OGH 13Os17/24k

OGH13Os17/24k11.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. September 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Wachter in der Finanzstrafsache gegen * St* und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit b und Abs 3 lit b FinStrG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten * St* und * L* sowie die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 26. September 2023, GZ 128 Hv 14/23a‑250, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00017.24K.0911.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Wirtschaftsstrafsachen

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten * St* und * L* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last, die nicht durch das erfolglos gebliebene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verursacht worden sind.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit hier von Bedeutung – * St* und * L* jeweils des Vergehens der organisierten Schwarzarbeit nach § 153e Abs 1 Z 2 erster Fall StGB schuldig erkannt.

[2] Danach haben sie vom August 2011 bis zum April 2013 durchgehend sowie im Februar 2015 in W* als faktische Geschäftsführer von im Urteil genannten Gesellschaften im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) gewerbsmäßig eine – im Urteil nach einzelnen Monaten gegliedert aufgelistete – stets größere Zahl illegal erwerbstätiger Personen beschäftigt.

[3] Hingegen wurden die Angeklagten * St* und * L* – soweit hier von Bedeutung – von den weiters gegen sie erhobenen Vorwürfen freigesprochen, sie hätten jeweils vorsätzlich unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten als faktische und auch die abgabenrechtlichen Agenden wahrnehmende Geschäftsführer der Unternehmen I* Gesellschaft m.b.H., A*gesellschaft m.b.H., H* GmbH, G* Gesellschaft m.b.H., K* Gesellschaft mbH, P* KG, R* Gesellschaft m.b.H., S* GmbH sowie AA * GmbH und damit als abgabenrechtlich Verantwortliche „an den jeweiligen gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten im Zuständigkeitsbereich der Finanzstrafbehörde Wien“ im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 11 erster Fall FinStrG) betreffend die Jahre 2009 bis 2016 Abgabenverkürzungen bewirkt, dies in den Jahren 2011 bis 2016 unter Verwendung von Scheingeschäften oder anderen Scheinhandlungen (§ 23 BAO), wobei sie den Abgabenbetrug (2011 bis 2016) mit einem 500.000 Euro übersteigenden strafbestimmenden Wertbetrag begingen (im Detail US 5 bis 10).

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen den Schuldspruch richten sich die von den Angeklagten * St* und * L* auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden.

[5] Gegen den Freispruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, „in eventu iVm § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall“ StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des * St*:

[6] Nach den Feststellungen des Erstgerichts beschäftigte der Angeklagte im bewussten und gewollten Zusammenwirken (§ 12 erster Fall StGB) mit der Mitangeklagten * L* in den Monaten August 2011 bis April 2013 durchgehend sowie im Februar 2015 gleichzeitig jeweils mehr als zehn weisungsgebundene und unselbständig erwerbstätige Personen bei verschiedenen von ihm und L* faktisch sowie wirtschaftlich beherrschten Gesellschaften, indem er die im Anhang I der angefochtenen Entscheidung genannten Personen Monteur-, Glaser- und Malerarbeiten oder Bürotätigkeiten verrichten ließ, diese Personen aber gar nicht oder mit einem geringeren als dem ausbezahlten Lohn bei der Sozialversicherung anmeldete (US 23 ff).

[7] Mit dem Vorwurf, das Erstgericht habe sich „mit pauschalen Verweisen auf 'in Anhang I' gelisteter Namen von Personen, dort erfasste Zeiträume und dort genannte Berufsbilder sowie dem bloßen Verweis auf eine 'im Anhang II' ersichtliche Spalte 'Arbeitgeber' (vgl. Auflistungen Anhang II., Spalte Arbeitgeber) begnügt“ und „mit Stillschweigen übergangen“, dass bei einer Vielzahl von Personen „keine Zuordnung zu einem konkreten I*‑Unternehmen möglich“ sei, bezeichnet die Rüge keinen Nichtigkeitsgrund deutlich und bestimmt.

[8] Feststellungen können auch durch einen Verweis auf Aktenbestandteile getroffen werden (RIS‑Justiz RS0119301; Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 32). Aufgrund entsprechender Verweise handelt es sich somit fallbezogen bei den Anhängen I und II zum Urteil um Urteilsbestandteile (siehe US 23 f, 121), in denen sich sowohl Feststellungen finden als auch – den Beschwerdeausführungen (Z 5 vierter Fall) zuwider – die diesen zugrundeliegenden (und in der Hauptverhandlung vorgekommenen [ON 249 S 7]) Beweisergebnisse angeführt sind (vgl dazu die detaillierte Angabe der jeweiligen Fundstellen in den Anhängen, wobei sich die von der Beschwerde vermissten Beweisergebnisse etwa für den Zeitraum Februar 2015 unter anderem in [der im Anhang I zum Jahr 2015 zitierten] ON 190 [S 257 ff] finden).

[9] Unter dem Aspekt fehlender Feststellungsgrundlage (Z 9 lit a) argumentiert die Beschwerde insoweit nicht auf der Basis der – durch die bezeichneten Verweise – getroffenen Urteilskonstatierungen (siehe aber RIS‑Justiz RS0099810).

[10] Welchem konkreten „I*‑Unternehmen“ (als bloß formalem Dienstgeber) die illegal beschäftigten Personen zugeordnet werden können, betrifft der Mängelrüge (nominell Z 5 zweiter Fall) zuwider auf Basis der festgestellten Beschäftigung durch die Angeklagten und deren faktischer Geschäftsführung hinsichtlich sämtlicher in Rede stehender „I*‑Unternehmen“ (US 21) keine entscheidende Tatsache (RIS‑Justiz RS0106268 und RS0117264). Davon abgesehen haben sich die Tatrichter gar wohl mit der Anlage 91 zu ON 75 auseinandergesetzt (US 61) und die teilweise Nichtzuordenbarkeit bestimmter Beschäftigter „zu einem konkreten I*‑Unternehmen“ ausdrücklich festgestellt (siehe die Anmerkungen unter „Arbeitgeber“ und „Fundstellen“ in der [jeweils zeitraumbezogenen] Anlage II zur angefochtenen Entscheidung).

[11] Unter dem Aspekt materiell‑rechtlicher Nichtigkeit leitet die Rüge nicht aus dem Gesetz ab (dazu RIS‑Justiz RS0116565), weshalb es zur Strafbarkeit nach § 153e Abs 1 Z 2 erster Fall StGB Urteilsfeststellungen auch dazu bedurft hätte, in welchen der im Einflussbereich der Angeklagten St* und L* stehenden „I*‑Gesellschaften“ die im Anhang I zum Urteil namentlich angeführten Personen von den Angeklagten jeweils beschäftigt worden sind.

[12] Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO sei hinzugefügt, dass es für die Strafbarkeit nach § 153e Abs 1 StGB nicht von Bedeutung ist, ob die in Rede stehenden Taten vom Angeklagten als Dienstgeber oder leitendem Angestellten (dazu § 153e Abs 2 StGB) begangen worden sind (Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 153e Rz 4).

[13] Die Behauptung fehlender Begründung der Feststellungen, wonach der Angeklagte wiederholt eine größere Anzahl, nämlich jeweils gleichzeitig mehr als zehn, illegal erwerbstätiger, Personen beschäftigt habe (US 24 ff iVm Anhang I), übergeht die gerade dazu getroffenen Urteilsaussagen (US 61 und 67 iVm mit den im Anhang I angeführten Fundstellen) und entzieht sich solcherart einer inhaltlichen Erwiderung (RIS‑Justiz RS0119370).

[14] Indem die Beschwerde die Frage nach „Ausschüttungen an den Angeklagten aus den I*‑Gesellschaften“ releviert, bezieht sie sich einmal mehr nicht auf schuld- oder subsumtionsrelevante Umstände.

[15] Die Ableitung der Feststellungen, wonach es dem Angeklagten bei der Beschäftigung von jeweils mehr als zehn illegal erwerbstätigen Personen darauf angekommen sei, durch die wiederkehrende Begehung der Tat sich selbst nahezu zwei Jahre und solcherart jedenfalls „längere Zeit“ (dazu eingehend mwN Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 70 Rz 7)hindurch ein nicht bloß geringfügiges Einkommen im Sinn des § 70 Abs 2 StGB zu verschaffen (US 25), aus dem Umstand, dass die profitierenden Gesellschaften – ungeachtet der anderslautenden Eintragungen im Firmenbuch – im wirtschaftlichen Eigentum des Angeklagten und der Mitangeklagten gestanden sind und in den Jahren 2011 und 2012 jeweils Bilanzgewinne in Millionenhöhe lukriert haben (US 21 und 68), ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (vgl RIS‑Justiz RS0086962 [T15]).

[16] Die Behauptung der Beschwerde, auf der Basis der Feststellungen wäre von einem Dauerdelikt und nicht von einer wiederkehrenden Tatbegehung auszugehen, lässt keinen Bezug zu den Kriterien eines Nichtigkeitsgrundes erkennen.

[17] Weshalb gewerbsmäßige Tatbegehung aus materiell‑rechtlicher Sicht die Bezeichnung der in Rede stehenden Gesetzesstelle in den Entscheidungsgründen voraussetzen soll und warum sich das angesprochene Tatbestandselement entgegen dem Gesetzeswortlaut nicht auf die innere Einstellung des Täters, nämlich auf seine Absicht der wiederkehrenden Tatbegehung, beziehen sollte, leitet die Rüge nicht aus dem Gesetz ab (siehe aber erneut RIS‑Justiz RS0116565).

[18] Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) sowohl die Feststellungen zur subjektiven Tatseite in Bezug auf die gewerbsmäßige Tatbegehung (US 25) als auch jene zur Beschäftigung der im Anhang I genannten Personen in den dort genannten Zeiträumen (US 24) bestreitet, verfehlt sie den im Urteilssachverhalt gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581 und 584).

[19] Warum es den Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 24 f) am erforderlichen Sachverhaltsbezug fehlen sollte (RIS‑Justiz RS0119090 [T2 und T3]) und welche über die getroffenen hinausgehenden Feststellungen zur Absicht, sich durch die wiederkehrende Tatbegehung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, erforderlich gewesen wären, lässt die Rüge offen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der * L*:

[20] Soweit sich die Mängelrüge (Z 5) und die Rechtsrüge (Z 9 lit a) mit inhaltsgleichem Vorbringen wie jene des Mitangeklagten gegen die Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals der illegal erwerbstätigen Personen, die Zuordnung von Personen zu „I*‑Unternehmen“ und die Bezugnahme auf die in der Urteilsausfertigung zum Bestandteil des Urteils erklärten Anhänge I und II wendet, ist sie auf das dazu Dargelegte zu verweisen.

[21] Dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider wurde die Anlage 91 zu ON 75 vom Erstgericht beim Ausspruch über entscheidende Tatsachen nicht übergangen (US 24 f).

[22] Die vermisste Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zur subjektiven Tatseite in Bezug auf gewerbsmäßiges Handeln findet sich auf den US 67 f.

[23] Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) die Feststellungen zur gewerbsmäßigen Tatbegehung bestreitet und auch im Übrigen nicht auf der Basis der Gesamtheit der Entscheidungsgründe argumentiert, entzieht sie sich einer inhaltlichen Erwiderung (RIS‑Justiz RS0099810).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

[24] Der Vorsitzende verkündete – nach insgesamt neun Verhandlungstagen, an welchen von den Verteidigern und der Staatsanwaltschaft zahlreiche Anträge gestellt worden waren – in der am 26. September 2023 durchgeführten Hauptverhandlung, in welcher von der Staatsanwaltschaft kein neuer Beweisantrag gestellt worden war und in der sich ein Verteidiger einem Beweisantrag eines anderen Verteidigers vom 22. September 2023 angeschlossen hatte, den Beschluss auf „Abweisung sämtlicher offener Beweisanträge wegen Spruchreife“ (ON 249 S 6).

[25] Soweit die Verfahrensrüge (Z 4) die Abweisung eines am 22. September 2023 gestellten Antrags (ON 245 S 45 ff) moniert, scheitert sie bereits daran, dass die Beschwerdeführerin durch die unbestimmt gebliebene Erklärung in der Hauptverhandlung am 26. September 2023, sich im Umfang der „beiden abgewiesenen Beweisanträge“ die Nichtigkeitsbeschwerde vorzubehalten (ON 249 S 6), ihrer Rügeobliegenheit (§ 281 Abs 3 zweiter Satz StPO, RIS‑Justiz RS0133791; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 735) nicht hinreichend deutlich nachgekommen ist.

[26] Behaupteten Verstößen gegen die Vorschriften des § 238 StPO hätte die Beschwerdeführerin aus dem Blickwinkel des § 281 Abs 1 Z 4 StPO durch gerade darauf bezogene (hier nicht erfolgte) Antragstellung in der Hauptverhandlung begegnen müssen (RIS‑Justiz RS0121628; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 315 f).

[27] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[28] Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[29] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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