OGH 17Ob12/23y

OGH17Ob12/23y11.7.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, die Hofrätinnen Mag. Malesich und Dr. Kodek und die Hofräte Dr. Stefula und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P* GmbH, *, vertreten durch Mag. Klaus Ferdinand Lughofer und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Dr. R* als Massverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der T* GmbH, vertreten durch Beurle Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Linz, wegen 45.867,45 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgerichtvom 27. Februar 2023, GZ 1 R 20/23a‑33, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 6. Dezember 2022, GZ 4 Cg 106/21g‑28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0170OB00012.23Y.0711.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Insolvenzrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.665,14 EUR (hierin enthalten 444,19 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Mit Beschluss des Landesgerichts Linz vom 4. Juli 2013 wurde über das Vermögen der T* GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Masseverwalter bestellt.

[2] Der nunmehrige Geschäftsführer der Klägerin war aufgrund eines zwischen dieser und der späteren Schuldnerin geschlossenen Werkvertrags ab 13. August 2012 für Letztere als Geschäftsführer tätig. Am Tag nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens trat der Beklagte in diesen Werkvertrag ein; der Geschäftsführer der Klägerin übte die Geschäftsführungstätigkeit für die Schuldnerin daraufhin bis 28. Oktober 2013 aus.

[3] Gegen den Geschäftsführer der Klägerin wurde nach Insolvenzeröffnung wegen des Verdachts des Vergehens der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen (§ 159 iVm § 161 StGB) strafrechtlich ermittelt. Mit Urteil des Landesgerichts Linz vom 5. Mai 2020 wurde er gemäß § 259 Z 3 StPO von dem gegen ihn erhobenen Strafantrag freigesprochen, in dem ihm zusammengefasst angelastet worden war, ab 13. August 2012 als Geschäftsführer der Schuldnerin durch näher umschriebene Verhaltensweisen entgegen den Grundsätzen ordentlichen Wirtschaftens gehandelt und dadurch grob fahrlässig die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin herbeigeführt zu haben. Für seine Verteidigung in diesem Strafverfahren entstanden ihm (nach Abzug des ihm zugesprochenen Pauschalkostenbeitrags) Rechtsanwaltskosten von insgesamt 45.867,45 EUR. Diese Forderung wurde nicht als Forderung in der Insolvenz der Schuldnerin angemeldet.

[4] Die Klägerin begehrt den Ersatz dieser Anwaltskosten mit der Behauptung, sie habe ihrem Geschäftsführer diesen Betrag gegen Abtretung der korrespondierenden Ansprüche bezahlt. Der Geschäftsführer einer GmbH habe gegen diese gemäß § 1014 ABGB einen Anspruch auf Übernahme der Verfahrenskosten, wenn ein aufgrund seiner Geschäftsführertätigkeit gegen ihn geführtes Strafverfahren mit einer Einstellung oder mit Freispruch ende, er die dem Strafverfahren zugrunde liegenden Geschäfte gegenüber der Gesellschaft ordnungsgemäß und in deren Interesse geführt habe und die inkriminierten Handlungen im Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit stünden, sich also ein berufsspezifisches Risiko verwirklicht habe, das nicht bereits durch die Höhe des Gehalts oder eine vertragliche Vereinbarung abbedungen worden sei. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt. Da der Beklagte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in den Werkvertrag eingetreten sei und die Dienstleistung des Geschäftsführers weiter in Anspruch genommen habe und das strafrechtliche Ermittlungsverfahren erst im Oktober 2013 eingeleitet worden sei, liege eine Masseforderung vor.

[5] Der Beklagte wendete insbesondere ein, beim geltend gemachten Anspruch handle es sich nicht um eine Masse-, sondern vielmehr um eine Insolvenzforderung, die daher im Insolvenzverfahren angemeldet werden hätte müssen.

[6] Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang (zum ersten Rechtsgang siehe 17 Ob 17/22g) das Klagebegehren ab. Die eingeklagte Forderung sei als Insolvenzforderung zu qualifizieren, weshalb die Klage unschlüssig sei. Der behauptete Schadenersatzanspruch sei im Übrigen auch verjährt. Außerdem sei eine Risikohaftung nach § 1014 ABGB hier schon deshalb ausgeschlossen, weil kein Vertragsverhältnis zwischen der Schuldnerin und ihrem früheren Geschäftsführer bestanden habe, sondern bloß ein Werkvertrag zwischen der Schuldnerin und der Klägerin, aufgrund dessen der Geschäftsführer für die Schuldnerin tätig geworden sei.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Eine Insolvenzforderung liege vor, wenn bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits sämtliche Tatbestandserfordernisse für das Entstehen der Forderung erfüllt seien, möge sie auch noch nicht fällig oder vom Eintritt weiterer Bedingungen abhängig sein. Der insolvenzrechtliche Bedingungsbegriff sei aufgrund des Zwecks des § 16 IO weit zu verstehen; es genüge, dass die Forderung bereits vor Insolvenzeröffnung mit gewisser Wahrscheinlichkeit „angelegt“ sei, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht „endgültig entstanden“ sei. Dies sei hier der Fall, weil sich die strenge Risikohaftung nach § 1014 zweiter Halbsatz, zweiter Fall ABGB, auf die sich die Klägerin stütze, im Wesentlichen darauf zurückführen lasse, dass der Gewaltgeber die schadensgeneigte Tätigkeit des Gewalthabers im eigenen Interesse veranlasse und dabei eigene Vorteile verfolge, sodass er auch die auftragsspezifischen Risiken tragen solle. Andere haftungsbegründende Umstände müssten nicht mehr hinzutreten, sodass sich der gesamte relevante Sachverhalt bereits vor Insolvenzeröffnung zugetragen habe, auch wenn ein Ersatzanspruch freilich nicht vor Schadenseintritt entstanden sein könne. Dass es sich bei der Risikohaftung um eine vertraglich begründete Haftung handle, mache den Ersatzanspruch noch nicht zu einem Erfüllungsanspruch iSd § 46 Z 4 IO. Das Erstgericht sei auch zutreffend davon ausgegangen, dass § 1014 ABGB speziell für Bevollmächtigungsverträge gelte, während hier kein Auftragsverhältnis zu beurteilen sei, sondern ein Werkvertrag, bei dem schon aufgrund der abweichenden Interessenlage und Risikoverteilung ein verschuldensunabhängiger Anspruch nicht in Betracht komme. Die Klage wäre daher selbst dann nicht berechtigt, wenn es sich um eine Masseforderung handelte. Auf die Frage der Verjährung komme es nicht mehr an.

[8] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob der bloße haftungsbegründende Umstand, dass der Machthaber vor Insolvenzeröffnung auftragsgemäß mit typischem Risiko verbundene Geschäftsbesorgungen durchgeführt habe, zur Qualifikation der sich daraus allenfalls ergebenden Risikohaftung des Machtgebers nach § 1014 ABGB als Insolvenzforderung ausreiche, auch wenn der aus dieser Geschäftstätigkeit resultierende Schaden des Machthabers erst nach Insolvenzeröffnung eingetreten sei.

[9] Die Revision der Klägerin ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[10] 1. Die Vorinstanzen haben das Vorliegen einer Masseforderung zutreffend verneint.

[11] 1.1. Masseforderungen iSd § 46 IO sind Forderungen, die in der Regel erst nach Insolvenzeröffnung entstanden sind und denen ein vorrangiges Befriedigungsrecht zukommt (Widhalm‑Budak in KLS2 § 46 IO Rz 1).

[12] 1.2. Von den Tatbeständen des § 46 IO kommt im vorliegenden Fall von vornherein nur Z 4 in Betracht; danach sind Masseforderungen – unbeschadet der Z 3 und des § 21 Abs 4 IO – Ansprüche auf Erfüllung zweiseitiger Verträge, in die der Insolvenzverwalter eingetreten ist. Wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben, ist dieser Tatbestand hier allerdings nicht einschlägig:

[13] 1.2.1. Gemäß § 1014 ABGB hat der Gewaltgeber dem Gewalthaber allen zur Besorgung des Geschäfts notwendig oder nützlich gemachten Aufwand, selbst bei fehlgeschlagenem Erfolg, zu ersetzen, und ihm auf Verlangen zur Bestreitung der baren Auslagen auch einen angemessenen Vorschuss zu leisten; er muss ferner allen durch sein Verschulden entstandenen oder mit der Erfüllung des Auftrags verbundenen Schaden vergüten. Diese Regelung beruht darauf, dass die Geschäftsbesorgung nach §§ 1002 ff ABGB auf Rechnung des Machtgebers erfolgt, und auf der damit verbundenen Risikoverteilung. Der Machtgeber soll also alle Vorteile aus dem in seinem Interesse getätigten Geschäft erlangen, muss aber umgekehrt die Kosten und alle geschäftsspezifischen Risiken tragen, auch wenn ihn kein Verschulden trifft (Apathy/Burtscher in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5 § 1014 ABGB Rz 1 mwN). Nach § 1014 zweiter Halbsatz, zweiter Fall ABGB hat der Machtgeber dem Machthaber den positiven Schaden zu ersetzen, der ex causa mandati, also in seinem Risikobereich infolge erhöhter typischer Gefahren des aufgetragenen Geschäfts entstanden ist. Der Ersatzanspruch setzt kein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Machtgebers voraus. Ausschlaggebend für die strenge Risikohaftung ist vielmehr, dass der Gewaltgeber die schadensgeneigte Tätigkeit des Gewalthabers im eigenen Interesse veranlasst und dabei eigene Vorteile verfolgt, sodass er auch die auftragsspezifischen Risiken tragen soll. Der Schadenseintritt muss im Vergleich zum allgemeinen Lebensrisiko des Privatlebens durch die aufgetragene Tätigkeit vorhersehbar wahrscheinlicher geworden, der Gewalthaber also im Interesse des Machtgebers einer erhöhten Gefahr ausgesetzt sein (Risikozusammenhang), wie etwa im Fall von Schäden eines Verkaufskommissionärs wegen eines verlorenen Gewährleistungsprozesses (Apathy/Burtscher in Schwimann/Kodek 5 § 1014 ABGB Rz 11 mwN; vgl auch RS0019747).

[14] 1.2.2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits judiziert, dass (ua) eine mit Verfahrenseinstellung oder – wie hier – Freispruch endende Strafverfolgung des Geschäftsführers wegen seiner Geschäftsführertätigkeit dann grundsätzlich als spezielles und von § 1014 ABGB umfasstes Risiko zu beurteilen ist, wenn die Geschäftsführung eine (auch gegenüber der Gesellschaft) ordnungsgemäße war (9 ObA 326/99b JBl 2000, 530 [insoweit zustimmend Kerschner] = RS0113223).

[15] 1.2.3. Die Klägerin argumentiert in diesem Zusammenhang damit, dass der Insolvenzverwalter in den mit ihr geschlossenen Werkvertrag, aufgrund dessen ihr Geschäftsführer die Geschäftsführertätigkeit für die Schuldnerin ausübte, eingetreten, also nicht gemäß § 21 IO davon zurückgetreten ist. Allerdings macht der bloße Umstand, dass es sich bei der Risikohaftung gemäß § 1014 ABGB um eine vertraglich begründete Haftung handelt, den Ersatzanspruch noch nicht zu einem Erfüllungsanspruch iSd § 46 Z 4 IO. Zweck dieser Bestimmung ist es, zu gewährleisten, dass derjenige, der seine vollwertige Leistung weiterhin der Masse zugute kommen lassen muss, die dafür zu entrichtende volle Gegenleistung erhalten und nicht auf eine Insolvenzforderung beschränkt sein soll (5 Ob 304/81 = RS0065003). Ausgehend von diesem Telos sollen von der Regelung nur jene Forderungen aus Vertragsverhältnissen erfasst sein, die den Leistungsaustausch nach Insolvenzeröffnung betreffen, nicht aber solche, die aufgrund anderer Umstände entstehen (8 Ob 294/01w; Engelhart in Konecny, Insolvenzgesetze § 46 IO Rz 287).

[16] 1.3. Folglich ist der eingeklagte Anspruch entgegen dem Rechtsstandpunkt der Klägerin nicht als Masseforderung zu qualifizieren, sodass die Vorinstanzen das Klagebegehren zu Recht abgewiesen haben. Ein Eingehen auf die Frage, ob in der vorliegenden Konstellation (Geschäftsführertätigkeit aufgrund eines Werkvertrags zwischen der Schuldnerin und der Klägerin) überhaupt eine Risikohaftung nach § 1014 ABGB denkbar ist, ist daher ebenso entbehrlich wie die Behandlung des Verjährungseinwands.

[17] 2. Die Revision muss daher erfolglos bleiben.

[18] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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