OGH 7Ob74/24v

OGH7Ob74/24v28.8.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter, in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. R*, vertreten durch Dr. Alexander Burkowski und Dr. Maximilian Burkowski, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei W* AG *, vertreten durch Dr. Herbert Laimböck, Rechtsanwalt in Wien, wegen 16.972,14 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 15. Februar 2024, GZ 6 R 12/24p‑28, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 12. Dezember 2023, GZ 29 Cg 13/23t‑23 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00074.24V.0828.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.410,90 EUR (darin enthalten 235,15 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Zwischen der Klägerin und der Beklagten besteht ein aufrechter Eigenheimversicherungsvertrag für ein Wochenendhaus, dem die Allgemeinen Bedingungen für Versicherungen gegen Leitungswasserschäden (AWB) sowie die Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS) zugrunde liegen.

Die AWB lauten auszugsweise:

Art. 1

Versicherte Gefahren und Schäden

(1) Der Versicherer bietet Versicherungsschutz gegen Schäden, die an den versicherten Sachen dadurch entstehen, dass Wasser aus Zu‑ oder Ableitungsrohren oder angeschlossenen Einrichtungen von Wasserleitungs-, Warmwasserversorgungs- oder Zentralheizungsanlagen sowie aus Etagenheizungen austritt.

[...]

Art. 6

Sicherheitsvorschriften

[...]

(2) Der Versicherungsnehmer übernimmt ferner die Verpflichtung, in nicht benutzten und nicht beaufsichtigten Baulichkeiten die Wasserleitungsanlagen und sonstige wasserführende Anlagen abzusperren. Während der möglichen Heizperiode sind zusätzlich sämtliche wasserführenden Leitungen und Anlagen zu entleeren, sofern die Heizung nicht durchgehend in Betrieb gehalten wird. Das gleiche gilt für vorübergehend außer Betrieb gesetzte Anlagen. Für Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Wochenendhäuser gilt die vorstehende Regelung nur, wenn sie länger als 72 Stunden unbewohnt sind.

(3) Diese Sicherheitsvorschriften gelten als vereinbarte Sicherheitsvorschriften im Sinne des Art. 3 ABS.

[…]“

Die ABS lauten auszugsweise:

„Artikel 3

Sicherheitsvorschriften

(1) Verletzt der Versicherungsnehmer gesetzliche, behördliche oder vereinbarte Sicherheitsvorschriften oder duldet er ihre Verletzung, kann der Versicherer innerhalb eines Monats, nachdem er von der Verletzung Kenntnis erlangt hat, die Versicherung mit einmonatiger Frist kündigen. Das Kündigungsrecht erlischt, wenn der Zustand wiederhergestellt ist, der vor der Verletzung bestanden hat.

(2) Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Schadenfall nach der Verletzung eintritt und die Verletzung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers beruht. Die Verpflichtung zur Leistung bleibt bestehen, wenn die Verletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Schadenfalles oder soweit sie keinen Einfluss auf den Umfang der Entschädigung gehabt hat oder wenn zur Zeit des Schadenfalles trotz Ablaufs der Frist die Kündigung nicht erfolgt war.

(3) Ist mit der Verletzung einer Sicherheitsvorschrift eine Erhöhung der Gefahr verbunden, finden die Bestimmungen über die Erhöhung der Gefahr Anwendung.

[…]“

[2] Die Klägerin drehte im März 2022 die Hauswasserzuleitung im versicherten Wochenendhaus im Gartenbereich auf. Sie war von März 2022 bis 20. Mai 2022 nicht mehr im Wochenendhaus. Am 22. Mai stellte sie einen Schaden aufgrund von ausgetretenem Leitungswasser fest. Der Ehegatte der Klägerin kümmert sich um das Wochenendhaus und fährt regelmäßig nach der Arbeit hin, um Gartenarbeit zu verrichten und um nachzusehen, „ob alles passt“. Der Ehegatte der Klägerin betritt dabei das Haus, um sich umzuziehen und geht anschließend in den Garten, bevor er nach Hause fährt, zieht er sich wieder um, fallweise kocht er sich Kaffee. Meist wirft der Ehegatte der Klägerin auch noch kurz einen Blick auf alles. Die Hauswasserzuleitung war nicht abgedreht.

[3] DieKlägerin begehrt die Sanierungskosten für den aufgetretenen Leitungswasserschaden.

[4] Die Beklagte wendet die grob schuldhafte Verletzung der Sicherheitsvorschrift Art 6.2 AWB ein, weil die Klägerin das Wochenendhaus ohne Absperren der Wasserzuleitung länger als 72 Stunden unbewohnt gelassen habe.

[5] Das Erstgerichtgab der Klage statt. Es qualifizierte Art 6.2 AWB als vorbeugende Obliegenheit, deren Rechtsfolgen in Art 3 ABS geregelt seien. Die Klägerin habe diese Obliegenheit zwar grob fahrlässig verletzt, weil sie das Haus länger als 72 Stunden unbewohnt gelassen habe und die kurzzeitigen Aufenthalte ihres Ehegatten daran nichts ändern würden. Sie habe dabei grob fahrlässig gehandelt. Der Kausalitätsgegenbeweis sei nicht gelungen, weil nicht festgestellt habe werden können, ob der Schaden gleichermaßen entstanden wäre, wenn die Obliegenheit eingehalten worden wäre. Dennoch sei die Beklagte nicht leistungsfrei, weil die in Rede stehenden Klauseln intransparent seien. In Art 6.3 AWB werde nämlich nicht darauf hingewiesen, dass die Verletzung dieser Vorschrift nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zur Leistungsfreiheit des Versicherers führe. Vielmehr beschränke sich Art 6.3 AWB auf einen Verweis auf Art 3 ABS. Es könne aber nicht davon ausgegangen werden, der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer werde das gesamte Regelwerk durchlesen, selbst wenn er das täte, würde er auf den Absatz 3 des Art 3 ABS stoßen, der wiederum auf die Bestimmungen der Erhöhung der Gefahr verweise. Aufgrund dieser Verweiskette und des Umstands, dass die zusammenhängenden Bestimmungen und ihre nachteiligen Folgen sich in unterschiedlichen Bedingungswerken oder in nicht abgedruckten Gesetzen befinden würden, fehle es der Klausel an Verständlichkeit. Sie sei deshalb intransparent nach § 6 Abs 3 KSchG und damit unwirksam.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Intransparenz der vorliegenden Klausel fehle.

[7] Mit ihrerRevision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragt dieBeklagte die Abänderung im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[8] Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist zulässig, weil die Vorinstanzen von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sind; sie ist aber im Ergebnis nicht berechtigt.

1. Zur Intransparenz:

[10] 1.1. Zur Intransparenz von in AGB enthaltenen Klauseln wird in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass ein Querverweis in einem Klauselwerk oder ein Verweis auf Preislisten an sich noch nicht zur Intransparenz im Sinn von § 6 Abs 3 KSchG führt (RS0122040). Allerdings widerspricht es dem Transparenzgebot, wenn der Verbraucher gezwungen ist, sich die notwendigen Informationen erst „zusammenzusuchen“ (RS0122040 [T16, T18]). Ferner muss die Auffindung durch eine unmittelbar zielführende, auch dem Durchschnittsverbraucher leicht verständliche Verweisung ermöglicht werden. Dem Verbraucher darf kein unklares Bild seiner vertraglichen Verpflichtung vermittelt werden (RS0122040 [T3]). Wird dem Verbraucher aufgebürdet, Allgemeine Bestimmungen und Sonderbestimmungen miteinander zu vergleichen und zu entscheiden, inwieweit welche Regelung ergänzt oder abgeändert wird, ist die Klausel intransparent (RS0122040 [T33]).

[11] 1.2. Der Fachsenat hatte sich in Verbands-prozessen bereits mit Klauseln lautend „Als Obliegenheiten, deren Verletzung unsere Leistungsfreiheit gemäß § 6 Abs 3 VersVG bewirkt, werden bestimmt: […]“ zu befassen. Er qualifizierte sie als intransparent gemäß § 6 Abs 3 KSchG, weil bloß auf § 6 Abs 3 VersVG verwiesen werde, ohne dem Versicherungsnehmer im Klauselwerk auch nur ansatzweise zu eröffnen, dass an anderer Stelle der AUVB die gesetzliche Bestimmung abgedruckt sei und warum er sich diese (zum Erkennen von Einschränkungen) durchlesen sollte (vgl 7 Ob 148/21x und 7 Ob 3/23a jeweils mwN).

[12] 1.3. Damit ist der hier vorliegende Querverweis in Art 6 Abs 3 AWB allerdings nicht vergleichbar. Durch diesen ist der Verbraucher nicht gezwungen, sich die notwendigen Informationen erst „zusammenzusuchen". Die Rechtsfolge einer Verletzung der 72-Stunden-Klausel wird ihm vielmehr durch eine unmittelbar zielführende, auch dem Durchschnittsverbraucher leicht verständliche Verweisung ermöglicht. Der AGB-Leser muss dazu lediglich Art 3 der ebenfalls vereinbarten ABS lesen, worauf er explizit aufmerksam gemacht wird. Art 3 ABS gibt – zusammengefasst, aber nahezu wortgleich – die Vorschriften des § 6 Abs 1 erster Satz und § 6 Abs 2 VersVG wieder, wobei die gesetzliche Bestimmung nicht ausdrücklich angeführt ist, was allerdings nicht zur Intransparenz führt. Im Gegenteil, es wird dem Versicherungsnehmer in übersichtlicher Weise der für ihn relevante Inhalt des § 6 Abs 1 und 2 VersVG dargestellt, wobei die Regelung zugunsten des Versicherungsnehmers von § 6 Abs 1 erster Satz VersVG abweicht (Leistungsfreiheit des Versicherers erst bei grober Fahrlässigkeit).

[13] 1.4. Daran vermag auch die vom Berufungsgericht bemängelte Verweisungskette von Art 3 Abs 3 ABS auf die unmittelbar davor und unter dieser Überschrift geregelten Bestimmungen über die „Erhöhung der Gefahr“ und der darin wiederum enthaltene Verweis auf §§ 23 bis 31 VersVG nichts zu ändern, ist doch diese Bestimmung hier gar nicht relevant; der Abs 3 zur Gefahrerhöhung hat einen eigenständigen Regelungsinhalt, der hier keine Rolle spielt. Die Klägerin erhält in der hier zu beurteilenden Konstellation durch die Bestimmungen Art 6.2 und 3 AWB und Art 3.2 ABS ausreichend Klarheit über ihre vertragliche Situation in Bezug auf die hier interessierende Obliegenheitsverletzung.

[14] Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass die gegenständliche Klausel nicht intransparent im Sinne des § 6 Abs 3 KSchG ist.

2. Zur Sicherheitsvorschrift des Wasser-absperrens:

[15] 2.1. Art 6.2 AWB verlangt ein besonderes Verhalten des Versicherungsnehmers. Es handelt sich damit um eine (vorbeugende) Obliegenheit (vgl zu ähnlichen Obliegenheiten 7 Ob 132/19s und 7 Ob 104/20z, jeweils mwN). Sie gilt ihrem letzten Satz entsprechend für Einfamilienhäuser zunächst nur, wenn sie länger als 72 Stunden „unbewohnt" sind.

[16] 2.2. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen dabei zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

[17] 2.3. Da der Versicherer nach den Bedingungen in Kauf nimmt, dass ein Einfamilienhaus bis zu 72 Stunden, also volle drei Tage, nicht bewohnt wird, ist während dieser Zeit auch keine Beaufsichtigungspflicht vorgesehen (vgl 7 Ob 41/94; 7 Ob 104/20z, Pkt 6.4.1.). Für den Fall des – wie hier – länger als 72 Stunden dauernden Nicht‑Bewohnens sind nach den Bedingungen „wasserführende Anlagen abzusperren“. Nach den Feststellungen hat die Klägerin das Wochenendhaus rund zwei Monate nicht bewohnt, weshalb sie die Wasserzuleitung allein nach dem letzten Satz von Art 6 Abs 2 der AWB hätte absperren müssen. Diese Verpflichtung gilt aber nach dem ersten Satz der Regelung nur für „nicht benutzte und nicht beaufsichtigte Baulichkeiten“. In der Entscheidung 7 Ob 41/94 wurde bereits ausgeführt, dass an die Qualität der Beaufsichtigung keine höheren Anforderungen gestellt werden dürfen, als es der Kontrolltätigkeit, die mit dem üblichen Benützen verbunden ist, entspricht. Ausgehend davon wurde die Anwesenheit eines Nachbarn für mehrere Stunden, der „notgedrungen“ das Haus durchqueren musste, wenn er in den Garten wollte und bei solchen Gelegenheiten eine durch den dortigen Schadensfall hervorgerufene Durchnässung der Decke erkennen hätte können, als ausreichende Beaufsichtigung des Hauses angesehen.

[18] 2.4. Diese Überlegungen lassen sich auf den vorliegenden Fall übertragen. Anders als in der Entscheidung 7 Ob 104/20z, wo eine Anwesenheit über ein paar Minuten in einem Appartement, um etwas zu holen als nicht ausreichend beurteilt wurde oder ein Dritter das Haus zur Beaufsichtigung nur kurz betrat, um „nach dem Rechten zu sehen“ (vgl dazu 7 Ob 4/84), ist im gegenständlichen Fall das Objekt als benutzt anzusehen. Der Ehemann der Klägerin ist hier nach den Feststellungen ausreichend oft und vor allem auch lange genug im Wochenendhaus gewesen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Ehegatte der Klägerin das Haus während seiner Aufenthalte dort tatsächlich benutzte und sich auch über mehrere Stunden dort aufhielt. Er verwendete nach den Feststellungen fallweise die Küche um sich Kaffee zu kochen und verrichtete Gartenarbeiten. Beides ist auch mit der Benutzung der wasserführenden Anlagen verbunden und ist damit insgesamt mit der Kontrolltätigkeit während des Bewohnens vergleichbar.

[19] Damit wurde das Wochenendhaus der Klägerin vor dem Schadenseintritt benutzt und beaufsichtigt im Sinne des Art 6 Abs 2 der AWB.

[20] Damit hat der dafür beweispflichtige Versicherer (RS0043728) die behauptete Obliegenheitsverletzung insgesamt nicht nachgewiesen.

[21] 2.5. Soweit sich die Beklagte in ihrer Revision erstmals auf den verhaltensabhängigen Risikoauschluss (RS0080128) gemäß § 61 VersVG stützt, verstößt sie damit gegen das Neuerungsverbot.

[22] 3. Der Revision der Beklagtenwar daher im Ergebnis keine Folge zu geben.

[23] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

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