OGH 1Ob78/24p

OGH1Ob78/24p27.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Dr. Oliver Peschel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. D* N.V., *, Curaçao, und 2. F* Ltd., reg.No *, Zypern, beide vertreten durch die Mag. Simon Wallner Rechtsanwalt GmbH in Wien, wegen 32.270 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. März 2023, GZ 4 R 33/24p‑17, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00078.24P.0527.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revison wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Erstbeklagte ist eine Gesellschaft mit Sitz in Curaçao, die über eine aufrechte Lizenz der dortigen staatlichen Lizenzierungsbehörde zum Anbieten von Online‑Glücksspielen verfügt. Die Zweitbeklagte ist eine in Zypern ansässige Tochtergesellschaft der Erstbeklagten, die regelmäßig als deren Bevollmächtigte agiert. Beide verfügen über keine Konzession nach dem österreichischen Glücksspielgesetz, boten jedoch über ihre Website auch in Österreich die Teilnahme an verschiedenen Online‑Glücksspielen an.

[2] Der Kläger nahm in der Zeit vom 19. 8. 2022 bis 6. 2. 2023 an von den Beklagten angebotenen Online‑Glücksspielen teil und verlor dabei insgesamt 32.270 EUR. Er begehrt den Rückersatz seines Verlusts.

[3] Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts, mit dem es die Beklagten zur Zahlung verpflichtete, und ließ die Revision nicht zu.

[4] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, wobei die Erstbeklagte anzeigte, vor einem Gericht in Curaçao einen Insolvenzantrag gestellt zu haben. Die Revision kann keine Rechtsfragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen.

Rechtliche Beurteilung

[5] 1. Nach § 221 Abs 1 IO gilt für Insolvenzverfahren, die Voraussetzungen für ihre Eröffnung und ihre Wirkungen – soweit in den §§ 222 bis 235 IO nichts anderes bestimmt ist – das Recht des Staats, in dem das Verfahren eröffnet wird. Eine vergleichbare Regelung enthält auch Art 7 der EuInsVO. Ausgenommen sind die Wirkungen auf anhängige Rechtsstreitigkeiten gemäß § 231 IO (§ 221 Abs 2 Z 6 IO). Für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen anhängigen Rechtsstreit über eine Sache oder ein Recht der Masse ist daher nach § 231 IO das Recht des Staats maßgebend, in dem der Rechtsstreit anhängig ist. Diese Bestimmung entspricht im Wesentlichen Art 18 EuInsVO. Unter Art 18 EuInsVO bzw § 231 IO fällt jedenfalls eine allfällige Unterbrechungswirkung und ‑dauer einschließlich der Regelung der Fortsetzung (8 Ob 21/22d mwN).

[6] 1.1. Die Wirkungen eines ausländischen Insolvenzverfahrens auf anhängige massebezogene Rechtsstreitigkeiten richten sich daher jedenfalls nach österreichischem Recht. Auf die Frage, ob die EuInsVO auch für die Niederländischen Antillen (Curaçao) gilt, kommt es dabei nicht an, weil sowohl die EuInsVO als auch das österreichische Internationale Insolvenzrecht zu diesem Ergebnis führen (vgl zum Geltungsbereich des Unionsrechts Art 355 Abs 2 iVm Anhang II AEUV; dazu näher Nowak in Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV2 [2023] Art 355 AEUV Rz 5, insb FN 19 und 24; Schmalenbach in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV6 [2022] Art 355 AEUV Rz 6).

[7] 1.2. Nach § 7 Abs 1 IO werden durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens alle anhängigen Rechtsstreitigkeiten, in denen der Schuldner Kläger oder Beklagter ist, mit Ausnahme der in § 6 Abs 3 IO genannten Streitigkeiten unterbrochen. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und ihre Wirkungen sind auch im Rechtsmittelverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen (RS0036752 [T12, T32]).

[8] 1.3. Mit ihrem Hinweis, dass sie vor dem zuständigen Gericht in Curaçao den Antrag gestellt habe, sie „soweit auf Vorrat möglich“ für insolvent zu erklären, gibt die Erstbeklagte selbst zu erkennen, dass die Voraussetzungen für eine Unterbrechung des Rechtsmittelverfahrens schon deshalb nicht vorliegen, weil es dafür jedenfalls einer auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens lautenden gerichtlichen Entscheidung bedarf. Für eine (amtswegige) Unterbrechung des Revisionsverfahrens besteht damit kein Anlass. Auf die Frage, ob eine Insolvenzeröffnung in Curaçao anzuerkennen wäre, was bei Unanwendbakeit der EuInsVO nach § 240 IO zu beurteilen wäre, kommt es nicht an.

[9] 2. Nach ständiger Rechtsprechung steht § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB einem (bereicherungsrechtlichen) Rückforderungsanspruch hinsichtlich der Spieleinsätze für ein (verbotenes) Online-Glücksspiel nicht entgegen, weil die entsprechenden Einsätze nicht gegeben werden, um das verbotene Spiel zu bewirken, sondern um am Spiel teilzunehmen. Damit ist diese Bestimmung schon ihrem Wortlaut nach nicht anwendbar. Darauf, ob der Spieler durch die Teilnahme am verbotenen Spiel (selbst) einen Verwaltungsstraftatbestand erfüllt, konkret gegen § 52 Abs 5 GSpG verstoßen hat, kommt es daher nicht an. Gegenteiliges kann entgegen der Annahme der Beklagten in ihrem Rechtsmittel auch der Entscheidung 5 Ob 506/96 nicht entnommen werden (siehe nur 1 Ob 1/24i; 1 Ob 179/23i mwN).

[10] 3. Der Oberste Gerichtshof hat – im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte – auf Basis der einschlägigen Judikatur des EuGH in mehreren aktuellen Entscheidungen neuerlich festgehalten, dass das österreichische System der Glücksspiel‑Konzessionen einschließlich der Werbemaßnahmen der Konzessionäre im hier relevanten Zeitraum nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (vgl nur 1 Ob 95/23m; 1 Ob 111/23i je mwN). Die Beurteilung des Berufungsgerichts entspricht dieser Rechtsprechung.

[11] 4. Zu den Voraussetzungen der unionsrechtlichen Zulässigkeit eines Glückspielmonopols sowie der dadurch bewirkten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit liegt bereits umfangreiche Rechtsprechung des EuGH vor (vgl die Hinweise in 5 Ob 30/21d). Ein (weiteres) Vorabentscheidungsersuchen ist daher nicht erforderlich. Entgegen der Darstellung der Revisionswerberinnen ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH C‑920/19 , Fluctus, kein Verbot für ein nationales Gericht, sich auf Vorentscheidungen „höherer“ (nationaler) Gerichte (hier auf in zahlreichen Parallelverfahren ergangene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs) zu berufen. Vielmehr sprach der EuGH darin bloß aus, dass eine gegen Art 56 AEUV verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts auch dann nicht angewendet werden dürfe, wenn ein „höheres“ nationales Gericht diese als mit dem Unionsrecht vereinbar ansah, dessen Erwägungen aber offensichtlich nicht dem Unionsrecht entsprachen (vgl insbesondere Rn 58 der genannten Entscheidung des EuGH). Dass und bei welcher nationalen Norm dies hier der Fall gewesen wäre, legen die Revisionswerberinnen nicht dar (2 Ob 23/23f mwN). Der von den Beklagten behauptete Feststellungsmangel und damit eine (sekundäre) Mangelhaftigkeit der Berufungsentscheidung, weil Feststellungen „zum Thema Unionsrechtswidrigkeit“ fehlten, ist damit nicht zu erkennen.

[12] 5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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