OGH 8ObA72/23f

OGH8ObA72/23f15.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Stefula und die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G* W*, vertreten durch Dr. Herwig Ernst, Rechtsanwalt in Korneuburg, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Finanzamt Österreich – Dienststelle W*), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. September 2023, GZ 8 Ra 85/23p‑31.1, womit das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. April 2023, GZ 15 Cga 32/22f‑25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00072.23F.0215.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.615,10 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 1.884,50 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr Dienstverhältnis zur Beklagten ungeachtet ihrer Kündigung vom 23. 5. 2022 weiter aufrecht sei. Sie brachte – soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz – vor, die Beklagte habe ihr unberechtigt mit einer Entlassung gedroht, weshalb sie zu deren Vermeidung das Dienstverhältnis selbst gekündigt habe. Die unter dem Druck der bevorstehenden Entlassung erfolgte Kündigung sei unwirksam.

[2] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Die Klägerin habe sowohl durch unzulässige Abfragen in der Finanzamts‑EDV als auch durch ihr anschließendes Verhalten einen Entlassungsgrund gesetzt, weshalb die Ankündigung, man werde sie entlassen, sollte das Dienstverhältnis nicht einvernehmlich aufgelöst werden oder sie selbst kündigen, nicht unzulässig gewesen sei.

[3] Das Erstgericht wies die Klage ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

[4] Die Klägerin stand seit 2. 11. 1994 in einem Dienstverhältnis zur Beklagten. Sie war zuletzt in der Dienststelle W* von Finanzamt Österreich als Betriebsprüferin von Klein- und Mittelbetrieben tätig. Mit E‑Mail vom 23. 5. 2022 kündigte sie ihr Dienstverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum 31. 10. 2022. Auf das Dienstverhältnis findet das VBG Anwendung.

[5] Am 25. 1. 2022 erstattete die Dienststellenleiterin der Dienststelle * P* einen Bericht, wonach die Klägerin in einem Verfahren bei Mitarbeitern des Teams Abgabensicherung „offen interveniert“ habe, damit der Säumniszuschlag des Abgabenpflichtigen K* Wu* „abgeschrieben“ werde. Gleichzeitig bestehe der Verdacht einer Dienstpflichtverletzung durch nicht dienstlich veranlasste Abfragen in den finanzinternen Datenbanken. Dieser Bericht erging an E* B* (Leiter des BIA), Mag. S* M* (Vorstand Finanzamt Österreich), Dr. M* R* (Leiter der Personalabteilung) und Dr. A* T* (Leiter der Dienststelle W*).

[6] Das BIA (Büro für Interne Angelegenheiten) führte daraufhin eine Analyse des Abfrageverhaltens und der Nutzung der finanzinternen Datenbanken AIS (Abgabeninformationssystem), FON (FinanzOnline Verfahren), GDV (Grunddatenverwaltung) und JVP (Jahresveranlagung – Privat) der Klägerin im Hinblick auf dienstlich unbegründete Abfragen durch. Im Vordergrund stand dabei die Analyse hinsichtlich etwaiger Zugriffe auf die Steuerdaten von K* Wu*. Dabei wurde festgestellt, dass die Klägerin folgende nicht rein dienstlich begründete Zugriffe auf das Abgabeninformationssystem (AIS) und die Jahresveranlagung (JVP) getätigt hatte, die sowohl Personen aus dem Verwandtenkreis als auch sonstige Steuerpflichtige betrafen:

 

AIS:

 

Name

SB_FA NR

SB_STN

R

Erste

Abfrage

Letzte

Abfrage

Zugriffe im

AIS

K* Wu*

8

*

18. 1. 22

18. 1. 22

13

R* R*

12

*

7. 1. 19

12. 10. 20

18

S* R*

18

*

21. 7. 20

17. 8. 20

15

F* K*

18

*

23. 11. 20

25. 5. 21

27

E* K*

18

*

23. 11. 20

12. 5. 21

21

F* und E*

K*

18

*

23. 11. 20

12. 5. 21

3

K* W*

29

*

7. 1. 19

14. 1. 21

7

M* W*

23

*

9. 9. 19

1. 12. 21

11

G*

W*

18

*

14. 1. 21

22. 2. 22

7

      

 

JVP:

 

Name

Anzahl

von

bis

M* W*

(Verlassenschaft)

5

10. 3. 20

1. 12. 21

K* W*

1

14. 1. 21

14. 1. 21

E* K*

8

23. 11. 20

23. 11. 20

    

 

[7] Der Bericht der Dienststellenleiterin der Dienststelle P* wurde auch der Klägerin übermittelt, die am 31. 1. 2022 eine Stellungnahme erstattete.

[8] Die Klägerin hatte 1994 nach der Matura bei der Beklagten im Bereich der Großbetriebsprüfung begonnen. Im Rahmen ihrer Aus- und Fortbildung absolvierte sie die vom Arbeitgeber angebotenen E‑learning‑Programme „Datenschutz“ und „Informationssicherheit am Arbeitsplatz“. Dabei wurden Themen wie Sinn und Zweck von Datenschutz, sensible Daten, Schutzumfang, Arten und Grundsätze der Datenverwendung, Pflichten von Datenverwendern, Datensicherheit, Aktengeheimnis und die Folgen der Missachtung der vorgenannten Themenbereiche behandelt.

[9] Bei jeder Datenbankabfrage erscheint in der Einstiegsmaske folgender Hinweis: „Diese Datenbank darf nur im dienstlichen Interesse genutzt werden. Die Einhaltung dieses Grundsatzes wird stichprobenartig überprüft. Ein Zuwiderhandeln kann als Dienstpflichtverletzung geahndet werden.“

[10] Auch in einem Erlass des Bundesministeriums für Finanzen vom 21. 6. 2017, BMF‑320700/0004‑I/1/2017, an unter anderem alle Finanzämter wurde darauf hingewiesen, dass die Verwendung (das Abfragen) der zur Verfügung stehenden Datenbestände ausschließlich im dienstlichen Interesse zulässig ist. In seinem Punkt „1.1. Zulässige bzw. unzulässige Abfragen“ bestimmte der Erlass:

„Als dienstlich begründete Abfragen gelten jene, die im Rahmen der Erfüllung der Aufgaben des konkreten Arbeitsplatzes in der konkret sachlich und örtlich zuständigen Organisationseinheit getätigt werden. Zugriffe auf Grund persönlicher Vorsprachen oder telefonischer Anfragen sind jedenfalls auch dann dienstlich veranlasst, wenn der Anfrager/die Anfragerin – nach eindeutiger Feststellung der Identität – bei einem unzuständigen Finanzamt/Zollamt vorspricht.“

[11] K* Wu* ist der Freund einer Freundin der Klägerin. Er ersuchte die Klägerin um Hilfe bei einem Abgabenverfahren, das in den Zuständigkeitsbereich des Finanzamts P* fiel. Er meinte, dass seine Eingaben unbeantwortet geblieben seien. Die Klägerin führte sofort entsprechende Namensabfragen im AIS durch und nahm Akteneinsicht. Sie stellte fest, dass es um die Vorschreibung eines Säumniszuschlags ging, konnte jedoch die von K* Wu* erwähnten Eingaben nicht finden. Daraufhin rief sie beim zuständigen Finanzamt P* an. Die zuständige Mitarbeiterin M* K* nahm ihren Anruf zum Anlass, K* Wu* anzurufen und ihn darüber zu belehren, dass und aus welchen Gründen der Säumniszuschlag vorgeschrieben wurde. Auch dass einige seiner Eingaben nicht beim Finanzamt eingelangt waren, wurde erörtert. Nachdem sich K* Wu* daraufhin bei der Klägerin über die Unfreundlichkeit von M* K* beschwert hatte, rief die Klägerin diese nochmals an und fragte sie, „warum sie zu Klienten so unfreundlich sei“. M* K* machte die Klägerin darauf aufmerksam, dass sie nicht berechtigt sei, ein Abgabenkonto einer anderen Dienststelle einzusehen. Daraufhin schob die Klägerin ihren Teamleiter F* W* vor und meinte, dieser habe sie ermächtigt, den Akt einzusehen, was nicht stimmte.

[12] M* W* war die Tante der Klägerin. Als deren Erwachsenenvertreterin bei ihr anrief und um Auskunft ersuchte „wann mit einer Entscheidung im Abgabenakt der Betroffenen zu rechnen sei“, führte die Klägerin die oben angeführten Abfragen durch und gab der Erwachsenenvertreterin die begehrte Information.

[13] Bei F* und E* K* handelt es sich um die Eltern einer Bekannten der Klägerin, die im selben Ort wie die Klägerin wohnhaft ist. Als diese die Klägerin darauf ansprach, dass ihren Eltern „Grundstücksabgaben doppelt vorgeschrieben worden seien“, führte die Klägerin, ohne dafür zuständig zu sein und ohne die Berechtigung dieser Bekannten zu überprüfen, im Namen der Eltern tätig zu sein, die oben genannten Abfragen im AIS und JVP durch und gab ihrer Bekannten die gewünschte Auskunft. Eine „Erlaubnis“ des Teamleiters, die Abfragen durchzuführen, holte sie dabei nicht ein.

[14] R* R* ist ein ehemaliger Schulkollege des Lebensgefährten der Klägerin. Die Klägerin war für die Betriebsprüfung des Klienten R* nicht zuständig, sondern ihre Kollegin M* R*. Die Klägerin wurde von M* R* nie zur Betriebsprüfung des Klienten R* unterstützend beigezogen.

[15] Die Klägerin machte auch ohne dienstliches Erfordernis Abfragen im eigenen Namen im AIS, obwohl sie wusste, dass dies nicht erlaubt war.

[16] Die Klägerin wurde am 24. 3. 2022 als Auskunftsperson beim BIA vernommen. Die Vernehmung leitete J* S*. Weiters anwesend waren der rechtsfreundliche Vertreter der Klägerin Mag. W* K* als Vertrauensperson, Mag. S* M* (Vorstand Finanzamt Österreich) und Mag. C* J* (Personalabteilung). Bei der Vernehmung bestritt die Klägerin, R* oder S* R* persönlich zu kennen.

[17] Nach der Vernehmung machte sie Mag. K* darauf aufmerksam, dass es möglich sein könnte, dass das BIA noch weitere Erhebungen bei den einzelnen von den Abfragen betroffenen Personen (insbesondere R* und K*) durchführt. Daraufhin rief die Klägerin bei R* und S* R* und bei F* und E* K* an, informierte diese über mögliche Erhebungen und ersuchte um Information, falls „Beamte des BIA bei ihnen vorbeischauen“.

[18] Als Beamte der BIA, namentlich J* S* als Ermittlungsleiter und Ro* R*, unangekündigt bei R* R* auf dessen Nebenwohnsitz in M* auftauchten und eine Befragung durchführen wollten, informierte dieser tatsächlich telefonisch die Klägerin. Diese fuhr daraufhin sofort zum Wohnhaus von R* R*, platzte über eine Gartentüre direkt in die auf der Terrasse durchgeführte Befragung und sprach laut und aufgebracht. Dabei sagte sie auch zu den Beamten plötzlich: „Ein Vorstand, dessen Namen ich nicht nenne, hat belastendes Material gegen Herrn B* (Anmerkung: Leiter des BIA) in der Hand und wird das jetzt ausspielen.“ Nachdem die Klägerin nicht gehen wollte („Ich werde nicht mehr gehen und bleibe bei der Befragung da.“), entschlossen sich die Beamten, die Befragung abzubrechen.

[19] Das BIA kam im Ermittlungs- und Empfehlungsbericht vom 4. 5. 2022 zu folgender rechtlicher Würdigung:

„7.2. Verdacht auf Dienstpflichtverletzung

Aufgrund des Ermittlungsergebnisses und den niederschriftlichen Angaben von Frau G* W* selbst, besteht hinsichtlich der von ihr auch eingestandenen Datenbankzugriffe auf die Steuerdaten von K* W* (Bruder), M* W* (Tante) und ihrer erläuterten Unterstützungsleistung sowie ihrer Zugriffe auf die eigenen Daten hinreichender Verdacht von Dienstpflichtverletzungen im Sinne des BDG iVm VBG, insbesondere betreffend

§ 43 BDG 1979 (Allgemeine Dienstpflichten) iVm § 5 VBG

§ 47 BDG 1979 (Befangenheit) iVm § 5 VBG

Auch wenn G* W* in Bezug auf K* Wu*, R* und S* R* sowie F* und E* K* ihre Handlungsweise als besonderes Bürgerservice betrachtet, muss jedenfalls darauf Augenmerk gelegt werden, dass die Mitarbeiterin gem. § 43 Abs 2 BDG 1979 iVm § 5 VBG in ihrem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen hat, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung ihrer dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt. Ein Bekanntwerden der Bevorzugung eines bestimmten Personenkreises durch dienstlich nicht begründbare – weil über persönliches Ersuchen geschehene – Abfragen sowie einhergehend das Unterstützen in der Abwicklung von Ansuchen und Anliegen wäre jedenfalls geeignet, das Vertrauen der Allgemeinheit zu beeinträchtigen.

Die Grenze einer Kunden- und Serviceorientierung ist nach Ansicht des BIA aber jedenfalls dort überschritten, wenn neben nicht rein dienstlich zu qualifizierenden Datenbankabfragen eine Kontaktaufnahme mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (noch dazu von anderen Dienststellen) im Zusammenhang mit Nachfragen sowie Ersuchen über die Erledigung von Anbringen und dergleichen betreffend Bekannte und/oder Verwandte sowie Freunden erfolgt.

Darüber hinaus ist von einer gut ausgebildeten und langjährigen Mitarbeiterin, die auch die einschlägigen Bestimmungen zum Datenschutz sowie zur Nutzung der Datenbanken für rein dienstliche Angelegenheiten kennt, besondere Sorgfalt im Zusammenhang mit der Einhaltung der allgemeinen Dienstpflichten bei Befangenheit und Datenschutz zu erwarten.

Nach Ansicht des BIA besteht hinreichender Verdacht auf Dienstpflichtverletzungen im Sinne der §§ 43 und 47 BDG 1979 iVm § 5 VBG.

Allfällige zu treffende dienst- oder disziplinarrechtliche Maßnahmen obliegen dem Verantwortungsbereich der Dienstbehörde.“

 

[20] Was das Verhalten der Klägerin bei der Befragung von R* R* betraf, enthielt der Bericht folgende Ausführungen:

„Für das BIA ist das Auftreten von Frau W* bei der Befragung von Herrn R* am 28. 4. 2022 mehr als befremdlich. Da sie der mehrmaligen Aufforderung, die Amtshandlung zu verlassen, nicht nachgekommen ist und Herr R* keine diesbezüglichen Anstalten machte, sie zum Verlassen aufzufordern, war ein Fortsetzen der Befragung nicht geboten und musste die Amtshandlung abgebrochen werden.

Besonders bedenklich erscheint die – in keinem Zusammenhang mit der Befragung von Herrn R* stehende – Aussage von Frau G* W* gegenüber J* S* und Ro* R* 'Ein Vorstand dessen Name ich nicht nenne, hat belastendes Material gegen Herrn B* in der Hand und wird das jetzt ausspielen.'“

 

[21] Der Ermittlungs- und Empfehlungsbericht des BIA vom 4. 5. 2022 wurde am 5. 5. 2022 dem Vorstand des Finanzamts Österreich, Mag. S* M*, per E‑Mail übermittelt und von diesem die zuständige Personalabteilung mit der Prüfung und rechtlichen Würdigung beauftragt.

[22] Über Empfehlung der Personalabteilung wurde durch Mag. S* M* die Entscheidung getroffen, die Entlassung auszusprechen. Gleichzeitig wurde entschieden, die Klägerin vom Dienst freizustellen. Von dieser beabsichtigten Vorgangsweise wurde am 9. 5. 2022 der Dienststellenleiter Dr. A* T* informiert mit dem Ersuchen, dies der Klägerin mitzuteilen. Die Gründe für die beabsichtigte Entlassung wurden nicht mehr besprochen.

[23] Daraufhin wurde am 9. 5. 2022 der Dienststellenausschuss (DAUS) gemäß § 10 Abs 1 iVm § 9 Abs 1 lit i PVG von der beabsichtigten Entlassung nachweislich durch den Dienststellenleiter verständigt, wodurch die 14‑Tages‑Frist nach dem PVG ausgelöst wurde, und die Klägerin unter Hinweis auf die beabsichtige Entlassung vom Dienst freigestellt. Standardmäßig wird in diesem Verständigungsschreiben an den DAUS vom Dienstgeber darauf hingewiesen, dass – wenn vom Dienstnehmer gewünscht – eine einverständliche Auflösung des Dienstverhältnisses möglich ist.

[24] Am 10. 5. 2022 nahm die Klägerin mit K* We* Kontakt auf und fragte nach, ob auch eine Arbeitnehmerkündigung möglich wäre, um ihr die Jobsuche zu erleichtern. Sie wollte auch, dass ihr der BIA‑Bericht zur Verfügung gestellt wird, was von K* We* abgelehnt wurde. Er erläuterte ihr auf Nachfrage auch die Gründe der beabsichtigten Entlassung und verwies auf die Einvernahme beim BIA, insbesondere die unberechtigten Abfragen sowie den „Vorfall“ im Garten R*. Was die Frage der Kündigung betraf, verwies er darauf, dass das noch intern besprochen werden müsse.

[25] Die Klägerin telefonierte im selben Zeitraum auch mit Mag. S* M*, der erläuterte, die Entlassung stehe im Raum, da sie nicht dienstlich veranlasste Abfragen getätigt habe, wobei „der Auftritt mit dem BIA sicherlich nicht förderlich gewesen sei“.

[26] Daraufhin nahm die Klägerin mit ihrem Rechtsanwalt Kontakt auf, der sie schon im Zuge der Einvernahme des BIA vertreten hatte. Er meinte, er werde versuchen „eine einvernehmliche Lösung mit Abfertigung zu erzielen“.

[27] Am 18. 5. 2022 erhielt die Klägerin die Information von H* B* (Vorsitzender des ZAUS), dass die Beklagte eine Selbstkündigung der Klägerin akzeptieren würde. In einem solchen Fall würde ihr eine fünfmonatige Kündigungsfrist zustehen, in der sie in Ruhe eine neue Arbeit suchen könnte. Für das Kündigungsansuchen wurde der Klägerin eine Frist bis 23. 5. 2022 gesetzt. Ihr wurde unmissverständlich kommuniziert, dass mangels Selbstkündigung die Entlassung ausgesprochen werden würde. Die Klägerin übermittelte am 23. 5. 2022 ihre Kündigung an den Dienststellenleiter per E‑Mail. Am 24. 5. 2022 bestätigte die Beklagte der Klägerin, dass aufgrund ihrer Kündigung von der Entlassung Abstand genommen werde.

[28] Dem Kündigungsansuchen wurde unter bestimmten Auflagen zugestimmt: Erstens wurde die Dienstfreistellung aufgehoben, wobei die Klägerin nur beschränkt ihre drei noch offenen Fälle fertig machen durfte. Zweitens musste die Klägerin ihren Urlaub verbrauchen. Drittens wurde im Weiteren eine Innendienstverwendung angeordnet.

[29] Auch nach der Selbstkündigung ersuchte die Klägerin mehrfach, den Bericht des BIA zu erhalten, wobei sie auch Einsicht in den Personalakt verlangte. Am 14. 10. 2022 wurde ihr Einsicht in den Personalakt gewährt, wobei sie feststellen musste, dass der Bericht des BIA darin nicht enthalten war.

[30] Am 18. 10. 2022 wurde die gegenständliche Klage eingebracht. Den Bericht des BIA erhielt die Klägerin erstmals im gegenständlichen Verfahren.

[31] Rechtlich vertrat das Erstgericht im Wesentlichen die Ansicht, die Klage könne nur dann erfolgreich sein, wenn die Kündigung der Klägerin oder der nach Ansicht des Erstgerichts deshalb vorliegende Vergleich, weil die Beklagte auf die Entlassung unter bestimmten Bedingungen gegen Kündigung des Dienstverhältnisses durch die Klägerin verzichtet habe, wegen Vorliegens einer ungerechten und gegründeten Furcht ungültig sei. Es komme entscheidend darauf an, ob im Zeitpunkt der Androhung der Entlassung aus der Sicht der Beklagten plausible und objektiv ausreichende Gründe für die Entlassung gegeben waren. Keine der festgestellten Abfragen der Klägerin sei in deren dienstlichen Tätigkeitsbereich gefallen oder „mit dienstlichem Erfordernis“ erfolgt, sondern alle auf Ersuchen von Bekannten und Verwandten. Der Klägerin hätte aufgrund ihrer Aus- und Fortbildungen in diesem Bereich, aufgrund des Erlasses des Bundesministeriums für Finanzen und aufgrund des Warnhinweises auf der Eingabemaske bewusst sein müssen, dass eine Nutzung der Datenbanken der Finanzverwaltung ausschließlich im dienstlichen Interesse erfolgen dürfe, privat veranlasste Abfragen und Zugriffe hingegen verboten seien. Ausgehend vom Empfehlungsbericht des BIA und dem darin enthaltenen Ermittlungsergebnis wäre aus Sicht der Beklagten eine Entlassung im Zeitpunkt ihrer Androhung bei Anlegung eines objektiven Maßstabs berechtigt gewesen.

[32] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass die Kündigungserklärung der Klägerin mit E‑Mail vom 23. 5. 2022 für unwirksam erklärt wird. Rechtlich vertrat es die Ansicht, dass die Datenbankabfragen der Klägerin aufgrund von Ersuchen aus dem Bereich von Freunden oder Familienmitgliedern ohne dienstliche Veranlassung erfolgt und daher unzulässig gewesen seien. Sie stellten jedenfalls eine Dienstpflichtverletzung dar. Der Klägerin sei jedoch zuzugestehen, dass der Erlass des BMF vom 21. 6. 2017 bei großzügiger Auslegung einen gewissen Interpretationsspielraum dahin eröffne, dass von ihm der Zugriff aufgrund eines Auskunftsersuchens aus dem Bekannten- oder Familienkreis möglicherweise noch gedeckt sein könnte. Nach Ansicht des Berufungssenats könne bei der gegebenen Sachlage auch unter Berücksichtigung des Verhaltens der Klägerin im Zuge der Ermittlungen des BIA noch nicht von einer besonders schweren Verletzung der Dienstpflichten gesprochen werden, die die Entlassung gerechtfertigt hätte. Bei Kündigung des Arbeitnehmers unter dem Eindruck der Ankündigung des Arbeitgebers, ihn zu entlassen, komme es aber darauf an, ob der Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt berechtigt war, das Arbeitsverhältnis durch Entlassung sofort zu beenden. Weil dies nicht der Fall gewesen sei, könne sich die Klägerin darauf berufen, es sei auf sie ungerechtfertigter Druck ausgeübt worden. Damit sei ihre inhaltlich auf Anfechtung der Kündigungserklärung gerichtete – und insofern einer Präzisierung im Urteilsspruch bedürftige – Klage berechtigt.

[33] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung, es liege keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vor, nicht zu.

[34] Gegen das Berufungsurteil richtet sich die aus dem Revisionsgrund nach § 503 Z 4 ZPO erhobene außerordentliche Revision der Beklagten mit einem auf Klageabweisung gerichteten Abänderungsantrag.

[35] Die Klägerin beantragt in der ihr vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[36] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist auch berechtigt.

[37] 1. Nach der hier anzuwendenden Vorschrift des § 34 Abs 2 lit b VBG liegt ein wichtiger Grund, der den Dienstgeber zur vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses (Entlassung) berechtigt, vor, „wenn der Vertragsbedienstete sich einer besonders schweren Verletzung der Dienstpflichten oder einer Handlung oder einer Unterlassung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen lässt, [...]“.

[38] 2. 1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Ansicht nicht zutrifft, Voraussetzung für die Wirksamkeit einer wegen einer vom Arbeitgeber in Aussicht genommenen Entlassung abgeschlossenen Auflösungsvereinbarung wäre die Berechtigung der Entlassung (9 ObA 180/98f; 9 ObA 271/01w). Schließt der Arbeitnehmer unter dem Eindruck der Ankündigung des Arbeitgebers, ihn zu entlassen, eine Auflösungsvereinbarung, so kommt es vielmehr darauf an, ob für den Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Androhung der Entlassung plausible und objektiv ausreichende Gründe für deren Ausspruch gegeben waren. Ist dies der Fall, dann kann sich der Arbeitnehmer nicht mit Erfolg darauf berufen, es sei auf ihn ungerechtfertigter Druck iSd § 870 ABGB ausgeübt worden (RS0014878 [T5]).

[39] Mit anderen Worten reicht es für den Ausschluss einer „ungerechten“ – und im Fall ihrer Begründetheit nach § 870 ABGB eine Anfechtung ermöglichenden – Furcht aus, dass der Arbeitgeber mit guten Gründen gegenüber dem Arbeitnehmer die Ansicht vertreten konnte, dieser hätte einen Entlassungsgrund gesetzt (zB 8 ObA 2/21h [Rz 3]; Neumayr in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 [2021] § 1158 Rz 41).

[40] 2.2. Bei der Beurteilung dessen kommt es auf den Wissensstand des Arbeitgebers ex ante an, nicht darauf, ob seine Ansicht ex post aufgrund der Ergebnisse eines förmlichen Beweisverfahrens auch von den befassten Gerichten geteilt wird (RS0014878 [T8]).

[41] 2.3. Lagen Anhaltspunkte von einigem Gewicht dafür vor, dass der Ausspruch einer Entlassung vor Gericht Bestand hätte, so darf dem Arbeitgeber nicht das Recht abgesprochen werden, den Abschluss einer einvernehmlichen Lösung unter gleichzeitigem Hinweis auf die nachteiligen Folgen einer Entlassung anzubieten (9 ObA 271/01w; Rück, Glosse zu 8 ObA 26/14b, ZAS 2016, 39 [41]).

[42] 3. Die unter Pkt 2.1. bis 2.3. referierten Leitlinien finden in der Rechtsprechung genauso Anwendung, wenn der Arbeitnehmer das Dienstverhältnis unter dem Eindruck der Ankündigung des Arbeitgebers, ihn zu entlassen, kündigt. So hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass es (auch) in einem solchen Fall darauf ankommt, ob für den Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Androhung der Entlassung plausible und objektiv ausreichende Gründe für deren Ausspruch gegeben waren und dass sich bei Bejahung dessen der Arbeitnehmer nicht mit Erfolg darauf berufen kann, es sei auf ihn ungerechtfertigter Druck ausgeübt worden (RS0014873 [T7]; vgl auch Striessnig, Einvernehmliche Auflösungen von Arbeitsverhältnissen unter dem Eindruck von Entlassungsdrohungen, ZAS 2017, 151 [152]).

[43] 4. Dass einem Arbeitgeber nicht die Veranlassung „ungerechter“ Furcht iSd § 870 ABGB entgegengehalten werden kann, gilt jedenfalls, wenn zwar nicht sicher ist, ob die Gerichte einen Entlassungsgrund bejahen würden, der Arbeitgeber aber ebendies annimmt und bei objektiver Betrachtung auch mit guten Gründen annehmen darf.

[44] 5. Im vorliegenden Fall ist ohne Bedeutung, ob man mit dem Erstgericht eine konkludent geschlossene Auflösungsvereinbarung oder mit dem Berufungsgericht eine Selbstkündigung annimmt, weil sich die Anfechtung sowohl des einen als auch des anderen nach denselben Grundsätzen richtet.

[45] Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kommt es wegen der unter Pkt 2.1. und 3. referierten Rechtslage nicht darauf an, ob das (unstrittige) Verhalten der Klägerin bei richtiger rechtlicher Beurteilung die Entlassung gerechtfertigt hätte. Deshalb kann offen bleiben, ob dem Berufungsgericht dahin zuzustimmen wäre, dass die Klägerin (gerade noch) keinen Entlassungsgrund gesetzt habe.

[46] Entscheidend ist vielmehr – wie bereits vom Erstgericht vertreten – allein, ob die Beklagte mit guten Gründen in rechtlicher Hinsicht die Ansicht vertreten durfte, es liege ein Entlassungsgrund vor. Dies ist zu bejahen:

[47] Nach § 5 Abs 1 VBG findet auf Vertragsbedienstete (auch) die die allgemeinen Dienstpflichten von Beamten regelnde Vorschrift des § 43 BDG Anwendung. Diese enthält das Gebot, die dienstlichen Aufgaben unparteiisch zu besorgen. Auch § 47 BDG, wonach der Beamte sich der Ausübung seines Amtes zu enthalten und seine Vertretung zu veranlassen hat, wenn wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unbefangenheit in Zweifel zu setzen, ist anzuwenden.

[48] Im Übrigen ist im vorliegenden Fall auch die sinngleiche Vorschrift des § 76 Abs 1 lit a und c BAO zu beachten. Danach haben sich Organe der Abgabenbehörden der Ausübung ihres Amtes wegen Befangenheit zu enthalten und ihre Vertretung zu veranlassen, „(a) wenn es sich um ihre eigenen Abgabenangelegenheiten oder um jene eines ihrer Angehörigen (§ 25 BAO) […] handelt; […] (c) wenn sonstige wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen“.

[49] Das Wesen der Befangenheit besteht darin, dass in Bezug auf die zu beurteilenden Fachfragen eine Hemmung der unparteiischen Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive vorliegt oder zumindest nicht ausgeschlossen werden kann (RS0096880; VwGH 2004/10/0108; Ra 2017/05/0158 uva).

[50] Der VwGH hat bereits entschieden, dass – zumindest im Normalfall – Abfragen wie die auch hier vorgenommenen aufgrund von Bitten von Bekannten, Freunden und Verwandten nicht zu den einem Beamten (hier: Vertragsbediensteten) im Rahmen der Erfüllung seiner konkreten Aufgaben als Betriebsprüfer übertragenen Aufgaben gehören. Es gehört auch nicht zu den allgemeinen Aufgaben eines Beamten (hier: Vertragsbediensteten), Ersuchen um die Abfrage von Daten nachzukommen, wenn sich diese nicht auf jenen Aufgabenbereich beziehen, der ihm durch die Zuständigkeits- und Organisationsvorschriften sowie durch individuelle Weisungen zugewiesen ist (VwGH 2005/09/0147).

[51] Jedenfalls für Ersuchen aus dem Freundes-, Bekannten und Verwandtenkreis hat sich hieran auch durch den im Erlass des BMF vom 21. 6. 2017, BMF‑320700/0004‑I/1/2017, enthaltenen Satz „Zugriffe auf Grund persönlicher Vorsprachen oder telefonischer Anfragen sind jedenfalls auch dann dienstlich veranlasst, wenn der Anfrager/die Anfragerin – nach eindeutiger Feststellung der Identität – bei einem unzuständigen Finanzamt/Zollamt vorspricht.“ im Ergebnis nichts geändert, weil sich der Beamte bzw Vertragsbedienstete in solchen Fällen regelmäßig bereits wegen seiner Befangenheit einer Erledigung des Ersuchens enthalten muss. Gegenteiliges könnte als eine abzulehnende „Freunderlwirtschaft“ verstanden werden.

[52] Dass die Beklagte die Abfragen der Klägerin und umso mehr ihre in der Folge getätigten Interventionen bei anderen Dienststellen als Dienstpflichtverletzungen qualifizierte, liegt mehr als nahe. Dafür, dass sie sich grundsätzlich für eine Entlassung entschied, hatte sie jedenfalls nach dem völlig inakzeptablen Verhalten der Klägerin im Garten von R* R* „gute Gründe“ im Sinne der Rechtsprechung. Der Vorwurf der Klägerin, die Beklagte habe sie durch die Entlassungsankündigung in „ungerechte“ Furcht iSd § 870 ABGB versetzt, weshalb ihre Selbstkündigung unwirksam (anfechtbar) sei, geht somit ins Leere.

[53] Es war in Stattgebung der Revision der Beklagten das klageabweisende Ersturteil wiederherzustellen.

[54] 6. Die Entscheidung über die Verfahrenskosten zweiter und dritter Instanz gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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