OGH 7Ob25/23m

OGH7Ob25/23m24.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* F*, vertreten durch Dr. Florian Scheiber, Rechtsanwalt in Vaduz, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Mag. Martin Corazza, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgerichtvom 9. November 2022, GZ 4 R 139/22f‑17, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirchvom 16. Juni 2022, GZ 29 Cg 19/22h‑10, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00025.23M.0524.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.268,60 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.220,90 EUR (darin enthalten 1.526 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen der Klägerin als Versicherungsnehmerin und der Beklagten liegen deren Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung ARB 2017 – Fassung 01/2019 (ARB 2017) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

1. Für die Geltendmachung eines Personen-, Sach- oder Vermögensschadens, der auf einen versicherten Personen- oder Sachschaden zurückzuführen ist (Artikel 17 Pkt. 2.1, Artikel 18 Pkt. 2.1, Artikel 19 Pkt. 2.1 und Artikel 24 Pkt. 2.4), gilt als Versicherungsfall das dem Anspruch zugrundeliegende Schadenereignis.

[…]

3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens (Artikel 17 Pkt. 2.1, Artikel 18 Pkt. 2.1 und Artikel 19 Pkt. 2.1), sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Artikel 17 Pkt. 2.4, Artikel 23 Pkt. 2.1 und Artikel 24 Pkt. 2.1.1) – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften.

[...]

Artikel 7

Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?

1. Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen

[...]

1.14 in ursächlichem Zusammenhang mit der Veranlagung von Vermögensgegenständen und Geld (auch in betriebliche Vorsorgekassen und Pensionskassen) und der damit zusammenhängenden Beratung, Vermittlung und Verwaltung. Dieser Ausschluss gilt nicht für Kapitalanlagen

- auf Tages- oder Festgeldkonten

- in Form von Spareinlagen gemäß § 31 Abs. 1 Bankwesengesetz (siehe Anhang)

- in Form von klassischen Lebensversicherungen, wenn die Versicherungsleistung ausschließlich als fester Geldbetrag in einer bestimmten Währung vereinbart ist. Alle anderen Formen von Lebensversicherungen bleiben vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.

[…]

Artikel 19

Schadenersatz – und Straf-Rechtsschutz für den Privat-, Berufs- und Betriebsbereich

[...]

2.1 Schadenersatz-Rechtsschutz

für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Personen-, Sach- oder Vermögensschadens;

[…]

3. Was ist nicht versichert?

[…]

3.1.3 die Geltendmachung von Ansprüchen aus schuldrechtlichen Verträgen sowie die Geltendmachung von Ansprüchen wegen bloßer Vermögensschäden, die aus der Verletzung vertraglicher Pflichten entstehen und über das Erfüllungsinteresse hinausgehen oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen (nur nach Maßgabe des Art 23 versicherbar);

[…]

3.2 im Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz besteht – neben den in Artikel 7 genannten Fällen – kein Versicherungsschutz

[...]

3.2.2 für die Geltendmachung von immateriellen Schadenersatzansprüchen aus der Verletzung von Persönlichkeitsrechten, ausgenommen Personenschäden und Schäden aus der Verletzung der persönlichen Freiheit

[...]

Artikel 23

Allgemeiner Vertrags‑Rechtsschutz

[...]

2. Was ist versichert?

2.1 Der Versicherungsschutz umfasst die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers über bewegliche Sachen sowie aus Reparatur- und sonstigen Werkverträgen des Versicherungsnehmers über unbewegliche Sachen.

Als Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen gilt auch die Geltendmachung und Abwehr von Ansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung vertraglicher Pflichten entstehen und über das Erfüllungsinteresse hinaus gehen, oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen.

[…]“

[2] Die Klägerin ist Kundin einer Herstellerin von Hardware‑Wallets und schloss mit dieser über deren Online-Shop einen Kaufvertrag über ein Hardware‑Wallet. Auf die Wallet‑Herstellerin fanden zwischen April und Juni 2020 zwei Cyberangriffe statt, bei denen Kundendaten „gestohlen“ und in einem Internetforum veröffentlicht wurden. Von der Klägerin wurden Vor- und Zuname, Adresse, Telefonnummer und E‑Mail‑Adresse veröffentlicht.

[3] Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtsschutzdeckung für die Durchsetzung ihrer Ansprüche auf immateriellen Schadenersatz mit einem Streitwert von 10.000 EUR und die Feststellung der Haftung für allfällige materielle Schäden mit einem Streitwert von 6.000 EUR gegen die Wallet‑Herstellerin. Diesesei vertraglich verpflichtet gewesen, dafür zu sorgen, dass ihr Online‑Shop fehlerfrei und ohne Sicherheitslücken funktioniere. Darüber hinaus habe die Wallet‑Herstellerin ungeeignete technische und organisatorische Maßnahmen zur Sicherheit der Datenverarbeitung der Klägerin ergriffen. Aufgrund der Veröffentlichung der personenbezogenen Daten der Klägerin im Internet werde diese mit Unmengen von Werbe‑E‑Mails, Phishing‑E‑Mails und Anrufen von Dritten bombardiert, sodass sie sehr stark verunsichert und beängstigt sei. Es bestehe aufgrund der sich im Umlauf befindlichen personenbezogenen Daten der Klägerin auch die sehr realistische Möglichkeit eines „Identitätsdiebstahls“. Insgesamt sei daher ein immaterieller Schadenersatzanspruch von 10.000 EUR angemessen. Da auch nicht auszuschließen sei, dass bei der Klägerin durch die Phishing-Angriffe materielle Schäden eintreten, beabsichtige sie gegen die Wallet‑Herstellerin auch ein Feststellungsbegehren zu erheben. Sie stütze ihre Ansprüche auf die Bausteine Schadenersatz-Rechtsschutz (Art 19 ARB 2017) und allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz (Art 23 ARB 2017).

[4] Die Beklagte beantragt Klagsabweisung. Die behaupteten Schäden seien keinem der geltend gemachten Rechtsschutzbausteine zuordenbar. Es sei auch für jedermann klar, dass nur die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in Zusammenhang mit Vermögensschäden versichert sei. Die behaupteten Schäden seien aber ausschließlich immaterieller Natur, sodass diese gemäß Art 19.3.2.2 und Art 23.2.1 ARB 2017 weder im Schadenersatz-Rechtsschutz noch im Vertrags‑Rechtsschutz gedeckt seien. Im Übrigen sei der Vertrag über die Anschaffung eines Hardware‑Wallet ein Vertrag über die Veranlagung von Vermögensgegenständen und Geld, sodass der Risikoausschluss gemäß Art 7.1.14 ARB 2017 greife.

[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Unter Art 23.2.1 ARB 2017 seien auch die hier geltend gemachten Schadenersatzansprüche wegen Verletzung vertraglicher Nebenpflichten zu subsumieren. Der Risikoausschluss gemäß Art 19.3.2.2 ARB 2017 sei auf einen vertraglichen Schadenersatzanspruch nicht anwendbar. Auch der Risikoausschluss nach Art 7.1.14 ARB 2017 greife nicht. Durch das Datenleck habe sich nämlich nicht das Risiko einer (von Kursschwankungen abhängigen) Vermögensveranlagung verwirklicht, sondern sei ein solches Datenleck auch abseits von der Verwahrung von Vermögenswerten möglich.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das Urteil dahin ab, dass es dem Deckungsbegehren nur in Bezug auf die Einbringung einer Feststellungsklage für zukünftige materielle Schäden stattgab, in Bezug auf die Leistungsklage für immaterielle Schäden hingegen abwies. Soweit die Klägerin beabsichtige, in dem zu deckenden Verfahren einen immateriellen Schaden gegen die Wallet‑Herstellerin geltend zu machen, handle es sich um keinen „Personenschaden“ im Sinne von Art 2.1 ARB 2017, weshalb der Klägerin diesbezüglich der Nachweis des Eintritts des Versicherungsfalls nicht gelungen sei. Im Übrigen greife der Risikoausschluss gemäß Art 19.3.2.2 ARB 2017. Das Begehren auf Feststellung der Deckung künftiger materieller Schäden sei hingegen berechtigt.

[7] Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass ihrem Klagebegehren zur Gänzestattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision der Klägerinnicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist auch berechtigt.

[10] 1. Die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung decken wegen der schweren Überschaubarkeit und Kalkulierbarkeit sowie der Größe des Rechtskostenrisikos im gesamten Bereich des privaten wie auch öffentlichen Rechts nur Teilgebiete ab. Eine universelle Gefahrenübernahme, bei der der Versicherer jeden beliebigen Bedarf des Versicherungsnehmers nach Rechtsschutz decken müsste, ist in Österreich nicht gebräuchlich. Die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen sind daher einerseits in die „Gemeinsamen Bestimmungen“ (Art 1 bis 16 ARB 2017) und andererseits in die „Besonderen Bestimmungen“ (Art 17 bis 32 ARB 2017) unterteilt. Diese stellen die sogenannten „Rechtsschutzbausteine“ dar, die jeweils die Eigenschaften und Rechtsgebiete, für die Versicherungsschutz besteht, umschreiben (7 Ob 115/19s mwN).

[11] 2. Die Klägerin begehrt für die Wahrnehmung ihrer rechtlicher Interessen in Zusammenhang mit einer behaupteten Datenschutzverletzung beim Kauf eines Hardware‑Wallets Versicherungsschutz aus den Rechtsschutzbausteinen des Art 19 ARB 2017 (Schadenersatz-Rechtsschutz) und des Art 23 ARB 2017 (Allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz).

[12] 2.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

[13] 2.2.1. Der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung ist im VersVG nicht definiert, er richtet sich vielmehr nach der Parteienvereinbarung, hier also nach den ARB 2017 (Gruber, Der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung, wbl 2016, 804 [805 ff]).

[14] 2.2.2. Art 2 ARB 2017 legt fest, dass für die Geltendmachung eines Personen-, Sach- oder Vermögensschadens, der auf einen versicherten Personen- oder Sachschaden zurückzuführen ist, das Schadensereignis (Art 2.1. erster Absatz ARB 2017: „Ereignistheorie“) und in den übrigen Fällen der Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften (Art 2.3. ARB 2017: „Verstoßtheorie“) als Versicherungsfall gilt (vgl Gisch/Weinrauch, Praxisprobleme der Rechtsschutz- und der Betriebsrechtsschutzversicherung, Punkt II. S 33 ff; Gruber, wbl 2016, 804 [805 ff]). Darüber hinaus bestehen – hier nicht relevante – Sonderregelungen für Umweltstörungen (Art 2.1. zweiter Absatz ARB 2017) und für bestimmte Rechtsschutzbausteine (Art 2.2. ARB 2017).

[15] Art 2.3. ARB 2017 definiert daher den Versicherungsfall entgegen der Ansicht der Beklagten nicht nur bei Geltendmachung von (reinen) Vermögensschäden, sondern – gleichsam als Auffangtatbestand – in sämtlichen Fällen, die nicht unter Art 2.1. oder Art 2.2. ARB 2017 zu subsumieren sind (Gisch/Weinrauch, Praxisprobleme Punkt II. S 39).

[16] 2.2.3. Art 2 ARB 2017 trifft auch gar keine Aussage darüber, ob die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in Zusammenhang mit immateriellen Schäden aus Datenschutzverletzungen vom Versicherungsschutz umfasst sind, sondern er definiert nur den Versicherungsfall und bestimmt dessen Eintrittszeitpunkt. Die Eigenschaften und Rechtsgebiete, für die Versicherungsschutz besteht, werden hingegen in den einzelnen Rechtsschutzbausteinen umschrieben.

[17] 2.3.1. Gemäß Art 23.2.1 ARB 2017 umfasst der „Allgemeine Vertrags-Rechtsschutz“ die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus sonstigen schuldrechtlichen Verträgen über bewegliche Sachen sowie aus Reparatur- und sonstigen Werkverträgen des Versicherungsnehmers über unbewegliche Sachen. Als Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen gilt auch die Geltendmachung oder Abwehr von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragsparteien oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen.

[18] Dass Schadenersatzansprüche wegen Verletzung vertraglicher Nebenpflichten vom Vertragsrechtsschutz umfasst sind, bestreitet die Beklagte nicht. Aus Art 23.2.1 zweiter Satz ARB 2017 ergibt sich aber entgegen der Ansicht der Beklagten kein Ausschluss der Geltendmachung von immateriellen Schäden. Vielmehr wird klargestellt, dass auch reine Vermögensschäden vom Vertragsrechtsschutz umfasst sind, wenn sie aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragsparteien oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen (arg „gilt auch“).

[19] 2.3.2. Für das Vorliegen des Versicherungsfalls trifft nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer die Beweislast (RS0043438). Der Versicherungsnehmer, der eine Versicherungsleistung behauptet, muss daher die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls beweisen (RS0080003).

[20] Als Voraussetzung für das Bestehen des Versicherungsschutzes sind daher die in den „Besonderen Bestimmungen“ der ARB 2017 genannten Leistungsarten vom Versicherungsnehmer nachvollziehbar auszuführen. Behauptet der Versicherungsnehmer die Notwendigkeit der Interessenwahrnehmung im Rahmen einer bestimmten von ihm versicherten Leistungsart, dann muss er schlüssig darlegen, dass der von ihm verfolgte oder abzuwehrende Anspruch aus einem Rechtsverhältnis herrührt, das in den Schutzbereich seines Versicherungsvertrags fällt (7 Ob 91/22s mwN).

[21] Diese Voraussetzungen sind hier entgegen der Ansicht der Beklagten gegeben: Im vorliegenden Fall brachte die Klägerin vor, sie habe mit einer Unternehmerin einen Kaufvertrag über ein Hardware‑Wallet, also eine bewegliche Sache, geschlossen. Die Wallet‑Herstellerin habe gegen die vertragliche Nebenpflicht verstoßen, dass ihre Dienste (hier: der Online-Shop) fehlerfrei und ohne Sicherheitslücken funktionierten und insoweit sorgfaltswidrig gehandelt. Dadurch sei ihr ein immaterieller Schaden entstanden, weil sie aufgrund der Veröffentlichung ihrer personenbezogenen Daten im Internet mit einer Vielzahl von Werbe-E-Mails, Phishing-E-Mails und Anrufen von Dritten „bombardiert“ wurde, sodass sie sehr stark verunsichert und beängstigt sei. Darüber hinaus bestehe die sehr realistische Möglichkeit eines „Identitätsdiebstahls“ der Klägerin.

[22] 2.3.3. Zusammengefasst ist daher die von der Klägerin beabsichtigte Geltendmachung ihrer immateriellen Schäden aus der Datenschutzverletzung beim Kauf eines Hardware‑Wallets gegen dessen Herstellerin vom Allgemeinen Vertrags-Rechtsschutz (Art 23 ARB 2017) umfasst.

[23] 2.4. Damit muss auf den weiteren Rechtsschutzbaustein (Art 19 ARB 2017 – Schadenersatz-Rechtsschutz) und den dortigen Risikoausschluss für immaterielle Schäden nicht mehr eingegangen werden.

[24] 3.1. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) wird durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10]).

[25] Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).

[26] 3.2. Gemäß Art 7.1.14 ARB 2017 besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit der Veranlagung von Vermögensgegenständen und Geld und der damit zusammenhängenden Beratung, Vermittlung und Verwaltung („Vermögensveranlagungsausschluss“); für bestimmte Kapitalanlagen gibt es wiederum eine Gegenausnahme.

[27] Der Zweck des Ausschlusses besteht darin, das aus einer Vermögensveranlagung resultierende besondere Risiko des Entstehens von Rechtsstreitigkeiten zu begrenzen. Im vorliegenden Fall hat sich aber nicht das Risiko einer Vermögensveranlagung verwirklicht, sondern das Risiko des Entstehens eines Rechtsstreits infolge des Kaufs eines Hardware-Wallets in einem Online‑Shop. Der Risikoausschluss ist daher hier nicht einschlägig.

[28] 4. Der Revision der Klägerin war daher Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

[29] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Da im Revisionsverfahren nur mehr das Begehren auf Feststellung der Versicherungsdeckung zur Geltendmachung des immateriellen Schadenersatzanspruchs gegenständlich war, gebühren der Klägerin Kosten lediglich auf Basis von 7.550 EUR. Der Klagsvertreter hat keine Umsatzsteuer verzeichnet.

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