European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00064.24S.0618.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Kläger und die Nebenintervenientin sind Gesellschafter der beklagten GmbH. Diese ist ihrerseits Gesellschafterin einer Aktiengesellschaft. In der Generalversammlung der Beklagten im Mai 2022 war unter anderem die Ausübung ihres Fragerechts als Gesellschafterin (Aktionärin) dieser Aktiengesellschaft Gegenstand. Nachdem einstimmig von allen vier Gesellschaftern der Beklagten (also auch mit den Stimmen der Kläger) beschlossen worden war, dass die – in der Gesellschafterversammlung verlesenen – Fragen einer anderen Aktionärin auch namens der Beklagten (von deren Geschäftsführung) in der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft gestellt werden sollten, kam danach der von den Klägern angestrebte Beschluss über die (andere) Ausübung des Fragerechts in Form ihres ungleich detaillierteren und mehr als 100 Fragen umfassenden Vorschlags (wegen der Gegenstimmen der beiden anderen Gesellschafter) nicht zustande. Der Antrag wurde abgelehnt.
[2] Das Berufungsgericht wies die Begehren der Kläger auf Nichtigerklärung dieses ihren Antrag abweisenden Beschlusses und auf Feststellung, es sei dieser Beschluss zustande gekommen, ab. Es führte aus, es handle sich bei der Erteilung einer Weisung an die Geschäftsführung einer GmbH durch die Generalversammlung (hier betreffend die Ausübung des Fragerechts in der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft) um eine Ermessensentscheidung in Geschäftsführungsangelegenheiten. Auch wenn sich die Gesellschafter dabei strikt am Gesellschaftszweck zu orientieren hätten, sei ihnen ein weiter Beurteilungsspielraum einzuräumen. Im konkreten Fall verneinte das Berufungsgericht das Vorliegen von treuwidrigem Verhalten der beiden anderen Gesellschafter anlässlich der Beschlussfassung mangels Ermessensmissbrauchs, zumal ohnehin in einem ersten Schritt – einstimmig – beschlossen worden sei, sich dem (ausformulierten und allen bekannten) Fragenkatalog einer anderen Aktionärin der Aktiengesellschaft anzuschließen. Eine Stimmausübung gegen allgemeine Rechtsgrundsätze, gegen die guten Sitten oder gegen das Verbot der Verfolgung gesellschaftsfremder Sondervorteile oder das Gleichbehandlungsgebot sei nicht hervorgekommen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die außerordentliche Revision der Kläger ist mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:
[4] 1. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass treuwidrige Stimmabgabe zur Anfechtbarkeit eines Generalversammlungsbeschlusses führen kann (RS0106227 [T3]; RS0120599; 6 Ob 130/05v; 6 Ob 90/19g [ErwGr 1.2.]). Die Leitlinien dazu, wann von treuwidriger Stimmabgabe auszugehen ist, sind vom Obersten Gerichtshof bereits umrissen worden (siehe nur 5 Ob 626/88; RS0026106 [T9]; RS0060175 [T6, T9]; RS0107912 und insb 6 Ob 105/19p [ErwGr 15.1.], wonach die Annahme einer sich aus den Treuepflichten gegenüber der Gesellschaft ergebenden Zustimmungsverpflichtung regelmäßig nur ultima ratio ist und der Beschluss im Interesse der Gesellschaft unbedingt notwendig und dem widerstrebenden Gesellschafter auch zumutbar sein muss).
[5] Ob ein bestimmtes Verhalten eines Gesellschafters im konkreten Fall gegen seine Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft oder gegenüber Mitgesellschaftern verstößt, hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls, der Ausgestaltung der Gesellschaft und dem Verhältnis der Gesellschafter zueinander ab (RS0060175 [T3]; RS0106227 [T4]; RS0061585 [T3, T6]). Rechtsfragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO sind daher in der Regel nicht zu klären, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen (vgl RS0060175 [T8]; RS0061585 [T8]).
[6] 2. Ein derartiger Korrekturbedarf besteht im vorliegenden Fall nicht. Anlässlich der Abstimmung ging es nicht um einen Eingriff in ein Mitgliedschaftsrecht eines Mitgesellschafters, sondern um das Interesse der Gesellschaft und die Wahrung des Gesellschaftszwecks. Der beschlossene Fragenkatalog betraf – wenngleich viel weniger detailliert als jener der Kläger (welcher etwa auch detailliert Fragen zu einzelnen Projekten zum Gegenstand hatte) – die Unternehmensführung der Aktiengesellschaft, insbesondere auch deren Unternehmensplanung, Dividendenpolitik und Finanzgebarung, Erläuterungen der Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen und Personen, die Entwicklung der Aufsichtsrats- und Vorstandsvergütungen sowie einen bestimmten, sich auf einen (ehemaligen) Angestellten des Tochterunternehmens, gegen den ein Strafverfahren eingeleitet worden war, beziehenden Sachverhalt.
[7] Hinsichtlich der Motivation der Nebenintervenientin bei der Abstimmung geht die Revision nicht vom festgestellten Sachverhalt aus und führt damit die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig aus (RS0043312 [insb T4, T14]; RS0043603 [insb T2]). Mit der Behauptung, es gehe nicht um eigennützige Gesellschafterrechte, ein Gesellschafter müsse immer dann, wenn eine Beschlussfassung für die anderen Gesellschafter sowie die Gesellschaft „denkmöglich nur Vorteile“ habe und für ihn selbst keine nachteiligen Folgen nach sich ziehe, positiv für einen Beschlussantrag abstimmen, verkennt die Revision die vorzitierten Auslegungsgrundsätze. Beim vorliegenden Beschlussgegenstand ging es um die Ausübung des Fragerechts der Gesellschaft und deren Interessen. Es müssen sich dabei aber Gesellschafter nicht bloß deswegen, weil von einem bestimmten Antrag über die Ausübung des Fragerechts der Gesellschaft kein „Schaden“ für diese zu erwarten ist, diesem Antrag unterwerfen und für die (weitergehende) Ausübung in Form eines (etwa auch ausufernden) Fragenkatalogs bestimmten Detaillierungsgrads nach deren Willen stimmen, soweit die Antragsbefürworter nicht darlegen, welche ihrer Fragen aus welchen Gründen über den bereits einstimmig beschlossenen (allgemeineren) Fragenkatalog im Interesse der Gesellschaft unbedingt notwendig und geboten wären. Mit ihrer (gegenteiligen) Forderung nach einer Begründungspflicht bei Ablehnung durch die anderen Gesellschafter und ihrem darauf aufbauenden Schluss, eine Ablehnung ohne dazu angegebene Begründung sei immer treuwidrig, bringen sie Argumente, warum das Stimmverhalten der anderen beiden Gesellschafter treuwidrig gewesen wäre, nicht zur Darstellung.
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