OGH 3Ob215/23y

OGH3Ob215/23y3.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* HandelsGmbH *, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG *, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen (nach Einschränkung) 20.000 EUR sA und Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 30. Juli 2023, GZ 6 R 93/23y‑44, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 31. Jänner 2023, 38 Cg 62/21m‑36, aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00215.23Y.0403.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.261,40 EUR (darin enthalten 376,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin erwarb am 8. 8. 2017 von der A* GmbH das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug V*, um einen Betrag von 81.029 EUR. Das Fahrzeug hat derzeit ein Laufleistung von rund 176.000 Kilometern und mehrere Vorschäden.

[2] Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage nach Klageänderung die Beklagte schuldig zu erkennen, ihr binnen vierzehn Tagen 20.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 2. 8. 2017 zu bezahlen, sowie mit Wirkung zwischen ihnen festzustellen, dass die Beklagte für jeden Schaden hafte, der der Klägerin aus dem Kauf des Fahrzeugs in Bezug auf den darin verbauten Dieselmotor des Typs EA288 zukünftig entstehe. Sie brachte unter anderem vor, das Fahrzeug weise in Gestalt einer sogenannten Prüfstandserkennung und eines sogenannten Thermofensters unzulässige Abschalteinrichtungen auf. Die Beklagte habe die EG‑Typengenehmigung erschlichen und das Fahrzeug mit bewusst unrichtigen Angaben beworben, um sich durch den gesteigerten Fahrzeugverkauf Vorteile zu verschaffen. Bei Kenntnis dessen, dass das Fahrzeug in Wahrheit nicht den Umweltstandards für Euro 6‑Fahrzeuge entspreche, hätte die Klägerin es nicht erworben.

[3] Die Beklagte bestritt unter Erstattung eines umfangreichen Vorbringens insbesondere den Vorwurf einer vorsätzlichen oder sittenwidrigen Täuschung, das Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen und dass der Klägerin ein Schaden entstanden sei, und beantragte die Abweisung der Klage.

[4] Das Erstgericht wies die Klage ab. In Bezug auf die behaupteten Abschalteinrichtungen traf es folgende Feststellungen:

„Das klagsgegenständliche Fahrzeug verfügt über einen SCR-Katalysator sowie über eine Abgasrückführung zur Emissionsminderung.

Der SCR-Katalysator verwendet zur Reduktion der NOx‑Emissionen das Mittel 'AdBlue' wobei der Wirkungsgrad unter anderem vom Temperaturniveau des SCR-Katalysators, dem Füllstand des SCR-Katalysators mit Ammoniak und den zur Konvertierung anstehenden NOx‑Emissionen abhängt.

Der AdBlue‑Verbrauch hängt unter anderem vom Kraftstoffverbrauch und dem Fahrstil ab. Der AdBlue-Verbrauch des klagsgegenständlichen Fahrzeuges entspricht einem durchschnittlichen Verbrauch.

Die Abgasrückführung wird durch eine Steuerungssoftware (in der Folge auch kurz: 'Thermofenster') geregelt.

Auf Grund der Software wird das Abgasrückführungsventil bei einer Umgebungslufttemperatur von weniger als ca. -15°C und mehr als ca. +75°C vollständig geschlossen, sodass in diesen Fällen keine Abgasrückführung stattfindet. Im Bereich zwischen ca. +12°C und ca. +75°C ist eine 100%‑ige Abgasrückführungs-Rate eingeregelt und es findet keine Veränderung der Abgasrückführungs-Rate statt. Ab einer Temperatur von weniger als ca. +12°C findet eine graduelle Reduzierung der Abgasrückführungs-Rate statt.

Durch dieses Thermofenster soll die Dauerhaltbarkeit des Abgasrückführungs-Systems gewährleistet werden, indem Ablagerungen durch Versottung oder Verkokung, die zu einem Blockieren des Abgasrückführungsventils und in weiterer Folge zu Motorschäden führen können, verhindert bzw. verringert werden. Die Problematik der Versottung bzw. der Verkokung ist schon seit mehreren Jahrzehnten bekannt; es handelt sich dabei um kein thermofensterspezifisches Phänomen.

Bei einer Reduzierung der Öffnung des AGR‑Ventils kommt es zu einer erhöhten Eindosierung von AdBlue.

Es kann nicht festgestellt werden, ob vom klagsgegenständlichen Fahrzeug im Realbetrieb auf der Straße die Stickoxidemissionsgrenzwerte von 0,125 g/km eingehalten werden.

Die täglichen Tiefstwerte der Außentemperatur liegen in Österreich während zumindest 220 Tagen pro Jahr unter +12°C. Die täglichen Höchstwerte der Außentemperatur liegen in Österreich während zumindest 120 Tagen pro Jahr unter +12°C.

Im klagsgegenständlichen Fahrzeug ist ein Hochdruck-Abgasrückführungsventil verbaut.

Für den Motortyp EA 288 gab es zum Genehmigungszeitpunkt des klagsgegenständlichen Motors ein Niederdruckabgasrückführungssystem. Durch Einbau eines Niederdruck-Abgasrückführungsventils kann ein größerer Temperaturbereiche mittels Abgasrückführung abgedeckt werden als durch den Einbau eines Hochdruck-Abgasrückführungsventils.“

 

[5] Rechtlich begründete das Erstgericht die Klageabweisung damit, dass Voraussetzung des von der Klägerin geltend gemachten deliktischen Anspruchs sei, dass das von ihr erworbene Fahrzeug im Realbetrieb auf der Straße die Stickoxidemissionsgrenzwerte von 0,125 g/km nicht einhalte. Die dazu getroffene negative Feststellung gehe zu Lasten der Klägerin, zumal diese nach der allgemeinen Beweislastregel die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen habe.

[6] Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

[7] Aus der Negativverstellung ergebe sich rechtlich nicht, dass die Klage abzuweisen sei. Der festgestellte Sachverhalt reiche nicht hin, um die Fragen beurteilen zu können, ob im Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut und bejahendenfalls, ob die Klägerin mit einer objektiven Unsicherheit der Fahrzeugnutzung konfrontiert sei. Das Erstgericht leide an sekundären Feststellungsmängeln.

[8] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO mit der Begründung zu, es erscheine eine Klarstellung zum Umfang der Behauptungs- und Beweislast im Zusammenhang mit Abschalteinrichtungen im Sinne der VO 715/2007/EG geboten. Insbesondere fehle Rechtsprechung für den Fall, dass dem Kläger der Beweis nicht gelinge, dass das Fahrzeug im Realbetrieb auf der Straße die maßgeblichen Stickoxidemissionsgrenzwerte nicht einhalte. Auch fehle Rechtsprechung „zur Beurteilung eines Thermofensters bei Emissionskontrollsystemen, die verschiedene ineinandergreifende Technologien – hier Abgasrückführung einerseits und Abgasnachbehandlung in Form eines SCR‑Katalysators andererseits – zur Einhaltung der Emissionsgrenzwerte verwenden“.

[9] Gegen den Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten mit einem auf Klageabweisung gerichteten Abänderungsantrag.

[10] Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung die Zurückweisung des Rechtsmittels, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Rekurs ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshofs nicht bindenden – Ausspruchs des Berufungsgerichts mangels einer Rechtsfrage von der in § 519 Abs 2 ZPO geforderten Qualität nicht zulässig.

[12] 1. Vorauszuschicken ist, dass das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen ist. Eine im Zeitpunkt der Einbringung eines Rechtsmittels tatsächlich vorliegende erhebliche Rechtsfrage fällt somit weg, wenn sie durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Zwischenzeit geklärt wird (RS0112769 [T9, T11, T12]).

[13] 2. Der Oberste Gerichtshof hat jüngst bereits mehrfach entschieden, dass für eine Prüfung, ob die Emissionsgrenzwerte trotz Aktivität der Abschalteinrichtung „im realen Straßenverkehr“ eingehalten werden, keine Rechtsgrundlage besteht und eine solche Prüfung daher nicht durchzuführen ist. Die für Emissionen festgelegten Grenzwerte müssen unter den in der Durchführungsverordnung angegebenen Prüfbedingungen eingehalten werden (10 Ob 31/23s [Rz 46]; 8 Ob 92/23x [Rz 12]; 8 Ob 118/23w [Rz 13] ua). Die angefochtene Entscheidung steht hiermit im Einklang. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts kann mit der von ihm getroffenen negativen Feststellung die Klageabweisung nicht begründet werden.

[14] 3. In den Entscheidungen 1 Ob 149/22a (Rz 42 bis 46) und 6 Ob 155/22w (Rz 64 bis 68) wurde die Behauptungs‑ und Beweislast für das Vorliegen bzw Nichtvorliegen und die Zulässigkeit bzw Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung bereits erläutert: Auszugehen ist davon, dass nach Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, grundsätzlich unzulässig ist, und dass davon Art 5 Abs 2 Satz 2 leg cit drei Ausnahmetatbestände normiert. Steht fest oder ist unstrittig, dass im Fahrzeug des Übernehmers eine (grundsätzlich verbotene) Abschalteinrichtung verbaut ist, so trifft den Übergeber die Beweislast dafür, dass eine solche Einrichtung unter eine Verbotsausnahme fällt. Die sich in 1 Ob 146/22k (Rz 23) und 9 Ob 17/22y (Rz 15) findende Aussage, es treffe den Kläger (Fahrzeugerwerber) die Beweislast dafür, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt, ist lediglich – wie bereits von 8 Ob 109/23x in Rz 20 festgehalten – eine komprimierte Kurzfassung dessen.

[15] Mit dieser Rechtsprechung steht – entgegen der Ansicht des Rekurses – die Ansicht des Berufungsgerichts, für die Zulässigkeit eines als Abschalteinrichtung zu qualifizierendes Thermofenster nach Art 5 Abs 2 der VO (EG) 715/2007 sei primär die Beklagte behauptungs- und beweispflichtig, im Einklang.

[16] Entgegen der Ansicht des Berufungsgericht liegt aufgrund der angeführten Entscheidungen bereit hinreichend Rechtsprechung zur Behauptungs- und Beweislast im Zusammenhang mit Abschalteinrichtungen im Sinne der VO 715/2007/EG vor.

[17] 4. Wenn das Berufungsgericht zur abschließenden Beurteilung der Frage, ob hier eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt, und bejahendenfalls, ob die Klägerin mit einer objektiven Unsicherheit der Fahrzeugnutzung konfrontiert sei, eine Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage für erforderlich hält, so ist dem vom Obersten Gerichtshof nicht entgegenzutreten. Mit einem Fehlen von Rechtsprechung „zur Beurteilung eines Thermofensters bei Emissionskontrollsystemen, die verschiedene ineinandergreifende Technologien – hier Abgasrückführung einerseits und Abgasnachbehandlung in Form eines SCR‑Katalysators andererseits – zur Einhaltung der Emissionsgrenzwerte verwenden“, lässt sich entgegen dem Berufungsgericht aber die Zulässigkeit des Rekurses iSd § 519 Abs 2 ZPO nicht begründen. Dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt, bedeutet keineswegs, dass die Entscheidung von der Lösung einer iSd § 502 Abs 1 bzw § 519 Abs 2 ZPO erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt (RS0102181 [T1]). Dass bei ineinandergreifenden technischen Systemen auf das Gesamtergebnis abzustellen ist, somit auf das „Emissionskontrollsystem in seiner Gesamtheit“ (vgl BGH VIa ZR 335/21 Rn 51), liegt im Übrigen auf der Hand.

[18] 5. Die Beklagte vertritt im Rekurs die Ansicht, es liege bereits Spruchreife für eine Klageabweisung vor, weil die Klägerin ihr Vorbringen zum Fehlen eines Verschuldens nicht bestritten und daher zugestanden habe. Feststellungen (auch) dazu fehlen aber. Der Oberste Gerichtshof ist nicht Tatsacheninstanz.

[19] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rechtsmittels gegen einen Aufhebungsbeschluss iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO des Berufungsgerichts findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RS0123222 [T4]). Die Klägerin hat in ihrer Rekursbeantwortung auf die mangelnde Zulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen und daher Anspruch auf Kostenersatz (RS0123222 [T8]).

[20] Die Bemessungsgrundlage beträgt hier 30.000 EUR: Die Klägerin begehrt (nach Klageänderung in der Tagsatzung vom 6. 12. 2022) nur noch 20.000 EUR und die Feststellung der Haftung der Beklagten für näher umschriebene zukünftige Schäden. Das Feststellungsbegehren ist mangels Bewertung durch die Klägerin hier nach lit b der – für die Anwaltskosten § 56 Abs 2 JN vorgehenden (RS0109658; Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 [2019] § 56 JN Rz 8 mwN) – Bestimmung des § 14 RATG mit 10.000 EUR zu bewerten (vgl Thiele, Anwaltskosten4 [2023] § 14 RATG Rz 15). Beide Begehren ergeben durch Zusammenrechnung (§ 12 Abs 1 Satz 1 RATG) den Rekursstreitwert.

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