OGH 8ObA8/24w

OGH8ObA8/24w22.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner als Vorsitzende die Hofräte MMag. Matzka und Mag. Dr. Sengstschmid sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Susanne Haslinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E* D*, BEd, *, Lehrerin, *, vertreten durch die Auer Bodingbauer Leitner Stöglehner Rechtsanwälte OG in Linz, gegen die beklagte Partei Land *, Bildungsdirektion, *, vertreten durch die Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wels, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Dezember 2023, GZ 12 Ra 58/23w‑41, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00008.24W.0522.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Der mit der Behauptung, das Berufungsgericht habe ohne mündliche Berufungsverhandlung ergänzende Feststellungen getroffen, gerügte Verfahrensmangel wurde geprüft. Er liegt nicht vor, weil es sich bei den genannten Ausführungen im Berufungsurteil nicht um eine Sachverhaltsannahme, sondern um eine rechtliche Schlussfolgerung aus den getroffenen Feststellungen handelt.

[2] 2. Die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Kündigungsgrund verwirklicht wurde, stellt nach ständiger Rechtsprechung keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0106298 [T7, T14, T18]; RS0103201; RS0105940 [T9]).

[3] 3.1. Gemäß § 32 Abs 2 Z 6 VBG liegt ein Grund vor, der den Dienstgeber zur Kündigung berechtigt, wenn der Vertragsbedienstete ein Verhalten setzt oder gesetzt hat, das nicht geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben aufrechtzuerhalten, sofern nicht die Entlassung in Frage kommt (RS0115870). Die Vertrauensunwürdigkeit kann auch auf Handlungen beruhen, die mit dem Arbeitsverhältnis in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen (RS0080088 [T1]).

[4] 3.2. Maßgeblich ist die Eignung des Verhaltens des Vertragsbediensteten, den Ruf des öffentlichen Dienstes zu beeinträchtigen. Ob das Verhalten auch tatsächlich an die Öffentlichkeit dringt, ist dagegen nicht relevant (vgl Ziehensack, VBG [34. Lfg 2022] § 32 VBG Rz 1019; weiters VwGH 24. 11. 1997, 95/09/0348).

[5] 3.3. Bereits daraus ist abzuleiten, dass bei außerdienstlichen Äußerungen einer Vertragsbediensteten, die privat oder nur für eine eingeschränkte Öffentlichkeit wahrnehmbar getätigt werden, das Risiko mitberücksichtigt werden muss, dass eine breite Öffentlichkeit davon Kenntnis erlangt; insofern ist zu prüfen, ob durch eine allfällige Medienberichterstattung über das Verhalten der Ruf des öffentlichen Dienstes beeinträchtigt werden könnte. Ob es tatsächlich zu einer solchen Medienberichterstattung gekommen ist und welche Wirkungen diese gezeigt hat, ist dagegen schon deshalb nicht von Relevanz, weil sonst eine aufbauschende, reißerische oder gar vorverurteilende Berichterstattung, die vom festgestellten Sachverhalt abweicht, die Kündigung rechtfertigen könnte (vgl auch 9 ObA 140/01f).

[6] 3.4. Die Judikatur, wonach der Kündigungsgrund kein Verschulden des Vertragsbediensteten voraussetzt (RS0082433), bezieht sich auf Fallkonstellationen, bei denen ein vom Vertragsbediensteten gesetztes Verhalten allenfalls aus persönlichen Schuldausschließungsgründen (psychischen Erkrankungen uä) schuldlos war. Aus dieser Judikaturlinie kann demnach nicht geschlossen werden, dass ein Verhalten dritter Personen den Kündigungsgrund herstellen kann.

[7] 3.5. Dass es auf das Verhalten des Vertragsbediensteten und dessen abstrakte Eignung, das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben zu beeinträchtigen, ankommt, ergibt sich bereits aus dem eindeutigen Gesetzestext und begründet daher keine erhebliche Rechtsfrage (RS0042656).

[8] 4.1. An das außerdienstliche Verhalten des Vertragsbediensteten ist grundsätzlich kein allzu strenger Maßstab anzulegen (RS0029343 [T5, T10]) und besonders auf die Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK zu achten (vgl EGMR 7. 7. 2020, 57462/19, Mahi/Belgien.

[9] 4.2. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und des Obersten Gerichtshofs verlangen Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit in einer demokratischen Gesellschaft, dass die Freiheit der Meinungsäußerung – vorbehaltlich des Art 10 Abs 2 EMRK – nicht nur auf „Informationen“ oder „Ideen“ Anwendung findet, die positiv aufgenommen oder als harmlos oder als indifferent angesehen werden, sondern auch auf solche, die verletzen, schockieren oder beunruhigen. Dies verlangen Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit, ohne die es keine „demokratische Gesellschaft“ gibt (RS0075696).

[10] 4.3. Die Beurteilung des Verhaltens einer Lehrperson hat im Besonderen zu beachten, dass im schulischen Bereich, dem für die geistige und emotionale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen ein großer Stellenwert zukommt, grundsätzlich eine besondere Sensibilität zu fordern ist. Lehrkräfte üben im Hinblick auf die Aufgabenstellung der Schule eine Vorbildfunktion aus. An sie sind daher erhöhte Anforderungen zu stellen. Auch den Dienstgeber trifft in dieser Hinsicht eine Verantwortung gegenüber den Schülern und den Eltern sowie auch zur Wahrung des Ansehens des Schulunterrichts (9 ObA 82/21f [Rz 3]; 9 ObA 106/14z; 8 ObA 39/13p [Pkt 4.2]; 9 ObA 140/01f).

[11] 4.4. Dementsprechend ist auch in der Rechtsprechung des EGMR anerkannt, dass Lehrpersonen bei politischen Äußerungen, die das Ansehen des öffentlichen Dienstes beeinträchtigen können, Zurückhaltung üben müssen. Deshalb kann etwa ein Leserbrief eines Lehrers mit (höchst) problematischen, die Grenze zur Strafbarkeit allerdings noch nicht überschreitenden Aussagen konventionskonform die disziplinäre Verantwortlichkeit dieses Lehrers begründen und eine Versetzung rechtfertigen (EGMR 7. 7. 2020, 57462/19, Mahi/Belgien).

[12] 4.5. Diese vom Berufungsgericht berücksichtigten Grundsätze werden in der Revision nicht bestritten. Vielmehr wird lediglich ihre Anwendung auf den Einzelfall thematisiert.

[13] 4.6. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach „das der Klägerin als Lehrerin angelastete Verhalten noch nicht außerhalb der Bandbreite des noch Erträglichen“ liege, beziehen sich erkennbar auf diese Abwägung zur Freiheit der Meinungsäußerung. Sie stellen aber nicht die vom Berufungsgericht zuvor getätigte Bezugnahme auf die ständige Judikatur (RS0105940) in Frage, wonach es für das Vorliegen des Kündigungsgrundes nach § 32 Abs 2 Z 6 VBG nicht erforderlich ist, dass die Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses dem Dienstgeber schlechthin unzumutbar ist, weil andernfalls ein Entlassungsgrund vorläge.

[14] 5. Zur Beurteilung der Kündigungsgründe nach § 32 Abs 2 VBG ist das Gesamtverhalten des Vertragsbediensteten zu würdigen (9 ObA 82/21f [Rz 4]; 9 Ob 60/12g). Eine solche Gesamtbeurteilung hat das Berufungsgericht entgegen den Revisionsausführungen aber ohnehin vorgenommen (ErwGr 2.5. letzter Satz des Berufungsurteils). Es ist dabei zu dem vertretbaren Ergebnis gelangt, dass das Verhalten der Klägerin die geltend gemachten Kündigungsgründe nicht verwirklicht.

[15] Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte