OGH 7Ob78/24g

OGH7Ob78/24g22.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* A*, vertreten durch Dr. Martin Neuwirth, Dr. Alexander Neurauter, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei G* AG, *, vertreten durch Dr. Silke Beetz, Rechtsanwältin in Wien, wegen 23.189,35 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Februar 2024, GZ 33 R 138/23s‑31, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00078.24G.0522.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Zwischen den Streitteilen besteht ein Gesundheitsvorsorgeversicherungsvertrag, dem unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für den Premium‑Unfallschutz (AUVB 2006) in der Fassung 07 2012 zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

K: Was ist versichert?

Was ist eingeschränkt versichert?

1. Kein Versicherungsschutz besteht für Unfälle:

[...]

1.5 der versicherten Person infolge einer Geistes‑ oder Bewusstseinsstörung, sowie durch epileptische oder andere Krampfanfälle, die den ganzen Körper der versicherten Person ergreifen.

Geistes‑ und Bewusstseinsstörungen sind alle erheblichen Störungen der Aufnahme‑ und Reaktionsfähigkeit, die auf Krankheit oder künstlichen Mitteln beruhen, die versicherte Personen außerstande setzen, den Sicherheitsanforderungen ihre Umwelt zu genügen, und einen Grad erreicht haben, bei dem sie die Gefahrenlage nicht mehr beherrschen kann.

[...]“

Rechtliche Beurteilung

[2] 1.1 Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]). Als Ausnahmetatbestand, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränkenoder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, alses ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).

[3] 2.1 Die Beklagte hat sich auf den Ausschlussgrund des Vorliegens einer Bewusstseinsstörung nach Art K.1.5 AUVB gestützt.

[4] 2.2 Der Oberste Gerichtshof hat im Zusammenhang mit weitaus allgemeiner gehaltenen Risikoausschlussklauseln wegen Bewusstseinsstörung ausgeführt, dass deren Sinn darin liegt, solche Unfälle vom Versicherungsschutz auszunehmen, die sich als Folge einer schon vor dem Unfall vorhandenen – gefahrenerhöhenden – gesundheitlichen Beeinträchtigung beim Versicherten darstellen. Dabei muss eine Beeinträchtigung so beschaffen sein, dass sie eine den Unfall vermeidende Reaktion des Versicherten nicht zulässt. Eine Haftung des Versicherers für Unfallschäden, die auf eine durch einen Kreislaufkollaps bewirkte Bewusstseinsstörung (Bewusstlosigkeit) zurückzuführen sind, ist ausgeschlossen, mag die Bewusstlosigkeit etwa auch nur sehr kurzfristig gewesen sein. Auf ein Verschulden des Versicherungsnehmers kommt es nicht an (RS0122121).

[5] 2.3.1 Hier nimmt die Beklagte die Bewusstseinsstörung nicht bloß generell, das heißt unabhängig von ihrer Ursache aus. Der Ausschluss definiert vielmehr – soweit hier interessierend – Bewusstseinsstörungen konkret als erhebliche Störungen der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit, die auf Krankheit beruhen, die die versicherte Person außerstande setzen, den Sicherheitsanforderungen ihrer Umwelt zu genügen, und einen Grad erreicht haben, bei dem sie die Gefahrenlage nicht mehr beherrschen kann.

[6] 2.3.2 Eine Krankheit ist ein abnormer (regelwidriger) Körper‑ oder Gesundheitszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf (7 Ob 3/24b mwN). Das heißt eine Störung der normalen physischen oder psychischen Funktionen, die einen Grad erreicht, der die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden eines Lebewesens subjektiv oder objektiv wahrnehmbar negativ beeinflusst.

[7] 3.1 Die Klägerin bemerkte einen süßlichen Geschmack im Mund, begleitet von Übelkeit und einem allgemeinen Schwächegefühl. Sie verlor noch im Stehen das Bewusstsein, fiel zur Seite und stieß mit dem Kopf auf einen Heizkörper, wobei sie sich verletzte. Die unmittelbar vor dem Sturz erlittene und für den Sturz verantwortliche Bewusstlosigkeit ging auf den grenzwertig reduzierten Ernährungszustand, die Hypotonie und die Hyponatriämie zurück.

[8] 3.2 Dass die Vorinstanzen vor diesem Hintergrund davon ausgingen, dass die Bewusstlosigkeit der Klägerin infolge einer Störung der normalen physischen Funktionen eintrat, die einen Grad erreichte, der ihre Leistungsfähigkeit und ihr Wohlbefinden – subjektiv und auch objektiv wahrnehmbar – negativ beeinflusste, ist jedenfalls vertretbar, wogegen die Klägerin auch keine beachtenswerten Argumente bringt:

[9] 3.2.1 Wie ausgeführt, hat sich die Auslegung des Begriffs „Krankheit“ am Verständnis des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren und ist nicht nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben zu beurteilen.

[10] 3.2.2 Aus dem Umstand, dass die Beklagte Unfälle, die aufgrund konkret angeführter Krankheiten (Herzinfarkt, Schlaganfall) und auch in einem konkret genannten Umfang Trunkenheit in den Versicherungsschutz einbezieht, ist – schon aufgrund des insoweit völlig klaren Wortlauts – nicht zu schließen, dass der Versicherungsschutz für sämtliche durch Krankheiten hervorgerufene Unfälle übernommen wird.

[11] 3.2.3.1 Der erkennende Senat hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass jedem Versicherungsnehmer das Wissen zugemutet werden muss, dass einem Versicherungsvertrag gewisse Begrenzungsnormen zugrunde liegen. Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer hat daher grundsätzlich mit Risikoausschlüssen und ‑einschränkungen zu rechnen (RS0016777 [T4]).

[12] 3.2.3.2 Die in Unfallversicherungsverträgen nicht unübliche Risikoausschlussklausel der Bewusstseinsstörung findet sich unter der Überschrift „Was ist nicht versichert? Was ist eingeschränkt versichert?“. Darüber hinaus ist – wie ausgeführt – der auch dem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer leicht erkennbare Zweck der Ausschlussklausel, solche Unfälle vom Versicherungsschutz auszunehmen, die sich als Folge einer vor dem Unfall vorhandenen gefahrenerhöhenden gesundheitlichen Beeinträchtigung (Krankheit) beim Versicherten darstellen.

[13] Vor diesem Hintergrund vermag die Klägerin mit ihren pauschal behaltenen Ausführungen, weder darzulegen, dass die Klausel überraschend nach § 864a ABGB noch gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB sei.

[14] 3.2.3.3 Eine Intransparenz der Bestimmung im Hinblick auf den verwendeten Begriff „Krankheit“ bringt die Klägerin gleichfalls nicht zur Darstellung.

[15] Auch dass in neueren Versicherungsbedingungen Unfälle aufgrund eines Kreislaufkollaps ausdrücklich versichert sein mögen, ändert für den vorliegenden Fall nichts.

[16] 4. Insgesamt vermag die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

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