OGH 6Ob74/21g

OGH6Ob74/21g22.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayrals weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. F*, 2. M*, beide *, beide vertreten durch Dr. Hans-Moritz Pott, Rechtsanwalt in Schladming und Liezen, gegen die beklagte Partei Ö* Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Martin Wandl und Dr. Wolfgang Krempl, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen Feststellung, Einverleibung einer Dienstbarkeit, Beseitigung und Unterlassung, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 26. Jänner 2021, GZ 3 R 146/20w‑87, mit dem das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 21. September 2020, GZ 7 Cg 46/19x-79, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00074.21G.1222.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.984,70 EUR (darin enthalten 330,78 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Kläger sind seit 2007 zu gleichen Teilen Eigentümer der Grundstücke 1170, 1172 und 1199 der Liegenschaft EZ 11 KG *. Die Beklagte ist Eigentümerin der an das Grundstück 1172 angrenzenden Liegenschaft EZ 260, bestehend aus den Grundstücken 1096/2 und 1173, KG *, auf der die Eisenbahnstrecke zwischen Stainach-Irdning und Attnang-Puchheim verläuft. Die Grundstücke 1170 und 1172 der Kläger befinden sich nördlich, das Grundstück 1199 südlich der Bahntrasse.

[2] Seit Errichtung der Salzkammergutbahn zwischen Stainach-Irdning und Schärding, eröffnet im Jahr 1877, befindet sich bei Bahnkilometer 10,533 auf dem Grundstück 1173 in einem annähernd in Ost-West-Ausrichtung geradlinig verlaufendem Trassenteil ein Bahnobjekt in Form eines Durchlasses im Bahndamm. Am 15. März 2016 veranlasste die Beklagte zunächst eine Unterstellung des Durchlasses mit zwei senkrechten Metallstehern; in der Folge wurden auch waagrecht verlaufende Metallstangen angebracht. Im März 2020 ließ sie den Durchlass kraftschlüssig mit Beton verfüllen; ein Betreten oder gar Durchschreiten ist seither unmöglich.

[3] Mit ihrer am 26. 6. 2017 eingebrachten Klage begehren die Kläger – nach Präzisierung ihrer Begehren – zusammengefasst

1. die Feststellung der Dienstbarkeit des Viehtriebs durch die bei Kilometer 10,533 bestehende „Eisenbahnunterführung“ auf dem Grundstück Nummer 1173 zugunsten der herrschenden Grundstücke Nummern 1170, 1172 und 1199,

2. die Einwilligung der Beklagten in die Einverleibung dieser Dienstbarkeit,

3. die Beseitigung der in der „Eisenbahnunterführung“ befindlichen Eisenstangen und der an den Eingängen angebrachten Betonschüttungen und die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands, sowie

4. die Unterlassung von Störungshandlungen, die die Nutzung der „Eisenbahnunterführung“ zum Viehtrieb behinderten.

[4] Sie brachten hiezu vor, sie selbst, ihre Rechtsvorgänger als Eigentümer der Grundstücke 1170, 1172 und 1199 sowie die Pächter der Rechtsvorgänger hätten den Durchlass seit mehr als 40 Jahren dazu benutzt, um Weidetiere zwischen den Grundstücken zu treiben. Sie seien alle im guten Glauben gewesen, den Durchlass zum Viehtrieb nutzen zu dürfen. Diese Nutzung sei auch notwendig, weil die Kläger ihr Vieh ansonsten mit dem Viehwagen über die Bundesstraße auf die Weide transportieren müssten. Die Nutzung des Durchlasses sei den Beklagten unter anderem deshalb bekannt gewesen, weil Grundstückszusammenlegungen in den 60-iger-Jahren den Viehtrieb durch den Durchlass berücksichtigt hätten.

[5] Die Beklagte wandte ein, bei dem Durchlass handle es sich nicht um eine Bahnunterführung, sondern um einen Wasserdurchlass, der seit der Errichtung der Bahnstrecke bestanden und dazu gedient habe, einen Bacharm durch den Bahndamm zu leiten. In den 1950er- und 1960er-Jahren habe eine Drainagierung des Bachs stattgefunden, durch die der Wasserduchlass entbehrlich geworden sei. Der Durchlass sei jedoch baulich unverändert geblieben. Die Kläger hätten erstmals im Jahr 2015 ein Recht des Viehtriebs durch den Durchlass behauptet. Im Jahr 2016 habe sich herausgestellt, dass der Bauzustand des Durchlasses schadhaft sei, sodass die Abstützungen erforderlich geworden seien. Die Voraussetzungen einer Ersitzung, insbesondere der rechtlich mögliche Sachbesitz an einer Eisenbahnanlage, die Rechtmäßigkeit und die Redlichkeit des Besitzes, seien nicht vorgelegen. Es habe ein Zusammenlegungsverfahren stattgefunden, in das sowohl die (behauptet) herrschenden als auch das (behauptet) dienende Grundstück einbezogen gewesen seien. Der Zusammenlegungsplan datiere vom 26. 1. 1981 und sei danach rechtskräftig geworden. Nach § 31 des anzuwendenden steiermärkischen ZusammenlegungsG 1971 (stmk ZLG 1971, stmk LGBl 1972/32), würden Dienstbarkeiten bei in das Zusammenlegungsverfahren einbezogenen Grundstücken kraft Gesetzes mit Rechtskraft des Zusammenlegungsplans erlöschen; eine allfällige laufende Ersitzungsfrist werde unterbrochen. Die behauptete Dienstbarkeit hätte daher nur von diesem Zeitpunkt an neu begründet werden können, die erforderliche Ersitzungsfrist von 40 Jahren sei seither aber noch nicht abgelaufen.

[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[7] Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus stellte es folgenden, für das Revisionsverfahren wesentlichen Sachverhalt fest:

[8] Im Jahr 1933 wurde ein Zusammenlegungsverfahren eingeleitet, dessen Zusammenlegungsgebiet sich sowohl auf das (nunmehrige) Grundstück 1173 – dessen Vorläufergrundstücke nicht geändert, sondern nur neu vermessen und umbenannt wurden – als auch auf die (nunmehrigen) Grundstücke 1170, 1172 und 1199 erstreckte. An diesem Verfahren waren sowohl die Rechtsvorgängerin der Beklagten als auch die seinerzeitigen Eigentümer der (nunmehrigen) Grundstücke 1170, 1172 und 1199 beteiligt. Die Form des nunmehrigen Grundstücks 1172 wurde im Zuge des Zusammenlegungsverfahrens derart gewählt, dass es als Triebweg zwischen dem nördlichen Portal des Durchlasses und dem neu zu schaffenden Grundstück 1172 (gemeint offenkundig: 1170) dienen konnte. Im Zusammenlegungsverfahren erfolgte mit (unanfechtbarem) Bescheid vom 14. 10. 1968 die provisorische Übergabe der Abfindungsgrundstücke; der das Verfahren abschließende Zusammenlegungsplan erging am 26. 1. 1981, wurde zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt zwischen dem letztgenannten Datum und dem 24. 7. 1981 rechtskräftig und noch im Jahr 1981 verbüchert. In diesem Rechtsakt findet ein Recht des Viehtriebs durch den Durchlass bei Bahnkilometer 10,533 keine Erwähnung. Jedenfalls seither haben verschiedene Landwirte ihr Vieh während der Weidezeit, also etwa von Mai bis Allerheiligen, durch den Durchlass bei Bahnkilometer 10,533 getrieben. Diese Nutzung wurde nicht untersagt.

[9] Mit Bescheid der Agrarbezirksbehörde für Steiermark vom 25. 6. 2007, verbüchert am 11. 2. 2008 im Rang 653/2007, wurden im Rahmen eines Siedlungsverfahrens (unter anderem) die Grundstücke 1170, 1172 und 1199 ins (gleichteilige) Eigentum der Kläger zugeteilt und ihrer Liegenschaft EZ 11 GB * als Überlandgrundstücke zugeschrieben. Nach dem Erwerb der Liegenschaften nutzten die Kläger den Durchlass bei Bahnkilometer 10,533 für den Viehtrieb im näher festgestellten Umfang. Sie gingen davon aus, dass der Durchlass gerade zum Zweck des Viehtriebs bestehe und sie ein Recht auf einen solchen Gebrauch hätten; auch ihnen wurde die Nutzung nicht untersagt.

[10] Am 15. 3. 2016 veranlasste die Beklagte zunächst eine Unterstellung des Durchlasses mit zwei senkrechten Metallstehern. In der Folge wurden Mitte März 2017 zwei waagrechte Metallsteher angebracht. Die Kläger nahmen die senkrechten Steher spätestens zu Beginn der Weidesaison 2016 erstmals wahr, im Juni 2017 hatten sie Kenntnis von der Anbringung der Quersteher. Schon nach der Installation der senkrechten Säulen stellten die Kläger den Viehtrieb durch den Bahndamm gänzlich ein, weil sie ein Umstoßen der Steher durch ihre Tiere fürchteten. Seit der Weidezeit 2019 führen sie ihre Rinder mit einem Viehhänger zu ihren Grundstücken nördlich der Bahn, was mit einem Mehraufwand verbunden ist, weil nur zehn Stück Vieh im Hänger Platz finden.

[11] Mit Antrag an den Landeshauptmann von Steiermark vom 21. 2. 2017 begehrte die Beklagte die Erteilung einer eisenbahnrechtlichen Baugenehmigung für die Auflassung und den Rückbau des Durchlasses im Sinn der Herstellung eines durchgehenden Bahnkörpers bei Eisenbahnkilometer 10,533. Die Kläger traten dem Antrag mit den auch in diesem Zivilverfahren erhobenen Argumenten entgegen. Mit Bescheid vom 27. 2. 2018 wurde die eisenbahnrechtliche Bewilligung für den Rückbau erteilt. Infolge Anfechtung dieser Entscheidung durch die Kläger setzte das Landesverwaltungsgericht Steiermark das Verfahren bis zur Rechtskraft der Entscheidung im vorliegenden Zivilprozess aus.

[12] Mit Bescheid vom 7. 5. 2018 stellte der vom Erstgericht angerufene Bundesminister für Verkehr, Infrastruktur und Technologie als oberste Eisenbahnbehörde nach Stellungnahmen der Streitteile fest, dass der „(Wasser-)Durchlass in km 10,533 der ÖBB‑Strecke Stainach/Irdning – Attnang/Puchheim auf Grundstück 1173 KG *“ als Eisenbahnanlage zu qualifizieren sei. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde der Kläger wurde mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. 3. 2019 abgewiesen.

[13] Im März 2020 wurde der Durchlass auf Veranlassung der Beklagten mit Beton kraftschlüssig verfüllt. Ein Betreten oder Durchschreiten desselben ist seither unmöglich.

[14] Das Erstgericht vertrat die Auffassung, es sei an die mit Bescheid vom 7. 5. 2018 erfolgte Qualifikation des Durchlasses als Eisenbahnanlage gebunden. Aus § 47 EisenbahnG ergebe sich jedoch kein Verbot der Ersitzung von Dienstbarkeiten an dieser Anlage. Der redliche und echte Besitz der Kläger und ihrer Rechtsvorgänger sei zu bejahen. Die behauptete Ersitzung scheitere aber aufgrund des Zusammenlegungsverfahrens am Ablauf der Ersitzungsfrist.

[15] Das gegenständliche Grundzusammenlegungsverfahren sei dem Regime dreier Normen unterlegen. § 33 des 45. Gesetzes vom 26. Mai 1909, wirksam für das Herzogtum Steiermark, betreffend die Zusammenlegung landwirtschaftlicher Grundstücke, habe normiert, dass Grunddienstbarkeiten nach § 474 ABGB nur im Fall ihrer Entbehrlichkeit wegfielen, während unentbehrliche Servituten auf dem dienstbaren Grundstück verblieben. Dieses Gesetz sei nach § 113 stmk Flurverfassungs‑Landesgesetzes 1963 (stmk FLG 1963) außer Kraft getreten; § 23 stmk FLG 1963 habe ebenfalls ein Erlöschen nur bei Entbehrlichkeit vorgesehen. In der Folge sei das stmk ZLG 1971 in Kraft getreten, die §§ 1 bis § 39 stmk FLG 1963 hätten ihre Geltung verloren. Es liege keine Regelung vor, die – wie § 107 oö Flurverfassungs-Landesgesetz (oö FLG) – die Fortführung anhängiger Verfahren nach den bisherigen Bestimmungen anordne. Das hier zu beurteilende Zusammenlegungsverfahren sei daher nicht nach dem stmk FLG 1963 fortzuführen. Vielmehr sei § 31 stmk ZLG 1971 anzuwenden, der den unbedingten Wegfall ersessener Rechte anordne, sofern sie nicht von der Agrarbehörde ausdrücklich aufrecht erhalten würden. Dies sei hier nicht geschehen, weshalb mit Eintritt der Rechtskraft des Zusammenlegungsplans im Jahr 1981 eine allenfalls bereits ersessene Servitut beseitigt und eine allfällige laufende Ersitzungsfrist unterbrochen worden sei. Von 1981 bis zur Klageeinbringung 2017 habe die nach § 1472 ABGB erforderliche vierzigjährige Ersitzungsfrist nicht ablaufen können.

[16] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und dass die Revision zulässig ist, weil zum Einfluss eines Zusammenlegungsverfahrens auf den Lauf der Ersitzungszeit sowie auf den maßgeblichen Zeitpunkt für das Erlöschen einer bereits ersessenen Grunddienstbarkeit und/oder die Unterbrechung der Ersitzungszeit nach den steirischen Landesgesetzen höchstgerichtliche Rechtsprechung nicht vorliege.

[17] In der Sache selbst hielt das Berufungsgericht die Beurteilung des Erstgerichts aufrecht. Das im vorliegenden Fall anzuwendende stmk FLG 1971 enthalte keine Übergangsbestimmung, nach der das bereits anhängige Zusammenlegungsverfahren nach der Rechtslage zum Zeitpunkt der vorläufigen Übernahme der Abfindungsgrundstücke fortzuführen und abzuschließen sei. Daher sei das Zusammenlegungsverfahren nach Inkrafttreten des stmk ZLG 1973 nach diesem Gesetz zu führen. § 31 stmk ZLG 1973 sehe im Einklang mit § 6 Abs 1 Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951 (FlVfGG 1951) idF der Flurverfassungs-Novelle 1967 das Erlöschen von Grunddienstbarkeiten vor, die auf einem der in § 480 ABGB genannten Titel – darunter die Ersitzung – beruhten. Der unbedingte Wegfall der Dienstbarkeiten könne nur dadurch vermieden werden, dass die Agrarbehörde sie ausdrücklich aufrecht erhalte oder neu begründe. Beides sei hier nicht geschehen. Die Kläger und ihre Rechtsvorgänger hätten daher aufgrund der im Jahr 1981 eingetretenen Unterbrechung der nach § 1472 ABGB anzuwendenden vierzigjährigen Ersitzungszeit kein Recht ersessen. Zumindest sei es im Jahr 1981 erloschen und habe mangels Zeitablaufs nicht abermals begründet werden können.

[18] Die Revision der Kläger argumentiert, die Rechtswirkungen des Zusammenlegungsverfahrens seien nach dem 45. Gesetz vom 26. Mai 1909 zu beurteilen, weil ein der Entscheidung 3 Ob 588/87 insofern vergleichbarer Fall vorliege, als sich das Zusammenlegungsverfahren über einen langen Zeitraum erstreckt habe. Das Berufungsgericht weiche zudem von der Entscheidung 1 Ob 1660/93 ab. Nach dem genannten Gesetz aus dem Jahr 1909 sei die Dienstbarkeit nicht weggefallen, weil sie nicht entbehrlich gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

[19] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Zu den Auswirkungen des Zusammenlegungsverfahrens auf die behauptete Dienstbarkeit

[20] 1.1. Entscheidend für die Beurteilung, ob sich die Kläger auf die Ersitzung einer Servitut des Viehtriebs durch den streitgegenständlichen Durchlass stützen können, ist die Beurteilung der Auswirkungen des Zusammenlegungsverfahrens auf eine allfällige laufende Ersitzungszeit oder auf den Bestand einer bereits ersessenen Servitut. Da sich das Zusammenlegungsverfahren über einen langen Zeitraum erstreckte – es wurde im Jahr 1933 eingeleitet und im Jahr 1981 mit Verbücherung des Zusammenlegungsplans abgeschlossen –, ist zunächst zu beurteilen, nach welchem der während dieses Zeitraums in Geltung stehenden Gesetze die Auswirkungen des Zusammenlegungsverfahrens auf eine allfällige begonnene oder abgeschlossene Ersitzung der behaupteten Dienstbarkeit zu beurteilen ist.

[21] 1.2. Vorauszuschicken ist, dass die Verfahren in agrarischen Operationen ‒ so auch das Zusammenlegungsverfahren ‒ in mehrere Etappen gegliedert sind, deren jede einzelne durch einen behördlichen Akt abgeschlossen wird. Der rechtskräftige Abschluss eines Abschnitts bildet jeweils die Voraussetzung für die Durchführung des nächstfolgenden Verfahrensstadiums (Bachler/Haunold in Norer, Handbuch des Agrarrechts² [2012] 567). Das Verfahren wird durch Verordnung eingeleitet (Bachler/Haunold aaO), es wird der Besitzstand erhoben und eine Bewertung der Grundstücke durchgeführt, worüber ein Bescheid (Besitzstandsausweis und Bewertungsplan) zu erlassen ist (Bachler/Haunold aaO 570 f). Im Zuge der Neuordnung des Zusammenlegungsgebiets erfolgt die Planung der gemeinsamen Maßnahmen und Anlagen und die Erlassung eines Bescheids darüber (Bachler/Haunold aaO 572 f). Nach der Neueinteilung der Feldflur kann die Agrarbehörde – unter näher bestimmten Voraussetzungen – mit Bescheid die vorläufige Übernahme von Grundabfindungen anordnen (Bachler/Haunold aaO 575 f). Schließlich ist ein Bescheid über das Ergebnis der Zusammenlegung, der Zusammenlegungsplan, zu erlassen (Bachler/Haunold aaO 576 f).

[22] 1.3. Aufgrund des stufenförmigen Aufbaus des Zusammenlegungsverfahrens ist bei Änderungen der Rechtslage während des Verfahrens jeweils anhand der Übergangsvorschriften zu beurteilen, nach welcher Rechtslage die einzelnen Etappen des Verfahrens – die bereits abgeschlossenen Verfahrensabschnitte, der laufende Verfahrensabschnitt sowie die künftigen Verfahrensabschnitte – zu beurteilen sind.

[23] Gundsätzlich ist die im Zeitpunkt der Erlassung eines Bescheids oder Erkenntnisses gegebene Rechtslage anzuwenden, sofern der Gesetzgeber (Verordnungsgeber) nicht in einer Übergangsbestimmung zum Ausdruck bringt, dass auf anhängige Verfahren noch das bisher geltende Gesetz (bzw die bisher geltende Verordnung) anzuwenden ist (vgl nur VwGH Ra 2021/06/0130; Ra 2018/06/0210; vgl auch Ro 2019/03/0029; Ro 2015/07/0008; Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht5 [2017] Rz 908).

[24] 2.1. Im vorliegenden Fall galt im Zeitpunkt der Einleitung des Zusammenlegungsverfahrens das – auf Grundlage des Gesetzes vom 7. Juni 1883 betreffend die Zusammenlegung landwirtschaftlicher Grundstücke (RGBl 1883/92) ergangene – 45. Gesetz vom 26. Mai 1909, wirksam für das Herzogtum Steiermark, betreffend die Zusammenlegung landwirtschaftlicher Grundstücke (LGuVBl für das Herzogtum Steiermark 1909/45). Nach § 1 dieses Gesetzes können die landwirtschaftlichen Grundstücke eines bestimmten Gebiets „behufs erfolgreicher Bewirtschaftung“ unter behördlicher Mitwirkung nach Maßgabe dieses Gesetzes und der aufgrund desselben zu erlassenden Anordnungen der Zusammenlegung unterzogen werden.

[25] Das Schicksal von Grunddienstbarkeiten ist in § 33 dieses Gesetzes geregelt. Demnach fallen Grunddienstbarkeiten iSd § 474 ABGB ohne Unterschied, ob das herrschende oder das dienstbare Grundstück oder nur eines von beiden der Zusammenfassung unterzogen wird, ohne Anspruch auf Entschädigung hinweg, sobald sie infolge der Zusammenlegung oder der damit verbundenen Entwässerungs-, Bewässerungs- oder Weganlagen dem herrschenden Grundstück entbehrlich werden. Grunddienstbarkeiten, bei denen dies nicht der Fall ist, verbleiben auf dem dienstbaren Grundstück.

[26] Der Oberste Gerichtshof hat zur inhaltsgleichen (vgl 1 Ob 1660/93) Bestimmung des § 33 des Gesetzes vom 25. Februar 1911, LGuVBl für das Erzherzogtum Österreich ob der Enns Nr 16, bereits ausgesprochen, dass nach dieser Bestimmung Grunddienstbarkeiten nur wegfallen, wenn sie infolge des Zusammenlegungsverfahrens entbehrlich werden. Aus dem ebenfalls in beiden Gesetzen inhaltsgleichen § 45 wurde zudem abgeleitet, dass dann, wenn kein Grund für den Fortfall einer bereits ersessenen Servitut besteht, auch die Ersitzungszeit für ein noch nicht ersessenes Recht wegen des Zusammenlegungsverfahrens nicht unterbrochen wird (3 Ob 588/87; 1 Ob 115/14i ecolex 2015, 193 [Schoditsch]).

[27] Auf diese Rechtslage stützen sich die Kläger.

[28] 2.2. Das 45. Gesetz vom 26. Mai 1909 wurde durch das stmk Gesetz vom 5. Juni 1963 über die Regelung der Flurverfassung (Flurverfassungs-Landesgesetz, stmk FLG 1963, stmk LGBl 1963/276, das als Ausführungsgesetz zum Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951, BGBl 1951/103, erging) aufgehoben (§ 113 Abs 2 stmk FLG 1963). Nach § 113 Abs 3 stmk FLG 1963 bleiben die aufgrund der bisherigen Vorschriften in Rechtskraft erwachsenen Entscheidungen der Agrarbehörden in Kraft und sind dem weiteren Verfahren zugrunde zu legen. Eine Regelung, wonach bereits anhängige Zusammenlegungsverfahren nach den bisherigen Vorschriften fortzuführen seien, enthält das stmk FLG 1963 nicht.

[29] Das Schicksal von Grunddienstbarkeiten und Reallasten ist in § 23 stmk FLG 1963 geregelt. Nach dessen Abs 1 hat die Agrarbehörde für die möglichste Beseitigung der Grunddienstbarkeiten zu sorgen. Nach § 23 Abs 2 stmk FLG 1963 sind Grunddienstbarkeiten, die infolge der Zusammenlegung entbehrlich werden, ohne Entschädigung aufzuheben. Werden sie nicht entbehrlich, so sind sie, wenn ihre Art und ihr Zweck es zulässt, auf die Abfindungsgrundstücke zu übertragen. Ist dies nicht möglich und kommt zwischen den Parteien kein anderweitiges Übereinkommen zustande, so verbleiben sie auf dem bisher dienstbaren Grundstück.

[30] 2.3. Am 27. 1. 1971 trat das stmk Gesetz über die Zusammenlegung land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke (stmk ZLG 1971, stmk LGBl 1971/32) in Kraft (§ 69 Abs 1 stmk ZLG 1971). Es erging als Ausführungsgesetz zum Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951 idF der Flurverfassungsnovelle 1967, BGBl 1967/78.

[31] Nach § 69 Abs 2 stmk ZLG 1971 verlieren die §§ 1 bis 39 des stmk FLG 1963 ihre Geltung. Die aufgehobenen Bestimmungen umfassen den 1. Abschnitt des ersten Hauptstücks des stmk FLG 1963 über die Zusammenlegung land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke. Nach § 69 Abs 2 stmk ZLG 1971 sind die aufgrund der bisherigen Vorschriften in Rechtskraft erwachsenen Entscheidungen der Agrarbehörden dem weiteren Verfahren zugrunde zu legen.

[32] Auch das stmk ZLG 1971 enthält keine Regelung, nach der bereits anhängige Zusammenlegungsverfahren nach den bisherigen Vorschriften fortzuführen seien. Die Übergangsvorschrift des § 69 stmk ZLG 1971 unterscheidet sich insofern von jener des oö FLG (oö Flurverfassungs-Landesgesetz, oö LGBl 1972/33), als dessen § 107 Abs 3 vor sieht, dass anhängige Zusammenlegungsverfahren, wenn in diesen Verfahren die vorläufige Übernahme der Grundstücke bereits angeordnet wurde, nach den bisherigen Vorschriften fortzuführen und abzuschließen sind (vgl 3 Ob 588/87; 1 Ob 115/14i ecolex 2015, 193 [Schoditsch]).

§ 31 Abs 1 stmk ZLG 1971 regelt das Schicksal der Grunddienstbarkeiten wie folgt:

Grunddienstbarkeiten und Reallasten, die sich auf einen der im § 480 ABGB genannten Titel gründen, erlöschen mit Ausnahme der Ausgedinge ohne Entschädigung. Sie sind jedoch von der Agrarbehörde ausdrücklich aufrecht zu halten oder neu zu begründen, wenn sie im öffentlichen Interesse […] oder aus wirtschaftlichen Gründen notwendig sind.“

[33] Diese Bestimmung entspricht § 6 Abs 1 Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951 idF der Flurverfassungs-Novelle 1967.

[34] Der Oberste Gerichtshof leitete aus dem in § 6 Abs 1 FlurverfassungsgrundsatzG 1951 (idF der Flurverfassungsnovelle 1967) angeordneten Erlöschen bestehender Servituten, die nicht ausdrücklich aufrecht erhalten werden, ab, dass umso mehr ein mangels Verlaufs der erforderlichen Zeit noch nicht ersessenes Recht nicht weiter ersessen werden könne, sondern der Lauf der Ersitzungsfrist nach Beendigung des Zusammenlegungsverfahrens neu beginne (3 Ob 588/87).

[35] 3.1. Für den vorliegenden Fall ergibt sich aus den dargestellten Übergangsbestimmungen, dass auf den Bescheid vom 14. 10. 1968, mit dem die vorläufige Übernahme der Abfindungsgrundstücke angeordnet wurde, das stmk FLG 1963 und auf den im Jahr 1981 ergangenen Zusammenlegungsplan das stmk ZLG 1971 anzuwenden sind.

[36] 3.2. Soweit die Kläger den Standpunkt vertreten, die Einleitung des Zusammenlegungsverfahrens im Jahr 1933 führe zur Anwendung der damals geltenden Rechtslage auf das weitere Zusammenlegungsverfahren, lassen sie die Übergangsvorschriften des § 113 stmk FLG 1963 und des § 69 stmk ZLG 1971 außer Acht. Aus der Entscheidung 3 Ob 588/87 ist für ihren Rechtsstandpunkt nichts zu gewinnen, weil in dieser Entscheidung die abweichende Übergangsbestimmung des § 107 Abs 3 oö FLG 1972 zur Anwendung kam. Die in der Revision zitierte Entscheidung 1 Ob 1660/93 vermag ihren Rechtsstandpunkt, es komme das Gesetz aus 1909 zur Anwendung, ebenfalls nicht zu stützen, weil in dieser Entscheidung keine Aussagen zum Übergangsrecht getroffen werden.

[37] 3.3. Die Aufrechterhaltung oder Begründung von Dienstbarkeiten stellt einen Teil der mit dem Zusammenlegungsplan erfolgenden Neuordnung des Zusammenlegungsgebiets dar. Dienstbarkeiten sind daher – soweit dies nach dem materiellen Recht erforderlich ist – im Zusammenlegungsplan zu begründen oder aufrecht zu erhalten (VwGH 2002/07/0147; Bachler/Haunold aaO 577; vgl Lang, Tiroler Agrarrecht I [1989] 85).

[38] 3.4. Nach den Feststellungen ist ein Recht des Viehtriebs durch den Durchlass bei Bahnkilometer 10,533 im Zusammenlegungsplan nicht erwähnt. Dem Umstand, dass das an das Grundstück 1173 der Beklagten angrenzende Grundstück 1172 der Kläger im Zusammenlegungsverfahren so gestaltet wurde, dass es als Triebweg dienen konnte, kann nicht die Bedeutung beigemessen werden, dass damit eine Dienstbarkeit des Viehtriebs über das Grundstück 1173 der Beklagten iSd § 31 Abs 1 stmk ZLG 1971 ausdrücklich aufrecht erhalten oder neu begründet worden wäre. Dies hätte vielmehr im Zusammenlegungsplan geschehen müssen (VwGH 2002/07/0147). Daher kommt es auch nicht darauf an, ob das Recht des Viehtriebs sonst im Akt der Verwaltungsbehörde einen Niederschlag fand oder nicht.

[39] Die Vorinstanzen kamen daher zutreffend zum Ergebnis, dass eine von den Rechtsvorgängern der Kläger allenfalls bis zum Zeitpunkt der Erlassung des Zusammenlegungsplans ersessene Dienstbarkeit mit dem Eintritt der Rechtskraft des Zusammenlegungsplans erloschen ist. Daraus folgt im Weg eines Größenschlusses, dass auch eine allenfalls zu diesen Zeitpunkt begonnene Ersitzungsfrist unterbrochen wurde (vgl 3 Ob 588/87).

Zur Ersitzung einer Dienstbarkeit nach Erlassung des Zusammenlegungsplans

[40] 4.1. Die Vorinstanzen verneinten eine nach Erlassung des Zusammenlegungsplans im Jahr 1981 stattgefundene Ersitzung, weil die vierzigjährige Ersitzungsfrist des § 1472 ABGB bis zur Widersetzung durch die Beklagte noch nicht abgelaufen war.

[41] 4.2. In der neueren Literatur wird die Anwendung der langen, vierzigjährigen Verjährungsfrist auf (alle) juristischen Personen des Privatrechts vielfach kritisiert. Die einstigen Beweggründe für die Begünstigung, dass juristische Personen nur durch ihre Organe handeln könnten und ihre Rechte daher gefährdeter seien als jene natürlicher Personen, die sich leichter gegen den Verlust ihrer Rechte schützen könnten, werden nicht (mehr) als überzeugend angesehen (Gusenleitner-Helm in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ Vor §§ 1472–1477 ABGB Rz 3; Perner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 1472 Rz 2; Eccher, Reformbedarf im Sachenrecht, in Fischer‑Czermak/Hopf/Kathrein/Schauer, ABGB 2011 [2008] 153, 162 f; Apathy, Ersitzung zu Gunsten und zu Lasten von Gemeinden, RFG 2006, 82 [bei Pkt 3.]; Vollmaier in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 1485 ABGB Rz 1; vgl Auer, Sind Personen- und Kapitalgesellschaften „erlaubte Körper“ iSv §§ 1472, 1485 ABGB? JBl 2015, 477 ff). Als inkonsistent wird insbesondere hervorgehoben, dass Kapitalgesellschaften als Unternehmer kraft Rechtsform im Recht regelmäßig strenger behandelt werden als natürliche Personen, die keine Unternehmer sind (Gusenleitner-Helm in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ Vor §§ 1472–1477 ABGB Rz 3).

[42] Während manche Literaturstimmen dabei lediglich rechtspolitische Kritik üben (Eccher, Reformbedarf 162 f; Apathy, RFG 2006, 82 [bei Pkt 3.]), wird von anderen eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des § 1472 ABGB vertreten.

[43] Nach Gusenleitner-Helm scheidet eine Begünstigung nach § 1472 ABGB dort aus, wo mit der Rechtsperson kein über die Individualinteressen der Gesellschafter hinausgehender Zweck verfolgt wird, sondern letztlich bloß die Interessen der Gesellschafter selbst gefördert werden sollen, was insbesondere für die Gesellschaftsformen des Unternehmensrechts gelte. Die Frage nach der Förderung des Gemeinwohls sei für juristische Personen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts gleichermaßen zu stellen (Gusenleitner‑Helm in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ Vor §§ 1472–1477 ABGB Rz 3, § 1472 Rz 5).

[44] Nach Auer sind Personen- und Kapitalgesellschaften nur dann „erlaubter Körper“ iSd § 1472 ABGB, wenn eine verwaltungsbehördliche Genehmigung des Unternehmensgegenstands, also eine Konzessionserteilung, Eintragungsvoraussetzung der Gesellschaft ist oder war oder die Gründung der Gesellschaft durch Gesetz oder im Gesetz unabhängig von einer Firmenbucheintragung angeordnet ist oder es sich um einen (Aktien‑)Verein nach dem Vereinspatent 1852 handelt. Der Gesellschaft könne darüber hinaus auch die Begünstigtenstellung ihres Alleingesellschafters zugerechnet werden; es mache keinen Unterschied, ob ein Grundstück im Alleineigentum des Bundes oder einer von ihm zu 100 % gehaltenen GmbH stehe (Auer, JBl 2015, 477, 480 ff).

[45] 4.3. In der Rechtsprechung wurde eine Eisenbahngesellschaft als privilegierte Person iSd § 1472 ABGB beurteilt (Rv V, 61, GlUNF 4135). In der jüngeren Rechtsprechung wurde die Frage, ob (alle) juristischen Personen des Privatrechts zu den in § 1472 ABGB privilegierten Rechtsträgern gehören (vgl RS0034145), zuletzt ausdrücklich offen gelassen (1 Ob 120/10v EvBl 2011, 26 [Madl/Perner]).

[46] 4.4. Auch im vorliegenden Fall ist eine abschließende Stellungnahme zu der in der Literatur befürworteten einschränkenden Auslegung des § 1472 ABGB nicht erforderlich. Bei der Beklagten handelt es sich um ein Infrastrukturunternehmen; ihre Alleingesellschafterin ist die Ö*-Holding Aktiengesellschaft, die wiederum im Alleineigentum der Republik Österreich steht. Die Gründung der Beklagten ist durch Gesetz angeordnet (§ 29a BundesbahnG). Bei dieser Sachlage besteht auch unter Berücksichtigung der von Gusenleitner-Helm und Auer vertretenen Auslegung des § 1472 ABGB kein Zweifel daran, dass der Beklagten die Privilegierung des § 1472 ABGB zugute kommt. Die Kläger ziehen die Anwendung der vierzigjährigen Verjährungsfrist im vorliegenden Fall auch nicht in Zweifel. Diese Frist war im vorliegenden Fall nach Erlassung des Zusammenlegungsplans bis zur Widersetzung durch die Beklagte aber noch nicht abgelaufen.

[47] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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