OGH 7Ob28/24d

OGH7Ob28/24d22.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. R*, Rechtsanwalt, *, gegen die beklagte Partei E* AG, *, vertreten durch Themer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 107 EUR und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. August 2023, GZ 50 R 48/23z‑37, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 31. Jänner 2023, GZ 10 C 204/21d‑27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00028.24D.0522.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

I. Die Bezeichnung der beklagten Partei wird wie aus dem Kopf dieser Entscheidung ersichtlich berichtigt.

II. Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass es – unter Einschluss des bereits rechtskräftig entschiedenen Teils (Pkt 4. und 5.) – insgesamt lautet:

1. Das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass die beklagte Partei verpflichtet sei, der klagenden Partei für die Verfahren * des Bezirksgerichts Josefstadt sowie die Rechtsschritte in den damit zusammenhängenden Verfahren des Bezirksgerichts Josefstadt zu * und * des Bezirksgerichts Graz Ost aus der Polizze Nr. * Deckung zu gewähren, wird abgewiesen.

2. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 107 EUR (Gerichtsgebühr für die Oppositionsklage) zu bezahlen, wird abgewiesen.

3. Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für die Amtshaftungsklage aus dem Sachverhalt zur Schadennummer * wegen Fahrzeugzulassung aus der Polizze Nr. * Deckung zu gewähren hat.

4. Das Klagebegehren die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 1.761,67 EUR samt 8,56 % Zinsen seit 1. 11. 2020 zu bezahlen, wird abgewiesen.

5. Es wird festgestellt, dass die Kündigung der Polizze Nr. * zum 13. 09. 2020 rechtsunwirksam ist.

6. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.627,23 EUR (darin enthalten 513,51 EUR USt und 546,19 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.969,64 EUR (darin enthalten 239,24 EUR USt und 1.534,22 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Zu I.

[1] Die Änderung der Firma der beklagten Partei ergibt sich aus dem Firmenbuch. Ihre Parteibezeichnung war daher – auch von Amts wegen – zu berichtigen (RS0039666).

Zu II.

[2] Der Kläger hat bei der Beklagten einen mit 1. 2. 2019 beginnenden Rechtsschutzversicherungsvertrag „* Privat Rechtsschutz mit WohnWelt, FamilienWelt und VerkehrsWelt für selbstständig Erwerbstätige“.

[3] Die allgemeine Risikoumschreibung im Anhang zur Polizze lautet:

Der vereinbarte Versicherungsschutz umfasst

[…]

Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz (ge m. Artikel 19.1.1. und 19.1.2. ARB),

[…]

Allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz inkl. Streitigkeiten aus Versicherungsverträgen (ge m. Artikel 23.1.1. ARB),

[…]

Kein Versicherungsschutz besteht für selbstständig Erwerbstätige für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im Zusammenhang mit einer selbstständigen Erwerbstätigkeit.“

[4] Dem Vertrag liegen im Übrigen – soweit hier relevant – die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2018) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? […]

[…]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,

[…]

2.2 dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d. h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.

Besondere Bestimmungen

Artikel 19

Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz für den Privat-, Berufs- und Betriebsbereich

Der Versicherungsschutz erstreckt sich je nach Vereinbarung auf den Privat-, Berufs- und/oder Betriebsbereich.

[…]

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst

2.1 Schadenersatz-Rechtsschutz

für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen

- erlittener Personen-, Sach- oder Vermögensschäden;

- Sachschäden an fremden Objekten im Gewahrsam des Versicherungsnehmers.

Artikel 23

Allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz

[…]

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus

[…]

2.1.2. sonstigen schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers über bewegliche Sachen sowie aus Reparatur- und sonstigen Werkverträgen des Versicherungsnehmers über unbewegliche Sachen.

Als Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen gilt

2.1.3. auch die Geltendmachung oder Abwehr von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen.

[…]“

[5] Der Kläger begehrt – soweit noch Gegenstand des Revisionsverfahrens – Deckung fürein Oppositionsverfahren * des Bezirksgerichts Josefstadt, in welchem der Kläger als Oppositionskläger auftritt, sowie die Zahlung der Gerichtsgebühr von 107 EUR für die Oppositionsklage.

[6] Oppositionsbeklagter und betreibender Gläubiger in den Exekutionsverfahren ist M*. Im September 2005 wurde die D* KG im Firmenbuch eingetragen, an der als unbeschränkt haftender Gesellschafter M* und ua der Kläger als Kommanditist beteiligt waren.

[7] Der Kläger gewährte im Jahr 2008 M* zwei Darlehen in Höhe von  3.500 bzw 4.600 EUR. Es konnte nicht festgestellt werden, ob die Zahlungen als Privatdarlehen oder als Vorschuss auf Privatentnahmen eines zukünftigen Gewinns der D* KG erfolgten. Im Rahmen eines Verfahrens beim Bezirksgericht Leopoldstadt wurde festgestellt, dass die Rückzahlung erst fällig werde, sobald die gemeinsame Firma Gewinn abwerfe bzw der Beklagte von ihr ein Gehalt beziehen könne.

[8] Mit Urteil des Handelsgerichts Wien vom 26. 2. 2018 zu AZ * in der Rechtssache des Klägers gegen den Beklagten M* wurde der Kläger – als in der Hauptsache unterliegend – zur Zahlung der mit 6.767,28 EUR bestimmten Verfahrenskosten an den dortigen Beklagten verpflichtet. Gegenstand dieses Verfahrens waren verschiedene Feststellungsbegehren und ein Leistungsbegehren, alle in Zusammenhang mit gesellschaftsrechtlicher Beteiligung des Klägers an der D* KG.

[9] Mit Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 29. 8. 2019 zu AZ * wurde der betreibenden Partei M* gegen den Kläger als verpflichtete Partei aufgrund dieses Urteils zur Hereinbringung der Kosten von 6.767,28 EUR sA, die Forderungsexekution nach § 294 EO auf Geldforderungen sowie die Fahrnisexekution bewilligt.

[10] Dagegen richtet sich die Oppositionsklage des Klägers mit dem Vorbringen, aufgrund von Aufrechnung am 30. 3. 2019 mit den erwähnten Darlehen sei die Forderung der betreibenden Partei erloschen.

[11] Der Kläger kaufte im Jänner 2020 ein KFZ in der BRD, das aus den USA reimportiert worden war und in der BRD eine Einzelzulassung erteilt bekommen hatte. Die österreichische Landesprüfstelle führte ein volles Prüfverfahren über das Fahrzeug durch und forderte die Vorführung des Fahrzeugs sowie die Vorlage der Fahrzeugdokumentation. Der Kläger entsprach dem, vertrat aber bereits am Anfang des Verwaltungsverfahrens, in dem er sich selbst als Anwalt vertrat, die Rechtsansicht, dass unionsrechtlich kein Zulassungsverfahren mehr zu führen sei. Er führte darüber umfangreichen E‑Mail‑Verkehr mit der Behörde, verlangte aber keine Bescheiderlassung und erhob demnach auch keine Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe wegen des behauptetermaßen rechtswidrigen Vorgehens der Behörde. Schlussendlich wurde dem Fahrzeug nach fünf Monaten die (Einzel‑)Zulassung erteilt.

[12] Der Kläger ersuchte die Beklagte insoweit um Rechtsschutzdeckung für ein Amtshaftungsverfahren mit Streitwert 17.020,06 EUR. Die Beklagte sagte lediglich Deckung hinsichtlich einer Schadenshöhe von 2.565,36 EUR zu.

[13] Die Beklagte wendete – soweit im Revisionsverfahren relevant – zum Oppositionsverfahren ein, es sei nicht ersichtlich, auf Basis welcher Bestimmung der ARB 2018 das vom Kläger eingeleitete Verfahren gedeckt sein solle. Es bestehe kein Rechtsschutzversicherungsbaustein „Oppositionsklage“, daher sei die begehrte Deckung keinem Rechtsschutzbaustein zuzuordnen. Die rechtliche Auseinandersetzung habe die Wurzeln im Rechtsstreit, der zwischen M* und dem Kläger geführt worden sei. Dieses Verfahren habe die selbstständige Erwerbstätigkeit und nicht den Privatbereich betroffen, sodass auch im Oppositionsstreit eine nicht versicherte Erwerbstätigkeit vorliege.

[14] Im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Amtshaftungsverfahren wendete die Beklagte mangelnde Erfolgsaussichten iSd Art 9 ARB ein. Der Kläger vermöge keine unvertretbare Rechtsansicht darzulegen. Es sei nicht erkennbar, wodurch ein Gesamtschaden von 17.020,06 EUR von Organen der Republik Österreich verursacht worden sei, den er im Übrigen auch nicht ausreichend aufgeschlüsselt habe. Der Kläger sei überdies seiner Rettungspflicht nicht nachgekommen.

[15] Das Erstgericht wies die Deckungsklage ab. Exekutionsklagen wie die Oppositionsklage seien nicht ausdrücklich versichert. Es sei daher auf das Verfahren des Exekutionstitels abzustellen. Dem sei eine gesellschaftsrechtliche Streitigkeit zu Grunde gelegen. Da die Rechtsschutzversicherung nur den privaten Bereich des Klägers umfasse, bestehe keine Deckung. Im Hinblick auf die Amtshaftungsklage liege Aussichtslosigkeit vor, weil der Kläger seine Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG verletzt habe.

[16] Das Berufungsgericht bestätigte die Klagsabweisung. Der Kläger habe zum Deckungsbegehren für die Oppositionsklage keinen Rechtsschutzbaustein genannt und damit den Versicherungsfall nicht zur Darstellung gebracht. Hinsichtlich der Amtshaftungsklage habe der Kläger seinen Anspruch nicht aufgeschlüsselt, weshalb mangelnde Erfolgsaussichten wegen Unschlüssigkeit vorliegen.

[17] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zu den Fragen zu, ob der Versicherungsnehmer den Rechtsschutzbaustein zur schlüssigen Darlegung eines Versicherungsfalls konkret benennen und einzelne Positionen seiner Amtshaftungsklage im Rahmen der Deckungsklage aufschlüsseln müsse.

[18] Mit seiner ordentlichen Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragt der Kläger die Abänderung im Sinne einer Klagsstattgebung; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[19] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[20] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und teilweise berechtigt.

[21] 1. Die behauptete Aktenwidrigkeit wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

A. Zum Begehren auf Rechtsschutzdeckung im Oppositionsverfahren:

[22] 1. Die Oppositionsklage nach § 35 EO setzt einen gültigen Titel und den gänzlichen oder teilweisen Wegfall des Anspruchs aus diesem Titel wegen nachträglich eingetretener Tatsachen voraus (RS0001889). Die Oppositionsklage hat zum Ziel sowohl die Feststellung des Erlöschens bzw der Hemmung des Anspruchs als auch die Unzulässigerklärung jeglicher Zwangsvollstreckung aus dem Exekutionstitel. Der Urteilsspruch hat auf die Feststellung des Erlöschens oder der Hemmung des Anspruchs zu lauten (vgl ausführlich Jakusch in Angst/Oberhammer, EO3 § 35 EO Rz 3 f). Nach ständiger Rechtsprechung bildet die Aufrechnung einen Oppositionsgrund, wenn die Geltendmachung der Gegenforderungen im Titelverfahren nicht möglich war (RS0000786).

[23] 2. Die Oppositionsklage als solche ist in keinem Rechtsschutzbaustein genannt. In Art 6.7.5.2. der ARB sind die Exekutionsverfahren – im Detail – geregelt, die nach Vorliegen eines Titels aktiv geführt werden können; die Situation, dass der Versicherungsnehmer Verpflichteter ist, wird dort nicht geregelt.

[24] Unabhängig von der Erfassung eines Oppositionsverfahrens in einem Rechtsschutzbaustein ist hier aber unstrittig nur der Privatbereich des Klägers versichert.

[25] 3. Für das Vorliegen des Versicherungsfalls trifft nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer die Beweislast (RS0043438). Der Versicherungsnehmer, der eine Versicherungsleistung behauptet, muss daher die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls beweisen (RS0080003).

[26] 3.1. Ob man die Rechtsansicht, für die Beurteilung des Versicherungsfalls sei das Grundverfahren maßgeblich (vgl etwa Ettinger in Garo/Karth/Kronsteiner, ARB 2015, F2‑061f) oder die vom Kläger in seiner Revision vertretene Ansicht, wonach die von ihm ausgesprochene Aufrechnung mit den beiden Darlehen relevant sei, zugrundelegt, kann hier dahingestellt bleiben: Das Grundverfahren des Oppositionsprozesses betrifft eine Streitigkeit aus der selbstständigen Erwerbstätigkeit des Klägers in der D* KG. Da das Erstgericht zur Frage, ob die Darlehen des Klägers an seinen Mitgesellschafter Privatdarlehen oder Vorschüsse auf Privatentnahmen eines zukünftigen Gewinns der KG waren, eine Negativfeststellung getroffen hat, ist es dem Kläger im Ergebnis auch insoweit nicht gelungen, den Eintritt eines Versicherungsfalls im ausschließlich versicherten privaten Bereich zu beweisen.

[27] 3.2. Auf die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage, wie weit die Darlegungspflicht des Versicherungsnehmers im System der Rechtsschutzbausteine geht, kommt es – mangels Darlegung eines versicherten Risikos aus dem Privatbereich – nicht an.

B. Zum Begehren auf Rechtsschutzdeckung im Amtshaftungsverfahren:

[28] 1. Amtshaftungsansprüche sind allgemein den Schadenersatzansprüchen aufgrund „gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts“ zuzurechnen (vgl RS0123768 [T1] zu den insoweit wortgleichen ARB 2000), weshalb der vom Vertrag des Klägers umfasste Art 19 ARB relevant ist, wovon auch die Beklagte ausgeht.

[29] 2. Die Beklagte wendet mangelnde Erfolgsaussichten wegen Unschlüssigkeit und Aussichtslosigkeit ein.

[30] 2.1. Für die Schlüssigkeit einer Klage genügt, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell-rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RS0037516). Der Kläger hat seinen Deckungsanspruch hier ausreichend schlüssig zur Darstellung gebracht, indem er nachvollziehbar aufgezeigt hat, dass er im Rahmen des von ihm behaupteten rechtswidrigen Vorgehens der Zulassungsbehörde gehalten war, mit dieser zu korrespondieren und ihm damit ein – in diesem Zusammenhang noch nicht zwingend in alle Einzelpositionen aufzuschlüsselnder – Aufwand entstanden ist.

[31] 2.2. Der Beklagten ist es aber auch nicht gelungen, mangelnde Erfolgsaussichten des Klägers wegen Aussichtslosigkeit aufzuzeigen: In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Die Beurteilung, ob „keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg“ besteht, hat sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren. „Offenbar aussichtslos“ ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann, insbesondere bei Unschlüssigkeit, aber auch bei unbehebbarem Beweisnotstand (RS0116448). Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144).

[32] 2.3. Der Grundsatz in der Rechtsschutzversicherung, dass im Deckungsprozess die Beweisaufnahmen und die Feststellungen zu im Haftpflichtprozess relevanten Tatfragen zu unterbleiben haben und daher dem Versicherer eine vorweggenommene Beweiswürdigung verwehrt ist, gilt allgemein und damit auch für die Prüfung der Frage, ob nach den ARB ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist, als ein Obsiegen. Die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist aufgrund einer Prognose nach dem im Zeitpunkt vor Einleitung des Haftpflichtprozesses vorliegenden Erhebungsmaterial vorzunehmen, weil eine Beurteilung der Beweischancen durch antizipierte Beweiswürdigung nicht in Betracht kommt (RS0124256). Auch dann, wenn der Ausgang im zu deckenden Prozess bei Fehlen einer klaren Gesetzeslage von einer bisher nicht gelösten Rechtsfrage abhängt, rechtfertigt dies nicht die Annahme, dass keine oder keine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht (RS0124256 [T3]). Eine Vorwegnahme des Ergebnisses des zu deckenden Prozesses im Deckungsprozess durch Klärung der dort relevanten – bisher noch nicht gelösten – Rechtsfragen zur Beurteilung der Erfolgsaussichten kommt ebenso wenig in Betracht, wie die Vorwegnahme der Klärung der Tatfragen (7 Ob 125/23t mwN). Dass die hier vorliegende Konstellation, in der der Kläger der Zulassungsbehörde ein Vorgehen unter Außerachtlassung von bestehender EuGH‑Judikatur zum europäischen Primärrecht vorwirft, bereits durch höchstgerichtliche Rechtsprechung im Sinne der Ansicht der Beklagten geklärt wäre, bringt die Beklagte nicht vor, und ist auch nicht ersichtlich. Die Beklagte wirft dem Kläger lediglich die Verletzung der Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG vor, weil er „den Instanzenzug nicht ausgeschöpft habe“.

[33] 2.4. Unter „Rechtsmitteln“ im Sinne des § 2 Abs 2 AHG sind prozessuale Rechtsbehelfe zur Abhilfe gegen gerichtliche oder sonstige behördliche Entscheidungen zu verstehen, die dazu dienen, fehlerhafte gerichtliche (oder sonstige behördliche) Entscheidungen, sei es im Instanzenweg, sei es auf andere Weise, zu beseitigen (RS0110188; RS0050080) Dieser Rechtsmittelbegriff ist zwar extensiv auszulegen (RS0050097), welche Art von Rechtsmittel der Kläger in der konkreten Situation ergreifen hätte sollen, führt die Beklagte weder aus, noch wäre ein bestimmtes Vorgehen von Seiten des Klägers offensichtlich angezeigt gewesen. Im Übrigen ließe sich auch nicht beurteilen welche Kosten – und damit welchen ebenso geltend zu machenden Schaden – ein anderes Vorgehen des Klägers verursacht hätte. Zusammenfassend lässt sich daher daraus nicht ableiten, dass das angestrebte Amtshaftungsverfahren von vorneherein aussichtslos wäre.

[34] 3. Damit ist die Beklagte nicht leistungsfrei im Sinn des Art 9.2.3. ARB 2018. Sie hat dem Kläger daher für das Amtshaftungsverfahren – ohne die von ihr herangezogene Beschränkung auf 15,07 %, für die sie im Rahmen des Verfahrens keine Begründung liefert – Deckung zu gewähren.

[35] 4. Der Revision war damit teilweise Folge zu geben.

[36] 5. Aufgrund der Abänderung war die erstinstanzliche Kostenentscheidung neu zu treffen. Sie beruht auf § 43 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat mit rund 72 % seines Begehrens obsiegt und erhält damit 44 % seiner Vertretungskosten und 72 % seiner Barauslagen. In Berücksichtigung der Einwendungen waren der Antrag auf Verlegung der Tagsatzung vom 8. 6. 2021 und die gesonderte Urkundenvorlage vom 4. 10. 2021 nicht zu honorieren. Der Kläger erhält damit den im Spruch zuerkannten Betrag.

[37] 6. Die Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren beruht auf §§ 43 Abs 1, 50 ZPO.

[38] Im Berufungsverfahren obsiegt der Kläger mit rund 52 %. Die Beklagte unterliegt mit ihrer Berufung zur Gänze. Im Revisionsverfahren obsiegt der Kläger mit rund 59 % seines Begehrens und erhält damit 18 % seiner Vertretungskosten und 59 % seiner Barauslagen; das ergibt in Summe daher den im Spruch zuerkannten Betrag an Rechtsmittelkosten. Für einen Zuschlag nach § 21 RATG ist kein Grund erkennbar.

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