OGH 6Ob90/19g

OGH6Ob90/19g27.6.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

 Schramm als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Reif und Partner Rechtsanwälte OG in Graz, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Huainigg Dellacher & Partner Rechtsanwälte OG in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Anfechtung eines Gesellschafterbeschlusses, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 26. März 2019, GZ 3 R 46/19t‑10, womit über Rekurs der beklagten Partei der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 14. Februar 2019, GZ 22 Cg 9/19a‑3, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00090.19G.0627.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die einstweilige Verfügung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat die Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen vorläufig, die beklagte Partei hat die Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen endgültig selbst zu tragen.

 

Begründung:

Die klagende und gefährdete Partei ist Gesellschafterin der Beklagten. Die Klägerin hält derzeit 18,7 %, die N***** GmbH 75,03 % und ein weiterer Gesellschafter 6,27 % der Geschäftsanteile.

Im Zusammenhang mit der am 1. 2. 2018 in der Gesellschafterversammlung beschlossenen Erhöhung des Stammkapitals unterschrieben die Klägerin und die N***** einen mit „Termsheet“ übertitelten Text. Darin wurde unter anderem vereinbart, dass in Hinkunft Kapitalmaßnahmen der Gesellschaft nur mit Zustimmung der Klägerin vorgenommen werden können und zu diesem Zweck der Gesellschaftsvertrag dahingehend geändert wird, dass Kapitalmaßnahmen jeglicher Art einschließlich des Ausschlusses von Bezugsrechten lediglich mit einer Mehrheit von 85 % der in der Generalversammlung vertretenen Stimmen erfolgen können.

In der Tagesordnung der für den 23. 11. 2018 anberaumten außerordentlichen Gesellschafterversammlung war als Programmpunkt angeführt: „Genehmigung der Aufstockung des Kapitals mit EUR 2.200.000 mittels Kapitalerhöhung durch Bargeldeinlage.“

Die Klägerin beantragte, vor einer allfälligen Abstimmung über die geplante Kapitalerhöhung den Gesellschaftsvertrag dahin zu ändern, dass eine Kapitalmaßnahme jeglicher Art einschließlich des Ausschlusses von Bezugsrechten einer Mehrheit von 85 % der abgegebenen Stimmen bedürfe.

Zur Sicherung dieser Maßnahme beantragte die Klägerin gegen die Mitgesellschafterin N***** am 14. 11. 2018 eine einstweilige Verfügung, wonach der Beklagten geboten werde, es zu unterlassen, im Rahmen einer Generalversammlung der Beklagten einer Kapitalmaßnahme zuzustimmen, sofern nicht insgesamt 85 % der in dieser Generalversammlung vertretenen Stimmen der Gesellschafter einer solchen Kapitalmaßnahme zustimmen. Die einstweilige Vereinbarung wurde antragsgemäß erlassen; einem dagegen erhobenen Rekurs gab das Gericht zweiter Instanz nicht Folge. Ein dagegen erhobener Revisionsrekurs wurde mit Beschluss des erkennenden Senats vom 23. 5. 2019 zurückgewiesen (6 Ob 44/19t).

Mit E‑Mail vom 1. 1. 2019 beraumte die Beklagte für den 25. 1. 2019 abermals eine außerordentliche Generalversammlung an. Als Tagesordnungspunkt war unter anderem vorgesehen: „Beschlussfassung über eine Erhöhung des Stammkapitals (Punkt IV.1. des Gesellschaftsvertrags) um EUR 2,2 Millionen durch eine Barkapitalerhöhung.“

Unter Verweis auf die einstweilige Verfügung vom 16. 11. 2018 ersuchte die Klägerin um Aufnahme eines weiteren Tagesordnungspunktes mit dem Inhalt „Antrag auf Änderung des Gesellschaftsvertrags der C***** wie folgt:

„§ XI.7. folgende Beschlüsse der Generalversammlung bedürfen einer Mehrheit von 85 % der abgegebenen Stimmen: Kapitalmaßnahmen jeglicher Art einschließlich des Ausschlusses von Bezugsrechten.“

Die Beklagte antwortete, das im Rahmen der Generalversammlung vom 25. 1. 2019 über diesen Antrag noch vor der Beschlussfassung über eine Erhöhung des Stammkapitals entschieden werde.

In der Generalversammlung vom 25. 1. 2019 waren alle drei Gesellschafter vertreten. Bei der Abstimmung über die Änderung des Gesellschaftsvertrags stimmte die Klägerin für diesen Antrag, die beiden anderen Gesellschafter jedoch gegen diesen Antrag. In der Folge wurde die Erhöhung des Stammkapitals um 2,2 Millionen EUR durch Barkapitalerhöhung beschlossen. Der Vorsitzende der Generalversammlung erklärte das Beschlussergebnis aufgrund der Mehrheit der abgegebenen Stimmen von 81,3 % für angenommen; dagegen erhob die Klägerin Widerspruch.

Die Beklagte beabsichtigt, die Kapitalerhöhung durch Anmeldung der Änderung des Gesellschaftsvertrags im Firmenbuch durchzuführen und mit der N***** die Übernahme der Anteile und damit auch eine anteilige Erhöhung deren Anteile auszuführen.

Die Klägerin begehrt die Nichtigerklärung dieses Beschlusses, weil die Beklagte das Stimmverbot der N***** trotz Kenntnis der einstweiligen Verfügung nicht berücksichtigt habe. Die Stimmabgabe sei sitten‑ und treuwidrig. Weiters beantragte die Klägerin die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit der der beklagten Partei verboten werden soll, den Beschluss über die Erhöhung des Stammkapitals auszuführen, insbesondere diesen Beschluss beim Firmenbuchgericht anzumelden.

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Abänderung des Gesellschaftsvertrags dahingehend zu, dass Kapitalmaßnahmen oder eine Änderung von Bezugsrechten nur mit einer Mehrheit von 85 % der Gesellschafter beschlossen werden könnten. Aufgrund der durch eine Kapitalerhöhung ohne Änderung des Gesellschaftsvertrags bescheinigten Verringerung des Anteils sei von einer verminderten Einflussnahme‑ und Kontrollmöglichkeit der Klägerin bei der Beklagten auszugehen, wobei die Klägerin aus der Beklagten auch dauerhaft ausgeschlossen werden könne.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss im antragsabweisenden Sinn ab. Es liege keine von allen Gesellschaftern geschlossene Syndikatsvereinbarung vor. Da der Stimmbindungsvertrag zwischen der Klägerin und der N***** die Beklagte nicht binde, sei die syndikatswidrig erfolgte Stimmabgabe der N***** wirksam. Eine Anfechtung des Gesellschafterbeschlusses wegen der gegen die Stimmrechtsvereinbarung und somit gegen die bezughabende einstweilige Verfügung verstoßende Stimmabgabe scheide daher aus.

Der Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil sich das Rekursgericht an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren habe können.

Der Revisionsrekurs macht im Wesentlichen geltend, das Rekursgericht habe außer Acht gelassen, dass die Stimmabgabe durch die Mehrheitsgesellschafterin in der Generalversammlung vom 25. 1. 2019 entgegen einer bestehenden einstweiligen Verfügung erfolgt sei; die Mehrheitsgesellschafterin sei daher nicht stimmberechtigt gewesen, weswegen eine Stimmabgabe rechtswidrig, da rechtsmissbräuchlich, sittenwidrig, treuwidrig und gesetzwidrig gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; er ist auch berechtigt.

1.1. Nach § 41 Abs 1 GmbHG kann mittels Klage die Nichtigerklärung eines Beschlusses der Gesellschafter verlangt werden, 1. wenn der Beschluss nach diesem Gesetz oder dem Gesellschaftsvertrag als nicht zustande gekommen anzusehen ist oder 2. wenn der Beschluss durch seinen Inhalt zwingende Vorschriften des Gesetzes verletzt oder, ohne dass bei der Beschlussfassung die Vorschriften über die Abänderung des Gesellschaftsvertrags eingehalten worden wären, mit letzterem in Widerspruch steht.

1.2. Dazu wurde bereits ausgesprochen, dass neben Verstößen gegen § 1295 Abs 2 ABGB auch eine treuwidrige Stimmabgabe anfechtbar ist (6 Ob 130/05v). Die Treuepflicht des Gesellschafters einer GmbH gebietet eine angemessene Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Mitgesellschafter auch bei Ausübung des Stimmrechts in der Generalversammlung (RS0060175). Ob ein bestimmtes Verhalten eines Gesellschafters gegen seine Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft oder Mitgesellschaftern verstößt, hängt allerdings sehr stark von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab (RS0060175 [T3]). Die Treuepflicht gebietet es allerdings nicht, stets die Interessen der Gesellschaft über die eigenen zu stellen (vgl RS0060175 [T6]).

1.3. Allgemein fallen unter § 41 GmbHG auch mittelbare Gesetzeswidrigkeiten oder Satzungswidrigkeiten eines an sich nicht gesetzwidrigen oder satzungswidrigen Beschlusses; dies könnte angenommen werden, wenn der Inhalt des Beschlusses und dessen Folgen in seiner Beziehung zur Gesellschaft oder den Individualrechten der überstimmten Gesellschafter oder zu den Rechten der der Majorität angehörenden Gesellschafter gesetzwidrig oder satzungswidrig wären (RS0060041). Auch Sittenwidrigkeiten bilden einen Anfechtungsgrund (RS0060041 [T2]; 6 Ob 515/88). Weiters wurde ausgesprochen, dass auch ein „Stimmrechtsmissbrauch“ die Anfechtbarkeit eines Beschlusses bewirkt (RS0106227).

1.4. Ein Stimmrechtsbindungsvertrag kann grundsätzlich nur die Gesellschafter, nicht aber die GmbH selbst binden (RS0049389; RS0059854). Die bindungswidrig abgegebene Stimme ist daher wirksam; auch eine Anfechtung des Beschlusses wegen Verletzung des Stimmbindungsvertrags scheidet aus, sofern sich die Stimmbindung nicht darauf beschränkt, die – auch ohne Syndikatsvertrag gegebene – Treuepflicht zu konkretisieren (RS0049389 [T1]; RS0079236).

1.5. In einigen Fällen erscheint es jedoch sachgerecht, auch Gesellschafterbeschlüsse, die unter Verletzung von Stimmbindungsvereinbarungen, die von sämtlichen Gesellschaftern eingegangen wurden, zustandekamen, als anfechtbar zu betrachten und solche Regelungen daher – ohne dass sie Bestandteil der Satzung wären – als solche der Gesellschaft selbst zu behandeln; dieser „Durchgriff“ lässt sich allerdings nur rechtfertigen, wenn er in der ausgeprägten personalistischen Struktur der Gesellschaft begründet ist; das muss insbesondere für Stimmbindungsverträge gelten, in denen sich das personalistische Element manifestiert, da sich mit dem Grad der personalistischen Ausrichtung der Gesellschaft auch die Intensität der einzuhaltenden Treuepflichten steigert (RS0079236 [T2]). In der Entscheidung 6 Ob 202/10i wurde zuletzt allerdings die Frage eines „Durchgriffs“ bei omnilateralen Stimmbindungsverträgen offen gelassen, weil ein von allen Gesellschaftern geschlossener Vertrag nicht vorlag.

1.6. Weiters ist ein Beschluss der Generalversammlung im Sinne des § 41 Abs 1 Z 1 GmbHG dann als nicht nach dem Gesetze zustande gekommen anzusehen, wenn bei der Abstimmung eine Person mitwirkte, die gemäß § 39 Abs 3 GmbHG kein Stimmrecht hatte (RS0059906). Gleiches gilt, wenn ein Stimmverbot des § 39 Abs 4 GmbHG verletzt wurde, wobei letztere Bestimmung auch bereits auf weitere Sachverhalte analog angewendet wurde (vgl 6 Ob 139/06v). Wenn eine nicht stimmberechtigte Person bzw ein vom Stimmrecht ausgeschlossener Gesellschafter an der Beschlussfassung mitwirkt, dann ist der Beschluss somit anfechtbar (RS0060117 [T1]).

2.1. Einer drohenden Verletzung der Stimmrechtsbindung (Syndikatsvereinbarung) kann mit vorbeugender Unterlassungsklage begegnet werden und dieser Anspruch mit einstweiliger Verfügung gesichert werden (RS0117682; vgl jüngst 6 Ob 40/19t). Eine syndikatswidrig abgegebene Stimme ist nach der Rechtsprechung allerdings gültig und ein syndikatswidrig gefasster Beschluss grundsätzlich nicht anfechtbar. Soweit in der Judikatur bislang Ausnahmen für den Fall eines omnilateralen Syndikatsvertrags bei einer personalistisch strukturierten Gesellschaft erwogen wurden (vgl oben ErwGr 1.5.), ist dies im vorliegenden Fall nicht einschlägig, weil kein omnilateraler Syndikatsvertrag vorliegt.

2.2. Im vorliegenden Fall wurde der angefochtene Gesellschafterbeschluss jedoch gegen eine ausdrückliche einstweilige Verfügung gefasst. Darin unterscheidet sich der vorliegende Fall von der vom Rekursgericht herangezogenen Entscheidung 6 Ob 202/10i. Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen eine derartige einstweilige Verfügung auf Unterlassung der Stimmabgabe wurden bisher weder in der Rechtsprechung noch in der Lehre behandelt.

2.3. Beim Unterlassungsgebot nach § 382 Abs 1 Z 5 EO ist eine Drittwirkung, also eine Wirkung gegenüber nicht am Provisorialverfahren beteiligten Parteien, gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil sich der Sicherungsantrag im vorliegenden Fall gegen die Gesellschaft richtet, die an dem nur zwischen der Klägerin und einer weiteren Gesellschafterin geführten Verfahren nicht beteiligt war.

3.1. Der im Revisionsrekurs angezogene § 39 Abs 4 GmbHG normiert ein Stimmverbot für den Fall, dass der durch die Beschlussfassung Betroffene von einer Verpflichtung befreit oder ihm ein Vorteil zugewendet werden soll. Diesfalls hat er weder im eigenen noch im fremden Namen das Stimmrecht. Das Gleiche gilt von der Beschlussfassung, welche die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit einem Gesellschafter oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen ihm und der Gesellschaft betrifft.

3.2. Die Bestimmung erfasst also etwa den Fall, dass über einen Antrag abgestimmt wird, einen von der Gesellschaft an einen Gesellschafter bezahlten Betrag von diesem zurückzuverlangen (RS0059877). Weiters besteht ein Stimmrechtsausschluss bei der Beschlussfassung über die Einleitung eines Verfahrens gegen einen der Gesellschafter auf Schadenersatz, auf Unterlassung wettbewerbswidriger Handlungen und auf Rechnungslegung (vgl RS0059877 [T1]). Andererseits dürfen Gesellschafter bei dem Beschluss auf Ermächtigung des Geschäftsführers zum Verkauf des Unternehmens selbst dann mitstimmen, wenn die Veräußerung an einen von ihnen erfolgt (RS0059986).

3.3. Bei § 39 Abs 4 GmbHG geht es zum einen um eine Variation der Regeln über das In-Sich-Geschäft, zum anderen um die Durchsetzung des Gedankens, dass niemand Richter in eigener Sache sein soll (RS0086644 [T2]). Aus dem Gesetz lässt sich demnach kein generelles Stimmverbot für alle Fälle einer Interessenkollision ableiten (vgl RS0086644). Jedoch kommt im Einzelfall eine analoge Anwendung des § 39 Abs 4 GmbHG in Frage: So wurde bereits ausgesprochen, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Beschlussfassung betreffend den Widerruf einer ihm von der Gesellschaft erteilten Zustimmung zu konkurrenzierenden Tätigkeiten oder Beteiligungen nicht stimmberechtigt ist (6 Ob 139/06v).

3.4. Entgegen der vom Revisionsrekurs vertretenen Auffassung lässt sich die Anfechtbarkeit des Beschlusses im vorliegenden Fall nicht mit einer analogen Anwendung des § 39 Abs 4 GmbHG begründen. Bei der analogen Anwendung ist die ratio der Vorschrift entscheidend: Das Stimmverbot darf nur auf Fälle erstreckt werden, die von einer den gesetzlich normierten Tatbeständen vergleichbaren institutionell bedingten Interessenkollision gekennzeichnet sind (6 Ob 191/18h). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Der Gesetzgeber hat gerade kein umfassendes Stimmverbot für jede Art von Interessenkonflikt normiert. Im Übrigen greift bei verbandsrechtlichen Beschlüssen das Stimmverbot des § 39 Abs 4 GmbHG nach ganz einhelliger Auffassung nicht ein (RS0086644 [T6]).

4.1. Die Anfechtbarkeit des Beschlusses ergibt sich jedoch aus einer anderen Erwägung: Nach jüngerer Judikatur liegt Rechtsmissbrauch bereits dann vor, wenn unlautere Motive der Rechtsausübung das lautere Motiv bzw die lauteren Motive eindeutig überwiegen (RS0026271 [T20]) oder wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein ganz krasses Missverhältnis besteht (RS0026271 [T19]). Die Beweislast trifft denjenigen, der sich auf Rechtsmissbrauch beruft, wobei selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zugunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag geben, weil demjenigen, der an sich ein Recht hat, grundsätzlich zugestanden werden soll, dass er innerhalb der Schranken dieses Rechts handelt (RS0026271 [T26]).

4.2. Allgemein verstößt gegen die guten Sitten, was dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft, dies ist aller billig und gerecht Denkenden, widerspricht (RS0022920). Unter den guten Sitten ist der Inbegriff jener Rechtsnormen zu verstehen, die im Gesetz nicht ausdrücklich ausgesprochen sind, die sich aber aus der richtigen Betrachtung der rechtlichen Interessen ergeben; die guten Sitten werden mit dem ungeschriebenen Recht gleichgesetzt zu dem neben den allgemeinen Rechtsgrundsätzen auch die allgemein anerkannten Normen der Moral gehören (RS0022866).

4.3. Im vorliegenden Fall hat nach dem als bescheinigt angenommenen Sachverhalt eine Gesellschafterin bei der Stimmabgabe gegen eine mit der Klägerin abgeschlossene Vereinbarung verstoßen. Dabei ging es um den Zusammenhang zwischen der Zustimmung zur Kapitalerhöhung und einer von der Klägerin gewünschten Änderung der Mehrheitserfordernisse in der Satzung. Dieser Zusammenhang war auch der Gesellschaft und den übrigen Gesellschaftern aufgrund der Vorkorrespondenz bekannt. Verneinte man bei dieser Sachlage eine Anfechtbarkeit des Beschlusses über die Kapitalerhöhung, bedeutete dies, dass ein Verstoß gegen ein mit einstweiliger Verfügung angeordnetes Stimmverbot weitgehend sanktionslos wäre. Da die Abstimmung in der Regel nur einmal in Betracht kommt, hätte ein gegen eine einstweilige Verfügung verstoßender Gesellschafter nur einmal die Verhängung einer Strafe nach § 355 EO zu befürchten. Der vorliegende Fall zeigt, dass dieser Bestimmung gerade bei entsprechend hohen betroffenen Vermögensinteressen keine ausreichende abschreckende Wirkung zukommt. Dem Gesetzgeber kann aber nicht unterstellt werden, dass er ein Gerichtsverfahren über die Erlassung von Sicherungsmaßnahmen samt entsprechendem Instanzenzug vorsieht, gleichzeitig aber in Kauf nimmt, dass derartige Maßnahmen weitgehend sanktionslos ignoriert werden können.

4.4. In diesem Zusammenhang ist auch auf die § 379 Abs 3 Z 2 EO zu entnehmende Wertung zu verweisen. Diese Bestimmung sieht eine absolute Wirkung des Verbots der Veräußerung und Belastung beweglicher Sachen vor, sofern der Dritte nicht gutgläubig im Sinne des § 367 ABGB ist. Aus dieser Regelung ist kein Umkehrschluss zu ziehen; vielmehr hat der Gesetzgeber die Folgen verbotswidrigen Handelns in anderen Fällen nicht bedacht. Die § 379 Abs 3 Z 2 EO zu entnehmende Wertung lässt sich daher auf die vorliegende Konstellation übertragen. Dabei bedarf es keiner abschließenden Klärung der in der Literatur umstrittenen Frage (vgl dazu E. Kodek in Angst/Oberhammer, EO3 § 379 Rz 35 mwN), ob einem Drittverbot widersprechende Verfügungen wegen der Notwendigkeit effektiven Rechtsschutzes stets unwirksam sind. Jedenfalls scheidet ein gutgläubiger Erwerb einer bestimmten Rechtsposition durch einen Mitgesellschafter oder durch die Gesellschaft selbst aus, wenn – wie im vorliegenden Fall – allen Beteiligten die einstweilige Verfügung bekannt war und aus diesem Grund auch ausdrücklich Widerspruch gegen den gefassten Gesellschafterbeschluss erhoben wurde.

4.5. Dass bei unbeweglichen Sachen ein Verstoß gegen ein Veräußerungs- und Belastungsverbot nach § 382 Abs 1 Z 6 EO keine dingliche Wirkung hat (vgl E. Kodek in Angst/Oberhammer, EO3 § 384 Rz 3 ff), erklärt sich mit dem im Grundbuch geltenden Rangprinzip; für das Gesellschaftsrecht ist daraus nichts abzuleiten.

4.6. Der Einwand der Antragsgegnerin, die einstweilige Verfügung sei nicht rechtskräftig, ist nicht stichhaltig. Abgesehen davon, dass aufgrund der Entscheidung des erkennenden Senats vom 23. 5. 2019 (6 Ob 44/19t) die einstweilige Verfügung mittlerweile in Rechtskraft erwachsen ist, kam dem gegen die einstweilige Verfügung erhobenen Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung zu (vgl § 524 ZPO).

4.7. Auch ist unerheblich, dass nicht alle Gesellschafter am Provisorialverfahren beteiligt waren. Die Anfechtbarkeit des entgegen der einstweiligen Verfügung gefassten Gesellschafterbeschlusses ist nämlich nicht Folge einer – einstweiligen Verfügungen in Bezug auf das Hauptverfahren niemals zukommenden – Bindungswirkung, sondern ausschließlich Folge des Umstands, dass das – noch dazu allen Gesellschaftern bekannte – Zuwiderhandeln der Antragsgegnerin gegen die einstweilige Verfügung nach dem Gesagten als sittenwidrig zu qualifizieren ist. Für diese Beurteilung kommt es aber nicht darauf an, ob am Provisorialverfahren gegebenenfalls noch weitere Personen beteiligt waren.

5. Nicht entscheidend ist schließlich, dass für die beantragte einstweilige Verfügung nach § 42 Abs 4 GmbHG die Bescheinigung eines unwiderbringlichen Nachteils für die Gesellschaft, nicht für den anfechtenden Gesellschafter, notwendig ist (6 Ob 38/18h). Neben der einstweiligen Verfügung nach § 42 Abs 4 GmbHG stehen nämlich auch einstweilige Verfügungen nach der EO zur Verfügung (König, Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren5 Rz 10.57). Droht also einem Gesellschafter ein unwiderbringlicher Schaden, so kann dieser einen auf § 381 Z 2 EO gestützten Sicherungsantrag stellen (4 Ob 256/03f; König aaO; Artmann, GesRZ 2011, 170; Sailer in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO § 386 Rz 15; Zackl, Einstweiliger Rechtsschutz im Gesellschaftsrecht Rz 412). In diesem Zusammenhang verweist die Klägerin nachvollziehbar darauf, dass sich bei Durchführung des Beschlusses ihr Einfluss auf 8,06 % reduzieren würde, was den anderen Gesellschaftern einen Gesellschafterausschluss nach dem GesAusG ermöglichen würde.

6. Damit war spruchgemäß in Stattgebung des Revisionsrekurses die zutreffende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

7. Die Entscheidung über die Kosten des Rekurs- und Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf § 393 EO.

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