OGH 10Ob42/23h

OGH10Ob42/23h21.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen (führendes Verfahren AZ 5 C 151/21a des Bezirksgerichts Bezau, verbundenes Verfahren AZ 5 C 199/21k des Bezirksgerichts Bezau) der im führenden Verfahren klagenden und im verbundenen Verfahren widerbeklagten Partei G*, vertreten durch Dr. Dietmar Fritz, Rechtsanwalt in Bezau, gegen die im führenden Verfahren beklagte und im verbundenen Verfahren widerklagende Partei M*, vertreten durch Mag. Dominik Heimbach, Rechtsanwalt in Hard, wegen (im führenden Verfahren) Feststellung (5.000 EUR), Unterlassung (5.000 EUR) und (im verbundenen Verfahren) Einwilligung (Streitwert 10.000 EUR), über die Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 25. Mai 2023, GZ 3 R 79/23z‑33, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Bezau vom 25. Jänner 2023, GZ 5 C 151/21a‑27 (5 C 199/21k), teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00042.23H.1121.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte und widerklagende Partei ist schuldig, der klagenden und widerbeklagten Partei die mit 1.599,90 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 266,65 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die klagende und widerbeklagte Partei (in der Folge: Klägerin) ist Eigentümerin der Grundstücke Nr 556/1 und 556/9 in EZ*. Die beklagte und widerklagende Partei (in der Folge: Beklagte) ist Eigentümerin des Grundstücks 556/3 in EZ* mit einem darauf errichteten Hotel.

[2] Der vom Vorplatz des Hotels geräumte Schnee wurde von 1975 bis einschließlich 2011 (unter anderem) auf eine westlich des Hotels gelegene Fläche des (heutigen) Grundstücks 556/3 geschoben, der von dort in schneereichen Wintern ab etwa Mitte der Wintersaison auf einen Bereich des (heutigen) Grundstücks 556/1 rutschte. In milderen Wintern rutschte der Schnee eher nicht ab. Wie häufig und wie viel Schnee in schneereichen Jahren abrutschte und in wie vielen Jahren überhaupt Schnee abrutschte, steht nicht fest. Seit dem Jahr 2012 rutscht seltener Schnee von Grundstück 556/3 auf Grundstück 556/1, weil durch die Entfernung eines Schwimmbeckens die für die Schneeablage zur Verfügung stehende Fläche größer ist. Es steht jedoch nicht fest, wie viel seltener oder um wie viel weniger Schnee abrutscht. Es wurde nie Schnee vom Grundstück 556/3 direkt auf der Fläche des heutigen Grundstücks 556/1 abgelegt.

[3] Die Zufahrt zum Grundstück 556/3 erfolgt über die als Straße ausgebildete südlich gelegene Teilfläche des Grundstücks 556/9, auf der zugunsten des Grundstücks 556/3 eine (offenkundige) Dienstbarkeit des Geh‑ und Fahrrechts besteht. Im Jahr 2011 übernahm der Ehegatte der Beklagten die Schneeräumung auf der Zufahrt und auf dem Grundstück 556/3; er legt regelmäßig den von der Zufahrt geräumten Schnee auf dem von Norden nach Süden verlaufenden Streifen des Grundstücks 556/9 ab.

[4] Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 11. Jänner 2021 sinngemäß mit, dass aufgrund mehr als 30‑jähriger Ausübung ein ersessenes und offenkundiges Dienstbarkeitsrecht der Schneeablagerung auf den  Grundstücken 556/9 und 556/1 zugunsten des Grundstücks 556/3 der Beklagten bestehe. Die Klägerin forderte daraufhin die Beklagte mit Schreiben vom 26. Mai 2021 unter Hinweis darauf, dass eine derartige Dienstbarkeit nicht bestehe, auf, bis spätestens 15. Juni 2021 schriftlich zu erklären, dass eine Dienstbarkeit der Schneeablagerung auf den Grundstücken 556/1 und 556/9 zugunsten des Grundstücks 556/3 nicht bestehe und die Behauptung des Bestehens eines derartigen Dienstbarkeitsrechts nicht länger aufrechterhalten werde, was die Beklagte ablehnte.

[5] Die Klägerin begehrte die Feststellung, dass die von der Beklagten als Eigentümerin des Grundstücks 556/3 angemaßte Dienstbarkeit der Schneeablagerung auf den Grundstücken 556/1 und 556/9 nicht bestehe, sowie die Unterlassung jeder Anmaßungs‑ und Störungshandlung und jeder ähnlichen derartigen Handlung.

[6] Die Beklagte bestritt und beantragte die Abweisung der Klage. In der Widerklage begehrte sie darüber hinaus (zuletzt) die Einwilligung in die grundbücherliche Einverleibung des Rechts der unmittelbaren Zuleitung von Schnee auf einer näher bezeichneten Fläche ob dem Grundstück 556/1 und des Rechts der Schneeablagerung auf einer näher bezeichneten Fläche ob dem Grundstück 556/9 (jeweils zugunsten des Grundstücks 556/3).

[7] In Stattgebung der Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht dem Feststellungs‑ und dem Unterlassungsbegehren der Klägerin statt und wies die Begehren der Beklagten auf Einwilligung in die Einverleibung der behaupteten Dienstbarkeiten ab. Beim Abrutschen von Schnee auf das Nachbargrundstück 556/1, der auf der eigenen Liegenschaft abgelagert werde, handle es sich nicht um die für den Eigentümer der Nachbarliegenschaft erkennbare Ausübung eines individuellen Rechts. Der Umstand, dass der Ehegatte der Beklagten seit 2011 regelmäßig den von der Zufahrt geräumten Schnee auf einen Teil des Grundstücks 556/9 ablege, vermöge mangels Erfüllung der Ersitzungszeit die von der Beklagten behauptete Dienstbarkeit nicht zu begründen. Der Eigentümer einer belasteten Liegenschaft habe zwar zu dulden, dass der Servitutsberechtigte einen Teil der auf dem Servitutsweg liegenden Schneemassen auf den vom Fahrrecht nicht erfassten Teil des belasteten Grundstücks schiebe. Die Beklagte strebe aber die grundbücherliche Einverleibung einer von dem auf dem Grundstück 556/9 bestehenden Geh- und Fahrrecht unabhängigen Dienstbarkeit der Schneeablagerung an. Da die Beklagte ein Recht zum Eingriff in das Eigentum behaupte, sei der Klägerin ein rechtliches Interesse an der Feststellung zuzubilligen, dass die von der Beklagten behaupteten Dienstbarkeitsrechte nicht bestünden. Im Hinblick auf die Bestreitung des Klagebegehrens und den von der Beklagten eingenommenen Standpunkt sei auch Wiederholungsgefahr anzunehmen, sodass auch dem Unterlassungsbegehren Berechtigung zukomme.

[8] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die – vom Berufungsgericht nachträglich zugelassene – Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung der Berufungsentscheidung im Sinn einer Abweisung des Klagebegehrens der Klägerin und einer Stattgabe des Klagebegehrens der Beklagten; hilfsweise wird ein Abänderungsantrag gestellt.

[9] In der Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Allgemeine Grundsätze

[11] 1.1. Für die Ersitzung eines Rechts an einer fremden Sache ist grundsätzlich die Ausübung des Rechts im Wesentlichen gleichbleibend zu bestimmten Zwecken in bestimmtem Umfang erforderlich. Notwendig ist dafür eine solche für den Eigentümer des belasteten Gutes erkennbare Rechtsausübung (RIS‑Justiz RS0033018). Auf die positive Kenntnis des Eigentümers der belasteten Sache kommt es hingegen nicht an (RS0010135 [T3]; RS0033018 [T1]). Die Besitzausübung muss beim Rechtsbesitz so beschaffen sein, dass derjenige, in dessen Besitz eingegriffen wird, erkennen kann, dass vom anderen ein individuelles Recht ausgeübt wird. In welchem Umfang erworben wird, hängt davon ab, welches Recht der eine Teil ausüben und der andere dulden wollte (RS0010135). Da der Abgang von Dachlawinen – als Folge einer Einwirkung der Naturkräfte ohne jedes menschliche Tun oder Unterlassen (RS0105771) – keine erkennbare Rechtsausübung darstellt, wird die Begründung einer Dachschneelawinenservitut in der Rechtsprechung grundsätzlich verneint (RS0105767). Bei der in § 489 ABGB geregelten Dienstbarkeit der Dachtraufe geht es demgegenüber nicht um das Recht des natürlichen Ablaufs des Regenwassers, sondern um dessen Sammlung in Rinnen oder anderweitige künstliche Ableitung, insbesondere um Ableitung auf das Dach des Nachbarn (RS0105769).

[12] 1.2. Bei der Erkennbarkeit der Rechtsausübung kommt es nicht auf die objektive Erkennbarkeit einzelner Ersitzungshandlungen schlechthin an; der Eigentümer der belasteten Liegenschaft muss vielmehr aus der Art der Benützungshandlungen erkennen können, dass damit ein Recht ausgeübt wird. Die Regelmäßigkeit der Benützung und die Bedürfnisse für die Liegenschaft des Rechtsausübenden bilden wesentliche Anhaltspunkte für die Erkennbarkeit (3 Ob 232/16p; 1 Ob 33/09y).

[13] 1.3. Ob der Eigentümer der belasteten Liegenschaft erkennen kann, dass Benützungshandlungen in Ausübung eines Rechts erfolgen, hängt letztlich immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0033021). Diese Frage stellt daher – entgegen der Annahme des Berufungsgerichts – keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar, es sei denn, dass eine Fehlbeurteilung vorliegt. Dies ist hier nicht der Fall.

2. Dienstbarkeit auf Grundstück 556/1

[14] Auch das – nach der zitierten Rechtsprechung nicht als erkennbare Rechtsausübung zu qualifizierende – Abgehen einer Dachlawine infolge Einwirkung der Naturkräfte setzt als menschliche Handlung voraus, dass vorher ein Haus mit (Schräg‑)Dach gebaut wurde, die das Abgehen der Dachlawine ermöglicht. Dem hier zu beurteilenden Abrutschen des Schnees nach seiner Ablagerung (auf einer anderen, nicht streitgegenständlichen Fläche) liegen demgegenüber zwar wiederholte menschliche Handlungen zugrunde. Dieses Abrutschen ist nichtsdestotrotz unmittelbare Folge der Naturkräfte ohne menschliches Zutun. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der vorliegende Fall sei mit dem des Abgehens einer Dachlawine vergleichbar, sodass keine für die Ersitzung einer Servitut erforderliche erkennbare Rechtsausübung anzunehmen sei, überschreitet den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum nicht, sodass eine Rechtsfrage von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO in diesem Punkt nicht vorliegt.

3. Dienstbarkeit auf Grundstück 556/9

[15] 3.1. Die Beklagte wendet sich in der Revision nicht gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass eine (eigenständige) Dienstbarkeit der Schneeablagerung auf dem Grundstück 556/9 zugunsten des Grundstücks 556/3 mangels Vorliegens der Ersitzungsvoraussetzungen nicht begründet wurde. Sie stützt sich vielmehr auf die (offenkundige) Wegeservitut, aus der das Recht abzuleiten sei, dass sie den vom Servitutsweg geräumten Schnee auf einen vom Wegerecht nicht erfassten Teil des belasteten Grundstücks schiebe.

[16] 3.2. Entgegen dem Verständnis der Beklagten stellt das Berufungsgericht weder das Bestehen der offenkundigen Servitut noch das von der Beklagten daraus abgeleitete Recht zur Schneeräumung in Abrede (vgl auch RS0011781). Nach der Beurteilung des Berufungsgerichts strebt die Beklagte mit ihrem Klagebegehren vielmehr die Einverleibung einer davon unabhängigenDienstbarkeit der Schneeablagerung auf dem Grundstück 556/9 zugunsten des Grundstücks 556/3 an und bezieht sich auch das Feststellungsbegehren der Klägerin auf das Nichtbestehen einer solchen angemaßten davon unabhängigenDienstbarkeit.

[17] 3.3. Aus diesem Grund ist die Relevanz der das Bestehen und die Einverleibung eines mit dem Wegerecht im Zusammenhang stehenden Rechts thematisierenden Revisionsausführungen für diese Begehren nicht erkennbar. Besteht eine von der Wegeservitut unabhängige Dienstbarkeit der Schneeablagerung auf dem Grundstück 556/9 nicht, kann die Beklagte ihr Begehren auf Einwilligung in die Einverleibung nicht begründen und dem (negativen) Feststellungsbegehren der Klägerin nichts entgegensetzen. Auch die Frage, ob ein von der Wegeservitut abgeleitetes Recht selbständig oder nur gemeinsam mit der Wegeservitut verbüchert werden kann, stellt sich somit nicht.

[18] 3.4. Soweit die Beklagte schließlich auf dem Standpunkt steht, dass sie durch die Stattgabe des Unterlassungsbegehrens in der Ausübung des Wegerechts beschränkt werde, missversteht sie die sie treffende Verpflichtung, die nicht in der Unterlassung jeglicher Schneeablagerung auf dem Grundstück 556/9 (etwa unter Berufung auf die offenkundige Wegeservitut) besteht, sondern in der Anmaßung einer von der Wegeservitut unabhängigen Dienstbarkeit der Schneeablagerung, insbesondere durch Behauptung einer solchen (eigenständigen) Dienstbarkeit.

[19] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 41 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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