OGH 3Ob141/23s

OGH3Ob141/23s6.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L GmbH, *, vertreten durch Mag. Hans‑Peter Fischer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. R* L*, und 2. C* D*, beide vertreten durch Dr. Otmar Wacek, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Unzulässigkeit einer Exekution (§ 36 EO), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 16. Mai 2023, GZ 53 R 24/23w‑23, womit das Urteil des Bezirksgerichts Salzbug vom 12. Dezember 2022, GZ 39 C 18/22d‑23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00141.23S.0906.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Exekutionsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie wie folgt zu lauten haben:

„Die über die klagende Partei mit Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom

‑ 9. März 2022, GZ 8 E 1110/20t‑40, verhängte Geldstrafe von 10.000 EUR,

‑ 22. April 2022, GZ 8 E 1110/20d‑42, verhängte Geldstrafe von 11.500 EUR,

‑ 30. Mai 2022, GZ 8 E 1110/20d‑46, verhängte Geldstrafe von 13.000 EUR,

‑ 24. Juni 2022, GZ 8 E 1110/20d‑49, verhängte Geldstrafe von 15.000 EUR,

‑ 8. Juli 2022, GZ 8 E 1110/20d‑52, verhängte Geldstrafe von 17.000 EUR

ist jeweils unzulässig. Die mit diesen Beschlüssen verhängten Geldstrafen werden aufgehoben.“

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 8.158,58 EUR (hierin enthalten 796,41 EUR an Barauslagen und 1.227,03 EUR an USt) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin betreibt an der Adresse M*straße * einen Lebensmittelmarkt. Die M*straße verläuft in diesem Bereich ungefähr in Nord‑Südrichtung. Nördlich des Lebensmittelmarkts befindet sich der beschrankte Kundenparkplatz, südlich können LKW‑Fahrer am (auch hier beschrankten) Betriebsgelände entlang der Rückseite des Lebensmittelmarkts von der M*straße aus nach Osten fahrend die parallel zur M*straße verlaufende D*gasse erreichen, wo sich (in etwa gegenüber der Ostseite des Lebensmittelmarkts) das Haus der Beklagten befindet. Ungefähr an der Südost‑Ecke des Lebensmittelmarkts (und damit unweit des Hauses der Beklagten) befindet sich die Kartonpresse des Lebensmittelmarkts.

[2] Am nordwestlichen Ende des Betriebsgeländes der Klägerin befindet sich die Kreuzung M*straße – S*straße, am nordöstlichen Ende die Kreuzung S*straße – D*gasse.

[3] Aufgrund des Anerkenntnisurteils des Bezirksgerichts Salzburg vom 19. 2. 2013 zu 34 C 119/12f ist die Klägerin gegenüber den Beklagten verpflichtet, es auf dem Betriebsgelände ihrer Filiale M*straße * unter anderem zu unterlassen, dass

[A] „Zulieferungen sowie Abholungen der Kartonpresse und der Müllcontainer durch rückwärtiges Einfahren durch einen LKW mit und ohne Anhänger, jeweils von der D*gasse aus auf das Betriebsgelände erfolgen“, und

[B] „Schranken außerhalb der Öffnungszeiten unversperrt bleiben und Zufahrten von Bussen, fremden PKWs und sonstigen Kraftfahrzeugen, auch von der D*gasse kommend, auf das Betriebsgelände erfolgen.

[4] Den Beklagten wurde aufgrund des Anerkenntnisurteils gegen die Klägerin mit Beschluss vom 6. 5. 2020 die Exekution bewilligt. In deren Vollzug ergingen nachstehende Beschlüsse, mit denen über die Klägerin die aus dem Spruch ersichtlichen Geldstrafen verhängt wurden. Danach habe die Klägerin gegen die Unterlassungsverpflichtungen [A] und [B] laut Anerkenntnisurteil vom 19. 2. 2013 verstoßen

a) „dadurch, dass am 9. 2. 2022 in der Zeit von 13:32 Uhr bis 15:12 Uhr ein LKW MAN (amtliches KZ *W) von der D*gasse kommend auf das Betriebsgelände der Filiale der [Klägerin] M*straße *, zur Containerabholung rückwärts einfuhr“ (Beschluss vom 9. 3. 2022 – ON 40),

b) „dadurch, dass am 6. 4. 2022 um 13:05 Uhr ein LKW (KZ *W) von der D*gasse kommend auf das Betriebsgelände der Filiale der [Klägerin] M*straße *, zur Abholung und Lieferung der Kartonpresse zufuhr und am 18. 4. 2022 (Ostermontag) über den ganzen Tag die [Klägerin] den Schranken auf dem Betriebsgelände ihrer Filiale M*straße *, offen ließ und dadurch fremde PKWs und Busse zum Betriebsgelände zufahren konnten“ (Beschluss vom 22. 4. 2022 – ON 42),

c) „dadurch, dass am 20. 4. 2022 um 13:23 Uhr und am 4. 5. 2022 um 14:18 Uhr jeweils ein LKW (KZ *W) durch rückwärtiges Einfahren von der D*gasse kommend auf das Betriebsgelände der Filiale der [Klägerin] M*straße *, zur Abholung und Lieferung der Kartonpresse zufuhr“ (Beschluss vom 30. 5. 2022 – ON 46),

d) „dadurch, dass am 1. 6. 2022 um 13:10 Uhr ein LKW MAN (KZ *W) durch rückwärtiges Einfahren von der D*gasse auf das Betriebsgelände der Filiale der [Klägerin] M*straße *, zur Abholung der Kartonpresse zufuhr und am 8. 6. 2022 in der Zeit von 21:50 Uhr bis 23:30 Uhr die [Klägerin] den Schranken auf dem Betriebsgelände ihrer Filiale M*straße *, offen ließ und dadurch fremde PKWs, Busse und sonstige Kraftfahrzeuge zum Betriebsgelände aus von der D*gasse kommend zufahren konnten“ ( Beschluss vom 24. 6. 2022 – ON 49),

e) „dadurch, dass am 15. 6. 2022 um 14:27 Uhr und am 29. 6. 2022 um 14:08 Uhr ein LKW MAN (KZ *W) durch rückwärtiges Einfahren von der D*gasse aus auf das Betriebsgelände der Filiale der [Klägerin] M*straße *, zur Abholung der Kartonpresse zufuhr“ (Beschluss vom 8. 7. 2022 – ON 52).

[5] Die Klägerin begehrt mit ihren beim Erstgericht zu AZ 39 C 18/22d als führenden Akt zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen die Unzulässigerklärung der Strafbeschlüsse. Sie bestritt, dass die LKW‑Fahrer rückwärts auf ihr Betriebsgelände eingefahren seien. Sie seien vielmehr von der M*straße kommend auf der Rückseite des Lebensmittelmarkts gefahren, bis sie mit etwa der halben LKW‑Länge bei der die D*gasse östlich begrenzende Hecke angestanden seien. Hierauf hätten sie kurz reversiert, um in eine passende Position bei der Kartonpresse zu gelangen und den Container aufladen zu können. Dieses kurze Reversieren sei kein „rückwärtiges Einfahren auf das Betriebsgelände“. Am Offenstehen der Schranken an den in den Strafbeschlüssen genannten zwei Tagen treffe die Klägerin kein Verschulden, vielmehr habe sie – näher vorgebracht – umfangreiche Maßnahmen gesetzt, um ein solches hintanzuhalten.

[6] Die Beklagten beantragten die Abweisung der Klage. Sie brachten vor, dass die von ihnen im Rahmen der Strafvollzugsanträge angeführten Zufahrten zur Abholung der Container rückwärts über die D*gasse erfolgt seien. Auch sei wie in den Strafvollzugsanträgen vorgetragen an zwei Tagen der Schranken zum Parkplatz der Filiale offen gestanden.

[7] Das Erstgericht wies die Klage ab. Es ging von den eingangs dargestellten örtlichen Gegebenheiten und zusammengefasst von folgendem wesentlichen Sachverhalt aus:

[8] Die örtlichen Gegebenheiten entsprechen nach wie vor jenen im Verfahren, aus dem das Anerkenntnisurteil vom 19. 2. 2013 stammt.

[9] Vor dem 19. 2. 2013 erfolgte seitens der Klägerin die Zufahrt zur Kartonpresse dahingehend, dass der LKW von der S*straße kommend geradeaus über die D*gasse zu dieser zufuhr. Im Bereich der Kartonpresse fuhr der LKW sodann rückwärts reversierend zu dieser zu. Dieser Reversiervorgang dauerte bis zu 20 Minuten und war mit Lärm (Motorengeräusch, Piepston) verbunden. Ziel und Wunsch der Beklagten war es damals schon, eine solche Beeinträchtigung zu reduzieren. Sie wollten in diesem Zusammenhang auch erreichen, dass die Zufahrt der Klägerin zur Kartonpresse von der M*straße aus erfolge.

[10] In den Vorgesprächen der Parteien, die sodann zum Anerkenntnisurteil führten, war nie Thema, wie die Zufahrt zur Abholung der Container(‑presse) erfolgen solle.

[11] Seitens der Klägerin wurde vor zirka zwei Jahren die Schrankenanlage des Parkplatzes neu errichtet, nachdem sie feststellen musste, dass diese nicht immer außerhalb der laut dem Anerkenntnisurteil zulässigen Zeiten geschlossen war. Die Filiale schließt spätestens um 20:00 Uhr. Die Nachforschungen der Klägerin ergaben, dass es Jugendlichen gelungen war, durch Stellen eines Einkaufswagens auf die Induktionsschleife der Schrankenanlage diese außerhalb der Geschäftszeiten zu öffnen. Die alte Schrankenanlage war mit einer Zeitschaltuhr versehen, die so programmiert war, dass die Schranken zu bestimmten Zeiten geöffnet bzw geschlossen wurden.

[12] Die neue Schrankenanlage wurde an das Alarmsystem des Marktes angebunden. Danach erfolgt dann, wenn sich der Schranken zum Parkplatz außerhalb der Geschäftszeiten öffnen sollte, eine Alarmmeldung an die Firma A*, welche ihrerseits von dieser Öffnung die Firma S* verständigt. Letzterer ist es möglich, über eine Überwachungskamera den Schranken zu sehen und ihn von ihrer Zentrale aus zu schließen. Sollte dies auf diesem Weg nicht möglich sein, so hat sich ein Mitarbeiter der Firma S* vor Ort zu begeben und auch die Möglichkeit und den Auftrag, den Schranken händisch zu schließen. Diese Vorgangsweise ist Inhalt einer vertraglichen Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Firma A* bzw der Firma S*.

[13] Wird der Schranken durch eine dazu befugte Person, wie einen Mitarbeiter der Klägerin, der außerhalb der Geschäftszeiten den Markt verlässt, geöffnet, so bleibt er für zirka 15 bis 20 Sekunden offen und schließt dann automatisch. Ist das nicht der Fall, erfolgt eine Alarmmeldung an die Firma A*. Die Öffnungszeiten des Schrankens werden protokolliert und die Protokolle von Mitarbeitern der Klägerin monatlich auf allfällige Missstände und Verstöße hin kontrolliert.

[14] Um zu verhindern, dass die Schrankenanlage bei einem Stromausfall nicht funktioniert, wurden Akkus eingebaut. Aufgrund der bei der alten Schrankenanlage von der Klägerin festgestellten Möglichkeit ihrer Öffnung durch Stellen von Einkaufswägen auf die Induktionsschleife wurde von der Klägerin, um eine solche Manipulation auszuschließen, die Induktionsschleife dahingehend geändert, dass sie 30 Minuten nach Marktschluss nicht mehr funktioniert.

[15] An den in den Strafbeschlüssen genannten Tagen erfolgte die Abholung der Kartonpresse bzw deren Containers durch den Zeugen V*, einem Mitarbeiter der Firma P* im Auftrag der Klägerin. Der vom Zeugen dabei verwendete und gelenkte LKW mit dem amtlichen Kennzeichen *W hatte eine Länge von zirka 9 bis 10,5 m. Die Zufahrt zum Betriebsgelände der Klägerin durch den Zeugen erfolgte jeweils von der M*straße kommend über den Bereich auf der Rückseite des Lebensmittelmarkts. Der Zeuge fuhr bis zirka einen halben Meter vor der dort an die D*gasse angrenzenden Hecke der von den Beklagten bewohnten Liegenschaft. Dort hielt er den LKW an; dieser stand mit rund seiner halben Länge auf der D*gasse und mit der anderen auf dem Betriebsgelände der Klägerin. Aus dieser Halteposition fuhr der Zeuge sodann zirka 4,5 bis 5 m rückwärts bis vor die Kartonpresse bzw ihren Container, um diesen sodann mit einem auf dem LKW befindlichen Kran auf den LKW hinaufzuziehen. Anschließend bog der Zeuge mit dem LKW nach links in die D*gasse ein, wobei er davor, um in diese einbiegen zu können, noch mit dem LKW rund 1 m zurückfuhr. Der gesamte Abholvorgang dauerte maximal 10 Minuten. Während des Rückwärtsfahrens gab der LKW ein akustisches Piepssignal ab. Die festgestellten An- und Zufahrtswege zwecks Abholung der Kartonpresse bzw deren Containers entsprach der Anweisung, die der Zeuge diesbezüglich von seinem Arbeitgeber erhalten hatte.

[16] Seitens der Klägerin gab es für die Zufahrt zur Abholung der Kartonpresse bzw deren Containers seit zirka zwei Jahren folgende Vorgabe bzw Anweisung an die Firma P*: keinesfalls von der S*straße kommend über die D*gasse durch diese rückwärts zur Kartonpresse zuzufahren, sondern Zufahrt nur von der M*straße kommend, entlang des Betriebsgeländes der Klägerin mit dem LKW bis in die D*gasse vorfahren und dann – nach einem für die Aufladung des Containers erforderlichen kurzem Zurückfahren des LKW – den Container dort aufladen.

[17] Am 18. 4. 2022, dem Ostermontag, war der Schranken zum Betriebsgelände und Parkplatz der Filiale jedenfalls von 6:00 Uhr Früh bis 18:00 Uhr geöffnet. Das Offenstehen des Schrankens wurde aufgrund einer Alarmmeldung der Firma A* bekannt. Von deren Mitarbeiter wurde aber bei dieser Meldung irrtümlich übersehen, dass es sich beim 18. 4. 2022 um einen Feiertag handelte und nicht um einen üblichen Einkaufstag, weshalb von ihm keine Verständigung betreffend den offenen Schranken an die Firma S* erfolgte.

[18] Am 8. 6. 2022 war der Schranken zum Betriebsgelände und Parkplatz der Filiale jedenfalls von 21:50 Uhr bis 23:30 Uhr geöffnet. Dieses Offenstehen des Schrankens wurde aufgrund einer Alarmmeldung der Firma A* bekannt und erfolgte auch durch diese eine diesbezügliche Verständigung der Firma S*, welche aber – aus nicht feststellbaren Gründen – nicht reagierte.

[19] Seitens der Klägerin wurden seit dem 19. 3. 2013 keine Schritte gesetzt, um die örtliche Lage der Kartonpresse zu verändern.

[20] Neben den bereits angeführten Zeitpunkten wurden im Exekutionsverfahren aufgrund eines Offenhaltens des Schrankens zu folgenden Zeiten gegen die Klägerin Strafen verhängt: am 1. 3. 2020 (15:41 Uhr), am 3. 3. 2020 (13:20 Uhr), am 4. 3. 2020 (20:53 Uhr), am 5. 3. 2020 (21:45 Uhr), am 6. 3. 2020 (21:09 Uhr), am 8. 3. 2020 (9:40 Uhr), am 9. 3. 2020 (21:32 Uhr), am 10. 3. 2020 (um 22:37 Uhr), am 11. 3. 2020 (um 21:55 Uhr), am 12. 3. 2020 (um 23:15 Uhr), am 13. 3. 2020 (um 22:26 Uhr), am 17. 3. 2020 (um 21:00 Uhr), am 31. 5. 2020 (von 13:49 Uhr–17:48 Uhr), am 1. 6. 2020 (von 7:48 Uhr–16:26 Uhr), am 18. 6. 2020 (um 5:55 Uhr, um 21:19 Uhr und um 22:08 Uhr), am 19. 7. 2020 (um 17:15 Uhr und 21:30 Uhr), am 31. 12. 2021 (um 22:18 Uhr und 22:51 Uhr), am 1. 1. 2021 (um 7:56 Uhr, 10:22 Uhr und 13:59 Uhr), am 2. 1. 2021 (um 20:21 Uhr), am 3. 1. 2021 (um 8:33 Uhr und 16:32 Uhr), am 4. 1. 2021 (um 22:51 Uhr), am 6. 1. 2021 (ganztägig), am 7. 1. 2021 (um 22:12 Uhr), am 8. 1. 2021 (um 21:40 Uhr), am 9. 1. 2021 (um 19:44 Uhr), am 10. 1. 2021 (von 11:58 Uhr–16:42 Uhr).

[21] Rechtlich begründete das Erstgericht seine Entscheidung damit, dass für den Erfolg der Klage nach § 36 EO Voraussetzung wäre, dass die Klägerin entgegen den Behauptungen der Beklagten im Exekutionsverfahren die dort von diesen angeführten Verstöße im Tatsächlichen nicht begangen hätte oder dass sie an einem solchen Verstoß kein Verschulden treffe. Da die Zufahrt zur Abholung des Kartoncontainers auch rückwärts von der D*gasse auf das Betriebsgelände erfolgt sei, habe die Klägerin den Beweis der Unrichtigkeit der diesbezüglichen Angaben der Beklagten in den Strafvollzugsanträgen im tatsächlichen Bereich nicht erbracht. Hinsichtlich der Verstöße durch einen offenen Schranken und des dazu erhobenen Einwands eines fehlenden Verschuldens der Klägerin erklärte das Erstgericht nicht zu verkennen, dass die Klägerin Handlungen zur Einhaltung ihrer diesbezüglichen Unterlassungsverpflichtung gesetzt habe und ihr Bemühen erkennbar sei, sich an die Verpflichtung zu halten. Allerdings seien die von ihr gesetzten Maßnahmen im Ergebnis nicht hinreichend, um die hier gegenständlichen zwei Verstöße innerhalb eines Zeitraums von rund sieben Wochen zu verhindern. Das diesbezügliche Fehlverhalten der von ihr vertraglich zur Umsetzung dieser Verpflichtung beauftragten Dritten müsse auch unter dem Aspekt eines Verschuldens der Klägerin angerechnet werden. Es wäre der Klägerin beispielhaft zumutbar gewesen, einen weiteren Kontrollmechanismus einzubauen um sicherzustellen, dass etwa eine von der Firma A* an die Firma S* weitergeleiteten Fehlermeldung bei dieser dann tatsächlich zu einer raschen Schrankenschließung führt, etwa durch eine zusätzliche Rückmeldung seitens der Firma S* an die Firma A* über die diesbezügliche Erledigung. Auch der Nachweis eines fehlenden Verschuldens habe daher seitens der Klägerin nicht erbracht werden können.

[22] Das Berufungsgericht bestätigte unter Übernahme des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts dessen Urteil. Es sei aufgrund des festgestellten Abholvorgangs den Beklagten gelungen, das Zuwiderhandeln der Klägerin gegen den Titel zu beweisen. Nach diesem dürfe die Klägerin nicht rückwärts von der D*gasse aus auf das Betriebsgelände einfahren. Soweit in der Rechtsrüge zu argumentieren versucht werde, die Klägerin sei nicht rückwärts von der D*gasse auf das Betriebsgelände eingefahren, weil ihre Betriebsliegenschaft nicht verlassen worden wäre, so widerspreche dies dem eindeutigen Wortlaut des Titels. Dass zunächst wunschgemäß von der M*straße her auf das Betriebsgelände eingefahren worden sei, ändere nichts daran, dass der Lkw im Auftrag der Klägerin anschließend eine titelwidrige Zufahrt über die D*gasse ausgeführt habe. Hinsichtlich der Schrankenanlage erklärte das Berufungsgericht, die Ansicht des Erstgerichts zu teilen, dass auch hier von keinem unverschuldeten Zuwiderhandeln seitens der Klägerin ausgegangen werden könne. Ihr Hinweis auf umfangreiche Schritte, um Verstöße gegen die Unterlassungsverpflichtung zu verhindern, übersehe, dass sowohl die den Alarm empfangende Firma als auch die Sicherheitsfirma von der Klägerin eingesetzt worden sei, um die Unterlassungsverpflichtung zu gewährleisten. In diesem Sinne hafteten die Vertragspartner der Klägerin aufgrund ihrer vertraglichen Beziehung. Dies bedeute, dass die Klägerin nicht als schuldlos angesehen werden könne. Sie könne sich allenfalls aus der Inanspruchnahme als Unterlassungs-verpflichtete gegenüber ihren Vertragspartnern schadlos halten.

[23] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision unter anderem mit der Begründung zu, es gehe „um die abgrenzende Beurteilung, ab wann eine Schuldlosigkeit anzunehmen ist oder inwiefern die verpflichtete Partei auf die Möglichkeit des Regresses gegenüber ihren Vertragspartnern zu verweisen ist“.

[24] Gegen das Berufungsurteil richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens erhobene Revision der Klägerin mit einem auf Klagestattgebung gerichteten Abänderungsantrag.

[25] Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung des Rechtsmittels, hilfsweise diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[26] Die Revision ist zulässig, weil – wie in der Revision zutreffend gerügt – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts aus der allfälligen Möglichkeit einer Schadloshaltung der Klägerin bei den von ihr herangezogenen Firmen noch kein Verschulden der Klägerin am Offenhalten der Schranken abgeleitet werden kann. Die Revision ist auch berechtigt.

[27] Die Klägerin beanstandet in ihrer Rechtsrüge die Qualifikation des festgestellten Sachverhalts als rückwärtiges Einfahren auf ihre Liegenschaft von der D*gasse aus mit dem Argument, solches setzte voraus, dass sich der LKW zur Gänze auf der D*gasse befunden hätte. Hinsichtlich der Schrankenanlagen führt sie aus, dass bei richtiger Beurteilung des festgestellten Sachverhalts ihr kein Verschulden vorgeworfen werden könne. Die Klägerin befindet sich – wie noch zu zeigen sein wird – in beiden Punkten im Recht:

Zur Unterlassungspflicht A des Exekutionstitels:

[28] Wie bereits von den Vorinstanzen erkannt, kann die verpflichtete Partei mit Impugnationsklage gegen einen Strafbeschluss geltend machen, den Sachverhalt nicht verwirklicht zu haben, den die betreibende Partei als Zuwiderhandlung im Antrag auf Erlassung des Strafbeschlusses behauptet hat (Jakusch in Angst/Oberhammer, EO3 [2015] § 35 Rz 20; Höllwerth in Deixler‑Hübner, EO [38. Lfg 2023] § 355 EO Rz 61 [je mwN]).

[29] Nach den Strafbeschlüssen fuhr ein LKW von der D*gasse kommend auf das Betriebsgelände der Klägerin rückwärts ein. Es ist damit entscheidungswesentlich, ob der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt – der LKW fuhr von der M*straße her auf das Betriebsgelände der Klägerin und sodann vorwärts, bis er (zur Hälfte auf der D*gasse und zur Hälfte am Betriebsgelände stehend) bei der Hecke der Beklagten anstand, woraufhin er rückwärts reversierte, um am Betriebsgelände die passende Position zum Aufladen zu erreichen – ein anderer ist, mit anderen Worten ob der festgestellte Sachverhalt (k)ein rückwärtiges Einfahren auf das Betriebsgelände im Sinne des Strafbeschlusses sowie auch des Exekutionstitels darstellt.

[30] Im Exekutionsverfahren ist der Umfang der Verpflichtung des Titelschuldners nur aufgrund des Exekutionstitels festzustellen; es kommt nicht darauf an, was der Verpflichtete nach dem Gesetz zu leisten hat, sondern nur, wozu er im Titel verpflichtet wurde (RS0000217 [T2, T5]). Bei dieser Beurteilung ist also vom Wortlaut des Titels auszugehen und aus diesem selbst zu schließen, was die Parteien oder das Gericht dabei in Wirklichkeit gemeint haben. Besteht der Titel nur aus Parteienerklärungen, kommt es auf den objektiven Sinn an, der sich aus der Verpflichtungserklärung im Zusammenhang mit dem sonstigen Inhalt des Titels ergibt, nicht aber darauf, was die Partei im Einzelfall gewollt hat (RS0000207 [T1, T13]). Unklarheiten des Titels gehen zu Lasten des betreibenden Gläubigers (RS0000207 [T8, T11]).

[31] Der Exekutionstitel ist hier ein Anerkenntnisurteil, weshalb eine Berücksichtigung von Entscheidungsgründen von vornherein nicht möglich ist. Soweit in der Rechtsprechung sich die Aussage findet, dass dann, wenn ein Anerkenntnisurteil den Exekutionstitel bildet, anhand des Aktes zu beurteilen ist, welcher Klageanspruch anerkannt wurde (3 Ob 63/90 und 3 Ob 211/17a [Pkt 2.]; RS0000207 [T10]), so ist daraus für den vorliegenden Fall nichts zu gewinnen, weil hier nicht unklar ist, welcher Klageanspruch anerkannt wurde.

[32] Nach dem Wortlaut des Spruchs des Anerkenntnisurteils hat die Klägerin Folgendes zu unterlassen: „Zulieferungen sowie Abholungen der Kartonpresse und der Müllcontainer durch rückwärtiges Einfahren durch einen LKW mit und ohne Anhänger, jeweils von der D*gasse aus auf das Betriebsgelände“.

[33] Entscheidungswesentlich ist, was unter einem „Einfahren … auf das Betriebsgelände“ zu verstehen ist. „Einfahren“ bedeutet nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, fahrend in etwas (zB einen Bahnhof – „Der Zug fährt ein“) oder auf etwas (zB ein Betriebsgelände) zu gelangen (Duden – Deutsches Universalwörterbuch9 [2019] 490). Einfahren hat damit die Bedeutung von „ankommen“ (Brockhaus-Wahrig – Deutsches Wörterbuch9 [2011] 418]; Duden – Bedeutungswörterbuch5 [2018] 312). Wenn gesagt wird, ein Fahrzeug fährt auf ein Gelände ein, so bedeutet dies, dass es vorher zur Gänze woanders war, zB auf der Straße (vgl § 13 Abs 3 StVO zur Einweispflicht „beim Einfahren in Häuser oder Grundstücke“). Das Einfahren auf das Betriebsgelände der Klägerin erfolgte hier von der M*straße aus. Ab dem Abbiegen von dieser befand sich der LKW auf dem Betriebsgelände der Klägerin. Auf der D*gasse hat sich der LKW nach den Feststellungen nie zur Gänze befunden, weshalb nicht gesagt werden kann, er wäre von ihr kommend auf das Betriebsgelände eingefahren. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen stellte der festgestellte Sachverhalt kein rückwärtiges Einfahren von der D*gasse aus auf das Betriebsgelände dar. Der Klägerin ist damit der Beweis gelungen, nicht das ihr in den Strafbeschlüssen vorgeworfene Verhalten gesetzt zu haben.

Zur Unterlassungspflicht B des Exekutionstitels:

[34] Nach diesem Punkt des Exekutionstitels hat es die Beklagte zu unterlassen, dass Schranken außerhalb der Öffnungszeiten unversperrt bleiben und Zufahrten von Bussen, fremden PKWs und sonstigen Kraftfahrzeugen, auch von der D*gasse kommend, auf das Betriebsgelände erfolgen.

[35] Sowohl beim Verbot, dass außerhalb der Öffnungszeiten Schranken unversperrt bleiben, als auch dass in dieser Zeit Zufahrten der im Exekutionstitel genannten (unerwünschten) Fahrzeuge auf das Betriebsgelände erfolgen, handelt es sich um ein sogenanntes Erfolgsverbot. Die herrschende Ansicht unterstellt titelmäßige Verpflichtungen, die letztlich auf ein solches gerichtet sind, selbst dann, wenn vom Titelschuldner aktive Abhilfemaßnahmen gefordert werden, nicht der Exekution nach § 353 oder § 354 EO, sondern in weiter Auslegung des § 355 EO der Exekution zur Erwirkung von Duldungen und Unterlassungen (zB 3 Ob 54/11d [Pkt 2.1.]; RS0010566; Höllwerth in Deixler‑Hübner, EO [38. Lfg 2023] § 355 EO Rz 4; Klicka in Angst/Oberhammer, EO3 [2015] § 355 Rz 4 f).

[36] Das hier im Titel enthaltene Verbot, die Schranken (außerhalb der Öffnungszeiten) offen zu lassen, damit – wie dem Wortlaut des Titels selbst zu entnehmen – „Zufahrten von Bussen, fremden PKWs und sonstigen Kraftfahrzeugen“ verhindert werden (wobei Hintergrund dessen zweifellos ist, dass die Ruhe der Anrainer nicht gestört wird), ähnelt dem Verbot von Hundeheulen und Hundebellen (dazu zB Klicka aaO Rz 4). Das Besondere des vorliegenden Falls ist, dass die Abhilfemaßnahme selbst in den Titel aufgenommen wurde, nämlich das Verbot des Unversperrtbleibens der Schranken. An der Maßgeblichkeit des § 355 EO ist dennoch nicht zu zweifeln, zumal es auch hier allein an der verpflichteten Partei liegt, wie sie das Versperrtsein der Schranken erreicht (vgl 3 Ob 21/23v [Rz 17 aE]; RS0010526).

[37] Es steht fest, dass am 18. 4. 2022 und 8. 6. 2022 die Schranken verbotenerweise unversperrt waren. Dem Impugnationsklärer steht aber der Beweis offen, dass ihm an Titelverstoß kein Verschulden traf (zB 3 Ob 19/01t).

[38] Dies ist der Fall, wenn er beweist, alles Zumutbare unternommen zu haben, um die titulierte Verpflichtung erfüllen zu können (Höllwerth in Deixler‑Hübner, EO [38. Lfg 2023] § 355 EO Rz 61; vgl RS0013515 [T3, T4]; RS0004484 [T4, T5]). Nach der Rechtsprechung ist dem Verpflichteten unter Umständen ein Zuwiderhandeln Dritter gegen das titelmäßige Unterlassungsgebot zuzurechnen (3 Ob 220/11s [Pkt 2.2. mwN]; siehe auch Klicka in Angst/Oberhammer, EO3 [2015] § 355 Rz 5/1; Höllwerth in Deixler‑Hübner, EO [38. Lfg 2023] § 355 EO Rz 23). Um einen Verstoß gegen den Unterlassungstitel durch ihm zuzurechnende Personen nicht verantworten zu müssen, muss der Verpflichtete soweit notwendig auch der Einhaltung der Unterlassung dienende Weisungen erteilen und im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren Maßnahmen zur Kontrolle ihrer Einhaltung ergreifen (3 Ob 19/01t; 3 Ob 312/02g). Selbst bei Zurechnung des titelwidrigen Verhaltens eines Dritten steht es dem Verpflichteten mithin frei darzutun, dass er dieses – im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren – nicht verhindern konnte (Höllwerth in Deixler‑Hübner, EO [38. Lfg 2023] § 355 EO Rz 61).

[39] Es steht fest, dass die Klägerin ein System implementierte, nach dem das Offensein einer Schranke außerhalb der Öffnungszeiten automatisiert zu einer Verständigung einer Firma (A*) führt und dass diese hierauf eine Sicherheitsfirma (S*) zwecks Lösung des Problems einschaltet. Die Klägerin war vor dem 18. 4. 2022 nicht mit einem Fehlverhalten der Firma A* und vor dem 8. 6. 2022 nicht mit einem solchen der Firma S* konfrontiert. Die Klägerin musste vor dem 18. 4. 2022 bzw 8. 6. 2022 folglich nicht damit rechnen, dass die eine oder andere Firma nicht ihren Verpflichtungen nachkommen werde. Bereits prophylaktisch Kontrollmechanismen für den Fall zu implementieren, dass die eine oder andere Firma nicht wie vereinbart tätig werden würde, stellte eine Überspannung der Anforderungen an die Klägerin dar.

[40] Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen waren die verhängten Geldstrafen somit auch in Hinsicht auf die unversperrten Schranken unzulässig.

[41] Die Urteile der Vorinstanzen waren daher im klagestattgebenden Sinn abzuändern.

[42] Da sich die Revision bereits ausgehend vom festgestellten Sachverhalt als berechtigt erweist, erübrigt sich ein Eingehen auf die in der Revision erhobene Verfahrensrüge.

[43] Die Kostenentscheidung gründet sich in Hinsicht auf das erstinstanzliche Verfahren auf § 41 ZPO, in Hinsicht auf das zweit- und drittinstanzliche Verfahren auf §§ 41 iVm 50 ZPO.

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