OGH 6Ob76/23d

OGH6Ob76/23d30.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Faber sowie den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. P*, vertreten durch Mag. Elisabeth Müller‑Ozlberger, Rechtsanwältin in Waidhofen an der Thaya, wider die beklagte Partei A* GmbH, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Vertragsaufhebung und 31.550 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. Jänner 2023, GZ 5 R 26/20k‑52, womit das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 31. Jänner 2020, GZ 3 Cg 30/17z‑42, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00076.23D.0830.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass es unter Einschluss des bereits rechtskräftig entschiedenen Teils lautet wie folgt:

„1. Der zwischen der klagenden und der beklagten Partei am 23. 2. 2012 abgeschlossene Kaufvertrag über den Kauf des VW Sharan Sky Bluemotion TDI 4Motion (*) um einen Kaufpreis von 45.200 EUR wird aufgehoben.

2. Die Klagsforderung besteht mit 31.550 EUR zu Recht.

3. Die von der beklagten Partei aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderung besteht mit 4.505 EUR zu Recht.

4. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 27.044,97 EUR samt 4 % Zinsen aus 45.200 EUR von 10. 5. 2012 bis 21. 8. 2017, aus 31.550 EUR von 22. 8. 2017 bis 31. 10. 2019 und aus 27.044,97 EUR seit 1. 1. 2019 Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs VW Sharan Sky Bluemotion TDI 4Motion (*) der klagenden Partei zu zahlen.

5. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 4.505,03 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe des genannten Fahrzeugs und das Zinsenmehrbegehren werden abgewiesen.“

6. Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger 29.674,22 EUR (darin 3.509,35 EUR Umsatzsteuer und 8.618,10 EUR Barauslagen) an Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger erwarb von der beklagten Händlerin am 23. 2. 2012 einen (am 10. 5. 2012 übergebenen und am selben Tag erstmals zum Verkehr zugelassenen) Neuwagen gegen Zahlung von 45.200 EUR. Dieses Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 aus der Euroschadstoffklasse 5 ausgestattet und weist eine erwartbare Gesamtlaufleistung von 250.000 km auf. Bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung wurden damit 100.415 km zurückgelegt.

[2] Zwischen den Parteien ist nicht mehr strittig, dass das Fahrzeug bei Übergabe einen Mangel in Form der sogenannten „Umschaltlogik“ aufwies, die eine gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung darstellt (21. 2. 2023, 10 Ob 2/23a [Rz 46 ff]; 3 Ob 140/22t [Rz 31 ff]), und dass dieser Mangel im Ergebnis durch das Software‑Update nicht behoben wurde, weil auch danach eine, wenn auch aus einem anderen Grund, unzulässige Abschaltvorrichtung („Thermofenster“) vorhanden ist (21. 2. 2023, 10 Ob 2/23a [Rz 55 ff, 81]; 3 Ob 140/22t [Rz 49 f]; 3 Ob 77/23d [Rz 9]).

[3] Während das Erstgericht das Klagebegehren abwies, hob das Berufungsgericht über die Berufung des Klägers den Kaufvertrag wegen Wandlung auf und sprach aus, dass die Forderung mit 31.550 EUR und die Gegenforderung mit 14.350 EUR zu Recht bestehe. Es erkannte daher dem Kläger 17.200 EUR sA zu. Das Benützungsentgelt setzte es durch Ermittlung des Aufwands, den der Kläger bei Verkauf seines Fahrzeugs und Kauf eines gleichwertigen Fahrzeugs gehabt hätte, fest.

[4] Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Aufhebung des Kaufvertrags wegen Wandlung ist mangels Bekämpfung in dritter Instanz ebenso wie der Zuspruch im Umfang von 17.200 EUR sA und die Abweisung von 4.505,03 EUR in Rechtskraft erwachsen. Das Zurechtbestehen der vom Kläger (unter Eigenanrechnung eines Benützungsentgelts in Höhe von 13.650 EUR) geltend gemachten Forderung mit insgesamt 31.550 EUR sA wird im Verfahren dritter Instanz nicht in Zweifel gezogen oder thematisiert. Wiewohl im dreigliedrigen Urteil die Entscheidung über das Zurechtbestehen der Klagsforderung (hier: soweit sie über den mittlerweile rechtskräftigen Zuspruch hinausgeht) – auch bei Bekämpfung nur der Gegenforderung – für sich nicht in Rechtskraft erwächst (vgl RS0041026 [T8, T10]; RS0040742), ist der vom Ausspruch darüber betroffene Sachantrag mangels jedweder Ausführungen zur Höhe der Klagsforderung in den Rechtsmittelschriftsätzen als abschließend erledigter Streitpunkt anzusehen (vgl 6 Ob 14/23m [Rz 5]).

[5] Nur gegen das von ihm als zu hoch angesetzt angesehene Benützungsentgelt (und den daraus resultierenden zu niedrigen Zuspruch) richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers,mit der er die Zahlung weiterer 9.844,97 EUR sA anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die Revision ist zulässig, weil mit dem Urteildes Berufungsgerichts von mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Berechnung des Benützungsentgelts gerade für derartige Fälle abgewichen wurde, und berechtigt:

[7] 1. Der Oberste Gerichtshof ist mit ausführlicher Begründung und nach eingehender Auseinandersetzung mit bisheriger höchstgerichtlicher Rechtsprechung und Schrifttum zum Ergebnis gekommen, dass es in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Käufer des Kfz die Wandlung nicht zu vertreten hat, sachgerecht ist, der Ausmittlung des Benützungsentgelts die lineare Wertminderung zugrunde zu legen. Der überproportional hohe anfängliche Wertverlust aus dem Verlust der Neuheit der Sache ist nicht dem Käufer, der die Wandlung nicht zu vertreten hat, aufzuerlegen. Dem Umstand, dass es sich um einen Neuwagen handelt, wird durch den gegenüber einem Gebrauchtwagen höheren, die Neuheit reflektierenden Kaufpreis, der in die Ausmittlung einfließt, Rechnung getragen. Der Gebrauchsnutzung ist daher – auch im vorliegenden Fall – ausgehend vom Kaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichemGebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung bei Neufahrzeugen und erwartete Restlaufleistung bei Gebrauchtwagen) zu bestimmen (21. 2. 2023, 10 Ob 2/23a [Rz 92 ff]; 9 Ob 68/22y [Rz 31]; 2 Ob 82/23g [Rz 8 ff]; 3 Ob 140/22t [Rz 51 ff]; 3 Ob 142/22m [Rz 56 ff]; 6 Ob 150/22k [Rz 37 ff]; 3 Ob 77/23d [Rz 13]; RS0134263).

[8] 2. Angesichts der erwartbaren Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs und der zurückgelegten Kilometerleistung ist im vorliegenden Fall das Benützungsentgelt gemäß § 273 ZPO in Höhe von 18.155 EUR festzusetzen. Unter Berücksichtigung der bereits durch den Kläger erfolgten Anrechnung ergibt sich daher letztlich (noch) eine Gegenforderung von 4.505 EUR.

[9] 3. Der Kläger folgt in seinem Revisionsantrag hinsichtlich der begehrten Zinsen bereits dem vom Berufungsgericht vorgenommenen (und ausführlich begründeten) Zuspruch, wozu auch die Beklagte in der Revisionsbeantwortung keine Ausführungen enthält.

[10] Das Urteil des Berufungsgerichts war damit lediglich in Bezug auf das Zurechtbestehen der Gegenforderung in Höhe von (bloß) 4.505 EUR und den daraus folgenden Zuspruch auf Basis des Revisionsantrags zu korrigieren.

[11] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 Abs 1 ZPO (für das Berufungsverfahren iVm § 50 ZPO). Im Verfahren erster Instanz und im Berufungsverfahren drang der Kläger mit 85 % durch, sodass ihm in diesem Umfang Barauslagen und 70 % seiner Kosten zu ersetzen sind. Der Beklagten stehen wiederum 15 % der von ihr getragenen Barauslagen zu. Die Schriftsätze vom 5. 6., 11. 7.  und 17. 10. 2019 sind allesamt nach TP 2 zu honorieren, enthalten sie doch Beweisanträge hinsichtlich erst nach der Tagsatzung vom 25. 9. 2018 entstandener oder in Erfahrung gebrachter Beweise. Der Fortsetzungsantrag ist mit TP 1 zu entlohnen.

[12] Im Verfahren dritter Instanz obsiegt der Kläger zur Gänze. Ihm steht daher gemäß § 41 ZPO iVm § 50 ZPO der Ersatz der gesamten Barauslagen und der Kosten der Revision zu.

[13] Damit ergibt sich insgesamt ein Kostenersatz von 29.674,22 EUR (darin 3.509,35 EUR Umsatzsteuer und 8.618,10 EUR Barauslagen).

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