OGH 1Ob4/24f

OGH1Ob4/24f27.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden und die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*, vertreten durch Dr. Michael Gumpoltsberger, Rechtsanwalt in Wörgl, gegen die beklagte Partei S* GmbH, *, vertreten durch hba Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 20. Oktober 2023, GZ 3 R 137/23b‑22, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Kufstein vom 11. April 2023, GZ 12 C 165/22b‑16, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00004.24F.0527.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 602,54 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 100,42 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte ist ein Elektrizitätsunternehmen mit Sitz in W* und die Betreiberin jenes Verteilernetzes, an das die Wohnung der Klägerin angeschlossen ist. Die Klägerin schloss mit der Beklagten vor Jahren für diese Wohnung einen Stromliefervertrag ab. Mit Schreiben vom 27. 7. 2022 kündigte die Beklagte diesen Vertrag zum 30. 9. 2022 auf und bot der Klägerin gleichzeitig den Abschluss eines neuen Stromlieferungsvertrags ab 1. 10. 2022 zu einem höheren Preis an. Dieses Anbot wurde von der Klägerin nicht angenommen.

[2] Die Klägerin begehrte die Feststellung, dass die von der Beklagten erfolgte Aufkündigung ihres Stromliefervertrags rechtsunwirksam sei und der Stromliefervertrag weiter aufrecht bestehe, in eventu, dass festgestellt werde, dass zwischen ihr und der Beklagten ein aufrechter Stromliefervertrag bestehe. Zudem erhob sie ein Feststellungsbegehren im Hinblick auf künftige Schäden. Es handle sich um eine unzulässige Änderungskündigung zur Umgehung des gesetzlichen Preisänderungsrechts nach § 80 Abs 2a ElWOG.

[3] Die Beklagte bestreitet. Sie habe von ihrem Recht auf ordentliche Kündigung nach § 76 Abs 1 ElWOG Gebrauch gemacht.

[4] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Für die einseitige Kündigung von Verträgen durch den Energieversorger habe § 80 Abs 2a ElWOG keine Bedeutung.

[5] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob § 80 Abs 2a ElWOG auch dann (analog) anzuwenden sei, wenn der Energieanbieter die einseitige Kündigung des bisherigen Energieliefervertrags ausspreche und gleichzeitig ein Angebot zum Abschluss eines Neuvertrags mit höheren Preisen unterbreite.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die (von der Beklagten beantwortete) Revision der Klägerin ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[7] 1. Der Bewertungsanspruch der zweiten Instanz ist grundsätzlich unanfechtbar und auch für den Obersten Gerichtshof bindend (RS0042515), es sei denn, das Berufungsgericht hätte zwingende Bewertungsvorschriften verletzt (RS0042385 [T8]) oder den ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraum überschritten (RS0042385 [T22]; RS0042515 [T8]) und eine offenkundige Unter‑ oder Überbewertung vorgenommen (RS0109332 [T1]). Entgegen der Meinung der Beklagten liegt eine solche hier nicht vor, weil es – selbst wenn man auf die von der Beklagten ins Treffen geführte Preisdifferenz abstellen wollte – nicht allein auf einen Jahresdifferenzbetrag ankommen kann, handelt es sich doch bei Energielieferungsverträgen um sogenannte Sukzessivlieferungsverträge mit einem häufig längerfristigen Zeithorizont (RS0025878 [T2]).

[8] 2. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt dann nicht vor, wenn die aufgezeigte Frage im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits beantwortet wurde (vgl RS0112921 [insb T5]).

[9] 3. Der Oberste Gerichtshof hat zu sämtlichen in der Revision enthaltenen Argumenten bereits in der Entscheidung 3 Ob 7/24m in einem gleich gelagerten Parallelverfahren ausführlich Stellung genommen. Diese Ausführungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

[10] 3.1. Die Beklagte hat mit ihrem Schreiben vom 27. 7. 2022 keine Änderungen des vertraglich vereinbarten Entgelts bei weiter bestehendem Vertragsverhältnis und keine bloß bedingte, sondern die unbedingte ordentliche Kündigung des damals mit der Klägerin bestandenen Stromliefervertrags vorgenommen. Eine solche ordentliche Vertragskündigung durch den Lieferanten ist nach § 76 Abs 1 ElWOG unter – hier unstrittig erfolgter – Einhaltung der dort genannten Voraussetzungen zulässig. § 80 Abs 2a ElWOG ist hingegen auf eine unbedingte ordentliche Kündigung nicht anzuwenden, und zwar auch dann nicht, wenn damit ein Angebot auf Abschluss eines neuen Vertrags zu geänderten Bedingungen verbunden wird, das ohnedies als solches einer eigenständigen Geltungs- und Inhaltskontrolle unterliegt. Aus § 80 Abs 2a ElWOG kann daher nicht die Unwirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung und das unveränderte Fortbestehen des seinerzeitigen Vertragsverhältnisses abgeleitet werden.

[11] Da die Klägerin das Anbot der Beklagten auf Abschluss eines neuen Vertrags mit einem höheren Strompreis nicht angenommen hat und dies auch mit ihrem Klagebegehren nicht anstrebt, kann dahin stehen, ob dieses Anbot den dafür maßgeblichen gesetzlichen Anforderungen oder den von der Klägerin dazu verlangten Informationen entsprochen hat.

[12] Im Bereich des Umstiegs zwischen den Angeboten verschiedener Stromanbieter liegt keine Fremdbestimmtheit der Klägerin vor, weil sie als Verbraucherin eine echte Wahlmöglichkeit unter verschiedenen Anbietern hat. Es besteht nach den Feststellungen auch keine marktbeherrschende Stellung der Beklagten für die Stromlieferung. Insgesamt liegt demnach kein Fall einer Marktbeherrschung vor, der die Kündigung der Beklagten als unwirksam erweisen und diese zur Weiterbelieferung nach den seinerzeitigen Konditionen verpflichten könnte.

[13] 3.2. Der erkennende Senat schließt sich diesen überzeugenden Ausführungen, die bereits vom 5. Senat geteilt wurden (5 Ob 34/24x), vollinhaltlich an.

[14] 4. Die Revision war daher zurückzuweisen.

[15] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Da die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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