OGH 8ObA21/23f

OGH8ObA21/23f24.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter Mag. Dora Camba(aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in derArbeitsrechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch Dr. Johannes Winkler, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Stadt Linz, 4040 Linz, Hauptstraße 1–5, vertreten durch die Wildmoser/Koch & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen 9.767 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgerichtin Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. Februar 2023, GZ 12 Ra 3/23g‑18, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 8. September 2022, GZ 28 Cga 14/22a‑13, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00021.23F.0524.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung lautet:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 9.767 EUR samt 8,858 % Zinsen seit 1. 2. 2022 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.433,36 EUR (darin 405,56 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 4.794,36 EUR (darin 341,56 EUR USt und 2.745 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger war seit 1. 6. 1982 im Baurechtsamt der Beklagten beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis ist die Vertragsbedienstetenordnung der Stadt Linz (VBO) anzuwenden, die folgende Regelungen enthält:

„§ 8 Bezüge

(1) Dem Vertragsbediensteten gebühren Monatsbezüge.

(2) Die Monatsbezüge und die Sonderzahlungen der Vertragsbediensteten richten sich – sofern nichts anderes vereinbart wird – sinngemäß nach den für die Beamten der Stadt geltenden Vorschriften (…)

 

§ 12 Auszahlung

(1) Der Monatsbezug ist für den Kalendermonat zu berechnen und am 15. jeden Monates (…) auszuzahlen.

(2) Die für das erste Kalendervierteljahr gebührende Sonderzahlung ist am 15. März, die für das zweite Kalendervierteljahr gebührende Sonderzahlung am 15. Juni, die für das dritte Kalendervierteljahr gebührende Sonderzahlung am 15. September und die für das vierte Kalendervierteljahr gebührende Sonderzahlung am 15. November auszuzahlen.  (...)

§ 32 Abfertigung

(1) Den Vertragsbediensteten, deren Dienstverhältnis vor dem 1. 9. 2003 begonnen hat, gebührt beim Enden des Dienstverhältnisses nach Maßgabe der Abs. 2 bis 7 eine Abfertigung.

(2) Der Anspruch auf Abfertigung besteht nicht, (…) wenn das Dienstverhältnis einverständlich aufgelöst wird und keine Vereinbarung über die Abfertigung zustande kommt (…).

(4) Die Abfertigung beträgt nach einer Dauer des Dienstverhältnisses von (…) 25 Jahren das Zwölffache des dem Vertragsbediensteten für den letzten Monat des Dienstverhältnisses gebührenden Monatsbezuges.

 

[2] Bei der einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses zum 31. 1. 2022 wurde vereinbart, dass der Kläger eine „Abfertigung von zwölf Monatsbezügen“ erhält. Die Beklagte zahlte dem Kläger daraufhin eine Abfertigung von 58.602 EUR brutto.

[3] Der Kläger begehrt 9.767 EUR sA an weiterer Abfertigung. Bei der Berechnung der Abfertigung seien auch die Sonderzahlungen einzubeziehen. Die Regelung des § 32 VBO sei intransparent und gröblich benachteiligend bzw diskriminierend. Im Sinne des umfassenden arbeitsrechtlichen Entgeltbegriffs sei § 32 Abs 4 VBO dahin zu verstehen, dass der Kläger Anspruch auf das Zwölffache des ihm für den letzten Monat des Dienstverhältnisses gebührenden Entgelts habe, was auch die Sonderzahlungen miteinschließe.

[4] Die Beklagte wendet ein, dass die Abfertigung nach § 32 Abs 4 VBO das Zwölffache des Monatsbezugs betrage. Der Monatsbezug umfasse nach § 8 Abs 2 VBO iVm § 3 Abs 2 Oö Landesgehaltsgesetz das Gehalt und allfällige Zulagen, nicht aber die vierteljährlichen Sonderzahlungen.

[5] Das Erstgericht gab der Klage statt. Mangels einer landesgesetzlichen oder vertraglichen Determinierung des Begriffs „Monatsbezug“ sei die getroffene Vereinbarung nach dem im Arbeitsrecht allgemein geltenden umfassenden Entgeltbegriff dahin auszulegen, dass bei der Berechnung der Abfertigung auch die Sonderzahlungen zu berücksichtigen seien.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die VBO unterscheide klar zwischen monatlich auszuzahlenden Monatsbezügen und vierteljährlich auszuzahlenden Sonderzahlungen, sodass der Monatsbezug – entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts – die Sonderzahlungen nicht miteinschließe. Damit sei für die Beklagte jedoch nichts gewonnen. Obwohl das Dienstrecht der Gemeindebediensteten seit der B-VG-Novelle 1999 in die Kompetenz der Länder falle, würden in Oberösterreich noch immer landesgesetzliche Regelungen für die Vertragsbediensteten der Städte mit eigenem Statut fehlen, sodass auf diese Dienstverträge das allgemeine Zivil- und Arbeitsvertragsrecht anzuwenden sei. Dazu würden neben den Vorschriften im ABGB auch jene des AngG gehören, das als „allgemeines Auffanggesetz“ unabhängig davon anzuwenden sei, ob der Kläger in einem Unternehmen iSd § 2 AngG oder in der Hoheitsverwaltung beschäftigt war. Nach § 23 AngG habe der Kläger einen Abfertigungsanspruch von zwölf Monatsentgelten, was auch die Sonderzahlungen miteinschließe. Es handle sich um zwingendes Recht, das die auf vertraglicher Vereinbarung beruhenden Regelungen der VBO verdränge. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des AngG in der Hoheitsverwaltung vorliege.

[7] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die Klage abgewiesen werde; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch berechtigt.

[10] 1. Die VBO der Beklagten ist eine Vertragsschablone, die kraft einzelvertraglicher Vereinbarung im Dienstvertrag verbindlich wird (RIS-Justiz RS0081830). Bei der Auslegung gilt daher auch die Unklarheitenregel des § 915 ABGB, wonach eine undeutliche Äußerung zum Nachteil desjenigen ausschlägt, der sie verwendet hat (RS0081830 [T1]). Die Auslegungsregel des § 915 ABGB ist aber erst heranzuziehen, wenn die Auslegung nach der erklärten Absicht der Parteien ohne eindeutiges Ergebnis bleibt (RS0109295). Steht der Vertragsinhalt eindeutig fest, dann ist für die Anwendung des § 915 ABGB kein Raum (RS0017752; RS0017957).

[11] 2. Der weite Entgeltbegriff des allgemeinen Arbeitsrechts, der dazu führt, dass bei der Berechnung der Abfertigung auch Sonderzahlungen zu berücksichtigen sind, gilt etwa für Gemeindebedienstete nach der VBO für Innsbruck nur, soweit keine abweichenden landesgesetzlichen oder vertraglichen Regelungen bestehen (RS0081839). Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass die VBO der Beklagten in § 8 und § 12 klar zwischen monatlich auszuzahlenden Monatsbezügen und vierteljährlich auszuzahlenden Sonderzahlungen unterscheidet, sodass der „Monatsbezug“ die Sonderzahlungen nicht miteinschließt. Die Unterscheidung von Monatsbezug einerseits und Sonderzahlungen andererseits führt dazu, dass auch § 32 Abs 4 der VBO dahin auszulegen ist, dass die Sonderzahlungen bei der Berechnung der Abfertigung außer Betracht bleiben müssen (9 ObA 239/01i [VBO Klagenfurt]; im Ergebnis auch 8 ObA 50/03s und 9 ObA 73/15y [VBO Innsbruck]). Die zwischen dem Kläger und der Beklagten getroffene Vereinbarung ist deshalb dahin auszulegen, dass die Sonderzahlungen bei der Berechnung der Abfertigung nicht zu berücksichtigen sind.

[12] 3. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass sich der Kläger nichtsdestoweniger auf die zwingenden Vorschriften des AngG berufen könne. Mit der B‑VG‑Novelle 1999 wurde Art 21 B‑VG novelliert, sodass die Gesetzgebung in Angelegenheiten des Dienst- und Dienstvertragsrechts der Gemeindebediensteten nunmehr den Ländern obliegt. In Oberösterreich fehlt aber noch immer eine landesgesetzliche Regelung der privatrechtlichen Dienstverhältnisse der Bediensteten der oberösterreichischen Städte mit eigenem Statut (§ 1 Abs 1 Oö Gemeinde‑Dienstrechts- und Gehaltsgesetz 2002, LGBl 2002/50; § 1 Abs 1 Oö Statutar-gemeinden-Bedienstetengesetz 2002, LGBl 2002/50).

[13] 4. Auch Arbeitsverträge mit Gemeinden unterliegen dem allgemeinen Zivil- und Arbeitsvertragsrecht, das durch landesgesetzliche Sondervorschriften verdrängt werden kann. Der Oberste Gerichtshof hat bereits zu 9 ObA 6/10p ausgesprochen, dass die Kompetenz zur Regelung des Dienstvertragsrechts die Länder zur Erlassung von Regelungen ermächtigt, die vom allgemeinen Zivil- und Arbeitsrecht abweichen, das Fehlen solcher besonderen Regelungen aber dazu führt, dass die allgemeinen zivil- und arbeitsrechtlichen Vorschriften anzuwenden sind, wozu neben den Regelungen im ABGB auch jene des Angestelltengesetzes gehören (ebenso Löschnigg/Reiff in Löschnigg/Melzer 11 § 3 AngG Rz 10; Drs in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 3 AngG Rz 10; Radner in Gruber-Risak/Mazal, Das Arbeitsrecht – System- und Praxiskommentar [40. Lfg 2022] Kap I.1. Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis Rz 5; vgl auch Spielbüchler, Vertragsrecht, Arbeitsvertragsrecht und Vertragsbedienstetenrecht, FS‑Strasser II [1993] 342 [377]).

[14] 5. § 3 AngG macht die Anwendung des Angestelltengesetzes auf Gemeindebedienstete davon abhängig, dass sie in einer „Unternehmung“ iSd § 2 AngG beschäftigt sind. Für Angestellte der Länder, die „behördliche Aufgaben“ zu besorgen hatten, bestand nämlich schon vor der B‑VG-Novelle 1974 nach Art 12 Abs 1 Z 8 B-VG keine umfassende Zuständigkeit des Bundes (Hofer-Zeni, Die Kompetenz zur Regelung des Dienstrechts, ÖJZ 1972, 122 [123]; Jabloner, Verfassungsrechtliche Fragen des Dienstvertragsrechtes, FS‑Schnorr [1988], 489 [490]). Nach den klaren Vorgaben des Gesetzgebers sind damit Arbeitnehmer, die in der Hoheitsverwaltung tätig und mit behördlichen Aufgaben betraut sind, wie dies auf den Kläger zutraf, vom Anwendungsbereich des Angestelltengesetzes ausgenommen (Grillberger, Dienstrecht der Kärntner Gemeindevertragsbediensteten, in Rebhahn, Beiträge zum Kärntner Gemeinderecht [1998] 206 [224]; Resch, Gesetzgebungskompetenz für Vertragsbedienstete, RFG 2010/21, 93 f).

[15] 6. Schrammel und Kozak verstehen das Angestelltengesetz als „allgemeines Auffanggesetz“, das auf vertragliche Dienstverhältnisse zu einer Gemeinde zur Anwendung gelangen soll, wenn das Land von seiner Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch gemacht hat, sodass es auch auf Beschäftigte in der Hoheitsverwaltung anzuwenden wäre (Schrammel in Marhold/Burgstaller/Preyer, § 3 AngG Rz 16; Kozak in Reissner 4 [2022] § 3 AngG Rz 3). Die Anwendbarkeit des allgemeinen Zivil- und Arbeitsrechts kann aber nicht dazu führen, dass der Anwendungsbereich dieser Vorschriften über den klaren Wortlaut des Gesetzes hinaus ausgedehnt wird. Da § 3 AngG Bedienstete in der Hoheitsverwaltung aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes ausnimmt und solche Dienstverhältnisse deshalb nur den Vorschriften des ABGB unterliegen, handelt es sich um keine planwidrige Gesetzeslücke, sondern um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, sodass auch eine analoge Anwendung des Angestelltengesetzes ausscheidet (siehe Resch, RFG 2010, 94).

[16] 7. Der Oberste Gerichtshof hat deshalb bereits ausgesprochen, dass die Vorschriften des Angestelltengesetzes über die Berechnung der Abfertigung auf Bedienstete einer Stadt mit eigenem Statut ungeachtet des Fehlens landesgesetzlicher Vorschriften nur zur Anwendung gelangen können, wenn diese Bediensteten in einer „Unternehmung“ iSd § 2 AngG beschäftigt sind (9 ObA 239/01i; 9 ObA 69/13g). Im Ergebnis existiert damit keine landes- oder bundesgesetzliche Vorschrift, die dem Kläger, der behördliche Aufgaben zu besorgen hatte, einen über die VBO hinausgehenden Abfertigungsanspruch gewähren würde.

[17] 8. Der Kläger beruft sich darauf, dass die unterschiedliche Behandlung von Bediensteten gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße und gröblich benachteiligend sei. Richtig ist, dass der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz auch für Vertragsbedienstete gilt (RS0031488). Dem öffentlichen Dienstgeber steht es aber frei, Zuwendungen auf eine bestimmte Gruppe von Dienstnehmern zu beschränken, solange er dabei nicht willkürlich oder sachfremd differenziert (RS0016829; RS0016815; RS0028240). Da sich die Tätigkeit in einer Behörde wesentlich von jener in einer Unternehmung unterscheidet, ist eine unterschiedliche Behandlung der dort beschäftigten Bediensteten, die im Übrigen den Bestimmungen der VBG vergleichbar ist (RS0081487) nicht unsachlich. Da der Kläger nicht aufgrund seines Alters benachteiligt wird, liegt auch kein Verstoß gegen § 1 Oö Antidiskriminierungsgesetz vor.

[18] 9. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher dahin abzuändern, dass das auf Gewährung einer über die Regelungen der VBO hinausgehenden Abfertigung gerichtete Klagebegehren abgewiesen wird.

[19] 10. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Dabei war zu berücksichtigen, dass die für die Berufungsschrift verzeichneten Kosten auf einem Additionsfehler beruhen, sodass insoweit nur 2.234,48 EUR zusprechen waren.

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