OGH 6Ob30/24s

OGH6Ob30/24s26.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* N*, vertreten durch Dr. Robert Kerschbaumer, Rechtsanwalt in Lienz, gegen die beklagte Partei H* G*, vertreten durch CHG Czernich Haidlen Gast & Partner Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, wegen 2.500 EUR und Widerruf, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 18. Jänner 2024, GZ 2 R 206/23w‑20, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 21. November 2023, GZ 69 Cg 146/23d‑14, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00030.24S.0426.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurswird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

[1] DerKläger begehrt Zahlung von 2.500 EUR sA sowie Widerruf einschließlich dessen Veröffentlichung. Er sei im Jahr 2021 als Polizeibeamter bei einer in Innsbruck veranstalteten Demonstration gegen die Corona‑Maßnahmen der Bundesregierung im Einsatz gestanden. Der Beklagte sei Inhaber eines Facebookprofils. Er habe dort als Teilnehmer eines „Shitstorms“ gegen den Kläger eine bei der besagten Demonstration ohne dessen Zustimmung von ihm angefertigte Bildaufnahme mitsamt einem rufschädigenden und ehrenbeleidigenden Begleittext veröffentlicht. Der Beklagte schulde ihm daher den begehrten immateriellen Schadenersatz, habe die unwahren und beleidigenden Behauptungen zu widerrufen und diesen Widerruf zu veröffentlichen. Die örtliche Zuständigkeit ergebe sich aus § 92b JN. Alle Berufskollegen des Klägers, die mit ihm im Einsatz standen und in Tirol wohnen, könnten ihn auf dem Bild erkennen, die Veröffentlichungen abrufen und einen unwahren, jedoch schlechten Eindruck vom Kläger bekommen.

[2] Der Beklagte erhob die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit. Der Kläger habe seinen Lebensmittelpunkt in Kärnten, daher liege der Ort des schädigenden Ereignisses im Sinn des § 92b JN dort.

[3] Das Erstgerichtverwarf die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit. Nach § 92b JN sei bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet an den Erfolgsort anzuknüpfen. Die Zuständigkeitsnorm sei unter anderem auf reine Binnensachverhalte anzuwenden. Das zuständigkeitsbegründende Vorbringen des Klägers stelle ein ausreichend konkretes Tatsachensubstrat für die Bejahung des Erfolgsorts vor dem angerufenen Gericht dar.

[4] Das Rekursgericht sprach die örtliche Unzuständigkeit des Erstgerichts aus und wies die Klage zurück. Beim Wahlgerichtsstand des § 92b JN habe sich der Gesetzgeber an der Zuständigkeitsnorm des Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 angelehnt. Danach habe eine Person, die sich durch online veröffentlichte Inhalte in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt fühle, die Wahl: Sie könne ihre Klage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens entweder bei den Gerichten jenes Mitgliedsstaats, in dem der Urheber der inkriminierten Inhalte niedergelassen sei, oder bei den Gerichten des Mitgliedsstaats, in dem sich ihr Lebensmittelpunkt befinde, geltend machen. Stattdessen könne diese Person ihre Klage auch vor den Gerichten jedes Mitgliedsstaats erheben, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich (gewesen) sei; dort könne sie aber nur jenen (Teil-)Schaden begehren, der im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedsstaats verursacht worden sei. Diese Judikatur könne auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Die Frage, ob eine Kränkung als Teilschaden geltend gemacht werden könne, müsse nicht beantwortet werden, weil der Kläger keinen Schaden geltend mache, der ausschließlich im Sprengel des angerufenen Gerichts verursacht worden sei und dieser zudem grundsätzlich dort eintrete, wo sich die gekränkte Person gewöhnlich aufhalte. Ein allgemeiner Gerichtsstand im Sprengel des Erstgerichts bestehe nicht.

[5] Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil die hier strittige Rechtsfrage erheblich und über den Einzelfall hinaus bedeutsam sei.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

[7] 1.1. Im Revisionsrekursverfahren ist ausschließlich strittig, ob das angerufene Erstgericht aufgrund von § 92b JN örtlich zuständig ist.

[8] 2.1. Gemäß § 92b JN idF der Zivilverfahrens‑Novelle 2022 (BGBl I Nr 61/2022) können Streitigkeiten wegen Verletzung eines Persönlichkeitsrechts in einem elektronischen Kommunikationsnetz auch bei dem Gericht angebracht werden, in dessen Sprengel das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.

[9] 2.2. Nicht strittig ist, dass die geltend gemachten Ansprüche von § 92b JN umfasst sind und sich der Rechtsstreit auf die Verletzung von Persönlichkeitsrechten in einem elektronischen Kommunikationsnetz bezieht (vgl dazu auch Kustor/Prossinger in Kodek/Oberhammer, ZPO-ON § 92b JN Rz 4, 5).

[10] 2.3. Das angerufene Gericht ist gemäß § 92b JN aber nur dann örtlich zuständig, wenn in dessen Sprengel die behauptete Persönlichkeitsrechtsverletzung eingetreten ist oder einzutreten droht.

[11] 2.3.1. Nach den Materialien war Art 7 Nr 2 der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO 2012) Vorbild für § 92b JN. Der Gesetzgeber wollte eine innerstaatliche Parallelnorm für jene Fälle schaffen, die nicht in den Anwendungsbereich der EuGVVO 2012 fallen (vgl ErlRV 1291 BlgNR 27. GP  5).

[12] 2.3.2. Gemäß Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 besteht bei Ansprüchen aus unerlaubten Handlungen ein Wahlgerichtsstand vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.

[13] Mit der Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) sowie des Obersten Gerichtshofs sowohl der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs (Erfolgsort) als auch der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens (Handlungsort) gemeint (EuGH 5. 7. 2018, C‑27/17 , Lithuanian Airlines, Rn 28; 6 Ob 218/18d).

[14] Wenn sich eine Person durch auf einer Website veröffentlichte Inhalte in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt fühlt, hat sie die Wahl: Sie kann ihre Klage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens entweder bei den Gerichten jenes Mitgliedsstaats, in dem der Urheber dieser Inhalte niedergelassen ist, oder bei den Gerichten des Mitgliedsstaats, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet, geltend machen. Stattdessen kann diese Person ihre Klage auch vor den Gerichten jedes Mitgliedsstaats erheben, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war. Diese Gerichte sind aber nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaats des angerufenen Gerichts verursacht worden ist (EuGH 25. 10. 2011, C‑509/09 , eDate Advertising, C‑161/10 , Martinez; 6 Ob 247/16s = RS0119242 [T7]). Jedenfalls dann, wenn ein Gesamtschaden geltend gemacht wird, kommt als Erfolgsort nur jener Ort in Betracht, an dem sich die Schädigung zuerst auswirkte. Folgewirkungen auf Person oder Vermögen des Geschädigten ließen dessen Wohnsitz auch dann nicht zum Erfolgsort werden, wenn sie gleichzeitig verwirklicht würden (6 Ob 215/19i; RS0119142).

[15] Eine Person, die durch Veröffentlichung unrichtiger Angaben über sie im Internet und durch das Unterlassen der Entfernung sie betreffender Kommentare verletzt worden sein soll, kann Klage auf Richtigstellung der Angaben und auf Verpflichtung zur Entfernung der Kommentare nur bei den Gerichten des Mitgliedsstaats erheben, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet. Hingegen kann sie nicht vor den Gerichten jeden Mitgliedsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die veröffentlichten Informationen zugänglich sind oder waren, eine Klage auf Richtigstellung der Angaben oder Entfernung der Kommentare erheben (EuGH 17. 10. 2017, C‑194/16 , Bolagsupplysningen; 6 Ob 215/19i).

[16] 2.3.3. Im Sinn des in den Materialien zum Ausdruck kommenden Zwecks des Gesetzes gilt bei einem Binnensachverhalt im Anwendungsbereich des § 92b JN daher das Folgende: Eine Person kann eine Klage wegen behaupteter Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet (hier: Facebook‑Seite) auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens sowie auf Widerruf unwahrer und beleidigender Äußerungen einschließlich deren Veröffentlichung entweder vor dem (sachlich zuständigen) Gericht des Ortes, an dem der Urheber dieser Inhalte seinen Wohnsitz oder Sitz hat, oder vor dem (sachlich zuständigen) Gericht des Ortes, an dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet, erheben.

[17] Diese Auslegung trägt nicht nur der oben dargestellten Intention des Gesetzgebers Rechnung, sondern dient auch der Vorhersehbarkeit des zuständigen Gerichts und bewirkt eine sachliche sowie persönliche Nähe des Streits zum angerufenen Gericht. Es besteht entgegen der Ansicht des Klägers auch kein praktisches Bedürfnis, dass eine in ihren Persönlichkeitsrechten verletzte Person ihre Klage innerhalb eines Staats bei jedem Gericht einbringen können soll, in dessen Sprengel sich Kollegen, Freunde oder Bekannte, denen der online veröffentlichte Inhalt zur Kenntnis gelangte, wohnen.

[18] 2.3.4. Welche Schlüsse der Kläger für die Beantwortung der vorliegenden Rechtsfrage aus § 29 DSG oder § 5c Abs 3 EO ziehen will, ist nicht nachvollziehbar. Ein Löschungs- oder Unterlassungsbegehren, auf das die Revision abschließend verweist, hat der Kläger gar nicht erhoben, sodass sich auch dazu Ausführungen erübrigen.

[19] 3. Der Revisionsrekurs des Klägers ist daher nicht berechtigt.

[20] 4. Der Beklagte hat keine Kosten verzeichnet, sodass sich eine Kostenentscheidung im Revisionsrekursverfahren erübrigt.

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