European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00100.23A.0704.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts ersatzlos aufgehoben wird.
Begründung:
[1] Der 10‑jährige A* ist das uneheliche Kind seiner Eltern. Die Obsorge kommt den Eltern gemeinsam zu, betreut wird der Minderjährige im Haushalt der Mutter. Die Beziehung der Eltern ist seit vielen Jahren hoch konflikthaft, dies insbesondere betreffend Umfang und Modalitäten des Kontaktrechts. Nachdem zuletzt zwischen den Eltern ein 14‑tägiges Kontaktrecht von Freitag bis Sonntag vereinbart worden war, dessen Ausweitung der Vater beantragte, beantragte die Mutter dessen Aussetzung aufgrund der damit verbundenen psychischen Belastungen des Minderjährigen.
[2] Im Zug des vom Erstgericht darüber geführten Verfahrens, in dem es auch eine kinderpsychologische Sachverständige bestellt hatte, erklärte der Vater, mit der beantragten Aussetzung der Kontakte einverstanden zu sein, zumal ihm keine andere Wahl bleibe und er seinen Sohn das letzte Mal am 1. Jänner gesehen habe.
[3] Mit Beschluss des Erstgerichts vom 13. 12. 2022 setzte dieses daher das Recht des Vaters und des mj A* auf persönliche Kontakte miteinander vorübergehend aus. Es verpflichtete den Vater gemäß § 107 Abs 3 Z 1 AußStrG unter Anführung konkret zu behandelnder Themen zum Besuch einer Eltern‑ und Erziehungsberatung im Ausmaß von zumindest acht monatlichen Einheiten à 45 Minuten sowie dazu, dem Gericht innerhalb eines Monats ab Rechtskraft des Beschlusses den Beginn dieser Elternberatung nachzuweisen und über den Verlauf der Elternberatung alle zwei Monate zu berichten. Die vorläufige Aussetzung der regelmäßigen Kontakte zwischen A* und seinem Vater entspreche dem Wohl des Minderjährigen am Besten, weil der Vater nicht in der Lage sei dessen Belastungen hiedurch zu erkennen. Dem Vater sei durch professionelle Unterstützung und Anleitung vor Augen zu führen, dass die Situation bearbeitet gehöre und sich negativ auf das Wohl von A* auswirken werde. Ein langfristiger Erfolg im Sinn regelmäßiger Kontakte von A* zu seinem Vater sei nur durch das Stärken der elterlichen Kompetenz des Vaters möglich, weshalb er zur Inanspruchnahme einer Erziehungs‑ und Elternberatung zu verpflichten sei. Dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft.
[4] Nach Aufforderung des Erstgerichts, eine Bestätigung über den Beginn der Eltern‑ und Erziehungsberatung dem Gericht vorzulegen, teilte der Vater mit, dass er an Erziehungs‑ und Elternberatungen nicht teilnehmen werde, weil er weder indirekten noch direkten Kontakt zu seinem Sohn mehr pflegen wolle.
[5] Das Erstgericht verhängte über den Vater wegen Nichtbefolgung des gerichtlichen Auftrags betreffend Eltern‑ und Erziehungsberatung gemäß § 79 Abs 3 AußStrG eine Geldstrafe von 250 EUR.
[6] In dem vom Vater dagegen erhobenen Rekurs erklärte er, sämtliche von ihm gestellten Anträge auf Kontaktrecht zurückzuziehen und wendete sich gegen die Höhe der Geldstrafe.
[7] Das Rekursgericht gab dem Rekurs nicht Folge. Die Festsetzung persönlicher Kontakte des Kindes mit dem Elternteil und die zwangsweise Durchsetzung des Kontaktrechts auch gegen den Willen des getrennt lebenden Elternteils sei möglich, wenn dies dem Kindeswohl entspreche. Wenn nach sorgfältiger Prüfung aller konkreten Umstände des Einzelfalls persönliche Kontakte zwischen dem Kind und dem Elternteil dem Kindeswohl dienen, solle dieses daher auch gegen den Willen des Elternteils bewirkt und erforderlichenfalls mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Die vom Erstgericht aufgetragene Eltern‑ und Erziehungsberatung verfolge den Zweck, in Zukunft wieder direkte Kontakte zwischen A* und seinem Vater zu ermöglichen. Diese Kontakte könnten auch gegen den Willen des Vaters erforderlichenfalls mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Dass der Vater derzeit keinen Kontakt zu seinem Sohn wünsche, sei kein Grund für das Nichtbefolgen der gerichtlichen Anordnung. Der Höhe nach sei die Geldstrafe unbedenklich.
[8] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nicht zu, weil der Frage, ob im Einzelfall eine Zwangsmaßnahme zu verhängen sei, keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
[9] In seinem außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Vater den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die verhängte Zwangsmaßnahme ersatzlos behoben werde, in eventu stellt er einen Aufhebungsantrag.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil den Vorinstanzen eine im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Er ist auch berechtigt.
[11] 1. Beschwerdegegenstand ist bei Beugestrafen – selbst bei Verhängung einer Geldstrafe – nicht deren Geldwert, sondern die Bestrafung als solche (RS0038625; 5 Ob 230/21s). Der Ausspruch einer Beugestrafe ist in keinem Fall rein vermögensrechtlicher Natur. Der Revisionsrekurs ist daher wertunabhängig nach Maßgabe des § 62 Abs 1 AußStrG zu behandeln (RIS‑Justiz RS0038625 [T2]; 5 Ob 230/21s).
[12] 2. Im Vollstreckungsverfahren nach § 110 AußStrG iVm § 79 Abs 2 AußStrG ist eine Zweiseitigkeit des Rechtsmittelverfahrens nicht ausdrücklich vorgesehen (RS0120860 [T16]). § 68 Abs 1 AußStrG sieht die Einholung einer Revisionsrekursbeantwortung nur für Beschlüsse vor, mit denen über die Sache oder über die Kosten entschieden wurde. Dies ist bei der hier zu entscheidenden Frage der Berechtigung einer (amtswegigen) Verhängung einer Zwangsmaßnahme nicht der Fall. Die Einräumung rechtlichen Gehörs der Mutter hält der Senat nicht für geboten.
[13] 3. In seinem Revisionsrekurs führt der Vater ins Treffen, das Rekursgericht sei von höchstgerichtlicher Rechtsprechung (7 Ob 1547/94; RS0047981 [T1]) abgewichen, wonach einem kontaktunwilligen Vater ein Verweigerungsrecht zuzugestehen sei. Da er schon in seiner Äußerung vor dem Erstgericht und dann neuerlich im Rekurs auf jegliches Kontaktrecht zu seinem Sohn verzichtet habe, sei die Beugestrafe hinfällig geworden. In der Praxis werde es nicht nur nicht funktionieren, sondern auch kontraproduktiv für das Kindeswohl sein, einen Vater zum Kontakt mit seinem Kind und in Vorbereitung darauf zu einer Elternberatung zu zwingen. Die verhängte Zwangsmaßnahme sei untauglich, von ihr daher abzusehen.
Hiezu wurde erwogen:
[14] 4.1. Nach § 107 Abs 3 AußStrG hat das Gericht zur Sicherung des Kindeswohls die erforderlichen Maßnahmen (etwa den verpflichteten Besuch einer Familien‑, Eltern‑ oder Erziehungsberatung) anzuordnen, soweit dadurch nicht Interessen einer Partei, deren Schutz des Verfahrens dient, gefährdet oder Belange der übrigen Parteien unzumutbar beeinträchtigt werden. Erforderlichenfalls kann das Gericht diese mit Zwangsmitteln nach § 79 AußStrG durchsetzen (Beck in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG2 § 107 Rz 14 mwN; 5 Ob 230/21s). Gemäß § 110 Abs 2 AußStrG hat das Pflegschaftsgericht auf Antrag oder von Amts wegen angemessene Zwangsmittel nach § 79 Abs 2 AußStrG zur Durchsetzung von Regelungen der Obsorge oder des Rechts auf persönliche Kontakte anzuordnen. Gemäß § 79 Abs 2 Z 1 AußStrG kommt dafür insbesondere die Verhängung von Geldstrafen in Betracht, für deren Ausmaß und Rückzahlung § 359 EO sinngemäß gilt.
[15] 4.2. Der Oberste Gerichtshof sprach zu solchen Maßnahmen bereits aus (4 Ob 225/16s), dass – wenn auch § 107 Abs 3 AußStrG keine Einschränkung dahin enthält, dass die dort vorgesehenen Maßnahmen nur nach einem bestimmten Obsorge‑ oder Kontaktregelungsantrag zulässig sind – eine systematische Interpretation ergibt, dass die Maßnahme im Zusammenhang mit einem Obsorge‑ oder Kontaktrechtsverfahren stehen muss. § 107 Abs 1 AußStrG regelt bestimmte Sondernormen im Verfahren über die Obsorge und den persönlichen Kontakt und auch Abs 4 leg cit spricht davon, dass das Gericht mit dem Verfahren innehalten kann. In Abs 3 leg cit wird auf die Interessen der Partei Bezug genommen, deren Schutz das Verfahren dient. Die nach § 107 Abs 3 AußStrG erforderlichen Maßnahmen müssen daher mit einem Verfahren über die Ausübung der Obsorge oder des Kontaktrechts im Zusammenhang stehen. Sie sind somit entweder im Obsorge‑ oder Kontaktregelungsverfahren (Erkenntnisverfahren) oder im Verlauf der zwangsweisen Durchsetzung bestehender Obsorge‑ oder Kontaktregelungen (Vollzugsverfahren) anzuordnen (4 Ob 225/16s mwN). Im Fall, dass die verfahrensrechtliche Durchsetzung eines Kontaktrechts nicht mehr in Betracht kommt, besteht daher keine Grundlage für eine Maßnahme nach § 107 Abs 3 AußStrG.
[16] 4.3. In ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass von der Anordnung jeder Vollzugsmaßnahme dann abzusehen ist, wenn sie dem Kindeswohl zuwiderläuft. Von einer bestimmten Vollzugsmaßnahme ist insbesondere dann abzustehen, wenn sie nach den konkreten Umständen zur Erreichung des angestrebten Zwecks untauglich oder unverhältnismäßig (und in diesem Sinn „untauglich“) ist (RS0008614 [T3]). Wenn auch in der Regel der Frage, ob im Einzelfall eine Zwangsmaßnahme zu verhängen ist, keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (RS0008614 [T4]), was sinngemäß für die ebenso einzelfallabhängige Frage gilt, ob von der Anordnung der Vollzugsmaßnahme wegen Gefährdung des Kindeswohls abzusehen ist, ist die Entscheidung des Rekursgerichts im Hinblick auf die mit dem Rekurs verbundene Rückziehung sämtlicher Kontaktrechtsanträge des Vaters hier im Einzelfall korrekturbedürftig.
[17] 5.1. Die in Rechtskraft erwachsene Anordnung der Erziehungsberatung im Sinn des § 107 Abs 3 AußStrG, die gleichzeitig mit dem Beschluss auf die vorübergehende Aussetzung des Kontaktrechts des Vaters erging, könnte als noch im Zusammenhang mit dem Kontaktrechtsverfahren stehend angesehen werden (das Obsorgeverfahren ist längst rechtskräftig abgeschlossen). Allerdings ist nicht ersichtlich, der Durchsetzung welcher bestehender Obsorge‑ oder Kontaktregelungen die amtswegige Verhängung der Geldstrafe über den Vater hier dienen könnte. Spätestens mit seiner unmissverständlichen Erklärung im Rekurs, alle gestellten Anträge auf Kontaktrecht zurückzuziehen, im Zusammenhang mit der zuvor in seiner Äußerung abgegebenen Erklärung, auf direkten oder indirekten Kontakt mit seinem Sohn zu verzichten, fehlt es im konkreten Verfahren an einer ausreichenden Grundlage zur Durchsetzung eines Kontaktrechts, weil die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Sicherungsmaßnahme nach § 107 Abs 3 AußStrG (nachträglich) weggefallen sind.
[18] 5.2. Es trifft zu, dass der Oberste Gerichtshof bereits aussprach (6 Ob 2398/96g), dass zwar ein Anspruch des Kindes auf persönlichen Verkehr mit dem Elternteil besteht, bei dem es nicht betreut wird. Da aber ein mit Zwangsmitteln gegen den Willen des mündigen Minderjährigen durchgesetzter persönlicher Verkehr dem Kindeswohl widerspricht, muss dies nach dieser Entscheidung umgekehrt auch dann gelten, wenn der eigenberechtigte Elternteil sein Kontaktrecht nicht ausüben will. Zu 7 Ob 1547/94 hatte der Oberste Gerichtshof dem besuchsunwilligen Vater aus diesem Grund auch ein Verweigerungsrecht zugestanden. Diese Entscheidungen ergingen – was der Revisionsrekurswerber verkennt – vor dem Inkrafttreten des KindNamRÄG 2013, das seit 1. 2. 2013 die Festsetzung persönlicher Kontakte des Kindes mit dem Elternteil und auch die Vollstreckung dieser Regelung selbst gegen den Willen dieses Elternteils für zulässig erklärt (Beck in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG I2 § 108 AußStrG Rz 27). Die behauptete Abweichung des Rekursgerichts von höchstgerichtlicher Rechtsprechung liegt im Hinblick auf die geänderte Rechtslage daher nicht vor.
[19] 5.3. Allerdings wird eine Erzwingung persönlicher Kontakte gegen den Willen des getrennt lebenden Elternteils auch nach der aktuellen Rechtslage eher die Ausnahme bleiben (vgl Beck in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG I2 § 108 AußStrG Rz 28 mwN). Ob hier von einem derartigen Ausnahmefall auszugehen wäre (was jedenfalls einer sorgfältigen Abklärung der Interessenslage und des Kindeswohls im Rahmen einer Einzelfallbeurteilung bedürfte – vgl Beck aaO), kann dahinstehen. Die verhängte Zwangsmaßnahme dient der Erzwingungeiner Eltern‑ und Erziehungsberatung, die ihrerseits der Vorbereitung von (aktuell ausgesetzten) Kontakten zwischen dem Minderjährigen und seinem Vater dienen soll. Nach der ausdrücklich erklärten Weigerung des Vaters sind Kontakte zwischen ihm und seinem Sohn im Umfang der bisherigen Kontaktregelung nicht mehr aktuell. Eine zwangsweise Durchsetzung dieser Kontakte haben aber weder der Minderjährige noch dessen Mutter beantragt, nach dem Akteninhalt geht deren Absicht in die gegenteilige Richtung. Damit handelt es sich – beim aktuellen Stand des Pflegschaftsverfahrens, in dem keine offenen Anträge ersichtlich sind – bei der verhängten Geldstrafe letztlich um eine zur Erreichung des angestrebten Zwecks untaugliche Maßnahme (vgl RS0008614), von der – jedenfalls derzeit – abzusehen ist.
[20] 6. Damit war in Stattgebung des Revisionsrekurses des Vaters der angefochtene Beschluss im Sinn einer ersatzlosen Aufhebung des Beschlusses über die Verhängung der Geldstrafe abzuändern.
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