OGH 3Ob220/23h

OGH3Ob220/23h31.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* O*, vertreten durch Ferner Hornung & Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei C* V*, vertreten durch Mag. Raimund Unger, Rechtsanwalt in Bischofshofen, und deren Nebenintervenienten Dr. W* E*, öffentlicher Notar, *, vertreten durch Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen Löschung von Grundbuchseintragungen, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 7. September 2023, GZ 1 R 91/23t‑38, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 6. April 2023, GZ 5 Cg 122/21v‑32, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00220.23H.0131.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist Alleineigentümer der Liegenschaft EZ *, bestehend aus dem Grundstück 32/7, sowie der Liegenschaft EZ *, bestehend aus dem Grundstück 33/3, beide GB *. Auf dem Grundstück 32/7 hatte eine GmbH, deren wirtschaftlicher Eigentümer der Kläger ist, in Ausübung eines Baurechts ein Bauwerk errichtet (Altbau).

[2] Im Jahr 2015 wurde aus mehreren Trennstücken der genannten Grundstücke das neue Grundstück 33/8 gebildet und – nach Abschreibung – der neuen EZ * im Alleineigentum des Klägers zugeschrieben.

[3] Auf der Grundlage eines vom Nebenintervenienten errichteten Baurechtsvertrags vom 5. 11. 2015 (samt Nachtrag vom 25. 8. 2016) räumte der Kläger dem (zwischenzeitlich verstorbenen) Rechtsvorgänger der Beklagten auf dem Grundstück 33/8 ein Baurecht bis 30. 4. 2114 ein; dafür wurde die Baurechtseinlage EZ * eröffnet.

[4] In der Präambel des Baurechtsvertrags ist festgehalten, dass auf dem Grundstück 32/7 bereits ein Bauwerk der GmbH in Ausübung ihres Baurechts besteht, dieses Bauwerk „nun durch diverse Zubauten, unter anderem des Zubaus einer Dachdecker-Werkstatt im Untergeschoß, erweitert werden“ und dem Rechtsvorgänger der Beklagten „als Inhaber der Firma D* mit diesem Vertrag ein Baurecht eingeräumt“ werden soll. Weiters bestimmt der Vertrag zu Pkt II. (Vertragsgegenstand), dass der Kläger als Baurechtsbesteller zu Gunsten des Rechtsvorgängers der Beklagten am Grundstück 33/8 „ein Baurecht im Sinne des Baurechtsgesetzes als Last des Grundstücks, sohin ein dingliches, veräußerliches und vererbliches Recht, auf diesem Grundstück ein wie aus dem beiliegenden Plan ersichtliches Bauwerk zu haben“ bestellt. Pkt V. des Vertrags (Wechselseitige Rechte und Pflichten) berechtigt den Baurechtsnehmer, „auf dem Grundstück 33/8 die aus dem beiliegenden Plan ersichtlichen Baulichkeiten entsprechend der gegebenen baurechtlichen Widmung zu errichten, umzubauen oder zu erweitern und dafür auch eine Fertigstellungsanzeige bei der zuständigen Baubehörde einzubringen“. Der Baurechtsnehmer hat „das über seiner Werkstatt errichtete Bauwerk und die diesbezügliche Zufahrt sowie deren Nutzung durch den Baurechtsbesteller zu dulden“.

[5] Im angeschlossenen Einreichplan vom 11. 10. 2013 wurde zu Pkt 5. (Allgemeine Beschreibung des Projekts) unter anderem Folgendes festgehalten:

„An der Nordseite des bestehenden Betriebsgebäudes der H* GmbH wird im Untergeschoß eine Werkstatt errichtet und darüber im Obergeschoß wird ein Flugdach für das Lager Nord hergestellt. ... Der Anschluss des Untergeschoßes an den Ortskanal erfolgt über einen neu geplanten Hausanschlussschacht. Im Obergeschoß darüber ist die Überdachung des Lagers Nord geplant. Das bestehende Satteldach des Hauptgebäudes wird in der gleichen Dachneigung nordseitig verlängert. ... Im Erdgeschoß ist geplant, die bestehende Werkstatt an der Ostseite durch einen Zubau zu erweitern. An der Westseite ist im Erdgeschoß ein offenes Flugdach geplant.“

[6] Obwohl sich der Baurechtsvertrag vom 5. 11. 2015 auf den Einreichplan vom 11. 10. 2013 bezieht, wurde auf der Grundlage des Einreichplans vom 24. 8. 2015 gebaut. Da die Wärmedämmung über der Dachdecker-Werkstatt thermisch nicht möglich war, fand nämlich eine Umplanung dahin statt, dass die ursprünglich geplante Flachdachisolierung wegfiel und der Kläger stattdessen eine beheizbare Lagerhalle über die Werkstatt bauen ließ. Neu hinzugebaut wurden somit die von der Beklagten genutzte Dachdecker-Werkstatt und darüber die Lagerhalle des Klägers. Sowohl die Werkstatt als auch die Lagerhalle wurden von einer Baufirma errichtet, wobei die beiden Bauvorhaben getrennt abgerechnet wurden. Die Dachdecker-Werkstatt weist eine Größe von rund 430 bis 450 m² auf und ist räumlich an allen vier Seiten abgegrenzt. Sie hat einen eigenen Eingang und ist ausschließlich über diesen betretbar, sodass man weder von dem vor 2015 bestehenden Altbau noch von der Lagerhalle aus Zugang zur Dachdecker-Werkstatt hat. Es gibt auch keine Verbindungstüre. Die Beheizung der Dachdecker-Werkstatt erfolgt über eine Zuleitung über die darüber liegende Lagerhalle.

[7] Der Kläger begehrte die Löschung sämtlicher zu TZ 6337/2016 erfolgten Grundbuchseintragungen, und zwar die Eröffnung der Baurechtseinlage EZ * samt Einverleibung des Baurechts für den Rechtsvorgänger der Beklagten sowie des im Lastenblatt der EZ * einverleibten Baurechts. Aus dem Baurechtsvertrag sowie den angeschlossenen Plänen und Beschreibungen, auf die sich der Kläger und der Rechtsvorgänger der Beklagten schließlich geeinigt hätten, ergebe sich, dass es sich bei der im Untergeschoß befindlichen Werkstatt letztendlich nur um ein Stockwerk bzw einen horizontal abgegrenzten Teil eines Gesamtgebäudes handle. Nach § 1 Abs 3 BauRG könne an einem solchen Gebäudeteil kein Baurecht begründet werden. Es liege daher eine anfängliche rechtliche Unmöglichkeit der Baurechtsbegründung vor, die dazu führe, dass der Baurechtsvertrag gemäß § 878 ABGB nichtig sei. Aus diesem Grund seien die zugrunde liegenden Grundbuchseintragungen unwirksam und gemäß § 61 GBG zu löschen.

[8] Die Beklagte und der Nebenintervenient entgegneten, dass weder ein nichtiges Rechtsgeschäft noch eine nichtige Baurechtsbegründung vorliege. Es sei nicht jede Vereinbarung eines Baurechts an einem horizontal abgegrenzten Gebäude nichtig, sondern nur die Beschränkung des Baurechts auf einen unselbständigen Gebäudeteil. Die Dachdecker-Werkstatt sei baulich völlig selbständig, verfüge über eine eigene Zufahrt und einen eigenen Eingang. Es handle sich daher um ein selbständiges Gebäude, weshalb kein Verstoß gegen § 1 Abs 3 BauRG bestehe. Die Löschungsklage sei daher nicht zulässig.

[9] Das Erstgericht wies die Löschungsklage ab. Bei der Dachdecker-Werkstatt handle es sich um einen selbständigen Gebäudeteil im Sinn des § 1 Abs 3 BauRG, weil sie von eigenen Wänden gestützt werde und über einen eigenen Zugang verfüge, über den sie ausschließlich betretbar sei. Darüber hinaus verfüge sie über eine eigene Zufahrtsstraße. Der Umstand, dass die Werkstatt über die darüber liegende Lagerhalle des Klägers beheizt werde, mache diese nicht zu einem unselbständigen Gebäudeteil, weil sie auch wirtschaftlich betrachtet unabhängig verwertbar sei. Das Bauwerk der Beklagten sei daher sowohl aus bautechnischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht als selbständiger Gebäudeteil und nicht als Stockwerk zu beurteilen. Mit dem Baurechtsvertrag sei daher ein rechtsgültiger Titel grundbücherlich einverleibt worden, weshalb das Klagebegehren abzuweisen sei.

[10] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, ohne die Beweisrüge des Klägers zu erledigen. Der sachenrechtliche Typenzwang und das Erfordernis der Publizität dinglicher Rechte erfordere eine genaue Definition des Baurechts. Aus diesem Grund könne sich das Baurecht und dessen Umfang nur aus der Titelurkunde selbst ergeben, nicht jedoch auch aus davon abweichenden Vorstellungen und Handlungen der Vertragsparteien. Im zugrunde liegenden Baurechtsvertrag werde ausdrücklich auf den Einreichplan aus dem Jahr 2013 abgestellt. Die Beurteilung sei daher ausschließlich nach diesen Grundlagen vorzunehmen. Das entscheidende Kriterium für die Abgrenzung zwischen einem selbständigen Gebäude und einem bloßen Gebäudeteil sei die hypothetische, wirtschaftlich vernünftige, eigenständige Abbruchmöglichkeit. Ausgehend vom Inhalt des Baurechtsvertrags samt Einreichplan aus dem Jahr 2013 sei beabsichtigt gewesen, dass die Dachdecker-Werkstatt im Untergeschoß baulich abgeschlossen sei und über einen eigenen separaten Eingang verfüge. Die Flugdachkonstruktion über der Werkstatt sei jedenfalls nach einer Seite hin zur Gänze offen gewesen. Daraus folge, dass es sich beim Lager mit Flugdachkonstruktion um kein Gebäude und damit um kein Stockwerk im Sinn des § 1 Abs 3 BauRG handle. Die Werkstatt sei demnach unabhängig von den anderen Gebäudeteilen nutzbar und verwertbar, also wirtschaftlich selbständig. Wie die Beheizung der Werkstatt tatsächlich erfolge, sei nicht entscheidend, weil dies aus den Plänen ohnedies nicht hervorgehe und auch keine Anhaltspunkte dafür gegeben seien, dass die Errichtung einer eigenen Heizung unmöglich sei. Zufolge Selbständigkeit des Werkstattgebäudes liege kein Verstoß gegen § 1 Abs 3 BauRG vor. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zu den Kriterien für die Abgrenzung zwischen selbständigen Gebäuden und unselbständigen Gebäudeteilen im Kontext des § 1 Abs 3 BauRG höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

[11] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, die auf eine Stattgebung der Löschungsklage abzielt.

[12] Mit ihren Revisionsbeantwortungen beantragen die Beklagte und deren Nebenintervenient, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision ist zulässig und im Sinn des subsidiär gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[14] 1. Gegenstand des Verfahrens ist eine Löschungsklage nach § 61 Abs 1 GBG. Dazu beruft sich der Kläger auf die Begründung unzulässigen Stockwerkseigentums.

[15] 2. Mit Löschungsklage kann nur einem Verstoß gegen die materielle Rechtslage begegnet werden. Dabei ist geltend zu machen, dass die grundbücherliche Eintragung nicht der materiellen Rechtslage entspricht, also eine materiell unrichtige Eintragung vorliegt (RS0124445). Voraussetzung für die Löschungsklage ist demnach die Verletzung eines im Grundbuch eingetragenen dinglichen Rechts des Klägers (RS0126087) sowie die materielle Fehlerhaftigkeit der Eintragung im Zeitpunkt ihrer Vornahme (RS0107070). Die Klage auf Löschung einer ungültigen Eintragung wird daher gewährt, wenn die Einverleibung aus dem Grund der ursprünglichen Nichtigkeit oder durch nachträglichen Wegfall des Rechtstitels, auf dem sie beruht, vom bücherlich Berechtigten angefochten wird (vgl RS0107070 [T1]; 3 Ob 113/19t). Die Löschungsklage setzt somit voraus, dass bereits im Zeitpunkt der bekämpften Eintragung die materielle Fehlerhaftigkeit der Eintragung zu Gunsten des Beklagten vorlag und steht im Fall einer ursprünglichen Nichtigkeit (Geschäftsunfähigkeit, Scheingeschäft, Nichteintritt einer Bedingung, Nichteinhaltung der nötigen Form für bestimmte Rechtsgeschäfte) zur Verfügung; zudem genügt auch die ex tunc‑Anfechtung wegen des nachträglichen Wegfalls des Rechtstitels, auf dem die bekämpfte Einverleibung beruht (RS0060512 [T3]; 3 Ob 113/19t).

[16] 3. Das materiell richtige dingliche Recht bestimmt sich nach der getroffenen vertraglichen Vereinbarung, die der Einverleibung zugrunde liegt. Der maßgebende Inhalt der Vereinbarung ist durch Auslegung nach allgemein anerkannten Auslegungsregeln zu ermitteln, weshalb es – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – grundsätzlich nicht nur auf den objektiven Wortlaut der Vertragsurkunde ankommt (RS0017811; RS0014005). Vielmehr ist bei der Auslegung von Verträgen gemäß § 914 ABGB zwar zunächst vom Wortlaut des schriftlichen Vertragstextes oder vom Wortsinn der mündlichen Vertragserklärungen auszugehen, aber nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der (erklärte) Wille der Parteien zu erforschen. Wird kein – vom Vertragstext oder Wortsinn abweichender oder diesen präzisierender oder ergänzender – übereinstimmender Parteiwille behauptet oder festgestellt, so ist für die Auslegung der objektive Erklärungswert des Vertragstextes bzw der Erklärungen mit Rücksicht auf den Geschäftszweck maßgebend. Der Vertrag ist so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (4 Ob 171/20f; 4 Ob 2/21d; 3 Ob 116/21m).

[17] Maßgebend für die Beurteilung ist der Zeitpunkt der mit Löschungsklage bekämpften Eintragung, die hier unstrittig zu TZ 6337/2016 und damit im Jahr 2016 erfolgte.

[18] 4.1 Im Anlassfall ist strittig, ob der Beurteilung der Einreichplan vom 11. 10. 2013 oder jener vom 24. 8. 2015 zugrunde zu legen ist. Der Baurechtsvertrag stellt nach den erstgerichtlichen Feststellungen auf den Einreichplan aus 2013 ab, gebaut wurde aber auf der Grundlage des Einreichplans aus 2015, wobei sich hinsichtlich der Dachdecker‑Werkstatt keine wesentlichen Änderungen ergeben haben. Verändert hat sich aber das Lager der GmbH des Klägers, das von einem Lager mit einer Flugdachkonstruktion zu einer abgeschlossenen beheizbaren Lagerhalle umfunktioniert wurde.

[19] 4.2 Die Beurteilung richtet sich nach der der bücherlichen Eintragung des Baurechts zugrunde liegenden vertraglichen Vereinbarung. Nicht maßgebend ist demgegenüber die rein faktische Gestaltung des Bauwerks. Demnach kommt es nicht auf den Ist‑Zustand der Bauausführung, sondern auf den zum Zeitpunkt der Eintragung bestehenden vertraglichen Konsens oder eine allfällige nachträgliche Konsensänderung zwischen den Parteien des Baurechtsvertrags an.

[20] Ausgehend von der nach dem übereinstimmenden Parteiwillen beabsichtigten Bauführung ist zu beurteilen, ob der vom Kläger behauptete Verstoß gegen § 1 Abs 3 BauRG vorliegt.

[21] 5.1 Gemäß § 1 Abs 3 BauRG ist die Beschränkung des Baurechts auf einen Teil eines Gebäudes, insbesondere ein Stockwerk, unzulässig. Im Fall eines Verstoßes gegen § 1 Abs 3 BauRG ist der Baurechtsvertrag wegen anfänglicher rechtlicher Unmöglichkeit nach § 878 ABGB nichtig (vgl Spruzina in GeKo Wohnrecht II § 1 BauRG Rz 57; Dobler/Prader in Prader/Sporer/Dobler, BauRG § 1 Rz 47). In einem solchen Fall hat, wenn das Baurecht – wie hier – bereits im Grundbuch eingetragen wurde, eine Rückabwicklung stattzufinden; das Baurecht ist auch dann, wenn Dritte daran bereits Rechte erworben haben, gemäß § 131 GBG von Amts wegen zu löschen (Dobler/Prader in Prader/Sporer/Dobler, BauRG § 1 Rz 106 mwN; 3 Ob 137/23b).

[22] 5.2 Das Berufungsgericht hält zutreffend fest, dass § 1 Abs 3 BauRG auf „Gebäude“ abstellt und daher zwischen einem solchen und einem Bauwerk zu unterscheiden ist (Spruzina, GeKo Wohnrecht II § 1 BauRG Rz 56). Nach der einschlägigen baurechtlichen Judikatur ist als Gebäude nur ein solches Bauwerk anzusehen, das durch räumliche Umfriedung Menschen und Sachen Schutz gegen äußere Einflüsse gewährt, nicht nur den vorübergehenden Aufenthalt von Menschen gestattet sowie mit dem Boden fest verbunden und von einiger Beständigkeit ist (Spruzina, GeKo Wohnrecht II § 1 BauRG Rz 56).

[23] 5.3 Nach der Anordnung in § 1 Abs 3 BauRG muss es sich beim Gegenstand eines zulässigen Baurechts somit um ein selbständiges Gebäude in Abgrenzung von einem bloßen Gebäudeteil handeln.

[24] Als typischer Beispielfall für eine – hier vorliegende – horizontale Teilung eines Gebäudes kann eine Tiefgarage angesehen werden. Grundsätzlich kommt eine solche als Gegenstand des Baurechts in Betracht, wenn keine bauliche Verbindung zwischen der Tiefgarage und dem darüber liegenden Gebäude bzw der Oberfläche vorhanden ist. Ist die Tiefgarage jedoch mit dem darüber liegenden Oberflächenbau – etwa durch die Funktion der Tiefgarage als bauliches Fundament bzw als direkte, technisch notwendige Stütze des darüber liegenden Gebäudes, durch die Errichtung als bauliche Einheit, zB durch direkte Verbindungstreppen oder Lifte, oder etwa durch die Bauweise als einheitliches ober- sowie unterirdisches Parkhaus – unmittelbar verbunden, so scheidet eine Einschränkung des Baurechts allein auf die Tiefgarage nach § 1 Abs 3 BauRG aus (siehe dazu Dobler/Prader in Prader/Sporer/Dobler, BauRG § 1 Rz 41 ff mwN). Ähnlich kann ein Baurecht nicht an Kellern begründet werden, die mit dem Oberflächenbau baulich in Verbindung stehen (Urbanek in Rudolph/Urbanek, BauRG2 § 1 Rz 43). Demgegenüber liegt ein selbständiges Gebäude etwa auch dann vor, wenn die Gebäudeteile zwar wirtschaftlich gemeinsam genutzt werden, aber bautechnisch voneinander vollkommen getrennt und unabhängig sind.

[25] 5.4 Die Abgrenzung zwischen selbständigem Gebäude und bloßem Gebäudeteil ist somit von bautechnischen und nicht von wirtschaftlichen Umständen abhängig. Der gegenteiligen Ansicht von Urbanek (in Rudolph/Urbanek, BauRG2 § 1 Rz 43), wonach das entscheidende Kriterium für die Abgrenzung zwischen einem selbständigen Gebäude und einem bloßen Gebäudeteil die hypothetische, wirtschaftlich vernünftige, eigenständige Abbruchmöglichkeit sei, ist nicht beizutreten.

[26] 6.1 Aus den erstgerichtlichen Feststellungen ergibt sich, dass zu dem dem Baurechtsvertrag zugrunde liegenden Einreichplan aus 2013 im Jahr 2015 eine Umplanung dahin stattfand, dass die ursprünglich geplante Flachdachisolierung (Flugdach) wegfiel und der Kläger stattdessen aus Gründen der Wärmedämmung eine beheizte Lagerhalle über die Dachdecker-Werkstatt bauen ließ. Außerdem wurde festgestellt, dass es sich bei der Errichtung der Lagerhalle und der Dachdecker‑Werkstatt um zwei verschiedene Bauvorhaben handelte, die getrennt abgerechnet wurden.

[27] 6.2 Diesen Feststellungen lässt sich aber nicht entnehmen, ob die Umplanung aus 2015 mit dem Rechtsvorgänger der Beklagten besprochen und von seinem Willen mitgetragen war. Es lässt sich daher nicht beurteilen, welche Planung dem vertraglichen Konsens zum Zeitpunkt der grundbücherlichen Durchführung des Baurechts zugrunde lag und ob die geplante bzw die tatsächlich der vertraglichen Einigung entsprechende Durchführung der Baumaßnahmen zu einer Dachdecker-Werkstatt als einem selbständigen Gebäude geführt hat bzw hätte.

[28] 6.3 Aufgrund dieser sekundären Feststellungsmängel ist eine abschließende Beurteilung der Rechtssache nicht möglich. Für diese ist im fortgesetzten Verfahren zunächst zu klären, welche Einreichplanung vom vertraglichen Konsens zum Zeitpunkt der bücherlichen Eintragung des Baurechts gedeckt war. Davon ausgehend ist festzustellen, ob das bauliche Ergebnis jener Planung, die diesem vertraglichen Konsens entspricht, nach bautechnischen Maßstäben zu einer Dachdecker‑Werkstatt als einem selbständigen Gebäude geführt hat bzw hätte. Dabei wird in tatsächlicher Hinsicht vornehmlich zu klären sein, ob die entsprechend der vertraglichen Einigung geplante Dachdecker-Werkstatt mit dem darüber befindlichen Lager bauliche Verbindungselemente aufweist, insbesondere ob die Decke der Dachdecker-Werkstatt das Fundament oder ein sonstiges notwendiges tragendes Element für die Lagerhalle bildet, oder ob es sich um vollkommen entkoppelte Bauteile handelt, und ob die Dachdecker-Werkstatt nach der vertraglich vorgesehenen Planung über selbständige Versorgungssysteme (Licht, Wasser, Energie, Heizung) verfügen und insoweit vom Bestand des darüber befindlichen Lagers unabhängig sein sollte. Dazu ist nochmals zu betonen, dass der derzeitige Ist‑Zustand nur dann und insoweit maßgebend ist, als dieser der vertraglichen Einigung der seinerzeitigen Parteien des Baurechtsvertrags entspricht. Nach Klärung dieser Tatfragen wird abschließend zu beurteilen sein, ob die von den Vertragsparteien beabsichtigte Dachdecker-Werkstatt rechtlich mit § 1 Abs 3 BauRG vereinbar ist und/oder diesem widerspricht.

[29] 6.4 Zufolge der aufgezeigten sekundären Feststellungsmängel waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht die Tatsachengrundlage in den genannten Bereichen (Inhalt des baurechtsvertraglichen Konsenses; bautechnische Selbständigkeit der vereinbarungsgemäß geplanten Dachdecker-Werkstatt) zu erweitern und darauf aufbauend zu klären haben, ob der Baurechtsvertrag mit § 1 Abs 3 BauRG vereinbar ist. Soweit dabei bautechnische Fachfragen zu klären sind, könnte die Einholung eines bautechnischen Sachverständigengutachtens angezeigt sein.

[30] Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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