OGH 15Os96/22i

OGH15Os96/22i24.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Mai 2023 durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski als Vorsitzende sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz, Dr. Mann und Dr. Sadoghi in Gegenwart des Mag. Wunsch als Schriftführer in der Medienrechtssache des Antragstellers * H* gegen die Antragsgegnerin Z* GmbH wegen § 20 MedienG, AZ 113 Hv 110/21f des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Verfahrens nach Anhörung des Antragstellers und der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00096.22I.0524.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Medienrecht

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] In der Medienrechtssache des Antragstellers * H* gegen die Antragsgegnerin Z* GmbH wegen § 6 Abs 1 MedienG trug das Landesgericht für Strafsachen Wien der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 27. Oktober 2021, GZ 113 Hv 98/21s‑2, gemäß § 8a Abs 5 MedienG die Veröffentlichung einer Mitteilung über die Einleitung des Verfahrens auf.

[2] Die Antragsgegnerin veröffentlichte die Mitteilung sodann am 12. November 2021, am 18. November 2021 und am 6. Dezember 2021.

[3] Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. Dezember 2021, (nunmehr:) GZ 113 Hv 110/21f‑23, wurde der Antragsgegnerin über Antrag des Antragstellers – soweit im Verfahren über den Erneuerungsantrag relevant – wegen nicht formgerechter Veröffentlichung der aufgetragenen Mitteilung von 12. bis 24. November 2021 nach § 20 Abs 1 MedienG die Zahlung einer Geldbuße in der Höhe von 70 Euro pro Tag aufgetragen.

[4] Mit Beschluss vom 5. Jänner 2022 (ON 42) verpflichtete das Gericht die Antragsgegnerin über Antrag des Antragstellers nach § 20 Abs 1 MedienG wegen weiterhin nicht formgerechter Veröffentlichung der aufgetragenen Mitteilung von 25. November 2021 bis 5. Dezember 2021 zur Zahlung einer weiteren Geldbuße von 70 Euro pro Tag.

[5] Das Landesgericht sprach dabei in seinen Beschlüssen aus, dass der Veröffentlichungswert der am 12. November 2021 sowie am 18. November 2021 publizierten Mitteilung gemäß § 8a Abs 5 MedienG nicht dem der Primärveröffentlichungen entspreche.

[6] Die am 12. November 2021 erfolgte Veröffentlichung habe einen geringeren Auffälligkeitswert, weil allein die Wortfolge „H* beantragt Veröffentlichung über seine Klage gegen Z*“ etwa in der Größe der Überschrift der inkriminierten Publikationen verfasst, die im gerichtlichen Veröffentlichungsauftrag enthaltene Überschrift „Mitteilung gemäß § 8a Abs 5 MedienG“ aber nur in der Größe des Fließtextes abgebildet worden sei.

[7] In der Veröffentlichung vom 18. November 2021 seien die Ergänzung der Hauptüberschrift „Mitteilung gemäß § 8a Abs 5 MedienG“ durch die Wortfolge „– H* klagt Z*“ und der anschließende Leadtext unzulässige Einschaltungen iSd § 13 Abs 7 MedienG. Die im Anschluss daran erneut angeführte Überschrift „Mitteilung gemäß § 8a Abs 5 MedienG“ habe wiederum nur die Größe des Fließtextes aufgewiesen.

[8] Die Veröffentlichungen vom 12. und 18. November 2021 seien daher nicht formgerecht erfolgt.

[9] Den gegen die angeführten Beschlüsse vom 3. Dezember 2021 und vom 5. Jänner 2022 eingebrachten Beschwerden der Antragsgegnerin gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 24. Juni 2022, AZ 18 Bs 351/21f, 26/22p (ON 60), nicht Folge. Dabei schloss sich das Beschwerdegericht den Erwägungen des Erstgerichts „vollinhaltlich“ an.

Rechtliche Beurteilung

[10] Gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Wien vom 24. Juni 2022 und des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. Dezember 2021 und vom 5. Jänner 2022 richtet sich der auf eine Verletzung in den Grundrechten auf ein faires Verfahren nach Art 6 MRK, Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK sowie Schutz des Eigentums nach Art 1 1. ZPMRK gestützte Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Verfahrens. Ihm kommt keine Berechtigung zu.

[11] Für einen – wie hier – nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag (RIS‑Justiz RS0122228) gelten alle bezogen auf die Anrufung dieses Gerichtshofs normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und Art 35 MRK sinngemäß (RIS‑Justiz RS0122737). Dem Erfordernis der Ausschöpfung des Rechtswegs wird demnach entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung jedenfalls der Sache nach und gemäß den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; RIS‑Justiz RS0122737 [T13]).

[12] Da die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein (Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 13 Rz 16), hat ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine Grundrechtsverletzung iSd § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS‑Justiz RS0122737 [T17]). Dabei hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in sämtlichen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0124359) und – soweit er (auf Basis der Gesamtheit der Entscheidungsgründe) nicht Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag – seiner Argumentation die Sachverhaltsannahmen der bekämpften Entscheidung zugrunde zu legen (RIS‑Justiz RS0125393 [T1]).

[13] Den dargestellten Erfordernissen wird das Vorbringen im Erneuerungsantrag nicht gerecht.

 

Zur behaupteten Verletzung von Art 1 1. ZPMRK:

[14] Ein Verstoß gegen Art 1 1. ZPMRK wird – auch der Sache nach – im Erneuerungsverfahren erstmals behauptet. Im Beschwerdeverfahren brachte die Antragsgegnerin bloß vor, der Antragsteller hätte sich durch die seiner Ansicht nach nicht rechtskonformen Veröffentlichungen tatsächlich nicht gekränkt gefühlt und wolle durch eine Vielzahl an gegen die Antragsgegnerin und Dr. * P* angestrengten zivil- und medienrechtlichen Verfahren unangenehme Berichterstattung unterbinden, weshalb im Zusammenhalt mit dem minimalen Verschulden, der wirtschaftlich schwierigen Situation und einer höchstens äußerst geringen Abweichung von der geforderten Veröffentlichungsform das festgesetzte Bußgeld zu mäßigen gewesen wäre (ON 31 S 12 f, ON 50 S 10 f). Eine mit der Auferlegung der Geldbuße einhergehende Verletzung des nun angesprochenen Grundrechts wurde indessen nicht releviert. Solcherart legte die Beschwerde aber nicht dar, dass sich die Antragsgegnerin in diesem verletzt erachtet hätte (vgl 15 Os 54/16d).

 

Zum behaupteten Verstoß gegen Art 6 und 10 MRK:

[15] Nach dem Antragsvorbringen hätten sowohl das Erst- als auch das Beschwerdegericht durch die Außerachtlassung der gebotenen Interessenabwägung zwischen den Grundrechten der Art 8 und 10 MRK sowie das Übergehen der auf diese Veröffentlichungen bezogenen und von der Antragsgegnerin vorgebrachten Abrufstatistik sowohl das Grundrecht auf ein faires Verfahren nach Art 6 MRK als auch jenes auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK verletzt. Damit behauptet die Antragsgegnerin der Sache nach insbesondere auch eine Verletzung der Begründungspflicht.

[16] Gemäß § 8a Abs 5 MedienG iVm §§ 37 Abs 3, 34 Abs 4 und 13 Abs 3 MedienG hat die Veröffentlichung so zu erfolgen, dass ihre Wiedergabe den gleichen Veröffentlichungswert hat wie die Veröffentlichung, auf die sie sich bezieht.

[17] Der – für die Beurteilung, ob die Veröffentlichung gehörig iSd § 20 Abs 1 MedienG erfolgte, grundlegende – Begriff des gleichen Veröffentlichungswerts ist stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, wobei es darauf ankommt, ob die Veröffentlichung in ihrem Gesamteindruck die gleiche Publizität aufweist wie die inkriminierten Passagen (RIS‑Justiz RS0132495). Die Bewertung einer Veröffentlichung als gehörig liegt im – gebundenen – Ermessen der Gerichte.

[18] Eine Verletzung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 MRK ist dann gegeben, wenn die Gerichte den ihnen zukommenden Ermessensspielraum in willkürlicher Weise überschritten haben (15 Os 22/08m; 15 Os 117/21a).

[19] Eine Verletzung der Begründungspflicht (Art 6 Abs 1 MRK) liegt nur bei willkürlichen oder grob unvernünftigen Beschlussannahmen vor. Dies ist dann der Fall, wenn die Begründung eindeutig unzureichend oder offensichtlich widersprüchlich ist oder eindeutig einen Irrtum erkennen lässt (RIS‑Justiz RS0129981).

[20] Fallbezogen gelangte das Beschwerdegericht – unter Verweis auf die als zutreffend erachteten Ausführungen des Erstgerichts (BS 4 f) – anhand der Rechtsprechung zum Begriff des gleichen Veröffentlichungswerts (ON 23 S 5 ff, ON 42 S 5) nach Vornahme der gebotenen Einzelfallprüfung zu der Schlussfolgerung, die relevierten Veröffentlichungen vom 12. und 18. November 2021 hätten mit Blick auf die jeweils gewählte Schriftgröße der Überschrift nicht die gleiche Publizität wie die Anlassveröffentlichungen bewirkt. Das– vom Beschwerdegericht erwogene – Vorbringen der Erneuerungswerberin, sie hätte der „Mitteilung gemäß § 8a Abs 5 MedienG“ indessen mehrere aufmerksamkeitserregende Elemente oder Zusätze beigefügt, wodurch tatsächlich ein höherer Veröffentlichungswert erzielt worden wäre, ist nicht geeignet aufzuzeigen, das Oberlandesgericht hätte die Verhängung einer Geldbuße bloß aufgrund willkürlicher Annahmen als zulässig und damit den Eingriffstatbestand des Art 10 Abs 2 MRK als verwirklicht angesehen.

[21] Im Wesentlichen aus denselben Erwägungen trifft auch der Einwand einer Verletzung von Art 6 MRK nicht zu. Eine von der Antragsgegnerin relevierte Abrufstatistik wurde im Übrigen zu Recht unbeachtet gelassen, weil die Beurteilung der Rechtsfrage (vgl RIS‑Justiz RS0067293; Frohner/Haller, MedienG6 § 13 Rz 4), ob eine Veröffentlichung den gleichen Veröffentlichungswert wie die Primärveröffentlichung erzielt, definitionsgemäß (ex ante) auf den Veröffentlichungszeitpunkt (eignungs‑)bezogen vorzunehmen ist, sodass nachträglich eingetretene Umstände außer Betracht zu bleiben haben. Insofern ist auch aus dem Hinweis der Antragsgegnerin auf die Materialien zum Hass-im-Netz-Bekämpfungs-Gesetz, BGBl I 2020/148, für ihren gegenteiligen Standpunkt nichts zu gewinnen, weil die dort angesprochene Bemessung des Entschädigungsbetrags nach §§ 6, 7, 7a, 7b oder 7c MedienG bei Websites (auch) anhand der Zahl der Endnutzer, die die Veröffentlichung aufgerufen haben, vom nicht erfolgs-, sondern eben eignungsbezogenen Begriff des Veröffentlichungswerts zu unterscheiden ist.

[22] In Übereinstimmung mit der zutreffenden Stellungnahme der Generalprokuratur war der Erneuerungsantrag daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 2 und 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG). Soweit er sich auch gegen die (mit Beschwerden an das Oberlandesgericht bekämpften) erstinstanzlichen Beschlüsse richtet, verkennt der Erneuerungswerber, dass Erneuerungsanträge gegen Entscheidungen, die er mit Beschwerde anfechten kann, unzulässig sind (RIS‑Justiz RS0124739 [T2]).

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