OGH 9ObA109/23d

OGH9ObA109/23d14.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alexander Leitner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch die MMMag. Dr. Franz Josef Giesinger Rechtsanwalt GmbH in Götzis, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17–19, 1011 Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 22. November 2023, GZ 15 Ra 45/23i‑30, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00109.23D.0214.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Das Gericht darf grundsätzlich die bei einer Beweisaufnahme hervorgekommenen Umstände nur soweit berücksichtigen, als sie im Parteivorbringen Deckung finden. Darüber hinausgehende „überschießende“ Feststellungen dürfen nur dann berücksichtigt werden, wenn sie sich im Rahmen des geltend gemachten Klagsgrundes oder der erhobenen Einwendungen halten (RS0037972 [T9]; RS0036933 [T7]). Ob das der Fall ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Eine aufzugreifende Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht wird von der Klägerin nicht aufgezeigt.

[2] 2. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Kündigungs- oder Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0106298). Dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt, bedeutet keineswegs, dass die Entscheidung von der Lösung einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt (RS0102181).

[3] 3. Der Entlassungsgrund des § 34 Abs 2 lit b VBG liegt vor, wenn der Vertragsbedienstete sich einer besonders schweren Verletzung der Dienstpflichten oder einer Handlung oder einer Unterlassung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen lässt.

[4] Eine gröbliche Verletzung von Dienstpflichten kann dann den Kündigungsgrund verwirklichen, wenn das beanstandete Verhalten des Dienstnehmers diesem vorwerfbar ist (vgl RS0114667) und über bloße Ordnungswidrigkeiten hinausgeht (RS0105940).

[5] Ob Vertrauensunwürdigkeit iSd § 34 Abs 2 lit b VBG gegeben ist, hängt davon ab, ob für den Dienstgeber die gerechtfertigte Befürchtung besteht, dass seine Belange durch den Vertragsbediensteten gefährdet sind. Maßgebend ist, ob das Verhalten des Vertragsbediensteten das Vertrauen des Dienstgebers so schwer erschüttert hat, dass diesem die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (RS0108229 [T2]).

[6] 4. Die Klägerin hat wiederholt auf ihrem Dienstcomputer Steuerdaten von Verwandten auf deren Wunsch hin eingesehen, um sie bei Steuererklärungen und Steuerausgleich zu unterstützen. Darüber hinaus hat sie auch die Steuerdaten der Frau ihres verstorbenen Ex-Ehegatten ohne deren Wissen abgefragt, sowie die Daten einer E*.

[7] Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass dies eine schwere Dienstpflichtverletzung darstellt, ist nicht korrekturbedürftig.

[8] Wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang moniert, dass Feststellungen zu der schwierigen Beziehung zu ihrem Ex-Ehemann fehlen und diese Umstände mitberücksichtigt hätten werden müssen, übergeht sie, dass der Grund für die Abfrage der Daten der Frau ihres Ex‑Mannes ohnedies festgestellt wurde, nämlich Neugier. Ein sekundärer Feststellungsmangel liegt daher nicht vor. Ebenso erfolgte die Datenabfrage betreffend E* ohne die Zustimmung Berechtigter, wobei letztlich irrelevant ist, ob es sich um eine Cousine des Vaters der Klägerin handelt oder nicht.

[9] 5. Warum die eigenmächtige Einsicht in sensible Steuerdaten keine schwere Dienstpflichtverletzung darstellen soll, ist nicht nachvollziehbar. Dass bei Vergehen anderer Dienstnehmer das Dienstverhältnis allenfalls nicht beendet wurde, wobei zu den näheren Umständen dieser Fälle keine Feststellungen vorliegen, ist dabei nicht von Relevanz, ergibt sich doch aus den Feststellungen, dass die Beklagte deutlich kommunizierte und der Klägerin auch bekannt war, dass die Abfrage von Steuerdaten ausschließlich im dienstlichen Interesse erfolgen darf. Die Klägerin konnte daher nicht davon ausgehen, dass ein solches Verhalten von der Beklagten geduldet wird.

[10] 6. Dasselbe gilt für die Datenabfragen für Angehörige. Auch hier liegt – unabhängig von § 76 BAO – kein dienstliches Interesse für eine Abfrage vor. Dass die Klägerin auch in der Revision darauf beharrt, dass die privaten Abfragen für Angehörige zulässig seien, es lebensfremd sei, zu erwarten, dass enge Verwandte im Amt anrufen und die mitunter langen Wartezeiten für Auskünfte wie andere Parteien in Kauf nehmen müssten, zeigt, dass die Zweifel der Beklagten an einer zukünftigen objektiven Dienstausführung der Klägerin berechtigt sind.

[11] 7. Die Gründe für die vorzeitige Auflösung eines Dienstverhältnisses sind bei sonstiger Verwirkung des Entlassungsrechts unverzüglich, das heißt, ohne schuldhaftes Zögern, geltend zu machen. Der Dienstgeber darf mit der Ausübung seines Entlassungsrechts nicht wider Treu und Glauben so lange warten, dass der Dienstnehmer aus diesem Zögern auf einen Verzicht auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe schließen muss. Der Dienstnehmer, dem ein pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen wird, soll darüber hinaus nicht ungebührlich lange über sein weiteres dienstrechtliches Schicksal im Unklaren gelassen werden (RS0031799).

[12] 8. Bekannt geworden ist der Entlassungsgrund dem Arbeitgeber, sobald diesem alle für die Beurteilung des Vorliegens des Entlassungsgrundes wesentlichen Einzelheiten der Handlung und der Person zur Kenntnis gelangt sind. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, schon aufgrund einer unüberprüften Anschuldigung die Entlassung auszusprechen. Vielmehr muss ihm in einem solchen Fall zugebilligt werden, sich zunächst Klarheit über deren Berechtigung zu verschaffen (RS0029348 [T3]).

[13] 9. Der Kenntniserlangung durch den Arbeitgeber ist die Kenntnisnahme durch seinen Stellvertreter oder durch einen ganz oder teilweise mit Personalagenden befassten leitenden Angestellten gleich zuhalten, wenn dieser dem Arbeitgeber oder seinem Stellvertreter von dem Entlassungsgrund nicht unverzüglich berichtet hat. Der Arbeitgeber muss die Kenntnis dieser Person vom Entlassungsgrund unabhängig davon gegen sich gelten lassen, ob er sie zur Vornahme einer Entlassung ermächtigt hat (RS0029321 [T6]).

[14] 10. Bei der Beurteilung der Rechtzeitigkeit einer Entlassung durch juristische Personen ist darauf Bedacht zu nehmen, dass die Willensbildung in der Regel umständlicher ist als bei physischen Personen. Dadurch bedingte Verzögerungen ebenso wie eine Verzögerung, die sich aus der Notwendigkeit der vorherigen Befassung der Personalvertretung ergibt, sind daher anzuerkennen (RS0028543 [T6; vgl auch T3]; vgl auch RS0029273 [T2, T8]).

[15] 11. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze, die die Klägerin in ihrer Revision selbst darlegt, hält sich die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Entlassung rechtzeitig erfolgte, im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.

[16] Dass die Beklagte die Klägerin nicht schon aufgrund der Anzeige durch deren Bruder, die sich darüber hinaus als nicht berechtigt erwies, entlassen hat, stellt keine ungerechtfertigte Verzögerung dar, muss der Beklagten doch die Möglichkeit zugebilligt werden, die Vorwürfe zu überprüfen. Das in der Folge mit der Angelegenheit befasste Büro für interne Angelegenheiten – der Steuerombudsmann ist weder Stellvertreter der Arbeitgeberin noch ein mit Personalagenden befasster leitender Angestellter – führte nach den Feststellungen umfangreiche Vorermittlungen und Datenbankanalysen durch. Nach deren Abschluss erfolgte eine Befragung der Klägerin und anschließend (nach einer weiteren Zeugenbefragung) ihre Dienstfreistellung, wobei der Klägerin auch signalisiert wurde, dass das Dienstverhältnis jedenfalls nicht fortgeführt werde. Zugleich wurde der Dienststellenausschuss über die beabsichtigte Entlassung informiert und nach Ablauf der Äußerungsfrist die Entlassung ausgesprochen.

[17] 12. Aufgrund der Dienstfreistellung bestand für die Beklagte auch keine Veranlassung die Äußerungsfrist für den Dienststellenausschuss nach § 10 Abs 3 PVG zu verkürzen. § 10 Abs 5 PVG regelt die Vorgangsweise bei Einwendungen oder Gegenvorschlägen des Dienststellenausschusses und hat daher für den vorliegenden Fall keine Relevanz.

[18] 13. Insgesamt gelingt es der Klägerin nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision der Klägerin ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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