OGH 7Ob132/19s

OGH7Ob132/19s23.10.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** D*****, vertreten durch Liebenwein Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei D***** AG *****, vertreten durch Dr. Gernot Breitmeyer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 40.448,31 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Juni 2019, GZ 2 R 80/19b‑16, womit das Teil‑ und Zwischenurteil des Handelsgerichts Wien vom 2. April 2019, GZ 24 Cg 27/18f‑12, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00132.19S.1023.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.210,22 EUR (darin enthalten 368,37 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Alleineigentümerin einer Liegenschaft. Sie schloss mit der Beklagten einen Versicherungsvertrag ab, der auch Schäden durch austretendes Leistungswasser umfasst.

Dem Versicherungsvertrag liegen die 984‑Allgemeine Bedingungen für die Haushaltsversicherung (ABH) Fassung 2016; 900‑Allgemeine Bedingungen für die Sachversicherung (ABS) Fassung 2012, 992‑Allgemeine Bedingungen für Versicherungen gegen Leitungswasserschäden (AWB) Fassung 2012 und die 22. Ergänzung zur Polizze zugrunde. Diese lauten auszugsweise:

984‑Allgemeine Bedingungen für die Haushaltsversicherung (ABH)

[...]

Art 4 Obliegenheiten des Versicherungsnehmers vor dem Schadenfall

[…]

3. Werden Gebäude länger als 72 Stunden von allen Personen verlassen, sind alle Wasserzuleitungen abzusperren und geeignete Maßnahmen gegen Frostschutz zu treffen.

[…]

5. Die vor stehenden Obliegenheiten gelten als vereinbarte Sicherheitsvorschriften gemäß Art 3 ABS. Ihre Verletzung führt nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zur Leistungsfreiheit des Versicherers.

900‑Allgemeine Bedingungen für die Sachversicherung (ABS)

[...]

Art 3 Sicherheitsvorschriften

1. Verletzt der Versicherungsnehmer gesetzliche, behördliche oder vereinbarte Sicherheitsvorschriften oder duldet er ihre Verletzung, kann der Versicherer innerhalb eines Monats, nachdem er von der Verletzung Kenntnis erlangt hat, die Versicherung mit einmonatiger Frist kündigen. Das Kündigungsrecht erlischt, wenn der Zustand wiederhergestellt ist, der vor der Verletzung bestanden hat.

2. Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Schadenfall nach der Verletzung eintritt und die Verletzung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers beruht. Die Verpflichtung zur Leistung bleibt bestehen, wenn die Verletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Schadenfalles oder soweit sie keinen Einfluss auf den Umfang der Entschädigung gehabt hat oder wenn zur Zeit des Schadenfalles trotz Ablaufs der in Punkt 1. beschriebenen Frist die Kündigung nicht erfolgt war.

3. Im Übrigen gelten § 6 Abs 1, 1a und 2 VersVG. Ist mit der Verletzung einer Sicherheitsvorschrift eine Gefahrenerhöhung verbunden, finden ausschließlich die Bestimmungen über die Gefahrenerhöhung, nicht aber die Regelungen des Punkts 2. Anwendung.

Art 10 Schuldhafte Herbeiführung des Versicherungsfalls, Obliegenheiten im Schadenfall, betrügerisches Verhalten.

Soweit nichts anderes vereinbart ist, gilt:

1. Wenn der Versicherungsnehmer oder eine der in leitender Stellung für die Betriebsführung verantwortlichen Personen den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt, ist der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber von jeder Verpflichtung zur Leistung aus diesem Schadenfall frei.

[…]

992‑Allgemeine Bedingungen für Versicherungen gegen Leitungswasserschäden (AWB)

[...]

Art 6 Sicherheitsvorschriften

Folgende Sicherheitsvorschriften sind zu beachten:

1. Die wasserführenden Anlagen und angeschlossenen Einrichtungen sind ordnungsgemäß in stand zu halten.

2. Werden die Baulichkeiten länger als 72 Stunden von allen Personen verlassen, sind während der Dauer des Unbewohntseins die wasserführenden Leitungen (Haupthahn) abgesperrt zu halten.

[…]

22. Ergänzung zur Polizze

[...]

20P‑Eigenheim‑Baustein Leitungswasser Plus

[…]

Grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfall es

Zusätzlicher Versicherungsschutz zur Gebäudeversicherung in der Sparte Leitungswasser

Der Versicherer verzichtet bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Schadens (Versicherungsfall es) auf den Einwand der Leistungsfreiheit gemäß Art 10 Punkt 1 der Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS). Handlungen oder Unterlassungen, bei welchen der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden musste, jedoch in Kauf genommen wurde, werden dem Vorsatz gleich gehalten und sind somit vom Versicherungsschutz nicht umfasst. Die Versicherungsleistung je grob fahrlässig herbeigeführten Schaden ist mit 50 % der Gebäudeversicherungssumme begrenzt.

Sämtliche sonstigen Vertragsbestimmungen bleiben unverändert, insbesondere die Bestimmungen zu Sicherheitsvorsch riften, Obliegenheiten und Gefahrenerhöhungen.“

Da das Haus lediglich als Wochenendhaus genutzt wurde, beauftragte die Klägerin ihren Nachbarn, Gartenarbeiten durchzuführen und nach dem Haus zu sehen. Er sollte nach seinem eigenen Ermessen ca ein bis dreimal die Woche kontrollieren, ob alles in Ordnung war.

Am 25. 5. 2017, einem Donnerstag, mähte der Nachbar den Rasen. Am darauffolgenden Samstag (27. 5. 2017) bemerkte er nach einem Hinweis einer Nachbarin einen Wasserschaden im Haus, der durch das Platzen eines alten Zuleitungsschlauchs zur Waschmaschine verursacht worden war. Die Klägerin war irrtümlich davon ausgegangen, dass die Wasserleitung direkt bei der Waschmaschine abgedreht war. Das Absperren der – im Garten befindlichen – Hauptwasserleitung war für die Klägerin nie Thema, weil regelmäßig jemand vor Ort war und Wasser zum Waschen der Hände, der Benützung der Toilette und zum Gießen gebraucht wurde. Auch der Nachbar wurde nicht beauftragt, die Hauptwasserleitung abzudrehen.

Die Klägerin begehrt die Zahlung von 40.448,31 EUR sA und die Feststellung, dass ihr die Beklagte aufgrund und im Umfang des zwischen ihnen abgeschlossenen Versicherungsvertrags für den Schadenfall vom 27. 5. 2018 Deckungsschutz zu gewähren habe. Soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, stützte sich die Klägerin darauf, dass die Beklagte auf den Einwand der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls verzichtet habe.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren. Die Klägerin habe grob fahrlässig die Sicherheitsvorschrift des Art 6.2 AWB verletzt. Der Verzicht auf den Einwand der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls beziehe sich nicht auf die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften, Obliegenheiten und Gefahrenerhöhungen.

Mit Teil‑ und Zwischenurteil gab das Erstgericht dem Feststellungsbegehren statt und sprach aus, dass das Zahlungsbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Die unterlassene Absperrung des Wasserhahns bei der Waschmaschine sei zwar als grob fahrlässig einzustufen, dies schade der Klägerin jedoch nicht, weil die Beklagte auf den Einwand der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls verzichtet habe.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im klagsabweisenden Sinn ab. Anders als die in Art 6 AWB vereinbarten, vorbeugenden Obliegenheiten, die der Gefahrenverminderung dienen und den Versicherungsnehmer zu einem (bestimmten) Tun verpflichten, modifiziert die 22. Ergänzung der Polizze den in § 61 VersVG normierten subjektiven Risikoausschluss, bei dem von vornherein nur ausschnittsweise Deckung gewährt und nicht – wie bei Obliegenheiten – ein gegebener Versicherungsschutz wegen nachlässigen Verhaltens wieder entzogen werde. Berücksichtige man weiters den gefahrenvermindernden Zweck vorbeugender Obliegenheiten sowie den Umstand, dass die Vertragsklausel auch ausdrücklich darauf hinweise, dass sämtliche sonstige Vertragsbestimmungen, insbesondere Obliegenheiten, unverändert bleiben, werde deutlich, dass sich der Verzicht auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit nicht auch auf allfällige Obliegenheitsverletzungen erstrecke.

Der Wasserschaden sei aufgrund des geplatzten Wasserschlauchs der Waschmaschine eingetreten, wobei auch die Klägerin davon ausgehe, dass sich das Schadensereignis außerhalb jenes Zeitraums ereignet habe, in dem sie das Haus zu Wohnzwecken genutzt habe. Damit sei ihr der Beweis, dass der Schaden mit Sicherheit nicht auf der erhöhten Gefahrenlage beruhe, die durch die Unterlassung der von Art 6.2 AWB geforderten Maßnahmen typischerweise entstehe, nicht gelungen. Sie habe demnach weder den Beweis mangelnden Verschuldens noch den Kausalitätsgegenbeweis erbracht, sodass das Leistungs‑ als auch das Feststellungsbegehren abzuweisen gewesen seien.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte begehrt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ausschließlich die Frage der Reichweite des Verzichts auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit in der 22. Ergänzung zur Polizze. Die Klägerin meint, dass die Wortfolge „sämtliche sonstige Vertragsbestimmungen bleiben unverändert, insbesondere die Bestimmungen zu Sicherheitsvorschriften, Obliegenheiten und Gefahrenerhöhungen“ insoweit undeutlich sei, als aus der Klausel nicht hervorgehe, welche dieser Bestimmungen unverändert bleiben sollen.

2. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 ff ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insbesondere T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

2.1 Es besteht bereits umfangreiche Judikatur zur Frage, wie Obliegenheiten von Risikoausschlüssen zu unterscheiden sind. Dabei ist maßgebend, ob in erster Linie ein vom Versicherungsnehmer einzuhaltendes Verhalten bedungen werden soll oder ob der Versicherer von vornherein gewisse Tatsachen von seiner Haftung ausschließen will, die unmittelbar geeignet sind, zum Versicherungsfall zu führen und die gegenüber der allgemeinen Risikoumschreibung ein qualitativ abweichendes Risiko darstellen (RS0080063, RS0080168). Mit einem Risikoausschluss begrenzt der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz. Diese Umstände kann der Versicherungsnehmer nicht durch ein späteres Verhalten beeinflussen oder kontrollieren. Demgegenüber stellt die von der Einhaltung einer Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer abhängig gemachte Deckungspflicht des Versicherers dem Versicherungsnehmer gegenüber auf das Gebot gewisser Handlungen und Unterlassungen ab, an deren Einhaltung der Versicherer ein legitimes Interesse hat (RS0080068).

2.2 Nach § 61 VersVG ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeiführt. Es handelt sich dabei um einen (verhaltensabhängigen) Risikoausschluss (RS0080128). Die Beweislast für das Vorliegen trifft den Versicherer (vgl 7 Ob 149/18i).

Art 10 Punkt 1 ABS übernimmt diesen gesetzlichen Risikoausschluss in das Bedingungswerk.

2.3.1 Art 6.2 AWB verlangt ein besonderes Verhalten des Versicherungsnehmers; ein Verstoß dagegen kann zu Schäden an den wasserführenden Anlagen führen. Es handelt sich um eine (vorbeugende) Obliegenheit (7 Ob 3/14p).

2.3.2 § 6 Abs 1 VersVG erlaubt für den Fall einer sogenannten schlichten (das heißt nicht risikobezogenen) Obliegenheit die Vereinbarung der gänzlichen Leistungsfreiheit des Versicherers (und zwar für den Fall, dass den Versicherungsnehmer an der Obliegenheitsverletzung ein Verschulden trifft). Gemäß § 6 Abs 2 VersVG kann sich der Versicherer bei der Verletzung einer Obliegenheit, die der Versicherungsnehmer zum Zweck der Verminderung der Gefahr oder der Verhütung der Erhöhung der Gefahr dem Versicherer gegenüber – unabhängig von der Anwendbarkeit des Abs 1a – zu erfüllen hat, auf die vereinbarte Leistungsfreiheit nicht berufen, wenn die Verletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls oder soweit sie keinen Einfluss auf den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt hat (vorbeugende Obliegenheit). Abs 2 eröffnet dem Versicherungsnehmer somit einen Kausalitätsgegenbeweis. Der Versicherer muss hier die objektive Verletzung der Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer, der Versicherungsnehmer mangelndes Verschulden sowie die mangelnde Kausalität beweisen (vgl RS0043728).

2.4 Der Tatbestand des § 61 VersVG und jener der vereinbarten Leistungsfreiheit wegen Verletzung gefahrenmindernder Obliegenheiten im Sinn von § 6 Abs 2 VersVG bestehen in der Regel gleichrangig nebeneinander und somit in Konkurrenz (vgl Vonkilch in Fenyves/Schauer Versicherungsvertragsgesetz § 61 Rz 11f; Martin Sachversicherungsrecht³ O I Rn 4; Prölss in Prölls/Martin Versicherungsvertragsgesetz 27 § 6 Rn 134).

3.1 In der 22. Ergänzung zu den Allgemeinen Bedingungen für Versicherungen gegen Leitungswasserschäden verzichtet der Versicherer bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Schadens (Versicherungsfalls) auf den Einwand der Leistungsfreiheit gemäß Art 10.1 ABS. Sämtliche sonstigen Vertragsbestimmungen bleiben dabei unverändert, insbesondere die Bestimmungen zu Sicherheitsvorschriften, Obliegenheiten und Gefahrenerhöhungen.

3.2 Der insoweit völlig eindeutige Wortlaut der Klausel in der 22. Ergänzung bezieht den Verzicht ausschließlich auf den in Art 10.1 ABS geregelten Risikoausschluss des grob fahrlässig bzw vorsätzlich herbeigeführten Versicherungsfalls. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die weitere Wortfolge „sämtliche sonstigen Vertragsbestimmungen bleiben unverändert, insbesondere die Bestimmungen zu Sicherheitsvorschriften, Obliegenheiten und Gefahrenerhöhung“ auch nicht unklar, sondern verdeutlicht vielmehr noch, dass der Verzicht des Einwands nur den eben genannten Risikoausschluss betrifft, nicht aber Obliegenheiten.

3.3 Das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts, der Verzicht auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit finde keine Anwendung auf die vorbeugende Obliegenheit des Art 6.2 AWB iVm Art 3 ABS, erweist sich somit als zutreffend.

4. Fehlendes grobes Verschulden und fehlende Kausalität wurden von der Klägerin nicht dargetan.

5. Der Revision war daher der Erfolg zu versagen, die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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