OGH 9ObA91/23g

OGH9ObA91/23g18.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer und ADir. Gabriele Svirak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch die E+H Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Ing. S*, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, wegen Zustimmung zur Entlassung in eventu Zustimmung zur Kündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 7. September 2023, GZ 6 Ra 18/23y‑47, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00091.23G.0318.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Soweit der Beklagte das Fehlen von Feststellungen rügt, macht er tatsächlich keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend, sondern sekundäre Feststellungsmängel, die der Rechtsrüge zuzuordnen sind.

[2] 2. Nach § 8f Abs 1 Satz 3 VKG iVm § 7 Abs 3 VKG und § 10 Abs 4 MSchG kann das Gericht die Zustimmung zur Kündigung, wenn die Klage auf Zustimmung zur Kündigung nach Ablauf des ersten Lebensjahres des Kindes gestellt wurde, auch dann erteilen, wenn der Dienstgeber den Nachweis erbringt, dass die Kündigung durch Umstände, die (ua) die betrieblichen Interessen nachteilig berühren oder durch betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Dienstnehmerin entgegenstehen, begründet ist und die Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses dem Dienstgeber unzumutbar ist.

[3] 3. Die Kündigungsgründe des § 10 Abs 4 MSchG entsprechen – mit Ausnahme des zusätzlichen Erfordernisses der Unzumutbarkeit der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses – jenen des § 105 Abs 3 Z 2 lit a und b ArbVG. Es kann daher Anleihe bei der dazu ergangenen Rechtsprechung genommen werden. Eine Kündigung ist dann iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG durch betriebliche Erfordernisse begründet, wenn sie im Interesse des Betriebs notwendig ist. Im Fall einer betrieblichen Rationalisierung ist die Beurteilung der Zweckmäßigkeit und Richtigkeit der Maßnahme grundsätzlich dem wirtschaftlichen Ermessen des Betriebsinhabers vorbehalten (RS0051649; RS0052008). Die konkrete Kündigung muss aber zur Verwirklichung des beabsichtigten Erfolgs geeignet sein (8 ObA 95/11w).

[4] Das Kriterium der Unzumutbarkeit der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses wurde vom Gesetzgeber nicht definiert. Aufgrund der Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer muss es sich dabei aber um besonders schwerwiegende Umstände in der Person des Arbeitnehmers oder auf betrieblicher Ebene handeln. Um dem Gedanken der Unzumutbarkeit zu entsprechen, sind Umstände zu verlangen, die zu einer Kündigung der Arbeitnehmerin keine sinnvolle Alternative bieten (9 ObA 82/15x mwN).

[5] 4. Im vorliegenden Fall wurde der Standort der Klägerin in Graz, dem vertraglichen Dienstort des Beklagten, geschlossen. Sämtliche andere Mitarbeiter stimmten einer Versetzung zu oder beendeten ihre Dienstverhältnisse. Dem Beklagten wurde eine Weiterbeschäftigung am einzig verbleibenden Standort in Wien angeboten. Der Beklagte lehnte eine solche Versetzung aber ab. In Graz ist er nicht mehr einsetzbar. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass aufgrund der Umstrukturierung grundsätzlich betriebliche Erfordernisse eine Weiterbeschäftigung unzumutbar machen, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums. Insbesondere hat die Klägerin auch ihrer sozialen Gestaltungspflicht entsprochen und dem Beklagten einen entsprechenden Ersatzarbeitsplatz angeboten, der von ihm aber abgelehnt wurde.

[6] Dieser Beurteilung steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin im Zeitraum, für den Corona-Kurzarbeitszeitvereinbarungen bestanden und daher auch eine Behaltepflicht, den Beklagten vorübergehend in Wien einsetzte, dies unter Abgeltung der Anreisezeiten als Dienstreise bei Einrechnung in die Arbeitszeit, weil dies dazu führt, dass der Kläger nach den Feststellungen nach Beendigung der Kurzarbeit nicht im regulären Schichtbetrieb einsetzbar ist und der Kläger auch Nachtschichtarbeit verweigerte.

[7] 5. Der Revision kann auch nicht darin gefolgt werden, dass allein der Umstand, dass die damit verbundenen Kosten in Relation zum Gesamtumsatz der Klägerin nicht ins Gewicht fallen, jedenfalls zur Verneinung betrieblicher Interessen führt. Auch einem Großunternehmen ist es in der Regel nicht zumutbar, Arbeitnehmer an aufgelösten Dienstorten zu behalten und die damit verbundenen Mehrkosten zu tragen. Auf die genauen Kosten des Einsatzes des Beklagten in Wien kommt es daher nicht an, weshalb der gerügte Feststellungsmangel nicht vorliegt.

[8] 6. Soweit sich der Beklagte darauf beruft, dass die Klägerin nicht alle vom Gesetz zur Verfügung gestellten Mittel zum Zweck einer Änderung der Teilzeit ausgeschöpft hat (vgl 9 ObA 91/12s), so ist er darauf zu verweisen, dass das Berufungsgericht den Umstand der Elternteilzeit und deren Einteilung ohnehin nicht für geeignet erachtete, eine Kündigung zu begründen.

[9] Hinsichtlich der Zustimmung zur Versetzung übergeht die Revision, dass ein gerichtliches Verfahren nur die Zustimmung des Betriebsrates nach § 101 ArbVG, nicht eben die des Arbeitnehmers zu einer vertragsändernden Versetzung ersetzen kann (RS0051120). Durch ein solches Verfahren wäre daher im Hinblick auf eine Einsetzbarkeit des Beklagten für die Klägerin nichts zu gewinnen.

[10] 7. Den Arbeitgeber trifft die Obliegenheit, ihm bekanntgewordene Entlassungsgründe unverzüglich geltend zu machen, widrigenfalls das Entlassungsrecht des Arbeitgebers erlischt (vgl RS0028965; RS0031799). Im Falle einer Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit auf wichtige Gründe gilt der Grundsatz der Unverzüglichkeit der Geltendmachung auch für die Kündigung (RS0029273 [T9, T11]). Ist in einem solchen Fall eine gerichtliche Zustimmung zur Kündigung notwendig, so muss auch die entsprechende Klage des Arbeitgebers bzw Betriebsinhabers unverzüglich erfolgen, nachdem dem Arbeitgeber der Grund, der zur Kündigung berechtigt, bekannt geworden ist (vgl RS0028954 [T7]).

[11] 8. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, dass keine Verletzung des Unverzüglichkeitsgrundsatzes vorliege, allerdings darauf gestützt, dass aufgrund der Inanspruchnahme von Corona‑Kurzarbeit niemand gekündigt habe werden dürfen. Wenn auch eine gezielte Regelung für Kündigungen aus betrieblichen Gründen gefehlt habe, habe gegolten, dass Arbeitgeberkündigungen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden durften. Deshalb sei der Einsatz in Wien erfolgt und sollte die weitere Vorgangsweise erst nach Ende der Kurzarbeit besprochen werden.

[12] Mit dieser Argumentation des Berufungsgerichts setzt sich die Revision des Beklagten aber nicht auseinander, sondern beschränkt sich auf die allgemeine Darstellung der Judikatur zur Unverzüglichkeit und dem Verweis darauf, dass die Kündigung nicht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit den betrieblichen Veränderungen erfolgte.

[13] Da die Revision sich damit nicht mit der tragenden Begründung des Berufungsgerichts auseinandersetzt, ist auf diese Ausführungen nicht weiter einzugehen.

[14] 9. Insgesamt gelingt es dem Beklagten nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision des Beklagten ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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