OGH 3Ob21/23v

OGH3Ob21/23v19.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) A* E*, und 2) M* P*, ebendort, beide vertreten durch Dr. Alexander Bosio, Rechtsanwalt in Zell am See, gegen die beklagte Partei S*, vertreten durch Dr. Schilchegger Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Anif, und deren Nebenintervenienten 1) K* GmbH & Co KG, *, vertreten durch K‑B‑K Hirsch Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, und 2) W* gemeinnützige registrierte GenmbH, *, vertreten durch Mahringer Steinwender Bestebner Rechtsanwälte OG in Salzburg, wegen Unterlassung, Herstellung und Feststellung, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 10. November 2022, GZ 53 R 179/22p‑23, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom 18. Juli 2022, GZ 17 C 80/22h‑15, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00021.23V.0419.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden teilweise bestätigt, sodass die Entscheidung insoweit als Teilurteil insgesamt lautet:

„Die Klagebegehren des Inhalts,

2) die beklagte Partei sei bei sonstiger Exekution schuldig, den sich auf dem Pultdach des Gebäudes der Freiwilligen Feuerwehr * befindlichen Dachgully ob der EZ *, bestehend aus dem Grundstück *, in einen Zustand zu versetzen bzw wiederherzustellen, welcher dem Stand der Technik und einschlägigen Ö-Normen entspricht, sodass es auch bei Starkregenereignissen nicht mehr möglich ist, dass die Liegenschaft der klagenden Parteien EZ *, insbesondere das Gebäude auf dem Grundstück *, durch Abwasser ausgehend von der Liegenschaft der beklagten Partei *, bestehend aus dem Grundstück *, beeinträchtigt wird;

3) es werde festgestellt, dass die beklagte Partei für Spät- und Folgeschäden aus den Wassereintrittsereignissen durch Abwasser ausgehend von der Liegenschaft der beklagten Partei EZ *, bestehend aus dem Grundstück *, wie zuletzt im Juni 2021, am Gebäude der klagenden Parteien auf der EZ *, auf dem Grundstück *, hafte,

werden abgewiesen.

Die auf diese Teilbegehren entfallende Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

Im Übrigen, also in Bezug auf das Unterlassungsbegehren zu Spruchpunkt 1) des erstgerichtlichen Urteils sowie die Kostenentscheidungen, werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und wird die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind insoweit weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Kläger wenden sich mit ihrer auf § 364 Abs 2 (iVm § 523) ABGB gestützten Klage gegen (behauptete) Immissionen durch Eindringen von Abwasser über den Dachgully auf dem Pultdach des sich auf der Liegenschaft der Beklagten befindlichen Gebäudes in das Mauerwerk ihres Gebäudes. Die Beklagte ist Eigentümerin des Grundstücks, von dem die behaupteten Immissionen ausgehen. Mit Baurechtsvertrag vom 6. April 1983 räumte sie der Zweitnebenintervenientin für die Dauer von 35 Jahren das im Grundbuch einzuverleibende Baurecht ein, die (von der Erstnebenintervenientin als Bauunternehmerin) ein Gebäude mit Pultdach errichten ließ. In Punkt VI. des Baurechtsvertrags ist festgehalten, dass die Bauberechtigte in einem gesondert abzuschließenden Mietvertrag der Beklagten (für die Dauer des Baurechts) das Mietrecht am Gebäude einräumt. Die Beklagte hat das von ihr gemietete Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr überlassen, die das Gebäude als Feuerwehrzeughaus nutzt.

[2] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts, mit dem das von den Klägern erhobene Unterlassungsbegehren (Unterlassen des Eindringens von Abwasser über den erwähnten Dachgully), das Herstellungsbegehren (Versetzung des auf dem Pultdach des Gebäudes der Freiwilligen Feuerwehr befindlichen Dachgullys in einen dem Stand der Technik bzw den einschlägigen Ö‑Normen entsprechenden Zustand) und das Feststellungsbegehren (betreffend die Haftung für Spät- und Folgeschäden aus den Wassereintrittsereignissen durch Abwasser) abgewiesen wurde. Die ordentliche Revision erklärte es für zulässig, weil die Frage der Haftung des Eigentümers einer Liegenschaft, der diese an einen Bauberechtigten überlassen und das von diesem errichtete Gebäude gemietet hat, in der höchstgerichtlichen Judikatur noch nicht behandelt worden sei.

[3] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Kläger, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

[4] Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragen die Beklagte und die Erstnebenintervenientin, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

[5] Die Revision ist zulässig; sie ist – im Sinn des subsidiär gestellten Aufhebungsantrags – auch teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zum Unterlassungsbegehren (Spruchpunkt 1 des erstgerichtlichen Urteils):

[6] 1.1 Für die Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB – und damit auch für die einen besonderen Anwendungsfall dazu bildende Immissionsklage nach § 364 Abs 2 ABGB – ist grundsätzlich der unmittelbare Störer passiv legitimiert, der den beeinträchtigenden Zustand schafft oder in seinem Verantwortungsbereich aufrechterhält (vgl 5 Ob 241/09s wobl 2010, 45 [Illedits wobl 2010, 155] = immolex 2010, 260 [Cerha]).

[7] Zudem kann nach der Rechtsprechung auch der Eigentümer des störenden Grundstücks als mittelbarer Störer in Anspruch genommen werden, wenn er den Eingriff des Dritten veranlasst hat oder den vom Dritten geschaffenen unerlaubten Zustand aufrechterhält, obwohl von ihm Abhilfe zu erwarten ist. Dementsprechend gilt auch für die Immissionsklage, dass zwischen der Sachherrschaft des mittelbaren Störers und der Immission ein Zusammenhang bestehen muss. Verursacht daher ein vom Grundstückseigentümer verschiedener Störer die Immission (durch eine Handlung oder durch eigenverantwortliche Aufrechterhaltung des störenden Zustands), so haftet der Eigentümer als mittelbarer Störer nur dann, wenn er die Einwirkung durch den Dritten bzw den von diesem geschaffenen Zustand duldet, obwohl er die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit hat, die Einwirkung des Dritten zu verhindern oder sonst Abhilfe zu schaffen (vgl RS0012110; RS0011737; 1 Ob 11/08m; 3 Ob 76/21d).

[8] 1.2 Besteht ob des störenden Grundstücks – wie hier – ein Baurecht, so stehen dem Bauberechtigten am Grundstück grundsätzlich die Rechte eines Fruchtnießers zu (§ 6 Abs 2 BauRG); zudem ist er Eigentümer des Bauwerks. Dem Fruchtgenussberechtigten kommen nach außen hin die Rechte eines Eigentümers zu. Der formelle Eigentümer des mit einem Fruchtgenussrecht belasteten Grundstücks kann dem Fruchtgenussberechtigten daher weder ein bestimmtes Verhalten auferlegen noch ein (unerwünschtes) Verhalten verbieten (1 Ob 11/08m).

[9] Daraus folgt, dass der Eigentümer eines mit einem Baurecht belasteten Grundstücks – aufgrund der zwingenden gesetzlichen Vorschriften für den Baurechtsvertrag grundsätzlich ungeachtet dessen konkreter Ausgestaltung – keine rechtliche Möglichkeit hat, dem Bauberechtigten gegenüber auf Abhilfe zu dringen. Mangels rechtlicher Einwirkungsmöglichkeit ist der für die Bejahung seiner Passivlegitimation erforderliche Sachzusammenhang zwischen Sachherrschaft und Immission daher nicht gegeben.

[10] 1.3 Im Anlassfall besteht die Immissionsquelle nach dem Vorbringen der Kläger im Gully auf dem Pultdach des der Zweitnebenintervenientin gehörenden Gebäudes. Die Einwirkung geht somit vom Gebäude auf dem Grundstück der Beklagten aus und ist damit grundsätzlich, ohne Hinzutreten besonderer Umstände, der Bauberechtigten zuzurechnen.

[11] Die in der Revision zunächst angesprochene Stellung der Beklagten als bloße Grundstückseigentümerin und Baurechtsgeberin betrifft deren nachbarrechtliche Haftung als bloß mittelbare Störerin wegen Duldung eines von einem Dritten (hier der Bauberechtigten) geschaffenen störenden Zustands. Mangels jeglicher rechtlicher Einflussmöglichkeiten auf die Bauberechtigte als Fruchtgenussberechtigte kann die Beklagte von den Klägern nicht als mittelbare Störerin nach § 364 Abs 2 ABGB in Anspruch genommen werden.

[12] An dieser Beurteilung könnte auch allein der Umstand nichts ändern, dass die Beklagte das fremde Gebäude gemietet hat, weil ihr in dieser Hinsicht nur die Stellung als Mieterin zukommt und die Verantwortung für das Gebäude dessen ungeachtet bei der Bauberechtigten verbleibt.

[13] 2.1 Fraglich bleibt, inwieweit die Beklagte eine Haftung als unmittelbare Störerin treffen kann. Dies ist nach den dargelegten Grundsätzen insoweit denkbar, als die Beklagte in ihrer Stellung als Mieterin des Gebäudes den beeinträchtigten Zustand geschaffen hat oder eigenverantwortlich aufrechterhält.

[14] Dazu haben die Kläger vorgebracht, dass – nach dem gesonderten Mietvertrag zwischen der Beklagten und der Bauberechtigten – die Beklagte die ordnungsgemäße Instandhaltung des Objekts treffe und das (Wasser-)Ablaufsystem regelmäßig zu warten sei, um eine Verstopfung der Ablaufrohrleitung und dadurch verursachte Wassereintritte zu verhindern. Auch in der Revision berufen sich die Kläger zumindest darauf, dass die Beklagte sämtliche Instandhaltungsarbeiten vertraglich übernommen habe und durch Unterlassung der Wartung des Ablaufsystems den Besitz der Kläger störe. Dass die Beklagte die vereinbarte Instandhaltungspflicht trifft, hat diese nicht bestritten, sondern nur darauf hingewiesen, dass es auf diese Frage nicht ankomme.

[15] 2.2 Trifft die Beklagte nach dem Mietvertrag mit der Bauberechtigten die Verpflichtung zur Wartung bzw Instandhaltung des Dachgullys samt dem Wasserablaufsystem und liegt die Immissionsursache in einer Verstopfung des Ablaufsystems, die durch eine Wartung bzw Instandhaltung beseitigt werden kann, so ist die Beklagte als Mieterin des Gebäudes für den störenden Zustand verantwortlich, weshalb ihre Passivlegitimation zu bejahen wäre.

[16] Die Vorinstanzen haben die mögliche Haftung der Beklagten als unmittelbare Störerin nicht ausreichend berücksichtigt, weshalb deren Entscheidung der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht stand hält. Da zu den von der Beklagten übernommenen Instandhaltungspflichten nach dem Inhalt des Mietvertrags mit der Bauberechtigten sowie zu den Ursachen der von den Klägern beanstandeten Wassereintritte bisher keine Feststellungen getroffen wurden, liegen relevante sekundäre Feststellungsmängel vor, die eine abschließende Beurteilung zum Unterlassungsbegehren verhindern.

Zum Herstellungsbegehren (Spruchpunkt 2 des erstgerichtlichen Urteils):

[17] 3. Dieses Begehren bezieht sich auf die vermeintliche Pflicht der Beklagten, den auf dem Pultdach des Gebäudes befindlichen Dachgully in einen dem Stand der Technik bzw der einschlägigen Ö‑Normen entsprechenden Zustand zu versetzen. Damit machen die Kläger eine konkrete Handlungspflicht der Beklagten geltend, die auf der Grundlage des § 364 Abs 2 ABGB jedoch nicht erreicht werden kann. Das Begehren der Immissionsabwehrklage geht nämlich nur auf Unterlassung des Eingriffs. Es handelt sich nach der Rechtsprechung um kein Handlungsverbot, sondern um ein Erfolgsverbot, weshalb im Unterlassungstitel die Art, wie die Vermeidung der unzulässigen Immission zu geschehen hat, also die Auswahl der Schutzmaßnahmen dem Beklagten überlassen bleiben muss (vgl RS0010526; RS0010566).

[18] Außerdem trifft die Pflicht zur Herstellung des baurechtskonformen Zustands eines Gebäudes grundsätzlich dessen Eigentümer, im Anlassfall also die Bauberechtigte. Ein Vorbringen dazu, warum im Anlassfall Gegenteiliges gelten soll, haben die Kläger nicht erstattet.

Zum Feststellungsbegehren (Spruchpunkt 3 des erstgerichtlichen Urteils):

[19] 4. Auf das schadenersatzrechtliche Feststellungsbegehren kommen die Kläger in der Revision nicht mehr zurück (RS0043338), weshalb dieses nicht Gegenstand der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs sein kann.

Ergebnis:

[20] 5. In Ansehung des Unterlassungsbegehrens bestehen sekundäre Feststellungsmängel, weshalb die Entscheidungen der Vorinstanzen in diesem Umfang – in teilweiser Stattgebung der Revision – aufzuheben waren. Im fortgesetzten Verfahren wird dazu die mögliche Haftung der Beklagten als unmittelbare Störerin mit den Parteien zu erörtern sein. Zudem wird die Reichweite und die Fassung des Unterlassungsbegehrens zu erörtern sein, zumal darin insbesondere auf die Immissionsursache bisher nicht Bezug genommen wird. In Ansehung des Herstellungsbegehrens und des Feststellungsbegehrens waren die abweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen hingegen zu bestätigen.

[21] Der Kostenvorbehalt gründet sich hinsichtlich des Teilurteils auf § 52 Abs 4 ZPO und im Übrigen auf § 52 Abs 1 ZPO.

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