OGH 1Ob159/23y

OGH1Ob159/23y16.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Ing. N* D*, und 2.  H* D*, vertreten durch Mag. Bernd Trappmaier, Rechtsanwalt in Korneuburg, gegen die beklagte Partei Dr. G* L*, emeritierter Rechtsanwalt, *, wegen Übergabe, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 12. Mai 2023, GZ 19 R 58/22y‑68, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00159.23Y.1116.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Bestandrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

I. Der Antrag auf Anberaumung einer Revisionsverhandlung wird abgewiesen.

II. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Zu I.:

[1] Gemäß § 509 Abs 1 ZPO entscheidet der Oberste Gerichtshof über die Revision grundsätzlich in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorherige mündliche Verhandlung. Da der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist und auch sonst keine Gründe für eine Revisionsverhandlung erkennbar sind, besteht kein Anlass, im Sinn des § 509 Abs 2 ZPO ausnahmsweise eine solche Verhandlung anzuberaumen. Der diesbezügliche Antrag des Beklagten, der nicht näher begründet ist, ist daher abzuweisen (RS0043679 [T5]; vgl RS0043689).

Zu II.:

[2] In den zu AZ 18 C 62/16y (führendes Verfahren) verbundenen Verfahren des Erstgerichts (Vorprozess) hatte auch der hier Beklagte (dort 49. Kläger) eine Klage auf Feststellung erhoben, dass zwischen ihm und den Klägern (dort Beklagten) ein unbefristetes Mietverhältnis bestehe, das den Kündigungsbestimmungen des MRG unterliege. Dieses Klagebegehren wurde letztlich zu 10 Ob 88/18s abgewiesen.

[3] Die Kläger begehren nun die Erlassung eines Übergabsauftrags über die an den Beklagten vermietete „Badeparzelle“.

[4] Das Erstgericht erklärte den Übergabsauftrag vom 4. 9. 2015 für rechtswirksam und verpflichtete den Beklagten, das Bestandobjekt geräumt von eigenen Fahrnissen zu übergeben.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

[6] In der außerordentlichen Revision zeigt der Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

[7] 1. Die Vorinstanzen haben zutreffend eine Bindung an die Entscheidung im Vorprozess angenommen.

[8] 1.1. Die Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung ist dann gegeben, wenn der als Hauptfrage rechtskräftig entschiedene Anspruch eine Vorfrage für den Anspruch im zweiten Prozess bildet (RS0127052 [T1]; vgl auch RS0041251 ua). Das Ausmaß der Bindungswirkung wird zwar nur durch den Urteilsspruch bestimmt, doch sind die Entscheidungsgründe zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs heranzuziehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Rechtskraftwirkung eines abweisenden Urteils festgestellt werden soll (RS0041331).

[9] 1.2. Als Ergebnis des Vorverfahrens steht rechtskräftig fest, dass das Bestandverhältnis des Beklagten unabhängig davon, ob es dem MRG unterliegt oder nicht, nicht unzulässig befristet ist, mit anderen Worten von den Parteien des Vertrags eine durchsetzbare Befristung vereinbart wurde (so auch 5 Ob 189/21m; 9 Ob 72/21k; 10 Ob 29/21v; 10 Ob 40/21m).

[10] 1.3. Als Teil der Bindungswirkung ist die Präklusionswirkung anerkannt. Dementsprechend wird durch die Rechtskraft der Vorentscheidung auch das Vorbringen aller Tatsachen ausgeschlossen, die zur Begründung oder Widerlegung des entschiedenen Anspruchs rechtlich erforderlich waren oder schon bei Schluss der mündlichen Verhandlung bestanden haben (RS0041321 [T8]). Das nachfolgend angerufene Gericht hat in einem solchen Fall von dem bereits rechtskräftig entschiedenen Anspruch auszugehen und ihn ohne weiteres seiner neuen Entscheidung zugrunde zu legen (RS0041321 [T2]; RS0106966 [T4, T5]). Soweit die Vorinstanzen daher davon ausgingen, dass das nunmehrige Vorbringen des Beklagten zum Fehlen von Voraussetzungen einer zulässigen Befristung aufgrund der Bindungswirkung der Vorentscheidung nicht beachtlich ist, ist dies nicht zu beanstanden. Da sein neues Vorbringen in Zusammenhang mit dem Prozessstoff des Vorprozesses steht (vgl RS0036744), ist dieses präkludiert.

[11] 2. Zur Auslegung von Punkt XIII. des Bestandvertrags (Verlängerungsrecht) stellt sich nicht die Frage der unrichtigen Annahme einer Bindungswirkung, sondern jene der Vertretbarkeit einer Vertragsauslegung der Vorinstanzen, wenn auch in inhaltlicher Übereinstimmung mit den Ausführungen des Obersten Gerichtshofs im Vorprozess.

[12] 2.1. Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt und den verwendeten Begriffen der richtige Inhalt beigemessen wurde, ist nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn wegen wesentlicher Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042936 [T5]; vgl auch RS0042776; RS0044358). Das ist hier nicht der Fall.

[13] 2.2. Die Vorinstanzen verstanden Punkt XIII. des Bestandvertrags dahin, dass dem Vermieter freistehe, nach Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer eine Verlängerung des Mietvertrags abzulehnen. Tue er dies, habe er die auf dem Mietobjekt befindlichen Baulichkeiten um den vollen Schätzwert „käuflich abzulösen“. Dabei gingen sie – wie der Oberste Gerichtshof in der Vorentscheidung zu 10 Ob 88/18s (ebenso 5 Ob 189/21m; 9 Ob 72/21k; 10 Ob 29/21v; 10 Ob 40/21m) – davon aus, dass „zu analogen Bedingungen“ als „zu den bisherigen Bedingungen“ zu verstehen ist. Diese Auslegung, gegen die der Revisionswerber keine überzeugenden Argumente vorbringt, ist nicht korrekturbedürftig.

[14] 2.3. Richtig ist zwar, dass das ebenfalls vereinbarte Vormietrecht durch die Auslegung der Vorinstanzen eine gewisse Entwertung erfährt. Im Vertrag ist das Erlöschen des Vormietrechts für den Fall, dass der Vermieter den Vertrag nicht fortsetzt, ausdrücklich vorgesehen. Zugleich wird aber der Vermieter verpflichtet, die Baulichkeit um den vollen Schätzwert „käuflich abzulösen“. Die Parteien haben daher für diesen Fall eine ihnen adäquat erscheinende Abgeltung vorgesehen.

[15] 2.4. Bereits in der Vorentscheidung wurde festgehalten, dass weder eine Verpflichtung des Vermieters bestand, den Bestandgegenstand neu zu vermieten, noch dem Beklagten als Mieter eine Vertragsverlängerung zu bisherigen Konditionen anzubieten. Damit ist aber auch nicht wesentlich, ob sich ein neuer Mietinteressent findet.

[16] 2.5. Der Beklagte hat eine Verlängerung um ein Jahr zu den bisherigen Bedingungen begehrt. Die Kläger brachten jedoch mit ihrer ausdrücklichen Ablehnung der Vertragsverlängerung deutlich zum Ausdruck, dass sie das Mietverhältnis zu den bisherigen Bedingungen nicht fortsetzen wollen. Damit kann der Beklagte aber nicht damit argumentieren, dass die Kläger eine Verlängerung von einem Jahr zu denselben Bedingungen akzeptieren würden.

[17] 2.6. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach sich zwar eine Interessentin Anfang Oktober 2015 für die Anmietung des Grundstücks und den Erwerb des Superädifikats interessiert habe, jedoch nicht mit den Regelungen im vorgeschlagenen Mietvertrag einverstanden gewesen und damit keine Einigung über die Hauptleistungen vorgelegen habe, sodass dadurch auch kein Fall der Ausübung des Vormietrechts durch den Beklagten ausgelöst hätte werden können, ist nicht korrekturbedürftig.

[18] 3. Da die Revision auch sonst keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigt, ist sie zurückzuweisen.

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