OGH 8Ob99/23a

OGH8Ob99/23a26.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat MMag. Matzka als Vorsitzenden und die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner sowie die Hofräte Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Insolvenzsache der Schuldnerin W* GmbH, FN *, vertreten durch Dr. Gerhard Taufner und andere Rechtsanwälte in Melk, Masseverwalterin Mag. Dr. Ulrike Grünling, Rechtsanwältin in Wiener Neustadt, über den Revisionsrekurs der O* AG, *, vertreten durch Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 4. August 2023, GZ 6 R 148/23p‑34, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 24. Februar 2023, GZ 11 S 24/21x‑31, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00099.23A.0626.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Insolvenzrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

1. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass Spruchpunkt 2.) des erstgerichtlichen Beschlusses einschließlich des schon in erster Instanz unbekämpft gebliebenen Teils zu lauten hat:

2.) Die Schlussrechnung (eingebracht am 30. 11. 2022, ON 24) wird genehmigt.

Der Beschluss über die Genehmigung des Verteilungsentwurfs (eingebracht am 30. 11. 2022, ON 24) wird aufgehoben und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

2. Die Revisionsrekursbeantwortung der A* GmbH wird zurückgewiesen.

3. Die O* AG hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht eröffnete mit Beschluss vom 26. 5. 2021 den Konkurs über das Vermögen der Schuldnerin.

[2] Die Revisionsrekurswerberin O* AG brachte am 1. 6. 2021 eine Forderungsanmeldung ein und beantragte – unter Berücksichtigung eines geltend gemachten Absonderungsrechts – Stimmrecht und Quote für eine mutmaßliche Ausfallsforderung von 503.672,22 EUR. Diese zuletzt auf 503.653,57 EUR eingeschränkte Forderung blieb in der Prüfungstagsatzung unbestritten und wurde im Anmeldungsverzeichnis festgestellt.

[3] Die Gläubigerin A* GmbH meldete am 14. 6. 2021 eine Forderung an Kapital und Zinsen von insgesamt 525.666,67 EUR an, die letztlich aufgrund eines mit der Masseverwalterin geschlossenen Vergleichs in der Höhe von 400.000 EUR anerkannt und festgestellt wurde.

[4] Im Schlussbericht teilte die Masseverwalterin mit, dass nach Abzug der Masseforderungen ein Betrag von 249.226,14 EUR an die Gläubiger zu verteilen sei. Der vorgelegte Verteilungsentwurf sah eine Ausschüttung von 102.298,13 EUR an die O* AG und 81.244,84 EUR an die A* GmbH vor.

[5] Die A* GmbH erhob Erinnerungen gegen den Verteilungsentwurf mit der Begründung, die O* AG sei nach der Prüfungstagsatzung von einer Garantieeinrichtung vollständig befriedigt worden. Die Verteilung sei daher so vorzunehmen, dass dieser Gläubigerin nichts mehr zugewiesen werde.

[6] Die Masseverwalterin berichtete dem Erstgericht, die Garantieeinrichtung habe die Bank angewiesen, die Forderung nach Befriedigung nunmehr treuhändig für die Garantin weiter zu betreiben und den bei der Verteilung erhaltenen Betrag an sie zu refundieren.

[7] Eine Änderung der gerichtlichen Forderungsanmeldung der Bank fand nicht statt. Die Zahlung der Garantieeinrichtung wurde nur in der Korrespondenz zwischen dieser, der Bank und der Masseverwalterin thematisiert.

[8] Das Erstgericht genehmigte (Spruchpunkt 2.) die Schlussrechnung und den Verteilungsentwurf.

[9] Die in den Erinnerungen thematisierte Zahlung sei erst nach Feststellung der Forderung der Bank erfolgt und wegen der urteilsgleichen Wirkungen des Anerkenntnisses der Masseverwalterin bei der Verteilung nicht mehr zu berücksichtigen gewesen.

[10] Das Rekursgericht gab dem nur gegen die Genehmigung des Verteilungsentwurfs gerichteten Rechtsmittel der A* GmbH Folge und änderte die Entscheidung im angefochtenen Spruchpunkt 2. dahin ab, dass es bei der Genehmigung der Schlussrechnung blieb, aber dem Verteilungsentwurf die Genehmigung versagt wurde.

[11] Der Gesetzgeber habe für den Fall, dass eine festgestellte Konkursforderung nachträglich wegfällt, nicht Vorsorge getroffen. Es bestehe aber kein Anhaltspunkt, dass die weggefallene Forderung dennoch uneingeschränkt weiter zu berücksichtigen wäre. Es liege damit eine planwidrige Gesetzeslücke vor, die durch Rückgriff auf das besondere Prüfungsverfahren nach den §§ 110 ff IO zu schließen sei.

[12] Im vorliegenden Fall seien die erhobenen Erinnerungen aber jedenfalls berechtigt, weil die zwischen der O* AG und der Garantieeinrichtung bestehende Vereinbarung über eine treuhändige Weitervertretung einer nach herrschender Auffassung unzulässigen Prozessstandschaft gleichkäme. § 234 ZPO sei im Insolvenzverfahren nicht anzuwenden. Dem Verteilungsentwurf sei daher die Genehmigung zu versagen.

[13] Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage fehle, ob der Teilnahmeanspruch eines Insolvenzgläubigers im Insolvenzverfahren treuhändig ausgeübt werden darf.

Rechtliche Beurteilung

[14] Der vorliegende, von der A* GmbH beantwortete Revisionsrekurs der betroffenen Gläubigerin, mit dem sie die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses und hilfsweise Aufhebung beantragt, ist zur Klarstellung der bisher in der höchstgerichtlichen Judikatur nicht näher behandelten Rechtslage zulässig. Er ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[15] 1. Das Rechtsmittelverfahren in Insolvenzsachen ist nach ständiger Rechtsprechung – mit Ausnahme des Eröffnungsverfahrens sowie im Gesetz genannter Einzelfälle – grundsätzlich einseitig (§ 260 Abs 4 IO; RS0116129 [T2]). Eine Veranlassung, der Gläubigerin dennoch die Möglichkeit einer Revisionsrekursbeantwortung einzuräumen (vgl RS0118686 [T5]), bestand hier nicht, weil sie ihren Rechtsstandpunkt bereits in ihrem Rekurs gegen den erstinstanzlichen Beschluss dargelegt hat (vgl 8 Ob 136/12a). Die Revisionsrekursbeantwortung war daher zurückzuweisen.

[16] 2. Mit Erinnerungen gegen den Verteilungsentwurf können der Schuldner und die Gläubiger nach § 130 Abs 1 IO formale oder materielle Mängel des Verteilungsentwurfs geltend machen, zB Berechnungsfehler aller Art.

[17] Einwände gegen den Bestand einer festgestellten Forderung sind aufgrund der rechtskraftähnlichen Wirkung der Forderungsfeststellung nicht zulässig (Zeitler in Koller/Lovrek/Spitzer, IO² § 130 Rz 13). Es können nur nachträglich eingetretene Änderungen geltend gemacht werden, die von der Feststellungswirkung nicht umfasst sind.

[18] Zu diesen beachtlichen Änderungen gehört nach herrschender Auffassung auch der Wegfall eines Gläubigers, der ursprünglich mit seiner festgestellten Forderung zu berücksichtigen gewesen wäre, aber während des Verfahrens durch Zahlungen Dritter befriedigt wurde (Kodek in Buchegger,Österreichisches Insolvenzrecht4 §§ 129, 130 KO Rz 36 und § 109 KO Rz 48; Konecny in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 109 KO Rz 11).

[19] Die Erinnerungen der A* GmbH, die einen solchen nachträglichen Wegfall der Gläubigerstellung zum Inhalt haben, sind danach grundsätzlich zulässig und zu beachten.

[20] 3. Im Fall des Erwerbs einer Forderung nach Konkurseröffnung tritt der Erwerber grundsätzlich in den Konkursteilnahmeanspruch des vormaligen Gläubigers ein. § 234 ZPO ist insoweit nicht anzuwenden (RS0118697 [T1]). In welcher prozessualen Form das nachträgliche Erlöschen einer festgestellten Forderung im Verteilungsverfahren zu berücksichtigen ist, wenn der betroffene Gläubiger auf seinem Recht besteht und die Forderungsanmeldung nicht freiwillig zurücknimmt, regelt die Insolvenzordnung nicht.

[21] Dem Obersten Gerichtshof bot sich bisher noch kein Anlass, explizit zu dieser Frage Stellung zu nehmen.

[22] In der jüngeren Literatur wird einhellig die Auffassung vertreten, dass die Klärung der materiellen Rechtslage in diesem Fall, so wie die ursprüngliche Prüfung bestrittener Forderungen, nicht im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu erfolgen habe.

[23] Bestreite der Gläubiger das behauptete Erlöschen seiner festgestellten Forderung, könne darüber nur in einem streitigen besonderen Feststellungsverfahren analog § 110 IO entschieden werden (Jelinek in Koller/Lovrek/Spitzer, IO² § 109 Rz 33 mwN; Konecny in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 109 KO Rz 11; vgl Kodek in Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 § 109 KO Rz 49 ff und Rz 53: „kombinierte Feststellungs- und Gestaltungsklage“).

[24] Dieser Auffassung, die mit der gesetzlichen Systematik der Forderungsprüfung und den im Vergleich zum streitigen Verfahren geringeren prozessualen Rechtsschutzgarantien im Insolvenzverfahren überzeugend begründet wird (s insb Kodek aaO § 109 KO Rz 50, 53), schließt sich der Fachsenat an.

[25] 4. Im vorliegenden Fall ist nach der Aktenlage von keinem dazu Berechtigten eine Klage im in Punkt 4. dargelegten Sinne eingebracht worden. Die Bindungswirkung der Forderungsfeststellung zu Gunsten der Revisionsrekurswerberin ist aufrecht.

[26] Um eine geregelte alsbaldige Klärung der in den Erinnerungen der A* GmbH geltend gemachten Einwände herbeiführen zu können, wird das Erstgericht analog zu § 110 Abs 4 IO eine für alle Berechtigten geltende Frist zur Einbringung der Klage zu setzen haben (vgl Kodek aaO § 109 IO Rz 55). Aufgrund der Feststellung der Forderung im Anmeldeverzeichnis ist auch § 110 Abs 2 IO (analog) anzuwenden. Es wäre daher an der A* GmbH gelegen, gegen die O* AG Klage zu erheben. Zudem wäre § 131 IO zu beachten. Sollte die gesetzte Klagefrist ungenützt verstreichen, bliebe die Wirkung der Forderungsfeststellung aufrecht.

[27] 5. Das Rekursgericht ist in seiner Entscheidung allerdings davon ausgegangen, dass es einer Klärung des Erlöschens der gegenständlichen Forderung im Klagsweg analog § 110 IO hier deswegen nicht bedürfe, weil der Standpunkt der O* AG offenkundig aussichtslos wäre.

[28] Mit der Vereinbarung eines treuhändigen Weiterbetreibens der von der Garantin eingelösten Forderung werde nach Auffassung des Rekursgerichts eine unzulässige Prozessstandschaft begründet, in der die materielle Berechtigung am Streitgegenstand und die Prozessführungsbefugnis auseinanderfallen würden.

[29] Dieser Rechtsansicht setzt der Revisionsrekurs aber zutreffend entgegen, dass von einer solchen Eindeutigkeit der Sach- und Rechtslage im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden kann. Die – überdies nur informell im Rahmen einer Korrespondenz mit der Masseverwalterin erteilten – Auskünfte über die Vereinbarung mit der Garantieeinrichtung reichen für eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht aus.

[30] Ob der Zedent bzw ursprüngliche Forderungsberechtigte berechtigt ist, mit ausdrücklicher Zustimmung des Zessionars die abgetretene Forderung im eigenen Namen einzuklagen, richtet sich regelmäßig nach den zwischen Zedenten und Zessionar bestehenden Beziehungen des materiellen Rechts. Es ist eine Reihe von Fällen denkbar, in denen der Zedent tatsächlich zur Klage legitimiert ist (vgl RS0032699; 3 Ob 191/09y; RS0010457; vgl dagegen RS0053157).

[31] Zur Feststellung der zur Klärung dieser Rechtsfrage erforderlichen Tatsachen ist das insolvenzrechtliche Verteilungsverfahren aber nicht geeignet.

[32] 6. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die Klärung des strittigen Erlöschens der festgestellten Forderung der Revisionsrekurswerberin unter vom Erstgericht vorzunehmender Fristsetzung analog zu § 110 IO dem Rechtsweg vorbehalten bleiben muss.

[33] Erst danach kann über die Genehmigung des vorgelegten Verteilungsentwurfs entschieden werden.

[34] Der angefochtene Beschluss war daher spruchgemäß abzuändern.

[35] 7. Ein Kostenersatz findet gemäß § 254 Abs 1 Z 1 IO im Insolvenzverfahren grundsätzlich nicht statt (RS0065227).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte