OGH 7Ob144/23m

OGH7Ob144/23m24.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* GmbH, *, vertreten durch Dr. Hans Peter Bauer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Z*‑Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 4.708,55 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 6. April 2023, GZ 1 R 2/23z‑21, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 5. Dezember 2022, GZ 10 C 319/22t‑15, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00144.23M.1024.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

1. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie unter Einschluss der in Rechtskraft erwachsenen Abweisung des Zahlungsbegehrens insgesamt zu lauten haben:

„1. Die Klagebegehren,

‑ es werde mit Wirkung zwischen der klagenden und der beklagten Partei festgestellt, dass die beklagte Partei aus der bestehenden Rechtsschutzversicherung zur Polizzennummer VF‑25628440‑5 und zu den Schadensnummern

EL/VF‑25628440‑5‑6

EL/VF‑25628440‑5‑7

EL/VF‑25628440‑5‑8

EL/VF‑25628440‑5‑9

im Rahmen der bestehenden Versicherungssumme der Rechtsschutzversicherung zur Leistung aus der Rechtsschutzversicherung gegenüber der klagenden Partei verpflichtet sei;

‑ die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 4.708,55 EUR samt Zinsen in Höhe von 9,2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 8. 6. 2022 zu zahlen,

werden abgewiesen.

2. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.299,04 EUR (darin enthalten 549,84 EUR an USt) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 6.631,62 EUR (darin enthalten 647,77 EUR an USt und 2.745 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Streitteile schlossen einen Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Z* Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2015 – in Hinkunft ARB) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

Artikel 7

Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?

Soweit nichts anderes vereinbart ist, besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen

[...]

3. aus dem Bereich des

[...]

3.4 Steuer-, Zoll- und sonstigen Abgabenrechtes;

[...]

Artikel 17

Schadenersatz-, Straf- und Führerschein-Rechtsschutz für Fahrzeuge (Fahrzeug-Rechtsschutz) je nach Vereinbarung mit oder ohne Fahrzeug-Vertrags-Rechtsschutz

1. Wer ist in welcher Eigenschaft versichert?

Versicherungsschutz haben je nach Vereinbarung

[...]

1.2 der Versicherungsnehmer für alle betrieblich und privat genutzten Motorfahrzeuge zu Lande, zu Wasser und Anhänger, oder

1.3 der Versicherungsnehmer für ein oder mehrere in der Polizze bezeichnete Motorfahrzeuge zu Lande, zu Wasser und Anhänger,

die in ihrem Eigentum stehen, von ihnen gehalten werden, auf sie zugelassen oder von ihnen geleast sind.

Der Versicherungsschutz erstreckt sich in allen drei Varianten auch auf den berechtigten Lenker und die berechtigten Insassen dieser Fahrzeuge.

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst

[...]

2.2 Straf-Rechtsschutz

für die Verteidigung in Strafverfahren vor Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten wegen eines Verkehrsunfalles oder der Übertretung von Verkehrsvorschriften.

Versicherungsschutz besteht bei gerichtlichen Strafverfahren ab Anklage, bei verwaltungsbehördlichen Strafverfahren ab der ersten Verfolgungshandlung. [...]

2.2.1 Unter Verkehrsvorschriften sind die im Zusammenhang mit der Haltung und bestimmungsgemäßen Verwendung des Fahrzeuges geltenden Rechtsnormen zu verstehen.

Die Verletzung derartiger Vorschriften fällt abweichend von Artikel 7.5.5 unabhängig von der Verschuldensform unter Versicherungsschutz, wenn sie nicht zum Zwecke der Erzielung eines kommerziellen Vorteils begangen wurde.

[...]“

[2] Gegen den Mitarbeiter der Klägerin S* P* sind als Lenker des bei der Beklagten versicherten LKW Verwaltungsstrafverfahren anhängig, weil er am 12. 4. 2021, 13. 4. 2021, 14. 4. 2021 und 16. 4. 2021 mautpflichtige Straßen benützt haben soll, ohne die fahrleistungsabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben. Die Bezirkshauptmannschaften Liezen, Vöcklabruck und Salzburg-Umgebung werfen ihm Verstöße gegen § 20 Abs 2 iVm § 6 und 7 Abs 1 BStMG und Punkt 8.1 der Mautordnung, Teil B, der ASFINAG vor und verhängten Geldstrafen. Die Beklagte lehnte die angefragte Kostendeckung ab.

[3] Ein weiteres Strafverfahren des Magistrats der Stadt Salzburg, Strafamt, gegen S* P* wegen des Verwaltungsdelikts der Benützung mautpflichtiger Straßen ohne Zahlung der Maut ist zwischenzeitig rechtskräftig abgeschlossen. Die Rechtsvertretung der Klägerin forderte von ihr mit Honorarnote vom 7. 6. 2022 die Zahlung der Vertretungskosten in Höhe von 5.783,55 EUR netto. Eine Zahlung durch die Klägerin erfolgte bisher nicht.

[4] Die Klägerin begehrte die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für die konkret angeführten noch anhängigen Verwaltungsstrafverfahrenund die Zahlung von 4.708,55 EUR sA an Ersatz der ihr im bereits rechtskräftig beendeten Verwaltungsstrafverfahren entstandenen Rechtskosten unter Berücksichtigung des Selbstbehalts. Die Verwaltungsstrafverfahren seien unter Art 17 und 18 ARB zu subsumieren, da es sich bei den Mautvorschriften um Verkehrsvorschriften handle. Die Vignettenmaut und die fahrleistungsabhängige Maut stellten ein privatrechtliches Entgelt für die Benützung von Straßen und keine Abgabe dar, sodass sie nicht unter den Ausschlussgrund Art 7.3.4 ARB fielen. Auch wenn die Klägerin die Rechtskosten für das mittlerweile rechtskräftig abgeschlossene Verfahren noch nicht gezahlt habe, sei durch die Verbindlichkeit bereits ein Nachteil in ihrem Vermögen entstanden, sodass die bloße Zahlungsaufforderung ausreiche, um die gegenständliche Leistung einzuklagen.

[5] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte Klagsabweisung und wendete ein, dass für die gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren Art 17 ARB einschlägig sei. Der Begriff der Verkehrsvorschriften sei in Art 17.2.2.1 ARB eindeutig definiert und nicht unklar. Mautvorschriften stellten keine derartigen Verkehrsvorschriften dar. Weiters liege der Risikoausschluss des Art 7.3 ARB vor, weil die Maut als sonstige Abgabe zu verstehen sei. Das Leistungsbegehren sei schon deshalb abzuweisen, weil die Klägerin das Honorar des Rechtsvertreters noch nichtbezahlt habe.

[6] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Unter Verkehrsvorschrift iSd Art 17.2.2.1 ARB falle auch das BStMG, weil eine Verkehrsvorschrift nach allgemeinem Sprachgebrauch vorliege, wenn sich die Vorschrift auf das Verhalten zur Raumüberwindung von Personen und Gütern und auf die Benützung und die dazugehörigen Eigenschaften von Verkehrsmitteln, Stationen, Wegen und Anlagen beziehe bzw ordne. Zur bestimmungsgemäßen Verwendung eines Fahrzeugs gehöre es, dass es sicher und kontrolliert im Hinblick auf die Fahrbahnverhältnisse die Fahrbahn benutze. Das BStMG enthalte auch insoweit Regeln in Zusammenhang mit der bestimmungsgemäßen Verwendung eines Fahrzeugs, als Voraussetzung für die Benutzung eines Fahrzeugs auf bestimmten Straßen die Bezahlung der Maut sei. Der Ausschlussgrund des Art 7.3.4 ARB sei nicht gegeben, weil es sich bei der Maut um ein privatrechtliches Entgelt und nicht um eine Abgabe handle. Die Verbindlichkeit der Klägerin zur Zahlung der Rechtskosten sei durch Legung der Honorarnote bereits entstanden, sodass das Leistungsbegehren ebenfalls berechtigt sei.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das Urteil dahingehend ab, dass es das Zahlungsbegehren abwies. Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer verstehe das Delikt der Mautprellerei als Übertretung einer Verkehrsvorschrift iSd Art 17.2.2.1 ARB, weshalb Rechtsschutzdeckung für die Verteidigung in den genannten Verwaltungsstrafverfahren zu gewähren sei. Der Risikoausschluss des Art 7.3.4 ARB sei nicht gegeben, weil eine Maut keine Abgabe darstelle. Das Zahlungsbegehren sei in Ermangelung einer erfolgten Zahlung der Rechtsanwaltskosten durch die Klägerin abzuweisen.

[8] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil die Frage, ob vom Versicherungsschutz des Art 17.2.2.1 ARB ein Verstoß gegen § 20 Abs 2 BStMG umfasst sei, vom Obersten Gerichtshof noch nicht zu beurteilen gewesen sei.

[9] Gegen den klagsstattgebenden Teil dieses Urteils wendet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, es im klagsabweisenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Klägerin begehrt die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

[12] 1. Nicht mehr strittig ist, dass die Frage der Deckungspflicht der Beklagten nach Art 17 ARB (Fahrzeug-Rechtsschutz) und nicht nach Art 18 ARB (Lenker-Rechtsschutz) zu beurteilen ist.

[13] 2.1 Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

[14] 2.2 Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahr und für welchen Bedarf versichert sind (RS0080166 [T10]). Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166; RS0080068). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken und ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).

[15] 3. Die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen decken wegen der schweren Überschaubarkeit und Kalkulierbarkeit sowie der Größe des Rechtskostenrisikos im gesamten Bereich des privaten wie auch öffentlichen Rechts nur Teilgebiete ab. Eine universelle Gefahrenübernahme, bei der der Versicherer jeden beliebigen Bedarf des Versicherungsnehmers nach Rechtsschutz decken müsse, ist in Österreich nicht gebräuchlich. Die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen sind einerseits in die „Gemeinsamen Bestimmungen“ (Art 1 bis 16 ARB) und andererseits in die „Besonderen Bestimmungen“ (Art 17 bis 26 ARB) unterteilt. Diese legen die sogenannten „Rechtsschutzbausteine“ dar, die jeweils die Eigenschaften und Rechtsgebiete, für die Versicherungsschutz besteht, umschreiben (7 Ob 25/23m mwN).

[16] 4. Art 17.1 ARB (Fahrzeug‑Rechtsschutz) räumt – je nach Vereinbarung – Versicherungsschutz für die angeführten Fahrzeuge sowohl dem Eigentümer, Halter, dem Zulassungsbesitzer, dem Leasingnehmer, dem berechtigten Lenker und den berechtigten Insassen ein.

[17] 5.1 Der hier interessierende Straf‑Rechtsschutz nach Art 17.2.2 ARB besteht für die Verteidigung in Strafverfahren vor Gerichten, Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten wegen eines Verkehrsunfalls oder der Übertretung von Verkehrsvorschriften. Als Verkehrsvorschriften werden in Art 17.2.2.1 ARB die im Zusammenhang mit der Haltung und bestimmungsgemäßen Verwendung des Fahrzeugs geltenden Rechtsnormen genannt.

[18] 5.2 Kronsteiner, Die Rechtsschutzversicherung², 40, vertritt, dass unter diesen Begriff nicht nur die Bestimmungen der StVO, sondern auch die Regeln des KFG und Spezialbestimmungen oder Gesetze, die sich ausdrücklich an Halter und Lenker von Motorfahrzeugen richten, fallen würden.

[19] Messiner, Der Versicherungsschutz in der Rechtsschutzversicherung, Verletzung von „Verkehrsvorschriften“, ZVR 1986, 257, meint, dass es sich bei Verkehrsvorschriften nach dem allgemeinen Sprachgebrauch um Rechtsvorschriften handle, die sich auf das Verkehrsverhalten, das heißt, auf das Verhalten zur Raumüberwindung von Personen und Gütern bzw die Benützung und die dazu zweckmäßigen Eigenschaften von Verkehrsmitteln, Verkehrswegen, Verkehrsstationen und Verkehrsanlagen beziehen, bzw dieses Verhalten, diese Benützung und diese Eigenschaften ordnen würden.

[20] 5.3 Die deutschen ARB (vgl § 2 ARB 2010) gewähren Straf-Rechtsschutz für die Verteidigung wegen des Vorwurfs unter anderem eines verkehrsrechtlichen Vergehens. Dazu wird vertreten, dass bei verkehrsrechtlichen Vergehen dem Versicherungsnehmer vorgeworfen werde, eine verkehrsrechtliche Strafvorschrift verletzt zu haben. Dazu zählten alle Strafvorschriften, die dazu bestimmt seien, unmittelbar der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs zu dienen, mithin alle Bestimmungen die einerseits den Versicherungsnehmer und andere Verkehrsteilnehmer, aber auch den Verkehr gegen Eingriffe aller Art von außen her schützen. Verkehrsrechtliche Strafbestimmungen seien daher all diejenigen Strafbestimmungen, gegen die der Versicherungsnehmer (oder eine mitversicherte Person) speziell und vorwiegend in ihrer Eigenschaft als Eigentümer, Halter, Besitzer oder Fahrer eines Fahrzeugs verstoßen könne (vgl Obarowski in Harbauer, Rechtsschutzversicherung9 ARB 2010 § 2 Rn 283; ders in Loschelder/Pfaffenholzer ARB [2014] § 21 Rn 51 ff). Im Gegensatz zu verkehrswirtschaftlichen Regelungen wie Arbeitszeitordnung oder Güterschaftsverkehrsgesetz (Obarowski in Loschelder/Pfaffenholzer ARB [2014] § 2 Rn 51) oder Tiertransportvorschriften (Piontek in Prölls/Martin Versicherungsvertragsgesetz31 500 ARB 2010 § 2 Rn 49).

[21] 5.4 Der erkennende Senat geht gleichermaßen davon aus, dass der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer den Begriff Verkehrsvorschriften (verkehrsrechtliche Vorschriften) als jene Vorschriften und Bestimmungen versteht, die den Betrieb von Fahrzeugen und das korrekte Verhalten im Straßenverkehr regeln und beschreiben und somit der Sicherheit und Ordnung im Verkehr dienlich sind.

[22] 5.5 Nach § 1 Abs 1 BStMG ist für die Benützung der Bundesstraßen mit Kraftfahrzeugen Maut zu entrichten. Mautgläubiger ist der Bund oder, soweit ihr von dieser das Recht auf Fruchtnießung eingeräumt wurde, die ASFINAG (§ 3 BStMG). Mautschuldner sind nach § 4 leg cit der Kraftfahrzeuglenker und der Zulassungsbesitzer, die zu ungeteilter Hand haften. Die Maut ist nach § 2 BStMG entweder für zurückgelegte Fahrstrecken (fahrleistungsabhängige Maut – § 6 BStMG) oder für bestimmte Zeiträume (zeitabhängige Maut – § 10 BStMG) zu entrichten. Einzelheiten der Mautstreckenbenützung hat die ASFINAG in einer Mautordnung festzulegen (§ 14 Abs 1 BStMG) und im Internet zu veröffentlichen (§ 16 Abs 1 BStMG), wobei der Inhalt der Mautordnung weitgehend gesetzlich vorgegeben ist.

[23] Eine Grundbedingung für das ordnungsgemäße Funktionieren eines Mautsystems ist die Verhinderung von Mautprellerei. Daher erklärt § 20 BStMG die nicht ordnungsgemäße Entrichtung der zeit‑ bzw fahrleistungsabhängigen Maut zur Verwaltungsübertretung, wobei § 20 Abs 3 BStMG die Straflosigkeit der Tat anordnet, wenn der Mautschuldner fristgerecht eine in der Mautordnung festgelegte Ersatzmaut entrichtet.

[24] Die Maut nach dem BStMG ist ein nach privatrechtlichen Grundsätzen zu beurteilendes Entgelt für die Benützung von Straßen (Pürgy/Hofer in Holoubek/Potacs, Öffentliches Wirtschaftsrecht [2019], Verkehrsrecht, 1108 ff; VwGH 2001/06/0096, 2001/06/0132 zum BStFG). Der Halter ist nur mehr bereit die Benützung von Autobahnen und bestimmten Schnellstraßen gegen Entgelt zu gestatten. Entgelt und Zurverfügungstellung der Verkehrsfläche stehen im Austauschverhältnis (Reischauer in Rummel ABGB³ [Stand 1. 1. 2004, rdb.at] § 1319a ABGB Rz 25a). Das Rechtsverhältnis zwischen Benützer und Mautgläubiger ist privatrechtlicher Natur (Pürgy/Hofer aaO 1110).

[25] 5.6 Kein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer wird die Bestimmungen der BStMG über die Verpflichtung zur Zahlung einer Maut (privatrechtlichen Entgelt) für die Benützung der Mautstraßen als Vorschriften verstehen, die den Verkehr regeln und beschreiben oder sonst der Sicherheit und Ordnung im Verkehr dienen, und damit als Verkehrsvorschriften sondern vielmehr als verkehrswirtschaftliche Regelung im Sinn der Ausführungen in Pkt 5.3.

[26] 5.7 Die vorliegenden Bedingungen sind zwar dadurch gekennzeichnet, dass sie eine eigenständige Definition der Verkehrsvorschriften enthalten, nämlich im Zusammenhang mit der Haltung und bestimmungsgemäßen Verwendung des Fahrzeugs geltenden Rechtsnormen. Auch die Zugrundelegung dieser Definition bringt aber kein anderes Ergebnis: Der durchschnittliche verständige Versicherungsnehmer versteht Bestimmungen über die Zahlung eines privatrechtlichen Entgelts für die Benützung bestimmter Straßen, als solche, die das Recht zur privatrechtlichen Nutzung, nicht aber die Art der verkehrsrechtlichen Verwendung regeln.

[27] 6. Davon ausgehend liegt bereits die primäre Risikoumschreibung des Art 17.2.2 ARB nicht vor, sodass es auch keines weiteren Eingehens auf die Frage des Vorliegens des Risikoausschlusses nach Art 7.3.4 ARB bedarf.

[28] 7. Die Kostenentscheidung hinsichtlich des erstgerichtlichen Verfahrens gründet auf § 41 ZPO. Die Klägerin wandte sich in ihren Einwendungen gegen die Honorierung der Schriftsätze der Beklagten vom 19. 7. und 3. 8. 2022, weil sie außerhalb der vom Erstgericht eingeräumten Frist von 14 Tagen eingebracht worden seien. Beide Schriftsätze sind zu honorieren. Sie wurden vor der (einzigen) Tagsatzung vom 18. 10. 2022, unter Einhaltung der Frist des § 257 Abs 1 ZPO, eingebracht und auch verlesen. Bei dem Schriftsatz vom 3. 8. 2022 handelt es sich überdies um die Replik auf den vorbereitenden Schriftsatz der Klägerin vom 19. 7. 2022, der – entgegen der Ansicht der Klägerin – nach Inhalt und Umfang auch eine Honorierung nach TP 3A rechtfertigt.

[29] Die Kostenentscheidung hinsichtlich des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte