OGH 7Ob67/23p

OGH7Ob67/23p30.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. M* R*, vertreten durch die Blum, Hagen & Partner Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei A* SE *, vertreten durch die Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgerichtvom 1. März 2023, GZ 4 R 27/23m-25, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 9. Jänner 2023, GZ 8 Cg 42/22m-18, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00067.23P.0830.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil zu lauten hat:

„1. Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei gegenüber aufgrund und im Umfang des zwischen den Parteien abgeschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrags zur Polizzennummer * Deckung für die gerichtliche Geltendmachung des Rechnungslegungsanspruchs (Streitwert 10.000 EUR) und des sich daraus allenfalls ergebenden Provisionsanspruchs (Stufenklage) der klagenden Partei gegenüber ihrer ehemaligen Dienstgeberin, der D* GmbH, beschränkt auf das Verfahren erster Instanz, zu gewähren hat.

2. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 10.345,10 EUR (darin enthalten 1.464,85 EUR USt und 1.556 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 3.132,42 EUR (darin enthalten 522,07 EUR an USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 5.748,90 EUR (darin enthalten 449,65 EUR an USt und 3.051 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen dem Kläger als Versicherungsnehmer und der Beklagten liegen deren Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2018) zugrunde. Versicherungsschutz besteht unter anderem für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in Verfahren vor Arbeitsgerichten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder dessen Anbahnung.

[2] Der Kläger wurde im November 2021 von seiner Arbeitgeberin gekündigt. Er beabsichtigt, gegen diese Provisionsansprüche aus im Sommer 2021 zustande gekommenen Geschäften geltend zu machen. Um deren genaue Höhe berechnen zu können, benötigt er von seiner ehemaligen Arbeitgeberin Unterlagen.

[3] Mit Schreiben vom 23. November 2021 begehrte der Kläger von der Beklagten Rechtsschutzdeckung (primär) für die Einbringung einer Kündigungsanfechtungsklage aufgrund verpönten Motivs sowie einer „voraussichtlich“ mit 10.000 EUR zu bewertenden Stufenklage (Rechnungs‑ und Leistungsbegehren). Unter Berufung auf zwei – nicht mehr relevante – Risikoausschlüsse lehnte die Beklagte die Rechtsschutzdeckung ab.

[4] Am 4. Februar 2022 stellte der Kläger eine weitere, insbesondere auf die Geltendmachung von Provisionsansprüchen gegen seine ehemalige Arbeitgeberin gerichtete Deckungsanfrage. Unter Hinweis auf die Vorkorrespondenz lehnte die Beklagte auch diese Deckungsanfrage ab.

[5] Der Kläger begehrte in diesem Verfahren zunächst die Feststellung, dass die Beklagte ihm aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag Deckung für die gerichtliche Geltendmachung des Rechnungslegungs‑ und des sich daraus ergebenden Provisionsanspruchs gegenüber seiner ehemaligen Dienstgeberin zu gewähren habe.

[6] Die Beklagte beantragte Klageabweisung.

[7] Im Zuge der vorbereitenden Tagsatzung regte das Erstgericht eine vergleichsweise Regelung an.

[8] Bezugnehmend auf diesen Vorschlag bot die Beklagte dem Kläger Rechtsschutzdeckung für eine einzubringende Stufenklage (Rechnungslegung und Zahlung) unter Zugrundelegung eines Streitwerts von 10.000 EUR an. Im Deckungsprozess solle Kostenaufhebung eintreten. Der Kläger forderte hingegen Deckung auf Basis eines Streitwerts von 15.000 EUR und vollen Kostenersatz. Ein darauf von der Beklagten unterbreitetes Anbot, den vom Kläger vorgeschlagenen Streitwert zu akzeptieren und die halbe Pauschalgebühr zu refundieren, wurde vom Kläger abgelehnt.

[9] Darauf richtete die Beklagte am 5. September 2022 ein Schreiben an die Klagevertreterin mit auszugsweise folgendem Inhalt:

„Zurückkommend auf die bisherige Korrespondenz bestätigen wir im Rahmen der Rechtsschutzbedingungen Kostendeckung für das Verfahren erster Instanz wegen Rechnungslegung und Zahlung hinsichtlich der offenen Provisionsansprüche, sohin für eine Stufenklage, wobei die Rechnungslegung mit 10.000 EUR zu bewerten ist. Ein sich daraus nachfolgend allenfalls ergebendes Zahlungsbegehren wird der Höhe nach mit uns abzustimmen sein.“

[10] Der Kläger begehrte zuletzt die Feststellung, dass die Beklagte ihm gegenüber aufgrund und im Umfang des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrags Deckung für die gerichtliche Geltendmachung des Rechnungslegungsanspruchs (Streitwert 15.000 EUR; in eventu 10.000 EUR sowie wiederum in eventu ohne angegebenen Streitwert) und in weiterer Folge des sich daraus ergebenden Provisionsanspruchs (Stufenklage) gegenüber seiner ehemaligen Dienstgeberin zu gewähren habe.

[11] Die außergerichtliche Erklärung der Beklagten sei nur ein deklaratives Anerkenntnis, stelle aber kein Leistungs- oder Deckungsversprechen dar. Damit sei der Kläger auch nicht klaglos gestellt worden. Um künftige Unklarheiten zu beseitigen, begehre er primär die Feststellung der Versicherungsdeckung auf Basis eines Streitwerts von 15.000 EUR.

[12] Die Beklagte erwiderte, der Kläger sei durch die Deckungszusage klaglos gestellt. Würde er das Begehren nicht auf Kostenersatz einschränken, müsste es wegen Wegfalls des rechtlichen Interesses abgewiesen werden. Im Übrigen habe der Kläger die Beklagte über seine Provisionsansprüche unvollständig informiert, sodass die Deckungsablehnung zu Recht erfolgt sei.

[13] Das Erstgericht gab dem primären Klagebegehren statt. Die Beklagte sei nicht berechtigt, eine Begrenzung der Kostendeckung vorzunehmen. Da zwischen der Geltendmachung des Provisionsanspruchs und dem gekündigten Arbeitsverhältnis ein Zusammenhang vorliege, sei die Beklagte zur Gewährung von Rechtsschutzdeckung verpflichtet. Risikoausschlüsse und Obliegenheitsverletzungen lägen nicht vor.

[14] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Haupt- und die beiden Eventualbegehren ab. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Deckungszusage der Beklagten als deklaratorisches oder konstitutives Anerkenntnis zu werten sei, weil auch ein deklaratorisches Anerkenntnis das rechtliche Interesse des Klägers an der Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten beseitige. Da der Kläger auch keinen Anspruch auf eine Deckungserklärung mit einem Streitwert von 15.000 EUR gehabt habe, habe er durch die Deckungszusage der Beklagten alles erhalten, worauf er einen vertraglichen Anspruch habe.

[15] Die Revision sei zulässig, weil eine höchstgerichtliche Klarstellung zur Bindungswirkung eines deklaratorischen Anerkenntnisses fehle.

[16] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, diese im Sinn einer gänzlichen Klagestattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[17] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision des Klägers zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[18] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist auch berechtigt.

[19] 1. Die Rechtsschutzversicherung als passive Schadensversicherung (RS0127808) schützt den Versicherungsnehmer gegen das Entstehen von Verbindlichkeiten (Passiva). Sie bietet Versicherungsschutz gegen die Belastung des Versicherungsnehmers mit Rechtskosten (7 Ob 50/22m). Die Hauptleistungspflicht des Versicherers in der Rechtsschutzversicherung besteht in der Tragung der angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen inländischen Rechtsanwalts (§ 158j Abs 1 VersVG; RS0081895 [T1]; 7 Ob 50/22m mwN).

[20] 2. Vor Fälligkeit des Leistungsanspruchs kann nur auf Feststellung dahin geklagt werden, dass der Versicherer verpflichtet ist, Rechtsschutzdeckung in bestimmten Angelegenheiten zu gewähren. Nach Eintritt der Fälligkeit ist die Frage der Deckungspflicht sodann Vorfrage für den Leistungsanspruch (RS0127808 [T4]).

[21] 3. Die Feststellungsklage bedarf eines konkreten, aktuellen Anlasses, der zur Hintanhaltung einer nicht bloß vermeintlichen, sondern tatsächlichen und ernstlichen Gefährdung der Rechtslage des Klägers eine ehebaldige gerichtliche Entscheidung notwendig macht (RS0039215; vgl auch RS0039071 [T1]). Ob ein dadurch entstandenes rechtliches Interesse dann wegfällt, wenn der Beklagte während des Rechtsstreits seine Rechtsanmaßung oder Rechtsbestreitung zurückzieht oder sogar den Bestand oder Nichtbestand des streitigen Rechts oder Rechtsverhältnisses im Rechtsstreit anerkennt, ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0039224; Frauenberger‑Pfeiler in Fasching/Konecny³ § 228 ZPO Rz 86). Rein theoretische Befürchtungen genügen den Erfordernissen des § 228 ZPO im Bezug auf die „rechtlich-praktische Bedeutung“ der begehrten Feststellung nicht (RS0039224 [T3]). Aus dem Verhalten des Gegners kann aber nur dann ein Fortfall des Feststellungsinteresses abgeleitet werden, wenn dadurch völlig zweifelsfrei die bisher aktuelle Gefährdung der Rechtsposition auf Dauer beseitigt wird; nicht aber auch schon dann, wenn nur das streitige Rechtsverhältnis als solches während des Prozesses anerkannt oder zugestanden wird und zu befürchten ist, dass diese rein privatrechtlich wirksame Erklärung Gegenstand eines neuen Rechtsstreits werden kann (RS0038985; Frauenberger‑Pfeiler in Fasching/Konecny³ § 228 ZPO Rz 131). Daher nimmt ein konstitutives Anerkenntnis, das alles das zu bieten vermag, was auch ein Feststellungsurteil bieten könnte, einem Feststellungsbegehren das rechtliche Interesse (2 Ob 11/18h mwN; RS0034315). Fällt das Feststellungsinteresse nach Klagseinbringung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung fort, dann ist die Feststellungsklage abzuweisen (3 Ob 161/15w; 6 Ob 127/20z).

[22] 4. Der Anerkenntnisvertrag (konstitutives Anerkenntnis) muss grundsätzlich als zweiseitiges Rechtsgeschäft gegenüber dem anderen Vertragsteil erklärt oder wenigstens für ihn bestimmt und von ihm (zumindest schlüssig) angenommen werden (RS0032621; 7 Ob 192/13f mwN). Auch wenn daher die Beklagte mit ihrer Deckungszusage ein vormals strittiges Recht (zumindest teilweise) geklärt hat, scheidet ein konstitutives (Teil-)Anerkenntnis des Deckungsanspruchs in der konkreten Konstellation mangels Annahme durch den Kläger aus.

[23] 5. Ob eine nach Deckungsablehnung durch den Versicherer und Einbringung der Deckungsklage durch den Versicherungsnehmer erklärte außergerichtliche Deckungszusage des Versicherers im Sinn eines – wie hier – bloß deklaratorischen Anerkenntnisses (vgl 7 Ob 205/19a) zum Wegfall des rechtlichen Interesses führt, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Die Beklagte brachte nämlich im erstinstanzlichen Verfahren trotz der Deckungszusage vom 5. September 2022 bis zuletzt vor, der Kläger habe sie über seine Provisionsansprüche unvollständig informiert, zumal diese Ansprüche gemäß seinem Vorbringen bereits zum Zeitpunkt der ersten Kontaktaufnahme mit ihr bekannt gewesen seien; es zeige sich, dass die Beklagte entgegen den Behauptungen des Klägers nicht über den gesamten Sachverhalt in Kenntnis gesetzt worden sei, weshalb die Deckungsablehnung zu Recht erfolgt sei. Dem Kläger ist daher zuzustimmen, dass durch das (widersprüchliche) Verhalten der Beklagten nicht völlig zweifelsfrei die bisher aktuelle Gefährdung seiner Rechtsposition auf Dauer beseitigt wird. Bei einem solchen Vorgehen der Beklagten kann auch nicht von „rein theoretischen Befürchtungen“ des Klägers gesprochen werden, sodass sein rechtliches Interesse an der Feststellung der Versicherungsdeckung im Sinn des § 228 ZPO schon deshalb fortbesteht.

[24] 6. Der Revision des Klägers war daher Folge zu geben und dessen Feststellungsklage mit den aus dem Spruch ersichtlichen Einschränkungen stattzugeben, weil sich der Kläger in der Revision ausdrücklich mit der Begrenzung der Deckung auf das Verfahren erster Instanz bei einem Streitwert von 10.000 EUR einverstanden erklärt hat.

[25] 7. Die Kostenentscheidung beruht für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren auf § 43 Abs 2 iVm § 50 ZPO, für das Revisionsverfahren auf §§ 50, 41 ZPO.

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