OGH 7Ob86/23g

OGH7Ob86/23g28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* K*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 27. Februar 2022, GZ 50 R 20/23g‑17, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 4. Jänner 2023, GZ 3 C 371/21m‑13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00086.23G.0628.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 751,92 EUR (darin enthalten 125,32 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht seit 2003 ein Rechtsschutzversicherungsvertrag dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung ARB 2012 – Fassung 10/2012 (R 913) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

[...]

3. In den übrigen Fällen, insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens (Artikel 17.2.1, Artikel 18.2.1, Artikel 19.2.1), sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Artikel 23.2.1 und Artikel 24.2.1.1) – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen [...].

Artikel 7

Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?

1. Sofern nichts anderes vereinbart ist, besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen

[...]

1.6 aus dem Bereich des Kartell‑ oder sonstigen Wettbewerbsrechts;

[...]

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruchs zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

1.1 den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;

[...]

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? Was hat bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer über die Art der Vorgangsweise oder die Erfolgsaussichten zu geschehen? (Schiedsgutachterverfahren)

[...]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhalts unter Berücksichtigung der Rechts‑ und Beweislage zum Ergebnis,

[...]

2.2 dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d.h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist, als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.

[...]

Artikel 19

Schadenersatz‑ und Strafrechtsschutz für den Privat‑, Berufs‑ und Betriebsbereich

[...]

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst

2.1 Schadenersatz‑Rechtsschutz

für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Personen‑, Sach‑ oder Vermögensschadens.

[…]“

Rechtliche Beurteilung

[2] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

[3] 1. Das Erstgericht beurteilte – entsprechend dem Vorbringen des Klägers und der bestehenden oberstgerichtlichen Judikatur (7 Ob 130/22a mwN) – den Eintritt des Versicherungsfalls nach Artikel 2.3 ARB. Darauf, dass der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls nicht nach Artikel 2.3 ARB, sondern nach Artikel 2.1 ARB zu beurteilen sei, hat sich die Beklagte im erstgerichtlichen Verfahren nicht berufen.

[4] 2.1 Hier hat der Versicherungsnehmer während des versicherten Zeitraums einen gebrauchten Diesel‑PKW erworben und begehrt Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung eines auf § 1295 ABGB sowie § 874 ABGB gestützten Anspruchs auf Ersatz des Minderwerts (30 % des Kaufpreises) gegen die Herstellerin wegen des Kaufs eines Fahrzeugs, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden sei.

[5] 2.2 Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach dargelegt, dass der damit behauptete deliktische Anspruch gegen die Herstellerin eines Kraftfahrzeugs von Artikel 19.1.2 ARB umfasst ist (7 Ob 91/22s, 7 Ob 130/22a).  Unerfindlich ist, dass die Beklagte beharrlich davon ausgeht, dass der Kläger die Verfolgung allein auf Vertrag beruhender Ansprüche anstrebe, die nicht dem Schadenersatzrechtsschutz zu unterstellen seien.

[6] 3.1 In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144).

[7] 3.2 Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass das anspruchsbegründende Vorbringen des Klägers nicht unschlüssig sei und eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs bestehe, ist nicht zu beanstanden (vgl 7 Ob 61/22d, 7 Ob 129/22d, 7 Ob 130/22a). Der vorliegende Sachverhalt ist entgegen der Ansicht der Revision auch nicht mit jenem der Entscheidung 7 Ob 152/22m vergleichbar, lag dieser doch die beabsichtigte undifferenzierte Klagsführung gegen Hersteller und Verkäufer zugrunde.

[8] 4.1 Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 7 Ob 95/21b zu einer identen Bedingung (Art 7.1.6 ARB 2009) dahin Stellung nahm, dass für einen durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer der darin geregelte Ausschluss nur dahin zu verstehen ist, dass der Versicherer für die Verfolgung von ihm nach Kartell‑ oder sonstigen Wettbewerbsrecht (einschließlich UWG) zustehenden Ansprüchen keine Deckung übernimmt.

[9] 4.2 Entgegen der Ansicht der Beklagten beurteilte der EuGH in seiner Entscheidung C‑100/21 Artikel 5 Abs 2 der Verordnung (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) nicht dahin, dass diese Bestimmung den fairen Wettbewerb regle. Einen Bezug zum fairen Wettbewerb stellte der EuGH lediglichim Zusammenhang mit den in Artikel 46 der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge in der durch die Verordnung (EG) Nr 385/2009 der Kommission vom 7. Mai 2009 geänderten Fassung (Rahmenrichtlinie) vorgesehenen Sanktionen her. Ein weiteres Eingehen erübrigt sich.

[10] 4.3.1 Der Kläger hat hier Deckung für das in Pkt 2.1 dargestellte Begehren beansprucht und zusätzlich im hier für die Beurteilung relevanten erstgerichtlichen Verfahren ausdrücklich klargestellt, dass er sich im Haftpflichtprozess weder auf kartellrechtliche noch auf wettbewerbsrechtliche Anspruchsgrundlagen stützen werde. Damit ist auch klargestellt, dass die Verfolgung der letztgenannten Ansprüche vom vorliegenden Deckungsbegehren und daher dem auf dessen Grundlage ergangenen Feststellungsurteil nicht umfasst sind.

[11] 4.3.2 Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Kläger im Deckungsprozess nicht verpflichtet, allfällige – vom beklagten Versicherer erst einzuwendende – Risikoausschlüsse zu berücksichtigen und seinem Begehren insoweit eine einschränkende Formulierung zu geben (auch keine entsprechende Pflicht des Gerichts vgl 7 Ob 89/23y). Dies gilt umso mehr, als der Kläger im vorliegenden Fall auch keine Deckung für die von der Beklagten in Art 7.1.6 ARB ausgeschlossenen Risiken begehrt.

[12] 5. Zur behaupteten Obliegenheitsverletzung gemäß Artikel 8.1.1 ARB ist die Revision nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sich die Beklagte mit den Argumenten der Vorinstanzen nicht auseinandersetzt (vgl RS0043603 [insb T9]), wonach die von ihr geforderten Informationen zur Beurteilung ihrer Deckungspflicht nicht notwendig seien, sondern ausschließlich die im Haftpflichtprozess zu klärenden Tat‑ und Rechtsfragen betreffen würden und sie darüber hinaus nach Ablehnung ihrer Deckungspflicht – vor Einbringung der gegenständlichen Deckungsklage – auch gar keine weiteren Informationen oder Unterlagen abgefordert habe. Im Übrigen besteht nach 7 Ob 190/22z eine weitere Auskunftsobliegenheit nach Deckungsablehnung nur, wenn der Versicherer darlegt, inwieweit noch ein Aufklärungsbedürfnis gegeben ist.

[13] 6. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

[14] 7d. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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