European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00241.23X.0523.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit Sitz in Malta. Sie bietet auf ihren auch in Österreich abrufbaren Websites diverse Online-Glücksspiele an. Sie verfügt über eine Glücksspiellizenz in Malta, nicht aber über eine Konzession nach dem österreichischen Glücksspielgesetz.
[2] Der Kläger spielte seit 2. Februar 2008 mit zwei verschiedenen Benutzeraccounts auf zwei unterschiedlichen Websites. Eine davon, auf der der Kläger bis 16. September 2019 spielte, wurde bis Jänner 2015 von einer Gesellschaft mit Sitz auf der Isle of Man betrieben. Im Jänner 2015 wurden sämtliche österreichischen Kunden dieser Website auf das Angebot der Beklagten übertragen. Die zweite vom Kläger bis zum 26. Februar 2015 genutzte Website wurde erst mit 1. April 2016 auf die Beklagte übertragen; von dieser Übertragung wurden die Spieler informiert, allerdings kann nicht festgestellt werden, „was ihnen genau mitgeteilt wurde“. Der (erste) Betreiberwechsel im Jänner 2015 auf die Beklagte fiel dem Kläger nicht auf und er konnte wie gewohnt über seinen Account und mit seinen bisherigen Kontodaten weiterspielen. Ob der Kläger dem (ersten) Betreiberwechsel zustimmte, konnte nicht festgestellt werden. Der (zweite) Betreiberwechsel mit 1. April 2016 wurde dem Kläger zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt bekannt.
[3] Der Kläger begehrte von der Beklagten die Rückzahlung seiner im Zeitraum 2. Februar 2008 bis 16. September 2019 beim Online-Glücksspiel auf den von der Beklagten betriebenen Websites erlittenen Spielverluste.
[4] Die Beklagte wendete – soweit im Revisionsverfahren relevant – ein, sie sei für die geltend gemachten Verluste jedenfalls soweit nicht passiv legitimiert, als der Kläger sie auf den von ihr (noch) nicht betriebenen Websites erlitten habe. Der Kläger habe seinen Rahmenvertrag jeweils mit einer anderen Gesellschaft geschlossen. Da der Kläger außerdem nach der Übertragung der zweiten Website nicht mehr gespielt habe, sei es zu keiner Übernahme des Rahmenvertrags gekommen. Eine Haftung aus einem Unternehmensübergang oder Schuldbeitritt sei schon mangels Anwendbarkeit österreichischen Rechts ausgeschlossen.
[5] Das Erstgericht stellte die Klageforderung als mit 22.331,10 EUR sA zu Recht bestehend, die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend fest, verpflichtete die Beklagte zur Zahlung und wies das – Umrechnungsdifferenzen zwischen USD und EUR betreffende – Mehrbegehren von weiteren 4.397,93 EUR sA (unbekämpft) ab.
[6] Der Oberste Gerichtshof habe bereits mehrfach ausgesprochen, dass ein Online-Glücksspielbetreiber auch für Spielverluste hafte, die eintraten, als die Website noch von einem Rechtsvorgänger der Anbieterin betrieben wurde. Wenngleich hier Feststellungen zu einer (ausdrücklichen) Zustimmung des Klägers zum Transfer nicht hätten getroffen werden können, sei dennoch von der Passivlegitimation der Beklagten auszugehen, weil eine kumulative Schuldübernahme vorliege. Das gelte für beide Betreiberwechsel.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten dagegen nicht Folge.
[8] Die Beklagte habe selbst vorgebracht, dass sie alle auf der (ersten) auch vom Kläger genutzten Website spielenden Kunden im Jänner 2015 von der Übertragung der angebotenen Spiele informiert habe. Für den Kläger habe sich nach diesem Betreiberwechsel nichts geändert; er habe wie bisher weiter gespielt. Unstrittig sei weiters geblieben, dass der Kläger (wie die anderen Kunden) beim Einloggen in sein Spielerkonto vom Transfer der „Beziehung“ von der bisherigen Betreiberin auf die Beklagte informiert worden sei und dass er (damit) diesem Transfer zugestimmt habe. Das Vorbringen des Klägers, die Beklagte sei (auch) dem Rahmenvertrag beigetreten, habe die Beklagte nicht substanziiert bestritten. Daraus ergebe sich letztlich eine „offenkundige Willensübereinstimmung“ der Beklagten mit der früheren Betreiberin, den Rahmenvertrag zu übernehmen, und damit seien auch alle Ansprüche des Klägers auf die Beklagte übergegangen. Zu den weiteren Einwänden der Beklagten gegen ihre Haftung für die geltend gemachten Spielverluste liege bereits umfangreiche höchstgerichtliche Rechtsprechung vor.
[9] Die Revision sei zulässig, weil die Entscheidung mit „den zu 2 Ob 40/22d und 3 Ob 44/22z aufzufindenden Begründungen zur Passivlegitimation hinsichtlich Übernahme von Online‑Glücksspiel(rahmen)verträgen“ nicht übereinstimme.
[10] Die Beklagte beantragt in ihrer Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, die Entscheidung dahin abzuändern, dass das gesamte Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
[11] Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision ist zulässig und im Sinn ihres Aufhebungsantrags berechtigt.
[13] 1.1 Die Frage, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines schlüssigen Geständnisses vorliegen, ist vom Obersten Gerichtshof überprüfbar (vgl RS0040119 [T4]; RS0040078 [T6, T7]), insbesondere dann, wenn das Gericht zweiter Instanz erstmals ein schlüssiges Tatsachengeständnis annahm (RS0040078 [T7]). Zu den in der Revision beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts betreffend eine Zustimmung des Klägers zu den beiden Betreiberwechseln sowie zu den für die Annahme einer „offenkundigen Willensübereinstimmung“ zwischen der Beklagten und der vorherigen Betreiberin der Websites herangezogenen Umständen liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines schlüssigen Geständnisses nicht vor.
[14] 1.2 Zur Behauptung einer Zustimmung des Klägers zum ersten Betreiberwechsel hat das Erstgericht eine Negativfeststellung getroffen und dazu auf die Einvernahme des Klägers als Partei Bezug genommen. Indem das Berufungsgericht seiner rechtlichen Beurteilung ohne Beweiswiederholung eine (ausdrückliche oder konkludente) Zustimmung des Klägers zugrunde legte, verstieß es – wie die Beklagte in ihrer Verfahrensrüge aufzeigt – gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (vgl RS0043193; RS0043461; RS0043057). Zum zweiten Betreiberwechsel steht fest, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits aufgehört hatte, auf dieser von der Beklagten übernommenen Website zu spielen. Den Ausführungen des Erstgerichts in seiner rechtlichen Beurteilung zur Begründung einer Haftung der Beklagten infolge des „Unternehmenskaufs“ auch für die zweite Website liegen keine Tatsachenfeststellungen zugrunde. Dass bereits im Zeitraum 2012 bis 2013 zwischen den beiden vom Kläger genutzten Spielerkonten „Inter Site Transfers“ stattgefunden hätten, steht nicht fest und auch als mögliche dislozierte Feststellung wäre dieser Umstand für sich allein kein Anknüpfungspunkt für eine Haftung.
[15] 1.3 Zu den beiden Betreiberwechseln fehlen damit Feststellungen, auf deren Grundlage die Frage des Übergangs (auch) der Rahmenverträge mit den jeweils auf den von der früheren Betreiberin registrierten Kunden beurteilt werden könnte. Der Hinweis des Berufungsgerichts auf eine Vertragsübernahme im Sinn des österreichischen Rechts entbehrt einer Tatsachengrundlage, wie sie etwa der Entscheidung 9 Ob 10/22v (Pkt 1) zugrunde lag. Da die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren jede Art einer vertraglichen Einigung mit den Vorgängern bestritten hat, kann von einem Zugeständnis dieser Tatsache nicht ausgegangen werden. Aber auch für eine denkbare Haftung der Beklagten infolge ihrer – aus dem Empfängerhorizont der Spieler als Übernahme der Rahmenverträge zu verstehenden – Erklärungen sind hier die Feststellungen nicht ausreichend.
[16] 2.1 Auf einen – auch hier unstrittig vorliegenden – Verbrauchervertrag ist im Anwendungsbereich von Art 6 Rom I‑VO grundsätzlich das Recht des Verbraucherstaats anzuwenden. Nach Art 12 Abs 1 Rom I‑VO sind die vertragsrechtlichen Fragen nach dem einheitlichen Vertragsstatut (hier Verbraucherstatut) zu beurteilen. Dies gilt nach Abs 1 lit e leg cit auch für die Folgen der Nichtigkeit des Vertrags. Auch für die Rückabwicklung nichtiger Verträge gilt somit das Recht des Vertragsstatuts (3 Ob 44/22z mwN).
[17] 2.2 Das Vertragsstatut (Verbraucherstatut) verweist in Fällen wie dem hier zu beurteilenden auf österreichisches Recht. Der Rückforderungsanspruch nach § 877 ABGB ist auf die Herausgabe des erlangten Vorteils (hier der Spieleinsätze abzüglich der Auszahlungen) gerichtet.
[18] 2.3 Der Kläger eröffnete auf beiden Websites jeweils ein Spielerkonto, über das – davon kann auch ohne ausdrückliche Feststellung dazu ausgegangen werden – seine Einzahlungen, Gewinne und Verluste sowie Boni aus der fortlaufenden Teilnahme an Glücksspielen abgewickelt wurden. Der jeweilige Anbieter hatte damit wie üblich auch Dienstleistungen zur Abrechnung und Verwaltung des Spielerkontos des Klägers zu erbringen („Rahmenvertrag“). Dabei handelt es sich um ein Dauerschuldverhältnis.
[19] 2.4 Im Jänner 2015 ist das Rechtsverhältnis über diese Dienstleistungen von der ersten früheren Betreiberin unstrittig auf die Beklagte übergegangen und am 1. April 2016 das der zweiten Betreiberin. Bezüglich der ersten Website konnte der Kläger seinen Account und seine Kontodaten unverändert nutzen. Die zweite Website hat er hingegen bereits vor deren Übertragung an die Beklagte nicht mehr genutzt. Zu den in der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts erwähnten, zwischen diesen beiden Seiten stattgefundenen „Inter Site Transfers“ und deren Inhalt bzw Wirkungen für die Spieler fehlt jede Feststellung.
[20] 3.1 In zwei vergleichbaren Fällen (3 Ob 44/22z; ebenso 9 Ob 10/22v) legte der Oberste Gerichtshof ausführlich dar, dass grundsätzlich nach dem objektiven Verständnis redlicher Vertragsparteien unter der transferierten „Beziehung“ nicht ein einzelner Glücksspielvertrag, sondern die gesamte Rechtsbeziehung zum Kläger (Kunden) zu verstehen ist. Durch eine Vertragsübernahme, mit der die Gesamtheit aller wechselseitigen Rechte und Pflichten übertragen wurde, scheidet die frühere Betreiberin aus und die neue Betreiberin übernimmt die gesamte vertragliche Rechtsstellung der früheren Betreiberin. Bei einem solchen Gesamtübergang des Rechtsverhältnisses geht die Rechtsprechung davon aus, dass dieser auch auf § 877 ABGB gestützten Kondiktionsansprüche der Restpartei umfasst, die auf Leistungen an die ausgeschiedene Altpartei beruhen und deren Rückabwicklung aufgrund Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zu erfolgen hat (3 Ob 44/22z; 9 Ob 10/22v).
[21] 3.2 Hier fehlt allerdings – wie erwähnt – ein ausreichendes Tatsachensubstrat zu beiden Betreiberwechseln, um die Rückzahlungsansprüche des Klägers abschließend beurteilen zu können, weshalb eine Aufhebung zur Verfahrensergänzung unumgänglich ist.
[22] 3.3 Die Revision argumentiert weiters, die Annahme eines Schuldbeitritts sei schon deswegen nicht möglich, weil nach der Entscheidung 6 Ob 229/21a der Rahmenvertrag nichtig und damit keine beitrittsfähige Schuld gegeben sei. Dabei übersieht sie jedoch, dass es auch hier – wie in der zu 3 Ob 44/22z entschiedenen Konstellation (dazu auch 9 Ob 10/22v und 9 Ob 6/22f je mwN) – nicht um die Frage geht, ob ein nichtiger Vertrag übertragen wurde oder werden konnte, sondern darum, ob die daraus resultierenden Kondiktionsansprüche aufgrund von Erklärungen der Beklagten von dieser als Schuldnerin übernommen werden sollten (vgl 1 Ob 91/23y mwN).
[23] 4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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