OGH 7Ob105/23a

OGH7Ob105/23a24.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter, in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Mag. Leopold Zechner, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, gegen die beklagten Parteien 1. W* AG *, vertreten durch Mag. Dr. Otto Ranzenhofer, Rechtsanwalt in Wien, und 2. Dr. H*, vertreten durch Dr. Heinz Stöger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revisionen aller Parteien gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. März 2023, GZ 60 R 12/23d‑40, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 22. November 2022, GZ 12 C 86/22t‑33,abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00105.23A.1024.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Der Revision der erstbeklagten Partei wird nicht Folge gegeben. Der Revision der zweitbeklagten Partei wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden hinsichtlich der erstbeklagten Partei bestätigt und hinsichtlich der zweitbeklagten Partei abgeändert, dass sie insgesamt lauten:

1. Es wird mit Wirkung zwischen der klagenden

Partei und der erstbeklagten Partei festgestellt, dass die erstbeklagte Partei der klagenden Partei für alle künftigen Schäden, die der klagenden Partei dadurch entstehen, dass ihr die anteilige Versicherungsleistung aus der Lebensversicherung (zu den Polizzen-Nrn. L.168.326 und L.226.026) nicht per 01.03.2021 (bei 20‑tägigem Respiro) ausbezahlt wurde, haftet.

2. Das Klagebegehren, die zweitbeklagte Partei hafte der klagenden Partei zur ungeteilten Hand für alle künftigen Schäden, die der klagenden Partei dadurch entstanden sind, dass ihr die anteilige Versicherungsleistung aus der (mit der Polizzennummer bezeichneten) Lebensversicherung bei der erstbeklagten Partei nicht per 1.3.2021 ausbezahlt wurde, wird abgewiesen.

3. Die erstbeklagte Partei ist schuldig der klagenden Partei deren mit 4.432,20 EUR (darin 677,28 EUR USt und 368,50 EUR Barauslagen) bestimmte Kosten binnen 14 Tagen zu ersetzen; die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei deren mit 2.500,06 EUR (darin 416,68 EUR USt) bestimmte Kosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei deren mit 2.907,41 EUR (darin 256,49 EUR USt und 1.447,20 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen. Die erstbeklagte Partei ist schuldig der klagenden Partei deren mit 1.658,69 EUR (darin 276,45 EUR USt) bestimmte Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe

und

Begründung:

 

[1] Im Jahr 2006 wurden von der S* GmbH zur Aufnahme von Fremdkapital Inhaberschuldverschreibungen (sogenannte „Masterbonds“) in Tranchen zu je 50.000 EUR ausgegeben, in denen sie die Kapitalrückzahlung den Kläger betreffend zum 1. 3. 2021 garantierte. Um das Kapital der Anleger abzusichern, schloss die S* GmbH als Versicherungsnehmerin mit der Erstbeklagten als Versicherer am 20. 5. 2005 eine Lebensversicherung ab. Als versicherte Person galt der Geschäftsführer der S* GmbH. Die Leistung aus der Lebensversicherung war mit Nominale und Fälligkeit der emittierten und konkret gezeichneten Inhaberschuldverschreibung synchronisiert. Die S* GmbH schloss mit dem Zweitbeklagten einen Treuhandvertrag, wonach der Zweitbeklagte die Zeichnung der Masterbonds abwickeln sollte. Der Zweitbeklagte schloss mit dem Kläger (und den übrigen Anlegern) ebenfalls Treuhandverträge, wonach er die von den Anlegern erhaltenen Beträge – abzüglich der an die Erstbeklagte zu zahlenden Versicherungsprämie – an die S* GmbH übermittelte. Weiters wurde zwischen der S* GmbH und dem Zweitbeklagten vereinbart, die Leistungen der Versicherung bei der Erstbeklagten zu Gunsten des Treuhänders zu verpfänden; mit den Anlegern vereinbarte der Zweitbeklagte die Entgegennahme der Verpfändungsbestätigung der Erstbeklagten und die Auszahlung – den Kläger betreffend – am Ende der Laufzeit der Inhaberschuldverschreibung 2021 nach Entgegennahme der Tilgung des Nominalen in Höhe von 50.000 EUR auf ein zu errichtendes Treuhandkonto. Durch die Einbeziehung des Treuhänders sollte jedes Risiko hinsichtlich der eingezahlten Gelder ausgeschlossen werden; insbesondere sollte für den Fall der Insolvenz Sicherheit für die jeweiligen Zeichner geschaffen werden. Der Geschäftsführer der S* GmbH wünschte eine „wasserdichte“ Konstruktion für die Anleger im Falle einer Insolvenz der S* GmbH, was auch der Erstbeklagten gegenüber offengelegt wurde. Die Vertreter der Erstbeklagten versicherten, dass es sich bei der Verpfändung der Versicherungsleistung um einen üblichen Vorgang handle und die Versicherungsleistung am Ende der Laufzeit an den Pfandgläubiger ausbezahlt werde, damit die Rückzahlung der investierten Gelder an die Anleger stattfinden könne. In einer Rahmenvereinbarung zwischen der S* GmbH als Versicherungsnehmerin und der Erstbeklagten als Versicherer wurde ein Bezugsrecht der Versicherungsnehmerin vereinbart und auf die Verpfändung an den Zweitbeklagten hingewiesen.

[2] Der Kläger vereinbarte seinerseits die Tilgung eines von ihm aufgenommenen Kredits mit der zu erwartenden Zahlung aus der Versicherung im März 2021.

[3] Mit Beschluss des Landesgerichts Linz vom 1. 7. 2014 wurde über das Vermögen der S* GmbH das Konkursverfahren eröffnet und ein Masseverwalter bestellt. Mit einer am 17. 11. 2014 gegen die (hier) Erstbeklagte beim Landesgericht Linz eingebrachten Klage begehrte der Masseverwalter der S* GmbH die Feststellung, dass die zwischen der S* GmbH und der Erstbeklagten bestehenden Lebensversicherungsverträge nicht mit Sicherungsrechten Dritter, insbesondere nicht pfandrechtlich belastet seien. Der Kläger trat diesem Verfahren als Nebenintervenient auf Klagsseite bei; der Zweitbeklagte auf der Seite der (hier) Erstbeklagten. Das Landesgericht Linz wies die Klage ab, weil es die Verpfändung als wirksam ansah; das Oberlandesgericht Linz bestätigte diese Entscheidung. Der Oberste Gerichtshof wies die außerordentliche Revision mangels Vorliegens eines rechtlichen Interesses an der begehrten Feststellung zurück; auf die Frage der Wirksamkeit der Pfandbestellung zwischen der S* GmbH und dem Zweitbeklagten ging der Oberste Gerichtshof nicht ein (vgl 7 Ob 61/16w, Pkt 5).

[4] Mit Beschluss vom 15. 3. 2017 wurde der Konkurs über das Vermögen der S* GmbH ohne Quotenverteilung aufgehoben; am 16. 1. 2018 wurde die Firma gemäß § 40 FBG gelöscht.

[5] Am 9. 2. 2021 forderte der Zweitbeklagte die Erstbeklagte auf, sämtliche Beträge aus dem Versicherungsvertrag bis zum 1. 3. 2021 auf das Treuhandkonto zu überweisen. Als keine Zahlung einlangte, urgierte der Zweitbeklagte bei der Erstbeklagten, worauf sie ihm mitteilte, sie sei zur Auszahlung bereit, wisse aber nicht an wen. Im März 2021 regte die Erstbeklagte im Insolvenzverfahren der S* GmbH vor dem Landesgericht Linz die Einleitung eines Nachtragsverteilungsverfahrens an, weil sie eine Versicherungsleistung von etwa 3.200.000 EUR zur Auszahlung zu bringen hätte. Am 24. 6. 2021 ersuchte die Erstbeklagte den Zweitbeklagten, ihr einen Pfandbestellungsvertrag zu übermitteln; der Zweitbeklagte übermittelte daraufhin die Versicherungspolizze mit dem Verpfändungsvermerk und verwies auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Linz, wonach diese Verpfändung wirksam sei. Das beseitigte die Zweifel der Erstbeklagten nicht, weil aus ihrer Sicht die Frage der Wirksamkeit dieser Verpfändung vom Obersten Gerichtshof ausdrücklich offengelassen wurde. Sie beantragte am 9. 7. 2021 beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien das gesamte Realisat aus den Lebensversicherungen gemäß § 1425 ABGB zu Gericht anzunehmen. Als Erlagsgegner führte sie die S* GmbH und den Zweitbeklagten; das Bezirksgericht Innere Stadt nahm diesen Erlag zu AZ 59 Nc 31/21d an. Der Zweitbeklagte rekurierte nicht gegen diesen Beschluss, weil ihm der gerichtliche Erlag sicherer schien, als das Geld bei der Erstbeklagten zu belassen. Das Landesgericht Linz machte mittlerweile ein Nachtragsverteilungsverfahren in der Insolvenz der S* GmbH vom Erlag eines Prozesskostenvorschusses abhängig. Mangels eines solchen wies es den Antrag der Erstbeklagten am 16. 12. 2021 ab. Nach Erhalt dieser Entscheidung stellte der Zweitbeklagte einen Ausfolgungsantrag im Erlagsverfahren; den in der Zwischenzeit von anderen Anlegern gestellten Ausfolgungsanträgen stimmte er zu. Das Erlagsverfahren ist weiterhin offen.

[6] Der Kläger begehrt die Feststellung der Haftung beider Beklagter für die Schäden, die ihm durch die nicht am 1. 3. 2021 erfolgte Auszahlung der Versicherungsleistung entstanden seien. Da er einen damit besicherten Kredit noch nicht tilgen habe können, könne er das Ausmaß dieser Schäden derzeit nicht abschätzen. Die zwischen der Erstbeklagten, dem Zweitbeklagten und der S* GmbH abgeschlossenen Verträge würden Schutzwirkungen zugunsten der Anleger entfalten. Die Erstbeklagte habe zu Unrecht einen Erlagsantrag gestellt. Tatsächlich hätte sie die Versicherungssumme zur Auszahlung bringen müssen; ein Erlagsgrund habe nicht vorgelegen, weshalb dieser auch nicht schuldbefreiend gewesen sei. Damit sei die Erstbeklagte seit 1. 3. 2021 in Verzug und hafte für die dem Kläger daraus erwachsenen Schäden. Der Zweitbeklagte habe es unterlassen, die Versicherungsleistung bei der Erstbeklagten einzuklagen und im Erlagsverfahren Rekurs zu erheben. Sollte die Verpfändung tatsächlich unwirksam gewesen sein, würden beide Beklagte aus diesem Grund haften.

[7] Die Erstbeklagte wendete – soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse – ein, die Voraussetzungen für eine gerichtliche Hinterlegung der Versicherungsleistung gemäß § 1425 ABGB seien vorgelegen, weil die Rechtsfrage, ob die Verpfändung an den Zweitbeklagten rechtswirksam erfolgt sei, vom Höchstgericht nicht geklärt worden sei und sie daran berechtigte Zweifel gehegt habe. Jedenfalls treffe sie kein Verschulden an einer unklaren Situation.

[8] Der Zweitbeklagte wendete ein, er habe keine Verpflichtungen aus dem Treuhandvertrag verletzt, sondern vielmehr umgehend die Erstbeklagte zur Zahlung aufgefordert und versucht, zur Klärung beizutragen. Er habe sämtlichen Ausfolgungsanträgen von Anlegern zugestimmt und nach Ablehnung der Einleitung der Nachtragsverteilung selbst einen Ausfolgungsantrag gestellt. Selbst wenn er bereits eine Klage gegen die Erstbeklagte eingebracht hätte, wäre ein diesbezügliches Verfahren in der Zwischenzeit noch nicht beendet worden.

[9] Das Erstgerichtgab dem Klagebegehren statt. Es erachtete die an den Zweitbeklagten erfolgte Verpfändung als rechtswirksam. Damit sei aber der Erlag durch die Erstbeklagte zu Unrecht erfolgt; diese hätte erkennen können und müssen, dass die Leistung an den Treuhänder zu erfolgen habe und befinde sich daher schuldhaft im Verzug. Da die Versicherung als eine solche für fremde Rechnung für die jeweiligen Anleger anzusehen sei, träfen die Erstbeklagte Schutzpflichten diesen gegenüber. Sie hafte damit für die Schäden des Klägers. Dem Zweitbeklagten sei sein zögerliches Verhalten zum Vorwurf zu machen, obwohl er als Jurist erkennen hätte müssen, dass ihm als Pfandgläubiger die Leistung aus der Versicherung zustehe. Da er weder eine Ausfolgungsklage, noch ein Rechtsmittel gegen die Annahme des Erlags der Versicherungsleistung erhoben habe, habe auch er einen Beitrag dazu geleistet, dass der Kläger bis dato die Versicherungsleistung nicht erhalten habe. Beide Beklagten würden solidarisch für den beim Kläger durch die Verzögerung der Auszahlung entstandenen Schaden haften.

[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Erstbeklagten keine, der des Zweitbeklagten teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass der Zweitbeklagte für die Schäden des Klägers hafte, die dadurch entstehen, dass der Zweitbeklagte nicht spätestens am 1. 6. 2021 Klage gegen die Erstbeklagte auf Auszahlung der anteiligen Versicherungsleistung aus der Lebensversicherung und keinen Rekurs gegen den ihm am 30. 7. 2021 zugestellten Beschluss über die Annahme der Hinterlegung erhoben habe; das Mehrbegehren gegenüber dem Zweitbeklagten wies es ab. Es teilte die Ansicht des Erstgerichts, die Erstbeklagte hätte erkennen müssen, dass die Verpfändung wirksam gewesen sei und kein Grund für die Einleitung des Erlagsverfahrens vorgelegen habe. Dem Zweitbeklagten seien die ihm vom Erstgericht angelasteten Verzögerungen vorzuwerfen, diese hätten allerdings bei pflichtgemäßem Handeln nicht dazu führen können, dass der Kläger die Versicherungsleistung bereits mit 1. 3. 2021 erhalten hätte. Deshalb hafte der Zweitbeklagte in eingeschränktem Ausmaß.

[11] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Prüfpflicht eines Versicherungsunternehmens vor gerichtlichem Erlag der Versicherungssumme und zur Frage, wie weit die Verpflichtung des Treuhänders in der vorliegenden Konstellation gehe, zu.

[12] Gegen den abweisenden Teil der Entscheidung betreffend den Zweitbeklagten richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Wiederherstellung des dem Klagebegehren zur Gänze stattgebenden Ersturteils.

[13] Gegen den bestätigenden Teil der Entscheidung richten sich die Revisionen beider Beklagter jeweils mit dem Antrag auf Abweisung des Klagebegehrens; hilfsweise stellen die Beklagten Aufhebungsanträge.

[14] Der Kläger beantragt, die Revisionen zurückzuweisen, hilfsweise ihnen nicht Folge zu geben; der Zweitbeklagte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

[15] Die Revisionen beider Beklagter sind zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; die des Zweitbeklagten ist auch berechtigt; jene desKlägers ist nicht zulässig.

I. Revision der Erstbeklagten:

1. Zum Feststellungsinteresse des Klägers:

[16] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung (RS0038849; RS0038817) verdrängt die Möglichkeit der Leistungsklage bei gleichem Rechtsschutzeffekt die Feststellungsklage. Das gilt dann, wenn durch den Leistungsanspruch auch der Feststellungsanspruch ausgeschöpft wird, wenn also weitere als die durch das Leistungsbegehren gezogene Rechtsfolgen aus der Feststellung des fraglichen Rechtsverhältnisses oder Anspruchs nicht in Betracht kommen (RS0039021).

[17] 1.2. Der Kläger begehrt ihm aus der verspäteten Auszahlung entstehende künftige Schäden, da solche nicht ausgeschlossen werden können, liegt ein ausreichendes Feststellungsinteresse vor.

[18] 2. Zum Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter:

[19] 2.1. Eine Sorgfalts‑ und Schutzpflicht zugunsten dritter, am Vertrag nicht beteiligter Personen wird von Lehre und Rechtsprechung angenommen, wenn bei objektiver Auslegung des Vertrags anzunehmen ist, dass eine Sorgfaltspflicht auch in Bezug auf die dritte Person, wenn auch nur der vertragsschließenden Partei gegenüber, übernommen wurde(RS0017195). Im Fall eines solchen Vertrags mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter erwirbt der Dritte unmittelbare vertragliche Ansprüche gegen den Schuldner (RS0037785 [T34, T45]).

[20] 2.2. Das Vermögen eines Dritten ist in der Regel nicht in den Schutzbereich eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter einbezogen (RS0022475). Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist aber die Einbeziehung von Vermögensschäden in den Schutzbereich jedenfalls dort anerkannt, wo die Hauptleistung gerade dem Dritten zukommen soll (RS0017068 [T2, T4, T6], RS0022475 [T1]).

[21] 2.3. Eine solche Konstellation liegt hier in Bezug auf die Erstbeklagte vor, hatte doch das gesamte versicherungsrechtliche Konstrukt den – allen Beteiligten offengelegten – Zweck, die Rückzahlung des investierten Kapitals an die Anleger unter allen Umständen sicherzustellen. Damit haftet die Erstbeklagte dem Kläger grundsätzlich nach vertraglichen Grundsätzen: Es greift die Beweislastumkehr nach § 1298 ABGB; als Haftungsmaßstab muss die Erstbeklagte als Versicherungsunternehmen in diesem Bereich § 1299 ABGB gegen sich gelten lassen.

3. Zur Hinterlegung nach § 1425 ABGB:

[22] 3.1. Nach § 1425 ABGB kann der Schuldner eine Sache bei Gericht hinterlegen, wenn er seine Schuld aus dem Grunde, weil der Gläubiger unbekannt, abwesend oder mit dem Angebotenen unzufrieden ist oder aus anderen wichtigen Gründen nicht erfüllen kann. Sowohl Unklarheit der Rechtslage als auch das Auftreten von mehreren Forderungsprätendenten bilden einen rechtlichen Grund zum Gerichtserlag im Sinne des § 1425 ABGB (RS0033610). Mehrere Prätendenten liegen dann vor, wenn diese die Forderung je für sich geltend machen und der Schuldner bei zumutbarer Prüfung nicht ohne weiteres erkennen kann, wer wirklich berechtigt ist (vgl RS0033597; RS0033610 [T5]). Eine solche Konstellation hat bereits deshalb nicht vorgelegen, weil dieS* GmbH weder zu diesem Zeitpunkt noch davor ein Recht an der Versicherungsleistung für sich in Anspruch genommen hat, sondern nach den Feststellungen eine „wasserdichte“ Konstruktion für die Anleger wünschte.

[23] 3.2. Auch Unklarheit der Rechtslage kann einen Grund zum Erlag bilden (RS0033545). Die Hinterlegungsbefugnis des Schuldners ist allerdings auch im Fall unklarer Rechtslage daran geknüpft, dass trotz sorgfältiger Prüfung Zweifel über die Person des Gläubigers bestehen, wenn also dem Schuldner objektiv nach verständigem Ermessen nicht zugemutet werden kann, den Zweifel auf eigene Gefahr zu lösen (vgl RS0033680). Hier ist zu berücksichtigen, dass die Erstbeklagte an der von ihr – nunmehr als unsicher erachteten – Verpfändung selbst mitgewirkt und diese als einen üblichen Vorgang bezeichnet hatte, weshalb sie allfällige spätere Zweifel daran auf eigene Gefahr (nach dem objektiven Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB) zu lösen gehabt hätte. Wenn aus Sicht der Erstbeklagten mit der abweisenden Entscheidung zu 7 Ob 61/16w über die vom Masseverwalter der S* GmbH gegen sie eingebrachten Klage die Situation nicht bereinigt gewesen wäre, hätte sie dafür bis zum Fälligkeitszeitpunkt fast fünf Jahre Zeit gehabt.

[24] 3.3. Ein zu Unrecht vorgenommener Erlag wirkt dem Erlagsgegner gegenüber und damit im Rahmen der oben bejahten Schutzwirkung des Vertrags zugunsten Dritter auch gegenüber dem Kläger nicht schuldbefreiend (RS0033727). Damit befindet sich die Erstbeklagte aber nach wie vor im Verzug mit der Auszahlung der Versicherungsleistung; dass sie an diesem Verzug kein Verschulden treffen würde, hat die Erstbeklagte unter Berücksichtigung des oben Ausgeführten nicht aufgezeigt (§ 1298 ABGB).

[25] 4. Der Revision derErstbeklagten war damit nicht Folge zu geben.

II. Revision des Zweitbeklagten:

[26] 1. Der Zweitbeklagte weist in seiner Revision zu Recht darauf hin, dass keineswegs feststehe, dass das ihm vom Berufungsgericht zur Last gelegte Verhalten, er habe keine Klage auf Auszahlung gegen die Erstbeklagte und im Erlagsverfahren keinen Rekurs gegen den Beschluss auf Annahme des Erlags erhoben, für die vom Kläger geltend gemachten Verspätungsschäden kausal war.

[27] 2.1. Dem Geschädigten obliegt der Beweis für den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem Eintritt des Schadens, auch wenn es sich – wie hier – um eine Unterlassung handelt (RS0022664 [T5]).  Eine Unterlassung ist ursächlich, wenn bei pflichtgemäßem positivem Tun der Schaden nicht eingetreten wäre (RS0022913). Die Anforderungen an den Beweis des hypothetischen Kausalverlaufs sind bei einer (angeblichen) Schädigung durch Unterlassen geringer als jene an den Nachweis der Verursachung bei einer Schadenszufügung durch positives Tun. Die Frage, wie sich die Geschehnisse entwickelt hätten, wenn der Schädiger pflichtgemäß gehandelt hätte, lässt sich nämlich naturgemäß nie mit letzter Sicherheit beantworten, weil dieses Geschehen eben nicht stattgefunden hat. Der Geschädigte ist daher nur dafür beweispflichtig, dass überwiegende Gründe dafür vorliegen, der Schaden sei durch das Verhalten des Schädigers herbeigeführt worden (RS0022900 [T14]).

[28] 2.2. Vor diesem Hintergrund ist dem dafür beweispflichtigen Kläger der Nachweis eines Kausalzusammenhangs zwischen den dem Zweitbeklagten vorgeworfenen Unterlassungen und den vom Kläger geltend gemachten Schäden nicht gelungen. Warum im Falle einer vom Zweitbeklagten erhobenen Klage die Erstbeklagte die geforderte Versicherungsleistung nicht ebenso im Rahmen eines gerichtlichen Erlags hinterlegt hätte, hat der Kläger nicht aufgezeigt. Dasselbe gilt für einen Rekurs des Zweitbeklagten gegen den Erlagsbeschluss. Aufgrund welchen Umstands im Fall eines Rekurses des Zweitbeklagten das Erlagsverfahren zu welchem Zeitpunkt im Sinne des Klägers beendet worden wäre, vermag der Kläger nicht darzustellen. Dass in diesem Zusammenhang eine Auszahlung an den Zweitbeklagten unmittelbar zum Fälligkeitszeitpunkt erfolgt wäre, ist bereits aufgrund der zeitlichen Abfolge ausgeschlossen.

[29] 2.3. Damit scheidet eine Haftung des Zweitbeklagten für den vom Kläger geltend gemachten Schaden – das nicht erfolgte Ausbezahlen der Versicherungsleistung am 1. 3. 2021 – aus. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist auch nicht ersichtlich, warum gerade eine am 1. 6. 2021 erhobene Klage die vom Kläger geltend gemachten Schäden verhindert hätte, weil auch in diesem Zusammenhang der Kläger seiner Beweislast hinsichtlich des Kausalzusammenhangs (vgl RS0022664 [T19] = 6 Ob 36/23x) nicht nachgekommen ist.

[30] 3. Der Revision des Zweitbeklagten war damit im Sinn des gestellten Abänderungsantrags Folge zu geben.

[31] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 ZPO, im Berufungs‑ und Revisionsverfahren iVm § 50 ZPO. Die erster Instanz verzeichnete Eingabe des Zweitbeklagten vom 22. 7. 2022 war als nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig nicht zu honorieren; für die Klage und die Berufung steht dem Zweitbeklagten kein Streitgenossenzuschlag zu, weil der Zweitbeklagtenvertreter weder mehrere Personen vertritt noch ihm mehrere Personen gegenüberstehen (§ 15 RATG).

III. Revision des Klägers:

[32] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[33] 2.1. Mit seinen Ausführungen zu den dem Zweitbeklagten vom Kläger vorgeworfenen Unterlassungen ist der Kläger auf das im Rahmen der Behandlung der Revision des Zweitbeklagten Gesagte zu verweisen.

[34] 2.2. Soweit sich der Kläger darauf beruft, der Zweitbeklagte würde auch dann haften, wenn die Verpfändung sich als unwirksam herausstellen sollte, setzt er sich nicht mit der Rechtsansicht der Vorinstanzen auseinander, wonach die Verpfändung wirksam gewesen sei. Wird in der Revision nicht – zumindest in grundsätzlicher Auseinandersetzung mit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts – dargelegt, warum dem Revisionswerber die rechtliche Beurteilung als unrichtig erscheint, ist es dem Obersten Gerichtshof verwehrt, die materiell‑rechtliche Beurteilung zu überprüfen (RS0043603 [T4, T9, T10, T12]).

[35] 3. Die Revision ist daher zurückzuweisen. Der Zweitbeklagte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

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