European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00047.24P.0626.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Erstbeklagte war Mitglied des Aufsichtsrats der mittlerweile aufgelösten deutschen W* AG, die Zweitbeklagte deren Wirtschaftsprüferin.
[2] Der Kläger begehrt von den Beklagten den Klagsbetrag zur ungeteilten Hand aus dem Titel des Schadenersatzes Zug um Zug gegen die Rückgabe von 500 Stück W*-Aktien. Hätten die Beklagten die ihnen obliegenden Kontrolltätigkeiten und Prüfpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen (der Erstbeklagte insbesondere durch Veranlassung von ad-hoc-Meldungen, die Zweitbeklagte dadurch, dass sie keine uneingeschränkten Bestätigungsvermerke erteilt oder zumindest Prüfungsaufträge erteilt hätte), hätte er keine Aktien erworben.
[3] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab, weil dem Kläger der ihm obliegende Beweis, dass der Schaden durch das Verhalten der Beklagten herbeigeführt worden sei, nicht gelungen sei.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die außerordentliche Revision des Klägers ist nicht zulässig.
[5] 1. Richtig ist, dass bei Verletzung eines Schutzgesetzes im Sinne des § 1311 ABGB kein strenger Beweis des Kausalzusammenhangs zwischen der Schutzgesetzverletzung und dem eingetretenen Schaden erforderlich ist (RS0027640 [T12]; RS0022599 [T3]). Wohl aber muss der Beweis des ersten Anscheins dafür sprechen, dass der von der Norm zu verhindernde Schaden durch das verbotene Verhalten verursacht wurde (RS0027462 [T8]; RS0022664 [T17]). Der Anscheinsbeweis ist allerdings nur zulässig, wenn eine typische formelhafte Verknüpfung zwischen der tatsächlich bewiesenen Tatsache und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement besteht; er darf nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen (RS0040287). Der bloße Verdacht eines bestimmten Ablaufs, der auch andere Verursachungsmöglichkeiten offen lässt, erlaubt die Anwendung des Anscheinsbeweises nicht (RS0040287 [T5]). Der Anscheinsbeweis verändert nicht die Beweislast (RS0027517), sondern er erleichtert der beweisbelasteten Partei die Beweisführung, indem das Regelbeweismaß herabgesetzt wird. Gelingt es der beweisbelasteten Partei trotz des herabgesetzten Beweismaßes nicht, die gewünschte Feststellung zu erreichen, muss eine entsprechende Negativfeststellung danach zu ihren Lasten gehen (9 Ob 26/14k Pkt I.5.). Die Frage, ob im konkreten Einzelfall der Anscheinsbeweis erbracht werden konnte oder nicht, ist eine reine Frage der Beweiswürdigung und nicht revisibel (RS0022624 [T1]; RS0040196 [T18]).
[6] 2. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts steht – selbst ausgehend davon, dass die Beklagten gegen ihre Berufs- und Prüfpflichten verstoßen hätten und diese als Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB anzusehen seien – im Einklang mit dieser Rechtsprechung.
[7] 3. Nach den Feststellungen sah bzw las der Kläger nie einen Jahresabschluss der W* AG und er wusste auch nicht, ob die Zweitbeklagte den Jahresabschlüssen der W* AG jeweils einen Bestätigungsvermerk erteilt hatte. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger, hätte die Zweitbeklagte das Testat der Jahresabschlüsse verweigert, die gegenständlichen Aktien nicht erworben hätte. Auch ad-hoc-Meldungen der W* AG las der Kläger nicht und erlangte von deren Inhalt auch nicht auf anderem Wege Kenntnis. Auch die von K* durchgeführte Sonderprüfung war dem Kläger nicht bekannt. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger von Mitteilungen des Aufsichtsrats der W* AG an die Öffentlichkeit Kenntnis erlangt hätte. Es kann weiters nicht festgestellt werden, dass der Kläger die weiteren Aktien nicht erworben hätte bzw die von ihm bereits gehaltenen Aktien der W* AG verkauft hätte, wenn der Aktienkurs starke Schwankungen aufgewiesen hätte bzw wenn dieser gefallen wäre, etwa als Folge der Verweigerung des Testats durch die Zweitbeklagte.
[8] 4. Nach der Rechtsprechung erfordert das Vertrauen des Anlegers in einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk zwar zumindest ein Bewusstsein seiner Existenz, sei es auch nur aufgrund einer Schlussfolgerung aus bekannten rechtlichen Rahmenbedingungen, aber nicht zwingend die Kenntnis seines Inhalts. Ein Kauf „im Vertrauen auf den Bestätigungsvermerk“ bedeutet auch nicht, dass dieser für die Auswahlentscheidung ausschlaggebend war, sondern nur, dass er conditio sine qua non war (8 Ob 93/14f Pkt I.2.2.). Auch damit ist für den Kläger aber nichts gewonnen. Insbesondere die Negativfeststellung, wonach nicht festgestellt werden kann, dass der Kläger, hätte die Zweitbeklagte das Testat der Jahresabschlüsse verweigert, die gegenständlichen Aktien nicht erworben hätte, gehen zu seinen Lasten. Dass dem Kläger der Inhalt der unterlassenen Ad-hoc-Meldung bei Publikation zur Kenntnis gelangt wäre und er bei Kenntniserlangung keine Aktien erworben hätte, steht nicht fest (vgl 9 Ob 26/14k Pkt I.8.). Darauf stützt sich die Revision auch nicht. Für die Behauptung des Klägers, er hätte, wenn die Beklagten gesetzestreu gehandelt hätten, keine Aktien erworben, stützt er sich erstmals in der Revision auf den Anscheinsbeweis. Dieser ist jedoch hier nicht zulässig. Dass in diesem Zusammenhang eine „typische formelhafte Verknüpfung zwischen der tatsächlich bewiesenen Tatsache und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement“ bestehe (vgl RS0040287), behauptet der Kläger in seiner außerordentlichen Revision auch nicht. Abgesehen davon hat das Berufungsgericht sogar unter ausdrücklichem Bezug auf RS0022900 („keine zu strengen Anforderungen an den Beweis des bloß hypothetischen Kausalverlaufs“) festgehalten, dass es dem Kläger eben nicht gelungen sei, das Vorliegen überwiegender Gründe dafür zu beweisen, dass der Schaden durch das Verhalten des Beklagten herbeigeführt worden wäre.
[9] 4. Zusammengefasst fehlt es daher jedenfalls an (positiven) Feststellungen, dass der Kläger bei Veröffentlichung einer Ad-hoc-Meldung (durch den Erstbeklagten) bzw Verweigerung der Bestätigungsvermerke (durch die Zweitbeklagte) eine andere (oder keine) Veranlagungsentscheidung getroffen hätte, wodurch auf eine zumindest potenzielle Kausalität des – womöglich sorgfaltswidrigen – Unterlassenes/Verhaltens der Beklagten für einen Schaden des Klägers aus seinen Veranlagungen geschlossen werden könnte.
[10] Mangels Darstellung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.
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