European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00081.23X.0628.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Beklagte war von 2002 bis 2008 Geschäftsführer der C* GmbH, über deren Vermögen das Handelsgericht Wien im Jahr 2016 das Konkursverfahren eröffnete.
[2] Im Verfahren 22 Cg * des Landesgerichts Wiener Neustadt verpflichtete das Oberlandesgericht Wien den Beklagten gegenüber der dort klagenden W* aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes (§ 1311 ABGB iVm § 69 Abs 1 und 3 KO) zur Zahlung von 186.813,86 EUR sA, weil er als Geschäftsführer der C* GmbH deren Konkurseröffnung schuldhaft verschleppt hatte.
[3] Da der Beklagte den genannten Betrag nicht zahlen wollte, wandte er sich an den damaligen Geschäftsführer der M* (in der Folge Schuldnerin) um Hilfe. Daraufhin übernahm die Schuldnerin auf Weisung ihresGeschäftsführers die Schuld des Beklagten und schloss mit der W* eine Ratenvereinbarung über die damals noch aushaftenden 174.082,82 EUR. Dieser Betrag wurde von der Schuldnerin bis Mai 2017 zur Gänze bezahlt.
[4] Im Jahr 2019 eröffnete das Handelsgericht Wien das Konkursverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Kläger als Masseverwalter.
Rechtliche Beurteilung
[5] 1. Die behauptete Aktenwidrigkeit des Berufungsurteils wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
[6] 2. Wer irrtümlich in der Absicht, eine gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Verpflichtung zu erfüllen, eine Leistung erbracht hat, auf die der Empfänger in Wahrheit keinen Anspruch hatte, kann sie nach § 1431 ABGB zurückfordern.
[7] 2.1. Voraussetzung für die Geltendmachung eines Anspruchs nach § 1431 ABGB ist unter anderem, dass die Leistung auf einem Irrtum beruht, der die zu zahlende Schuld oder den Gegenstand, den der Zahler leistete, betrifft (RS0014891). Der Irrtum nach § 1431 ABGB unterscheidet sich wesentlich von dem nach § 871 ABGB erforderlichen Irrtum. Im Gegensatz zu Letzterem ist bei dem Irrtum im Sinne des § 1431 ABGB ein qualifizierter Irrtum nicht erforderlich (RS0014880). Es kann sich um einen Tatsachen- oder Rechtsirrtum handeln (RS0033607 [T5]; RS0014880). Auch ist bedeutungslos, ob der Zuwendende seinen Irrtum verschuldet hat (RS0033607). Der Irrtum ist aber eine anspruchsbegründende Tatsache, deren Behauptung und im Bestreitungsfalle auch Beweis dem Kondiktionskläger obliegt, es sei denn, dass nach der Sachlage die wissentliche Zahlung einer Nichtschuld nicht in Frage kommt (RS0033548; RS0033558).
[8] 2.2. Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt (RS0042828). Dabei gibt allein das Vorbringen des Klägers das Substrat, aus dem die Berechtigung des Begehrens abzuleiten ist (9 Ob 11/22s; vgl auch RS0037870). Die Auslegung von Prozessvorbringen stellt daher, soweit es sich um keine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung handelt, regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0042828 [T23]).
[9] 2.3. Unabhängig von der Frage des Vorliegens einer Schenkung, ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, § 1431 ABGB scheide als Anspruchsgrundlage aus, weil der Kläger in erster Instanz kein Tatsachenvorbringen dazu erstattet habe, dass die Leistung der Schuldnerin an die W* auf einem Irrtum beruhe, der die zu zahlende Schuld betreffe, nicht korrekturbedürftig. Das Vorbringen des Klägers in erster Instanz beschränkte sich auf die Behauptung, die Schuldnerin habe die Zahlung ohne Rechtsgrund geleistet und sei daher „entreichert“ und nach der Sachlage komme die wissentliche Zahlung einer Nichtschuld zumindest in Frage. Wenn der Kläger nunmehr in der außerordentlichen Revisionbehauptet, der Geschäftsführer der Schuldnerin sei irrtümlich davon ausgegangen, diese hafte für die Verbindlichkeit des Beklagten gegenüber der W*, verstößt er gegen das Neuerungsverbot (§ 504 Abs 2 ZPO; RS0037612). Allein die wissentliche Zahlung einer Nichtschuld bildet aber nach § 1432 ABGB keinen Rückforderungsgrund.
[10] 3. Der Kläger behauptet auch erstmals in der Revision, sein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch gegenüber dem Beklagten bestehe nach „§ 877 ABGB und analog § 877 ABGB“.
[11] § 877 ABGB gewährt Bereicherungsansprüche, wenn „die Aufhebung eines Vertrags aus Mangel der Einwilligung verlangt“ wird. Der unmittelbare Anwendungsbereich des § 877 ABGB liegt in der Rückforderung von Leistungen, die aufgrund eines Vertrags erbracht worden sind, der (später) wegen eines Willensmangels mit schuld‑ und sachenrechtlicher ex tunc-Wirkung angefochten wird. Im Sinne einer allgemeinen Grundlage für eine condictio sine causa wird der Anwendungsbereich des § 877 ABGB von der überwiegenden Auffassung auf bestimmte Nichtigkeitsfälle erweitert: Dies betrifft etwa Nichtigkeit wegen fehlender Geschäftsfähigkeit, wegen Verbots‑ und Sittenwidrigkeit (§ 879 ABGB) oder bei Vorliegen eines Scheingeschäfts (Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.03 § 877 Rz 1; Rummel in Rummel/Lukas 4 § 877 Rz 1 f; Riedler in Schwimann/Kodek 5 § 877 ABGB Rz 1; vgl auch RS0016321).
[12] Dass sich die Schuldnerin bereits zum Zeitpunkt der Zahlungen an die W* in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden und der Geschäftsführer der Schuldnerin mit der Zahlung daher gegen „gesetzliche Vorschriften“ verstoßen habe, hat der Kläger in erster Instanz nicht behauptet, sodass auch insoweit ein Verstoß gegen das Neuerungsverbot vorliegt. Derartiges ergibt sich entgegen seiner Ansichtauch nicht aus dem festgestellten Sachverhalt.
[13] 4. Letztlich ist auch die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Kläger habe kein Vorbringen zu einem rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten des Beklagten erstattet, sodass auch der behauptete Schadenersatzanspruch nicht zu Recht bestehe, nicht korrekturbedürftig. Eine vom Kläger möglicherweise ins Auge gefasste Haftung des Beklagten als Gehilfe (iSd § 1301 ABGB) des Geschäftsführers der Schuldnerin würde nämlich voraussetzen, dass der Beklagte vorsätzlich handelte, was der Kläger nicht einmal ansatzweise vorgebracht hat.
[14] 5. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).
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