OGH 6Ob174/23s

OGH6Ob174/23s23.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. N* E*, geboren am *, vertreten durch Dr. Judith Kolb, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei Dr. R* E*, geboren am *, vertreten durch Mag. Vinzenz Fröhlich und andere Rechtsanwälte in Graz, wegen Unterhalts, über die Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 19. Juli 2023, GZ 2 R 123/23g‑47, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Leibnitz vom 31. März 2023, GZ 18 C 25/21g‑40, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00174.23S.1023.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 502,70 EUR (darin enthalten 83,78 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Beklagte war als Arzt tätig und erzielte Einkünfte aus selbständiger Arbeit, Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und Einkünfte aus Kapitalvermögen. Die Ehe der Streitteile wurde im Februar 1990 gemäß § 55 iVm § 61 Abs 3 EheG geschieden. Im Februar 1990 schlossen die Streitteile einen gerichtlichen Unterhaltsvergleich, in welchem sich der Beklagte gegenüber der Klägerin zu einem wertgesicherten monatlichen Unterhaltsbetrag von 17.000 ATS verpflichtete. Bis einschließlich März 2019 hielt er sich an den Unterhaltsvergleich und bezahlte – aufgrund der vereinbarten Wertsicherung – zuletzt 2.200 EUR monatlich an die Klägerin.

[2] Der Beklagte ging ab 1. 4. 2019 als Arzt in Pension und bezieht seit damals ein Pensionseinkommen. Da er weiterhin flugmedizinische Untersuchungen durchführt, bezieht er auch weiterhin (geringere) Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Außerdem bezog er im Jahr 2019 geringfügige Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Unter Berücksichtigung des Einkommens aus Kapitalvermögen und abzüglich Steuer betrug das wirtschaftliche Reineinkommen im Jahr 2019 111.802,07 EUR, davon fiel ein Betrag von 70.319,86 EUR in den ersten drei Monaten und der Restbetrag von 41.482,21 EUR von April bis Dezember 2019 an. Im Jahresdurchschnitt errechnet sich das wirtschaftliche Reineinkommen mit monatlich 9.316,84 EUR, bei Berechnung des monatlichen Durchschnittseinkommens für den Zeitraum von April bis Dezember 2019 ergibt dies ein monatliches Reineinkommen von 4.609,13 EUR. Der monatliche durchschnittliche private Verbrauch des Beklagten betrug in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 jeweils 5.884,55 EUR und von April bis Dezember 2019 monatlich durchschnittlich 5.707,27 EUR.

[3] Der Beklagte teilte der Klägerin im März 2019 über seinen Anwalt mit, dass er per 31. 3. 2019 in die Alterspension eintrete und sich aus der Hochrechnung seiner Steuerberatung ein voraussichtliches Einkommen aus der derzeit noch von ihm fortgeführten fliegerärztlichen Tätigkeit sowie seinen Pensionsbezügen in Höhe von gesamt durchschnittlich monatlich netto 4.206 EUR ergebe. Der Unterhaltsanspruch der Klägerin errechne sich daher mit 1.220 EUR, und der Beklagte werde – beginnend mit 1. 4. 2019 – diesen Betrag an die Klägerin zur Überweisung bringen.

[4] Die Klägerin antwortete darauf über ihre Rechtsvertretung mit Schreiben vom 4. 4. 2019, sie gehe nicht davon aus, dass sich das „errechnete Pensionseinkommen“ lediglich auf 4.206 EUR belaufe. Sie ersuchte um Zurverfügungstellung sämtlicher bezughabender Unterlagen, insbesondere Übermittlung der Pensionsbescheide, Bezügen aus dem Wohlfahrtsfonds und sonstigen privaten Pensionsversicherungen, Mitteilung, ob ihr Mandant Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung oder Kapitalerträge bezieht, ob er sonstige Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit weiterhin ins Verdienen bringt. Es folgten mehrere wechselseitige Schreiben der Rechtsanwälte der beiden Parteien. Die Klägerin kündigte mit Schreiben vom 16. 5. 2019 exekutionsrechtliche Schritte an und teilte darin auch mit, sie gehe davon aus, dass der Beklagte in den letzten drei Jahren über ein erheblich höheres Einkommen als in den Neunzigerjahren verfügt habe, weshalb sie um Übermittlung weiterer Unterlagen ersuche.

[5] Nachdem ein von der Klägerin aufgrund des Vergleichs eingeleitetes Unterhaltsexekutionsverfahren wegen Vollzahlung des Beklagten eingestellt worden war, bezahlte dieser seitdem weiterhin (mit Vorbehalt) monatlich 2.200 EUR an die Klägerin, um nicht weiter exekutiert zu werden.

[6] Die Klägerin begehrte zuletzt – ausgehend davon, dass ihr Unterhaltsanspruch höher als die erhaltenen monatlichen Unterhaltszahlungen von 2.200 EUR sei – die Begleichung eines Unterhaltsrückstands für den Zeitraum 1. 4. 2019 bis 30. 9. 2022 von insgesamt 20.286 EUR sowie die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung eines monatlichen Geldunterhalts von 2.395 EUR ab 1. 10. 2022.

[7] Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten, der Klägerin für den Zeitraum April 2019 bis einschließlich November 2022 einen rückständigen Unterhalt in Höhe von 9.948 EUR zu zahlen (Spruchpunkt 1.) und wies das Mehrbegehren auf Zahlung eines weiteren rückständigen Unterhalts von 10.338 EUR ab (Spruchpunkt 3.). Darüber hinaus gab es dem Begehren betreffend den laufenden Unterhalt ab 1. 12. 2022 statt (Spruchpunkt 2.). Da eine Unterhaltserhöhung ab April 2019, dem Pensionsantritt des Beklagten, geltend gemacht werde, erscheine es sachgerecht, wenn für den Unterhalt im Jahr 2019 die exakte Einkommenssituation des Beklagten von April bis Dezember 2019 als Bemessungsgrundlage herangezogen werde. Bemessungsgrundlage seien daher die das wirtschaftliche Reineinkommen übersteigenden durchschnittlichen monatlichen Privatentnahmen zwischen April und Dezember 2019. Auch für die Bemessung des Unterhaltsanspruchs ab dem Jahr 2020 zog das Erstgericht den privatenVerbrauch des Beklagten heran.

[8] Das Berufungsgerichtbestätigte mit Teilurteil die allein revisionsgegenständliche Abweisung des Mehrbegehrens an rückständigem Unterhalt (Spruchpunkt 3. des Erstgerichts). Im Übrigen hob es das erstinstanzliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.

[9] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision gegen sein bestätigendes Teilurteil zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof noch nicht zu klären gehabt habe, ob ein während des laufenden Kalenderjahres mit erheblichen Einkommensverlusten verbundener Pensionsantritt des Unterhaltspflichtigen im Einzellfall dazu führen könne, dass ein geltend gemachtes Unterhaltserhöhungsbegehren für vergangene Zeiträume ab dem Pensionsantritt nur auf Basis von Einkünften in diesen Zeiträumen oder – unabhängig von der Pensionierung – auf Basis der Einkünfte im gesamten betreffenden Kalenderjahr zu prüfen sei.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision der Klägerin ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in der Zulassungsbegründung noch in der Revision wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt:

[11] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung erfolgt bei selbstständig Tätigen ganz allgemein die Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage aus dem Durchschnittseinkommen der drei letzten, der Beschlussfassung vorangehenden Wirtschaftsjahre, sofern nicht gesicherte aktuelle Daten zur Verfügung stehen. Damit sollen Einkommensschwankungen, die auf steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten zurückzuführen sind, ausgeschalten und eine verlässliche Bemessungsgrundlage gefunden werden (RS0053251 [T5, T6]). Dies gilt auch bei gemischten Einkünften aus unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit (6 Ob 89/17g [ErwGr 1.1.]).

[12] 1.2. Muss jedoch für konkrete vergangene Zeitabschnitte geprüft werden, ob das Einkommen des Unterhaltspflichtigen seiner Unterhaltsverpflichtung entsprochen hat, ist die tatsächliche finanzielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners genau für diese Unterhaltsperioden zu ermitteln (RS0053251 [T3, T14, T15]). Maßgebend ist dabei der „jeweilige Zeitraum“, worunter zwar in der Regel das konkrete Kalenderjahr zu verstehen ist (6 Ob 89/17g [ErwGr 1.1.]; RS0053251 [T23]). Die für die Unterhaltsbemessung herangezogenen Beobachtungszeiträume sind jedoch von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig zu machen und können daher auch variieren (8 Ob 111/20m; 4 Ob 194/11z [ErwGr 2.]; RS0053251 [T19]). Dies gilt insbesondere für den Fall des Zusammentreffens von Einkünften aus selbstständiger und aus unselbstständiger Tätigkeit (RS0053251 [T18]) und auch für die Frage, ob der herangezogene Beobachtungszeitraum zur Gewinnung verlässlicher Ergebnisse ausreicht (vgl 8 Ob 111/20m).

[13] 1.3. Das Berufungsgericht erachtete die Wahl des Beobachtungszeitraum von April bis Dezember 2019 als sachgerecht, weil gerade mit der Pensionierung des Beklagten eine Verminderung des bisherigen Einkommens verbunden war, sodass sie maßgeblichen Einfluss auf seine weitere Leistungsfähigkeit ab diesem Zeitpunkt (hier ab April 2019) gehabt habe. Es müsse daher bei einer maßgeblichen (nicht vorzuwerfenden) Änderung der Leistungsfähigkeit wie bei einer Pensionierung des Unterhaltsschuldners während des Kalenderjahres, die nicht den Zweck der Verkürzung des Unterhaltsberechtigten gehabt habe, nicht pauschal auf das gesamte Kalenderjahr abgestellt werden, wenn – wie hier – nicht das gesamte Kalenderjahr Gegenstand der Klage auf Unterhaltserhöhung sei.

[14] Diese Auffassung hält sich im Rahmen der dargestellten Rechtsprechungsgrundsätze und bedarf im vorliegenden Fall keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof, zumal – wie bereits das Erstgericht betonte – hier lediglich der ab dem Pensionsantritt des Beklagten bestehende Unterhaltsanspruch der Klägerin zu beurteilen ist. Inwiefern durch den gewählten Beobachtungszeitraum von immerhin neun Monaten eine konkrete Verfälschung der Ergebnisse aufgrund neben dem Pensionseinkommen erzielter Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit des Beklagten eingetreten sein soll, zeigt die Klägerin weder in ihrer Berufung noch in der Revision auf.

[15] 2.1. Das Berufungsgericht hat die Rechtsprechung zur Verfristung nach § 72 EheG zutreffend dargestellt. Beim Unterhaltsanspruch der Klägerin handelt es sich trotz seiner Vereinbarung durch Vergleich (vglRS0042549;RS0042623 [T6]) um einen solchen nach § 69 Abs 2 EheG, weshalb § 72 EheG anwendbar ist (10 Ob 1/23d; 10 Ob 47/07w;RS0057266). Das Begehren eines geschiedenen Ehegatten auf Bezahlung von Unterhalt für die Vergangenheit setzt – als Anspruchsvoraussetzung (RS0033341 [T4];RS0114142) – den Verzug des Unterhaltspflichtigen voraus (RS0106452). Ohne Verzug kann Unterhalt daher erst ab Rechtshängigkeit gefordert werden (10 Ob 1/23d). Demnach liegt Verzug iSd § 72 EheG vor, wenn der Schuldner seine durch eine vertragliche Regelung betrags- und fälligkeitsmäßig genau bestimmte Unterhaltspflicht nicht vollständig erfüllt hat. Einer Mahnung bedarf es in diesem Fall nicht (RS0120230). Ist der Unterhalt nicht betragsmäßig bestimmt, ist hingegen eine Zahlungsaufforderung an den Unterhaltspflichtigen in Form einer außergerichtlichen, inhaltlich bestimmten Mahnung notwendig (RS0057365). Der Unterhaltsschuldner kann nach Treu und Glauben aber keine Vorteile daraus ziehen, dass der Unterhaltsberechtigte ohne Auskunft nicht in der Lage ist, den Unterhaltsanspruch seriös zu beziffern und bestimmt – also nicht „ins Blaue“ hinein – einzumahnen. Nach ständiger Rechtsprechung kommt daher in diesem Fall eine berechtigte Aufforderung zur Auskunftserteilung in ihren Wirkungen dem durch eine Mahnung eingetretenen Verzug gleich, weil der Unterhaltsschuldner von diesem Zeitpunkt an in gleicher Weise wie bei einer Mahnung damit rechnen muss, auf Unterhalt in Anspruch genommen zu werden, und er daher (allenfalls) Rücklagen bilden muss (10 Ob 1/23d; RS0122059).

[16] Die Ansicht des Berufungsgerichts, wonach für das von der Klägerin über den Vergleich hinausgehende Unterhaltserhöhungsbegehren eine Mahnung iSd § 72 EheG erforderlich gewesen sei, wird von der Revision auch nicht bezweifelt.

[17] 2.2. Das Berufungsgericht war der Auffassung, aus dem Schreiben vom 4. 4. 2019 sei nicht erkennbar, dass sich die Klägerin nicht mit dem bisherigen Unterhaltsbetrag von 2.200 EUR zufrieden geben und einen höheren Unterhaltsanspruch geltend machen habe wollen, sondern vielmehr, dass sie einen Anspruch auf Unterhaltsherabsetzung in Zweifel gezogen habe. Die Klägerin habe erstmals mit Schreiben vom 16. 5. 2019 zu erkennen gegeben, dass sie über die bisher aufgrund des Vergleichs geleisteten Zahlungen hinausgehende Unterhaltsansprüche gegenüber dem Beklagten prüfen wolle. Darin ist keine aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Weshalb der Beklagte bereits aufgrund des Schreibens des Vertreters der Klägerin vom 4. 4. 2019 davon ausgehen hätte müssen, dass die Klägerin eine Erhöhung der bisherigen Unterhaltszahlungen von 2.200 EUR begehre, legt die Revision auch gar nicht dar.

[18] 3. Wie bereits die Berufung enthält auch die Revision keine inhaltlichen Ausführungen betreffend die Abweisung weiterer, ab dem Jahr 2020 geltend gemachter Unterhaltsrückstände. Darauf ist daher nicht einzugehen (vgl RS0043605).

[19] 4. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rechtsmittels gegen ein Teilurteil findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (4 Ob 17/23p [ErwGr I.6.]; RS0123222 [T9]). Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Dabei war wegen des ein Jahr übersteigenden Zeitraums nach der § 9 Abs 3 RATG zugrundeliegenden Wertung der Durchschnittsjahresbetrag des – ausschließlich Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens bildenden – Unterhaltsrückstands zugrundezulegen, das sind hier 2.953 EUR, kann doch nur so das mit dieser Bestimmung verfolgte Anliegen einer „sozialen Deckelung“ der Bemessungsgrundlage verwirklicht werden (6 Ob 18/16i [ErwGr 5.] = RS0130811; so zutreffend schon das Berufungsgericht).

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