European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00031.24B.0626.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Vorinstanzen sprachen dem Kläger zum Teil die von ihm begehrte Auslandsverwendungszulage, Kaufkraftzulage und Wohnkostenzuschuss für die Zeit seiner viermonatigen Dienstzuteilung zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte während seiner Tätigkeit als verfassungsrechtlicher Mitarbeiter beim Verfassungsgerichtshof zu.
[2] Gegenstand des Revisionsverfahrens sind lediglich einerseits vom Kläger angesprochene Zinsen ab 1. 9. 2019 statt 1. 9. 2020 aus einem Teil des ihm unangefochten zugesprochenen Klagsbetrags von 4.228,88 EUR brutto sowie andererseits – für den ganzen Zuspruch von 7.468,90 EUR brutto – die Höhe des Zinssatzes, den die Vorinstanzen in gesetzlicher Höhe von 4 % zusprachen, weil sie die von der Beklagten vertretene Rechtsansicht als nach § 49a ASGG vertretbar erachteten.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf und ist daher zurückzuweisen.
[4] 1.1. Das Gericht ist nach § 405 ZPO nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Dies gilt insbesondere von Früchten, Zinsen und anderen Nebenforderungen.
[5] 1.2. Die Auslegung des Parteienvorbringens – insbesondere auch zur Frage, ob ausreichendes Vorbringen zu den begehrten Zinsen erstattet wurde – geht in ihrer Bedeutung über den Einzelfall nicht hinaus und begründet daher – vom Fall krasser Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (RS0042828 [insb T20]).
[6] 1.3. Es mag sein, dass in der Mahnklage vorerst Zinsen von 4 % aus je 2.158,03 EUR (insgesamt aus 8.632,12 EUR) an Auslandsverwendungszulage und Kaufkraftausgleichszulage gestaffelt – ab 15. 9. 2019, 15. 10. 2019, 15. 11. 2019 und 15. 12. 2019 – sowie weitere 4 % Zinsen aus 3.240,02 EUR brutto (Wohnkostenzuschuss) ab 17. 2. 2020 begehrt wurden. Dies wurde jedoch bereits in der „ergänzenden Beilage zur verbesserten Mahnklage“ ON 4 sowie übereinstimmend in der Replik ON 8 dahin modifiziert, dass die Zinsen aus dem Gesamtbetrag von Auslandsverwendungszulage und Kaufkraftausgleichszulage ab 1. 9. 2020 zuzusprechen wären. Zuletzt änderte der Kläger sein Klagebegehren in der Tagsatzung am 15. 11. 2022, ON 9 (AS 64), dahin, dass er statt 4 % Zinsen arbeitsrechtliche Zinsen in Höhe von 8,58 % und diese aus 8.632,12 EUR brutto seit 1. 9. 2020 begehrte. Genau dieser Zinsenlauf (aus den ihm zustehenden Auslandsverwendungs- und Kaufkraftausgleichszulagen von 4.228,88 EUR brutto) wurde ihm von den Vorinstanzen auch zugesprochen.
[7] 1.4. Warum dem Kläger Zinsen bereits ab 1. 9. 2019 zuzusprechen gewesen wären, wird in seiner Revision nur damit begründet, dass dies dem unstrittigen und festgestellten Beginn seiner Auslandszuteilung entspreche; in seinen Schriftsätzen seien ihm „Kopierfehler“ unterlaufen, eine Einschränkung des Klagebegehrens habe er nicht vorgenommen. Dem Berufungsgericht hätte dies auffallen und es hätte dies bei Zweifeln mit dem Kläger erörtern müssen.
[8] 1.5. Dem ist einerseits entgegenzuhalten, dass das Zinsenbegehren in den Schriftsätzen und in der mündlichen Klagsmodifikation einheitlich einen Zinsenlauf ab 1. 9. 2020 anspricht. Dieser steht mit dem Klagsvorbringen, seine Zuteilung habe am 1. 9. 2019 begonnen, zumindest nicht im Widerspruch, während ein Zinsenlauf für das gesamte Begehren von Auslandsverwendungszulage und Kaufkraftausgleichszulage von 8.632,12 EUR brutto ab 1. 9. 2019 (und nicht wie in der Mahnklage angesprochen monatsweise gestaffelt) unschlüssig wäre; ein solches Begehren wurde auch in erster Instanz nie erhoben. Es ist daher unerfindlich, wie es für den Kläger noch bei Ausführung der Berufung „überhaupt nicht ersichtlich“ gewesen sein sollte, wie das Erstgericht zu einem Zuspruch von Zinsen ab 1. 9. 2020 gekommen sei, wie die Revision vermeint.
[9] 1.6. Soweit in der Revision eine unterbliebene Erörterung angesprochen wird, so kann dies andererseits nicht als Revisionsgrund geltend gemacht werden, weil damit ein Verfahrensmangel erster Instanz angesprochen wird, der in der Berufung nicht gerügt wurde; die Nichtberücksichtigung eines in der Berufung ungerügten Verfahrensfehlers durch das Gericht der zweiten Instanz bildet keinen Mangel des Berufungsverfahrens (RS0074223 [insb T1]).
[10] 2.1. Liegt eine Forderung im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis vor, so kann grundsätzlich ohne weitere Behauptungen der in § 49a erster Satz ASGG festgelegte gesetzliche Zinssatz begehrt werden. Nur dann, wenn die Verzögerung der Zahlung auf einer vertretbaren Rechtsansicht des Schuldners beruht, sind nach § 49a zweiter Satz ASGG bloß die sonstigen gesetzlichen Zinsen zuzusprechen (RS0116030 [T2]). Eine vertretbare Rechtsansicht liegt etwa dann vor, wenn Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen fehlt, die Vorinstanzen eine komplexe Materie zu beurteilen hatten und einen anderen Rechtsstandpunkt als der Oberste Gerichtshof vertraten, oder eine komplexe Materie zu beurteilen war, zu der Rechtsprechung fehlte (RS0125438; RS0116030 [T4]; vgl auch die Rechtsprechung zum Rechtsbruchtatbestand nach § 1 UWG, wonach ein Rechtsstandpunkt vertretbar ist, wenn eine Norm mit guten Gründen in einer Weise ausgelegt werden kann, dass sie einem beanstandeten Verhalten nicht entgegensteht: RS0123239). Es ist Aufgabe des Schuldners, Behauptungen darüber aufzustellen, warum der in § 49a erster Satz ASGG festgelegte Zinssatz nicht zustehen soll (vgl RS0116030 [T3]).
[11] Ob die Verzögerung der Zahlung auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruht oder nicht und deshalb Zinsen nach § 49a erster oder zweiter Satz ASGG zuzusprechen sind, ist im Einzelfall zu beurteilen (RS0116030 [T1]; vgl auch RS0123321 [T3 – zu § 1 UWG]; RS0110837).
[12] 2.2. Die Vorinstanzen folgten Vorbringen und Rechtsansicht der Beklagten, mangels Rechtsprechung zur komplexe Rechtsfragen aufwerfenden Qualifikation der Dienstzuteilung und den daraus ableitbaren Ansprüchen des Klägers sei ihr Rechtsstandpunkt vertretbar gewesen.
[13] 2.3. Prüfungskalkül des Obersten Gerichtshofs bei der Frage der Zulässigkeit eines an ihn gerichteten Rechtsmittels ist primär immer die Frage, ob die vom zweitinstanzlichen Gericht vertretene Rechtsansicht im Einzelfall unvertretbar und daher korrekturbedürftig ist.
[14] Wie auch im Amtshaftungs- oder im Lauterkeitsrecht sind daher bei der hier wie dort zu beurteilenden Frage der Vertretbarkeit zwei Prüfungsstufen zu unterscheiden: Schon auf der ersten für die Beurteilung durch die Vorinstanzen nach § 49a ASGG maßgebenden Stufe geht es nicht um die Frage der richtigen, sondern nur um die nach einer vertretbaren Auslegung der fraglichen Normen durch die Beklagte. Auf der zweiten – für die zulässige Anfechtung eines Urteils beim Obersten Gerichtshof gemäß § 502 Abs 1 ZPO immer hinzutretenden – Stufe geht es sodann nicht um die Frage, ob das Berufungsgericht jene Vertretbarkeitsfrage „richtig“, sondern nur, ob es sie ohne eine krasse Fehlbeurteilung – sohin selbst wiederum vertretbar – gelöst hat (vgl RS0124004 [zum UWG]; s auch RS0110837 [insb T2, T10 – zum AHG]). Das Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof ist daher nicht schon bei Fehlen von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur „richtigen“ Auslegung der angeblich übertretenen Norm zulässig, sondern nur dann, wenn das Gericht zweiter Instanz seinen Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Vertretbarkeitsfrage überschritten hat (RS0124004 [T2]).
[15] 2.4. Unter Beachtung dieses Prüfkalküls zeigt der Kläger nicht auf, warum die Rechtsansicht des Berufungsgerichts (wonach die Rechtsansicht der Beklagten zwar unrichtig, aber a priori nicht unvertretbar gewesen sei) nicht bloß unrichtig, sondern selbst wiederum unvertretbar sein sollte.
[16] 2.5. Dass unzutreffende Tatsachenbehauptungen des Schuldners nichts am Anspruch auf Zinsen nach § 49a erster Satz ASGG ändern (vgl RS0116030), wie die Revision ins Treffen führt, ist hier nicht einschlägig und daher nicht stichhältig, weil sich den Parteien die Frage der rechtlichen Qualifikation und Rechtsfolgen von im Kern unstrittigen Tatsachen – der Dienstzuteilung des Klägers – stellte.
[17] 3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO in Verbindung mit § 2 Abs 1 ASGG).
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