu setzen.
[3] Die Klägerin begehrt den Klagsbetrag von der Beklagten zur Deckung der bei diesem Ereignis eingetretenen Schäden.
[4] Die Beklagtebestreitet das Vorliegen eines „Brandes“ im Sinne der Versicherungsbedingungen.
[5] Das Erstgerichtgab dem Klagebegehren statt. Das Brandereignis am 3. 1. 2022 sei als Schadenfeuer zu qualifizieren, weil die Fähigkeit zum zündenden Weitergreifen auf andere Stoffe jedenfalls gegeben gewesen sei.
[6] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung in eine klagsabweisende ab, weil die hier vereinbarten AFB 2002 bei der Definition eines „Brandes" auf die tatsächliche Ausbreitung und nicht wie die bisher in der Rechtsprechung behandelten Klauseln auf die selbständige Ausbreitungsfähigkeit des Feuers abstellen würden. Es ließ die ordentliche Revision zu, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zu Versicherungsbedingungen fehle, die nunmehr auf eine „Ausbreitung“ und nicht mehr auf die „selbstständige Ausbreitungsfähigkeit“ eines Feuers abstellen.
[7] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung in eine Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[8] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch berechtigt.
[10] 1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).
[11] 2.1. Der Oberste Gerichtshof hatte bislang Versicherungsbedingungen für die Feuerversicherung zu beurteilen, die als „Brand“ ein Feuer definierten, das ohne einen bestimmungsmäßigen Herd entsteht oder ihn verlässt und sich aus eigener Kraft auszubreiten vermag (7 Ob 55/04w; 7 Ob 274/03z zu den AFB 1984).
[12] 2.2. Ein Brand setzt nach dieser Bedingungslage ein Feuer voraus. Als Feuer wird jeder Verbrennungsvorgang mit Lichterscheinung verstanden, wobei die Lichterscheinung in Flammen, Funken oder in einem Glimmen bestehen kann, solange die Bedingungen – wie hier – keine Flammenbildung vorsehen (vgl 7 Ob 28/19x mwN). Diese Voraussetzung ist hier unzweifelhaft erfüllt.
[13] 2.3. Die in den bisherigen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs beurteilte Bedingungslage setzte überdies voraus, dass es sich um ein Feuer handelt, das ohne bestimmungsgemäßen Herd entstanden sein oder ihn verlassen haben muss. Das betrifft die Abgrenzung des Schadenfeuers vom Nutzfeuer und ist in der aktuellen Bedingungslage nicht mehr ausdrücklich angeführt, weshalb darauf hier nicht näher einzugehen ist.
[14] 2.4. Ein weiteres Kriterium für das Vorliegen eines „Brandes“ ist die Abgrenzung zum Bagatellfeuer, die in den bisher beurteilten Bedingungen mit der Wortfolge „[…] dass sich das Feuer aus eigener Kraft auszubreiten vermag“ vorgenommen wurde. Dazu hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen: Selbständige Ausbreitungsfähigkeit des Feuers setzt voraus, dass es im konkreten Fall – wenn auch nur unter den dann vorliegenden besonderen atmosphärischen Bedingungen – die Fähigkeit zum zündenden Weitergreifen auf andere Stoffe aufweist. Das Feuer muss daher die von ihm für eine wenigstens geringfügige, über seine Ausgangsstelle hinausgehende Ausdehnung im Raum benötigte Energie als Reaktionsenergie selbst ausreichend bereitstellen (7 Ob 28/19x mwN).
[15] 2.5. Auch in Deutschland wird dieser versicherungsrechtliche Brandbegriff verwendet und zur Ausbreitungsfähigkeit darauf abgestellt, dass das Feuer in der Lage war, sich aus eigener Kraft weiter auszubreiten, nicht aber, dass es sich bereits ausgebreitet hat (vgl etwa Klimke in Reusch/Schimikowski/Wandt, Sachversicherung4 [2022] § 3 Rz 33; Spielmann in Langheid/Wandt, MüKo VVG III2 Kap 200 Rz 13).
[16] 2.6. Die selbständige Ausbreitungsfähigkeit wurde in der bisherigen Rechtsprechung etwa bejaht, wenn das unkontrollierbare Ausbreiten der Glut eines unmittelbar beim Schweißen aufgetretenen Glimmbrands inmitten einer 10 cm dicken Sägemehlschicht nur durch Einsatz eines Feuerlöschers eingedämmt werden konnte und sich der Glimmbrand nach der Lebenserfahrung jederzeit erneut unkontrolliert auszubreiten vermag (7 Ob 184/98d), oder, wenn Flammen aus einem ausschließlich nach dem Prinzip der Lufterhitzung und nicht der Feuerung durch Flammung funktionierenden stromgesteuerten und ölbeheizten Backofen schlagen (7 Ob 274/03z).
[17] 2.6.1. In der Entscheidung 7 Ob 55/04w wurde betont, die Ausbreitungsfähigkeit setze voraus, dass sich das Feuer aus eigener Kraft über den Ort der ersten Entstehung hinaus auszubreiten vermöge. Gegenständlich war dort ein Vorfall in einem Backofen, der zu einem Wärmestau samt örtlicher Überhitzung mit Glosen und Schwelen sowie Schmelzen von Dämmmaterial im Inneren des Ofens geführt hatte. Dieser Vorgang ist in einem Teil des Backofens, nämlich im Temperaturregelgerät, entstanden und hatte sich in der Folge auf andere Teile des Backofens (das Dämmmaterial) ausgebreitet, allerdings den Ofen nie verlassen. Dieses Ereignis wurde vom Obersten Gerichtshof als „Brand“ im Sinne der dortigen Bedingungslage beurteilt (vgl auch diese Entscheidung zustimmend referierend: 7 Ob 67/04k).
[18] 2.6.2. Für eine Ausbreitung des Feuers ist damit lediglich erforderlich, dass es sich von dem Ort seiner ersten Entstehung selbständig entfernt; eine geringfügige räumliche Ausdehnung reicht daher (vgl 7 Ob 28/19x; Saria in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG § 82 Rz 9; Kath/Kronsteiner ua, Praxishandbuch Versicherungsvertragsrecht I, Rz 1934; Gisch, Brandbegriff in der Feuerversicherung, ZVers 2023, 42 f). Eine großflächige oder gar potentiell unbeschränkte weitere Ausbreitung des Feuers verlangt der Wortlaut der Definition nicht. Das ist nach dem erkennbaren Zweck der Regelung auch nicht geboten, weil es sich bei jeder drohenden Ausbreitung über den ersten Entstehungs- oder Ausbreitungsort hinaus potentiell nicht mehr nur um ein Bagatellfeuer handelt (vgl zur deutschen Bedingungslage Klimke in Reusch/Schimikowski/Wandt, Sachversicherung4 [2022] § 3 Rz 38; Wälder in Wälder/Hoenicke/Krahe, Sach- und Betriebsunterbrechungsversicherung [2022] B Rz 51 mwN).
[19] 2.7. Hier liegt – unabhängig davon, ob sich im konkreten Fall das Feuer nicht ausgehend von den Kriterien der oben angeführten bisherigen Rechtsprechung ohnehin bereits innerhalb des Ölradiators vom Schnellheizer auf die anderen brennbaren Teile „ausgebreitet“ hat – unzweifelhaft ein ausbreitungsfähiges Feuer vor, weil nach den erstgerichtlichen Feststellungen die abtropfenden Kunststoffteile in der Lage gewesen wären, in der Nähe gelagerte brennbare Stoffe in Brand zu setzen.
[20] 2.8. Zu beurteilen bleibt damit, ob die nach früherer Bedingungslage unzweifelhaft ausreichende Ausbreitungsfähigkeit des Feuers (arg: „vermag“) auch nach aktueller Bedingungslage für die Beurteilung als „Brand“ im Sinn der Versicherungsbedingungen ausreicht. Das ist zu bejahen:
[21] 2.8.1. Kath (Praxishandbuch Versicherungsvertragsrecht [2019] Rz 1931) führt zur neuen Bedingungslage aus, dass mit der Verkürzung der Definition verschiedene Schwierigkeiten, die sich in der Praxis aus dem Begriff „bestimmungsmäßiger Herd" ergeben hatten, vermieden werden, ohne dass mit der sprachlichen Neufassung inhaltliche Änderungen angestrebt worden seien. Zur Begriffsklärung könne somit im Wesentlichen auf die Lehre und Rechtsprechung zum Brandbegriff nach der früheren Fassung der AFB zurückgegriffen werden. Er stellt daher auch weiterhin auf die Ausbreitungsfähigkeit des Feuers ab (vgl Kath aaO Rz 1934).
[22] 2.8.2. Auch Gisch (Brandbegriff in der Feuerversicherung, ZVers 2023, 42) geht für die hier vorliegenden AFB 2002, die den Brand als ein Feuer definieren, das sich mit schädigender Wirkung und aus eigener Kraft ausbreitet, vom weiterhin gültigen Kriterium der selbständigen Ausbreitungsfähigkeit des Feuers aus. Durch dieses Kriterium werde die Feuerversicherung von einer Auseinandersetzung mit Bagatellfeuern freigehalten.
[23] 2.8.3. Für diese Auslegung lässt sich sprachlich ins Treffen führen, dass mit der Verwendung des Indikativs in der Wortfolge „ein Feuer, das sich mit schädigender Wirkung und aus Kraft ausbreitet “, die in der neuen Bedingungslage das Schadenfeuer definiert, anders als dies zB mit der Wortfolge „ein Feuer, das sich ... ausgebreitet hat“ zum Ausdruck gebracht würde nicht zwingend eine tatsächlich erfolgte Ausbreitung, sondern eine grundsätzliche Eigenschaft des Feuers beschrieben wird.
[24] 2.9. Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass auch nach der neuen Bedingungslage der AFB 2002 ein Schadenfeuer ein solches ist, das die Fähigkeit besitzt, sich selbständig auszubreiten. Das Vorliegen eines Brandes im Sinne dieser Versicherungsbedingungen ist nicht davon abhängig, ob sich das Feuer tatsächlich ausgebreitet hat oder die Ausbreitung – etwa durch rechtzeitige Löscharbeiten oder wie hier die Platzierung der Brandquelle entfernt von brennbarem Material – noch verhindert werden konnte.
[25] 3. Soweit die Beklagte in der Revisionsbeantwortung eine Gefahrenerhöhung ins Treffen führt, entfernt sie sich von den Feststellungen, wonach der Ölradiator gerade nicht im ununterbrochenen Betrieb war.
[26] 4. Der Revision war daher Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
[27] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.
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